home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Plädoyer für das Paulskirchen-Wandbild: „Ein vitales Kunstwerk“

Ein Interview mit dem Kunstkritiker Eduard Beaucamp zur Forderung nach ‚positiver’ Umgestaltung

Unter der Federführung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters soll/will eine Expertengruppe aus Bund, Land und Stadt Grundlagen für eine Um- und Neugestaltung der Paulskirche erarbeiten, mit dem Ziel, deren Bedeutung als ein Ursprungsort der deutschen Demokratie stärker in positiver Sicht herauszustellen. In der jetzigen Form – so Ausgangspunkt dieses auch vom Bundespräsidenten getragenen Anstoßes –, fehle es ihr an Aura, verbinde sich mit ihr ein „erinnerungspolitisches Desaster“. Öffentlich kaum bemerkt, ist dabei  auch das Wandbild des Malers Johannes Grützke in der unteren Wandelhalle in die Kritik geraten. Es zeige den 1848er-Einzug der Volksvertreter in die Paulskirche zu negativ. Darüber sprach Uwe Kammann mit dem langjährigen Kunstkritiker der FAZ, Eduard Beaucamp. Er hatte das 1991 fertiggestellte in einem ausführlichen Beitrag gelobt. Es thematisiere in nicht mehr für möglich gehaltener Figurenmalerei „Einheit in Vielfalt und Widersprüchlichkeit“.

Dr. Eduard Beaucamp, langjähriger Kunstkritiker der FAZ, Foto: Petra Kammann

Der nüchtern-schlichte Veranstaltungssaal der Paulskirche, Foto: Thomas Beucker

FeuilletonFrankfurt: In einem gemeinsamen Text beklagen die Autoren Peter Schmal, Herfried Münkler und Hans Walter Hütter, dass die heutige Paulskirche in ihrem jetzigen Zustand weder ästhetische Evidenz habe noch eine Aura besitze, die den Besitzer in die zu erinnernde Vergangenheit mitnimmt. In ihrem jetzigen Zustand sei sie ein „erinnerungspolitisches Desaster“. Bei der fälligen technischen Renovierung müsse etwas von der Aura des Gründungsaktes in das Gebäude zurückgeholt werden. Teilen Sie dieses harsche Urteil?

Eduard Beaucamp: Diese platten und falschen Urteile sind längst begründet widerlegt worden, vor allem von Wolfgang Pehnt. Die Auferstehung des historischen Versammlungssaals in seiner lichtdurchfluteten, klaren und bilderlosen Erscheinung war nach 1945 ein aufklärerisches Bekenntnis bei der Neugründung der deutschen Demokratie. Die Vorstellungen der Berliner Geschichtsstrategen laufen auf Historismus und Restauration hinaus. Die Kulturbeauftragte des Bundes predigt „mehr Demokratiegeschichte wagen“, aber sie selber hat sie nicht ausreichend verinnerlicht. Sie ließ zu, dass auf der Berliner Schlossattrappe, dem Humboldtforum, das Kreuz aufgepflanzt wurde, das der preußische König zum Dank für die erfolgreiche Niederschlagung der 48er Revolution in Berlin setzen ließ – mit der jetzt ebenfalls reproduzierten Parole, wonach man das Knie nur vor Christus beuge. Der König lehnte die von den Frankfurter Demokraten angebotene Kaiserkrone mit den Worten ab, sie sei „ein Hundehalsband, mit dem man mich an die Revolution von 48 ketten will“. Die Paulskirche beschimpfte er sogar als „Hauptquartier des Satans“. Wie kann man für Frankfurt mehr Demokratie-Geschichte fordern und gleichzeitig in Berlin das Symbol ihrer Überwindung restaurieren? Außerdem ist das Kreuz, das zu Recht den benachbarten Berliner Dom bekrönt, äußerst peinlich auf einem Museum der Weltkulturen, das die Beute des Kolonialismus beinhaltet, wo doch im Zeichen dieses Kreuzes viele dieser Kulturen beraubt und vernichtet wurden.

Auch das große umlaufende Wandbild von Johannes Grützke in der unteren Wandelhalle wird kritisiert. Es dementiere geradezu, dass es sich hier um einen Ort handele, „der im positiven Sinne des Erinnerns wert wäre“. Der Direktor des Architekturmuseums, Peter Schmal, zieht daraus den Schluss, das 33 mal 3 Meter messende Bild könne auch demontiert und an anderer Stelle präsentiert werden. Überrascht Sie dieses rigide Forderung?

Mich gruselt es: Will er der Kunst Vorschriften machen, verlangt er positive, würdige, idealistische Darstellungen? Das riecht nach DDR. Aber selbst da ließen die Künstler das nicht mit sich machen. Im thüringischen Bauernkriegspanorama lieferte Werner Tübke statt der erwarteten Apotheose eine Apokalypse ab.

Schmal hält das Bild, ganz unabhängig von der Interpretation, auch für nicht besonders gelungen, sieht darin ein typisches Zeitdokument der späten 80er Jahre, das die Nationalversammlung von 1948 als „typisch missglückten deutschen Revolutionsversuch von Bürokraten“ darstelle. Ist das eine naheliegende und schlüssige Interpretation?

 Das ist keine Interpretation, sondern eine ganz und gar schiefe, subjektive Meinung.

„Nicht besonders gelungen“: Das spricht dem Bild ja auch eine künstlerische Qualität ab. Steht Peter Cachola Schmal mit diesem Verdikt alleine da?

 Das ist seine Meinung und sein Geschmack. Das Bild ist von berufenen Kunstkennern von Werner Hofmann bis Klaus Gallwitz ausgewählt und gerühmt worden. Es stellt heute längst ein bedeutendes Stück Kunstgeschichte dar.

Das umlaufende Wandbild von Johannes Grützke in der unteren Wandelhalle der Paulskirche, Foto: Thomas Beucker

Sie selbst haben gleich zu Beginn der Installation von Grützkes Bild in der Paulskirche geurteilt, es sei in seiner Mischung aus opera seria und opera buffa und mit seiner fetzigen Malweise nichts für Historiker und Pädagogen. Es sei, unter dem Strich, keine optimistische Demonstration, aber auch kein Trauerzug von Gescheiterten und weiter Scheiternden. Gilt dieses Grundurteil immer noch?

Wollen wir Künstler, die nach der Pfeife von Historikern und opportunistischen Kulturpolitikern tanzen und Programm-Kunst liefern? Grützkes Bild ist ein vitales, lebenspralles, vielschichtiges, dabei eigenwilliges, souveränes und durchaus auch humorvolles oder doch ironisches Kunstwerk. Man werfe einen Blick zurück in die chaotischen zwanziger Jahren. Künstler wie George Grosz hassten die Demokratie und wollten sie mit tendenziöser Drastik zerstören (was Grosz am Ende seines Lebens bedauert hat). Grützke verklärt nicht die Demokratie, zeigt keine verlogenen Musterdemokraten. Was sich bei ihm manifestiert, sind zeitgenössische, politische Erfahrungen und Stimmungen: Alltag, Durchschnittlichkeit, auch Verdrossenheit. Er zeigt die Demokratie nicht als Staatstheater mit ihren Repräsentanten, nicht als Manifestation einer Verfassung, sondern im Zug der Volksvertreter als einen offenen Prozess, der sich im Kreis bewegt, nie zum Ziel kommt, aber trotz aller Hindernisse und Einsprüche seitens des Volks nicht im Desaster endet, sondern sich aufrecht hält und sich immer weiter bewegt.

Sie haben in einem Text von 1991 vorhergesagt, dass Grützkes Bild die Kunstszene zweifellos spalten werden. Sehen Sie Ihre Vorhersage eingetroffen, und wenn ja, wundert Sie das – nach immerhin drei Jahrzehnten?

Das Bild wird immer Widerspruch und Diskussionen provozieren. Das spricht für die Vitalität dieses bedeutenden Bildes, für seine zu Recht kritische und ambivalente, aber keineswegs abwertende und destruktive Behandlung des Themas. Ich habe das Gefühl, dass die Historiker noch ein tieferes Studium des Bildes nachholen und auch Daumiers Ansatz repetieren müssen. Künstler haben ihre eigene, oft fundamentalere Wahrhaftigkeit. Ich persönlich schöpfe aus diesem Bild mehr als aus den meisten parlamentarischen Festreden oder aus positivistischen Lehrbüchern. Die Nationalversammlung von 1848 durchschwirrten gegensätzliche Stimmen, Interessen und Konfessionen. Grützke erinnert uns daran, dass der Weg zur Demokratie in Deutschland kein geradliniger Sonnenweg war, sondern dass er holprig, windungs- und konfliktreich und von vielen Rückschlägen unterbrochen war. Wir sollten auch heute nicht allzu sicher und selbstherrlich sein, denn es brodelt wieder am Rande. Etwas von alledem in moderner Spiegelung und Allegorese wiederzugeben, das ist die authentische Aura und auch Botschaft des Bildes.

Hanser-Verleger Michael Krüger nach der Friedenspreisverleihung 2016 vor dem Grützke-Wandbild, Foto: Petra Kammann

Eine Demontage des Bildes wäre eine moderne Bilderstürmerei (inklusive Museumsverwahrung) mit ideologischer Begründung, wäre der Versuch, eine unmissverständlich positive Deutung der damaligen Nationalversammlung durchzusetzen. Was drückt sich für Sie in diesem Versuch aus? Und könnte dann überhaupt etwas anderes an die Stelle kommen? Wäre das dann gelenkte Auftragskunst?

Die Beseitigung eines unbequemen Bildes wäre ein Fanal. Dass Berliner Strategen Kunstprogramme entwerfen und Kunsttendenzen vorschreiben, ja nachträglich Zensur ausüben, wäre skandalös. Sie werden keine selbstbewussten Künstler finden, die sich solchen Vorgaben unterwerfen. Wir müssen mit dem Bild leben, uns mit ihm auseinandersetzen und aus ihm lernen.

Letzte Frage: Sie sagten damals, das Paulskirchenbild sei einer der „riskantesten Aufträge“ der Bundesrepublik gewesen. Bestätigt die jetzige Kritik am Bild – und auch an der Gesamterscheinung der Paulskirche – das damalige Urteil? Und wäre ein jetziger neuer Auftrag ebenso riskant?

Der Auftrag war riskant, aber Grützke hat eine überzeugende, überdies malerisch mitreißende Arbeit geleistet. Frankfurt sollte sich auf seine kritische Tradition besinnen und sich nicht von Berlin bevormunden lassen.

Eduard Beaucamp in „DIE GALERIE“, Foto: Petra Kammann

Kurzbiographie 

Eduard Beaucamp trug als Feuilleton-Redakteur und Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1966 bis 2002) und auch als Buchautor mit seinen pointierten und engagierten Beiträgen wesentlich zur Debatte um die Kunstszene der Nachkriegszeit bei. Dabei hat er früh das Dogma der Abstraktion in Zweifel gestellt und sich für Künstler und Kunst aus der DDR eingesetzt, mit dem Schwerpunkt der Leipziger Schule.
Beaucamp (Jahrgang 1937) arbeitete nach dem Studium der deutschen Literaturgeschichte, Kunstgeschichte und Philosophie (promoviert mit einer Studie über Wilhelm Raabe) zunächst als Sekretär des Dichters Rudolf Alexander Schröder, bevor der in die FAZ-Redaktion eintrat.
Zu seinen zahlreichen Büchern gehören: „Das Dilemma der Avantgarde“ (1976); „Werner Tübke. Arbeiterklasse und Intelligenz“ (1985); „Die befragte Kunst“ (1988); „Gespräche mit Werner Schmalenbach“ (2011); „Kunststücke. Ein Tanz mit dem Zeitgeist“ (2012); „Im Spiegel der Geschichte. Die Leipziger Schule der Malerei“ (2017). In dem Band „Der verstrickte Künstler. Wider die Legende von der unbefleckten Avantgarde“ (1998) findet sich unter dem Titel „Volksvertreter“ ein engagiert positiver Beitrag aus dem Jahr 1991 zu Johannes Grützkes Monumentalbild in der Frankfurter Paulskirche.
Ausgezeichnet wurde er mit der Wilhelm-Heinse-Medaille der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

→ Paulskirche – vom Paulus zum Saulus?

 Die Paulskirche – Ein Denkmal unter Druck“ im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt

Comments are closed.