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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Paulskirche – vom Paulus zum Saulus?

Bund, Land und Stadt wollen/sollen Demokratiegeschichte darstellen: doch wie?

Eine Debattenzusammenfasssung und ein Kommentar

von Uwe Kammann

Jetzt sollen zu Weihnachten in der Paulskirche auch Gottesdienste gefeiert werden – eine Corona-grundierte Rückkehr zur ältesten Bestimmung dieses Sandstein-Ovals, das zur Frankfurter DNA gehört wie der Römer und der Dom und aus neuen Zeiten der Messeturm und der Doppelturm der Europäischen Zentralbank. Doch am Wesen dieser städtischen Grundsubstanz unter dem Siegel deutscher Ur-Demokratie wird seit geraumer Zeit hin- und herüberlegt, ob es denn richtig und gut gestaltet ist, um auch in den kommenden Jahrzehnten den Gedanken des Aufbruchs, der Freiheit und der politischen Selbstbestimmung zu verkörpern. Kern der Frage-Debatte: Wie könnte, wie müsste sie aussehen, die Paulskirche der Zukunft?

Bei der Women-Aktion „Orange the world“ erstrahlte am 25. Oktober 2020 auch die Paulskirche in orange, Foto: Petra Kammann

Jener markante, der von 1789 bis 1833 errichtete Bau, der bis zur Zerstörung 1944 als evangelische Hauptkirche diente und seinen Ruhm allerdings einem hohen politischen Ereignis verdankt: der Tagung der ersten Volksvertretung für ganz Deutschland, sprich: der Frankfurter Nationalversammlung 1848/1849. Ein Bau, der dann – nach einem vor allem im Innern betont schlichten Wiederaufbau der ausgebrannten Ruine –, schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit zum zentralen repräsentativen Festort der Stadt Frankfurt wurde, mit einem unbestrittenen jährlichen Höhepunkt: der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.

Die Paulskirche heute, Foto: Petra Kammann

Mitte November werden sich manche mit der Materie Vertraute die Augen gerieben haben, als sie in der FAZ einen Beitrag zu diesem „Symbolort der Demokratie lasen, der schon im Titel einen fundamentalen Mangel ankreidete: „Der Paulskirche fehlt die Aura“. Die Verwunderung wird in erster Linie dieser steilen Behauptung gegolten haben, in zweiter dann der Trias der Autoren. Bestehend aus dem Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler, weiter dem Historiker und Direktor der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, Hans Walter Hütter, und schließlich dem Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt, Peter Cachola Schmal.

Paulskirche von Südosten um 1850, anonyme Lithografie, Institut für Stadtgeschichte

Dass dieser Text mit dem Verdikt „keine Aura“ in Verbindung mit dem DAM-Direktor Schmal steht: das machte und macht stutzig. Denn noch im Dezember letzten Jahres hatte Schmal bei einer öffentlichen Diskussion der Frankfurter Bürgeruniversität in seinem Hause seine große Skepsis durchblicken lassen, als Oberbürgermeister Peter Feldmann voller Euphorie seine Visionen einer künftigen Paulskirche skizzierte. Zusammengefasst in einem Bild, wonach die Paulskirche – ergänzt um ein so bezeichnetes ‚Demokratiezentrum’ – sich zu einem künftigen Idealraum reflektierter und praktizierter Demokratie verwandeln solle, gleichzeitig auch zu einer Pilgerstätte für alle Adepten des politischen Freiheitsraums, zu einem weit ausstrahlenden Gedenkort wie die Independance Hall in Philadelphia, ein gleichsam heiliger Parlamentsort, in dem 1776 die Unabhängigkeitserklärung und 1787 die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika unterzeichnet wurden.

Schmal goss damals viel Wasser in den Wein, ließ erkennen, wie nebulös das Gesamtvorhaben in den meisten Fragen sei, vom Konzept über die Vorgaben für die Gestaltung und einen darauf bauenden Wettbewerb, weiter über die Platzierungsfragen bis hin zur Finanzierung und die Voraussetzungen der politischen Debatte. Von Corona war damals natürlich noch nicht die Rede. Wohl aber, positiv, von knapp 20 Millionen Euro, welche der Haushaltsausschuss des Bundestags für die Sanierung der Paulskirche (Brandschutz in erster Linie, dazu die vollständige technische Ausstattung) nach fleißiger Lobbyarbeit der Stadt bewilligt hatte. Ziel damals: Alles sollte bis zur Feier ihres Jubiläums im Frühjahr 2023 fertig sein.

Höchst unterschiedliche Vorstellungen bei einer Diskussionsrunde im Deutschen Architekturmuseum im Dezember 2019, v.l.n.r.: OB Peter Feldmann, DAM-Direktor Peter Cachola Schmal, Moderatorin Rebecca C. Schmidt, Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Brigitte Geißel,  Architekturwissenschaftler Prof. Dr. Carsten Ruhl (beide Goethe-Universität); Foto: Uwe Kammann   

Jetzt, Ende 2020, wissen alle Beteiligten: Das ist völlig illusorisch. Sicher auch wegen der handfesten äußeren Gründe der Pandemie, die alle Fahrpläne durcheinanderbringt. Vor allem aber auch, weil die Debatte um die künftige Gestaltung der Paulskirche wahrscheinlich jetzt erst in aller Vehemenz losgeht. Eingemischt hat sich dabei, als oberster Repräsentant, auch der Bundespräsident – mutmaßlich auch in einer auf eine symbolische Außenwirkung zielende Reflexgeste unterm Siegel einer demonstrativen Demokratiestärkung, angestoßen in äußerlich unruhigen Zeiten mit vielen systemkritischen, teils auch militanten Aktivisten aus vielfältigen Lagern.

Damit erklärt sich vermutlich auch – zumindest teilweise – das Zusammenbinden von drei in Herkunft und Funktion so unterschiedlichen Autoren wie Münkler, Hütter und Schmal für einen FAZ-Debattenbeitrag (20. November) zur Paulskirche. Denn dieser gemeinsame Artikel geht zurück, wie es der DAM-Direktor auf Anfrage von FeuilletonFrankfurt erklärte, auf ein vom Bundespräsidenten arrangiertes Treffen Ende August in Berlin. Eine sehr große Runde, zu der die Staatsministerin Monika Grütters gehörte, Norbert Lammert als Ex-Bundestagspräsident, Johannes Tuchel von der Gedenkstätte historischer Widerstand, Raphael Gross vom Deutschen Historischen Museum, für Frankfurt OB Feldmann, Baudezernent Jan Schneider und Sebastian Popp, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, sowie Marie-Luise Recker, Vorsitzende der Frankfurter Historischen Kommission und Ex-Professorin an der Uni Frankfurt.

Münkler, Hütter und Schmal hielten bei der Sitzung jeweils ein Impulsreferat, im inhaltlichen Bezug zu ihren Fachgebieten: Münkler zur Bedeutung der Paulskirche, Schmal zu ihrer Baugeschichte, Hütter zu einem möglichen Programm für ein in Aussicht stehendes ‚Haus der Demokratie’. Aus diesen Referaten, so Schmal, sei danach der gemeinsame – sprich: auch gemeinsam erstellte und redigierte – Text geworden, in den auch „alle möglichen Vorschläge“ eingeflossen seien.

Monika Grütters in der ersten Reihe bei der Friedenspreisverleihung an Sebastião Salgado 2019, Foto: Petra Kammann

Zu den Ergebnissen des Treffens habe weiterhin gehört, dass Grütters als Staatsministerin für Kultur und Medien das Gesamtverfahren in die Hand nehmen  solle, um gemeinsam mit dem Bund, dem Land Hessen und der Stand Frankfurt ein „Gesamtkonzept für ein künftiges Haus der Demokratie in und neben der Paulskirche zu erstellen“. Dieses Konzept solle bis Ende 2022 stehen, so dass nach der Paulskirchen-Jubliläumsfeier im Mai 2023 die Realisierung in die Wege geleitet werden könne, beginnend mit einem Architektenwettbewerb. Dies also der Rahmen, in dem der FAZ-Beitrag der drei Autoren steht.

Es ist ein Text, der äußerlich wie aus einem Guss scheint, beim genauen Lesen allerdings eine Menge an Leerstellen offenbart, wichtige Punkte nur ephemer einkreist und dabei viele Fragen offenlässt, wie es denn mit der Paulskirche und ihrer Gestaltung und auch mit der künftigen programmatischen Rolle weitergehen soll. Und dies, obwohl auf den ersten Blick doch Eindeutigkeit zu herrschen scheint, ausgehend von der Forderung, „etwas von der Aura des Gründungsaktes“ in das Gebäude „zurückzuholen“.

Das prominent herausgestellte Urteil, der jetzige Raum der Paulskirche – der ja auf einer radikalen Entkernung der Kirche beim von Rudolf Schwarz geleiteten Wiederaufbau beruht  – sei zu „intellektualistisch“, lässt den Rückschluss zu, hier schwebten dem Dreierteam Rückbezüge zum historischen Erscheinungsbild vor (das allerdings, sofort einsehbar, mit dem Demokratie-Gründungsakt gar nichts zu tun hatte: es ging um eine Kirche). Zu wenig Emotion, zu viel Abstraktheit, dringend neu zu interpretieren und zu gestalten: auf diese Kurzformel lassen sich die Grundlinien des gemeinsamen Textes bringen.

Ein Text, der inzwischen einen prominenten Resonanz-und Bestätigungsraum gewonnen hat: durch einen Beitrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der FAZ vom 24. November. Darin schlägt sie die Gründung einer Bundesstiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ vor. Für die Paulskirche fordert sie dabei eine Neuinterpretation statt des jetzigen „erinnerungspolitischen Desasters“ – so das von ihr zitierte zusammengefasste Urteil des Hütter/Münkler/Schmal-Textes.

Die vom Architekten Rudolf Schwarz äußerst schlicht gestaltete Wandelhalle im ursprünglichen Zustand, oto: Institut für Stadtgeschichte / A. Pfau 

Anzustreben sei, „national bedeutsame Ereignisse wie die Geburtsstunde der parlamentarischen Demokratie zu veranschaulichen und zu vergegenwärtigen“. Mit dem Ziel, „die kritische Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Zusammenlebens in einer freiheitlichen Gesellschaft“ zu fördern und „die emotionale Verbundenheit und damit auch die Identifikation mit unserer Demokratie“ zu stärken. Für die Paulskirche zieht sie daraus den Schluss: Es reiche „vermutlich nicht“, sie unter behutsamer Modernisierung der Nachkriegsarchitektur zu sanieren. Man solle dem Gedenkort „einen Kommunikations- und Reflexionsort an die Seite stellen und in unmittelbarer Nähe zur Paulskirche ein ‚Haus der Demokratie’ errichten, das zur kritischen Auseinandersetzung mit deutscher Demokratiegeschichte einlädt.“

Nun, immerhin erwähnt die Kulturstaatsministerin in ihrem Vorstoß auch eine prominente Gegenposition zu allen weitergehenden Umgestaltungsvisionen der Paulskirche. Verfasst hat sie (erschienen in der FAZ vom 9. November) der hochrenommierte Altmeister der Architekturkritik in Deutschland, Wolfgang Pehnt. Auch Pehnt reibt sich die Augen angesichts der Behauptungen, der Paulskirche fehle es an ästhetischer Evidenz, sie habe keine Aura und sei ein erinnerungspolitisches Desaster. Kenntnisreich schildert er die Motive und Ziele für den schnellen, schon 1948 vollendeten „Wieder- oder besser Neuaufbau“ der Paulskirche als „Baukunstwerk von hohem Symbolwert“.

Aufstieg auf die von der Wandelhalle in den lichten und schlichten Hauptraum, Foto: Institut für Stadtgeschichte / A. Pfau 

Pehnt beschreibt all’ die Mittel, mit dem ein vom rheinischen Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz geleitetes Architektenteam jenes hohe Erlebnis-Gefühl verwirklichte, das sich seither vielen Besuchern dieses zentralen „Festhauses“ vermittelt hat. Mit der Erfahrung einer „lichten Weite“, nach dem Durchqueren des Eingangstunnels und der neu eingezogenen unteren Wandelhalle mit ihren dicken Marmorsäulen und dem Aufstieg durch die beiden steilen Treppenläufe in das hohe, von der früheren säulengetragenen Galerie befreite Kirchenschiff mit seinem jetzigen flachgewölbten Dach und seiner transparenten Laterne, einer Himmelsöffnung wie beim Pantheon in Rom. Auch die herabhängenden Lichtschnüre stünden für die Verbindung von Oben und Unten: „Der Weg aus dem Dunkel zum Licht war Thema dieses Gedenkbaus“. Zentral zitiert Pehnt das Credo der Baumeister: „Der Bau sollte sagen, was diese Versammlung in diesem Hause für unserer Volk zu tun hatte.“

Will die Paulskirche pur bewahren: Architekrurkritiker Wolfgang Pehnt, Foto: Uwe Kammann

Mit ungläubigem Staunen wiederholt Pehnt die Frage: Und das soll ein Bauwerk ohne Aura sein? Er erinnert dabei auch an ein Verdikt aus der Wochenzeitung „Die Zeit“, dass es sich hier um einen „Sakro-Existentialismus“ handele. Tatsächlich, diese drastische Verdammung stammt von Benedikt Erenz, der – beginnend 2017 – gleich dreimal in kurzen Abständen in der „Zeit“ kein gutes Haar an der Paulskirche im gegenwärtigen Zustand gelassen hatte, vielmehr alles an ihr in Grund und Boden verdammte. Ein „härener Erlösungswille“ sei ihr in der Nachkriegsversion eingepflanzt worden. In ihrer Nüchternheit verbreite sie „fahle Frömmigkeit“. Sie sei, alles in allem, untauglich als heutiges Symbol des demokratischen Aufbruchs – ein Untauglichkeitsbefund, wie er jetzt offensichtlich der Beurteilung durch die Kulturstaatsministerin zugrundeliegt und wie er im jetzigen gemeinsamen Text von Hütter, Münkler und Schmal in verschiedenen Färbungen aufscheint. Etwa, wenn dort davon die Rede ist, den zu „intellektualistischen“ Raum neu zu interpretieren, um „etwas von der Aura des Gründungsaktes“ in das Gebäude zurückzuholen.

Doch unter der sicht- und lesbaren Textur, auf die Grütters verweist, schimmern auch unterschiedliche Bewertungen durch. Mit welchen Elementen denn eine solche andere Gestaltung angestrebt werden könne, darüber, so DAM-Direktor Peter Cacola Schmal gegenüber FeuilletonFrankfurt, seien sich die drei Autoren „nicht einig“: „Die jeweiligen Haltungen zur Paulskirche gehen sehr weit auseinander.“

Zweifelsfrei, so Schmal weiter, sei die historisch so bedeutsame Phase der 1948er-Nationalversammlung „heute vor Ort nicht mehr nachvollziehbar“. Die Aura von 1848 sei „sehr schwer zu erahnen“, weil die „monumentale Aura“ des 1948er Neubaus im Vordergrund stehe. Das eigentliche Ereignis müsse man sich abstrakt vor Augen führen, und die Art der Dauerausstellung in der unteren Wandelhalle stütze eine weitergehende Wahrnehmung nicht.

Schmal präzisiert – was im Grütters-Beitrag ganz ausgeklammert ist –: „Die Meinung, wie man an 1848 erinnern sollte, reichten in der Runde beim Bundespräsidenten von einem vollständigen Zerstören des heutigen Zustandes hin zu einer Rekonstruktion des historischen Kirchenraumes bis zu einer Art virtuellen Wiederherstellung des Raumeindruckes mit künftigen technologischen Mitteln.“ Ergänzend stellt er unmissverständlich klar: „Ich persönlich lehne eine Rekonstruktion ab und bin sehr froh, dass die Stadtverordneten vor einem Jahr beschlossen haben, die Paulskirche im heutigen Zustand zu sanieren.“

Ob diese politische Grundentscheidung auch Bestand hat? Schon in den 80er Jahren gab es, befeuert auch von Vorstellungen des damaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Wallmann, massive Überlegungen, die Paulskirche im ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, mit dem steilen Kuppeldach und der inneren, auf zwanzig Säulen ruhenden umlaufenden Galerie und der herabgezogenen Zwischendecke. Schon damals allerdings gab es erheblichen (und erfolgreichen) Widerstand, weil die Ausstrahlung und einzigartige Wirkung des puristischen Innenraums doch von der Mehrheit der Besucher geschätzt und immer wieder gepriesen wurde.

Brandender Beifall bei der Friedenspreisverleihung in der Paulskirche; Foto: Uwe Kammann

Und in der Tat: Wie dem Autor dieser Zeilen, der seit vierzig Jahren an vielen Veranstaltungen in der Paulskirche teilgenommen hat, ist es allen Freunden, Bekannten und befragten Besuchern gegangen: nämlich jedes Mal nach dem Aufstieg aus der dämmrigen Wandelhalle über die zweidirektionale Treppe in den hohen Innenraum so verblüfft, so beeindruckt, so entzückt zu sein – ein erhebender Glücksmoment pur. Alles verdichtet sich in reiner Form zum Gefühl, sich in einem Raum-Ideal der gebauten Aufklärung zu befinden und schon im Ansatz zu einem anderen Menschen zu werden: aufmerksamer, konzentrierter, offener, bewusster – und im besonderen Maße bereit zum gemeinsamen Nachdenken, zum kritischen Diskurs.

Das belegen auch alle Zeugnisse der vielen bedeutenden Redner, die vom erhöhten zentralen Pult sprachen. „Wow“, so sehe das also von oben aus, eröffnete Friedenspreisträgerin Carolin Emcke ihre Rede. Als 1989 Maximilian Schell für den mit Hausarrest belegten Prager Preisträger Vaclav Havel dessen flammende Demokratie-Beschwörung verlas („Der Gummiknüppel wird nicht das letzte Wort haben“), durchströmte hellstes Septemberlicht die raumhohen Fenster – die Beglaubigung einer beglückenden Vorhersage. Keine Frage: Die Paulskirche ist, nun schon über nahezu sieben Jahrzehnte, der ideale Ort einer klassischen, einer reflektierenden Öffentlichkeit. Und damit ein idealer Ort der Demokratie. Die Paulskirche: Sie ist das Haus der Demokratie.

 

Heister, Franz; Bauer, J. B., Eröffnung der Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt den 18. Mai 1848, Druckgraphik, Frankfurt am Main, 1848, Kreidelithographie

Natürlich, es gäbe bis zum Jubiläumsjahr einiges zu tun. Da geht es vor allem um eine technische Grundsanierung, vom Brandschutz bis zur Audio- und Videoausstattung. Auch die Bestuhlung ist in die Jahre gekommen, der Bezugsstoff an vielen Stellen ziemlich abgewetzt. Aber das alles zu ertüchtigen und aufzufrischen ist kein Teufelswerk. Die gestalterische Remedur müsste sich auf den unteren Wandelgang konzentrieren. Er soll zwar nach der Grundidee des 1948-Aufbaus eher dämmrig bis dunkel wirken (als Mahnort der historischen Düsternis, als Ausgangskontrast zum Lichtflut-Versprechen des raumreinen Saales). Doch in der jetzigen Form wirkt er arg düster, erinnert im schlechteren Sinne eher an eine Krypta. Offensichtlich ist zudem, dass er mit seinen hässlichen, in allen Details schlecht arrangierten und inszenierten Vitrinen zum damaligen Demokratie-Aufbruch keinerlei Schau- und Erkenntnislust ausstrahlt und auslöst. Und, ebenso schlimm, mit der dreidimensionalen Wandverspachtelung (Architektenspott: ‚Pizza-Putz’) wirkt er in geradezu grotesker Weise piefig, dazu ein wenig schmuddelig und alles in allem völlig lieblos gestaltet.

In all den Punkten ließe sich leicht Abhilfe schaffen. Und, ganz wesentlich für die jetzige Debatte in Richtung Haus der Demokratie: Natürlich könnte schon die Wandelhalle – die ja in der Regel Stadtbesuchern offensteht – das Wesentliche über den damaligen Demokratieaufbruch und die erste Nationalversammlung erzählen. Mit Hilfe moderner Videotechnik und edler Vitrinen ließen sich die  Hoffnungsschritte der deutschen Demokratie bestens veranschaulichen. Ein kleiner Gang ins neue Jüdische Museum oder ins Historische Museum zeigt, was moderne Vermittlungstechnik leisten kann. Und weiter: Eine unauffällige, schlichte Beleuchtung wie im vorbildlichen Skulpturenmuseum Liebighaus mit seinem mustergültigen Zumtobel-Lichtsystem würde den Raum zusätzlich beruhigen und gliedern, ohne die großartige Grundidee zu verwässern: aus einer dunkleren Schicht ins Licht emporzusteigen.

Umstritten: Das Wandbild von Johannes Grützke aus dem Jahr 1991, Foto: Uwe Kammann

Kontroversen löste und löst immer noch das um den Kernraum der Wandelhalle laufende, 3 x 32 Meter messende Wandbild „Der Zug der Volksvertreter“ von Johannes Grützke aus, das im April 1991 im Zuge der letzten Paulskirchen-Renovierung (mit leicht historisierenden Fenstern) angebracht wurde. Manchen sehe darin eher eine Karikatur. Auch DAM-Direktor Schmal findet es „stark zeitgeistig in seiner negativen interpretierten Darstellung er damaligen Volksvertreter als graue anonyme Anzugträger“. Er sieht darin „ein Zeitdokument der späten 1980er Jahre für die Betrachtung der Nationalversammlung als ein typisch missglückter deutscher Revolutionsversuch von Bürokraten“. Seine Schlussfolgerung: Das auf Leinwand aufgezogen Wandbild könne auch demontiert und anderswo präsentiert werden.

Befürworter des Grützke-Kolosssalgemäldes sehen hingegen gerade in der für den Künstler typischen reflexiv-ironischen Darstellung die genau richtige Brechung, um Geschichte – auch unter aktuellen Aspekten – so zu vermitteln, dass sie gerade in einem distanzierenden Modus intensiv erfahrbar wird, losgelöst von einem zugeschriebenen eindeutigen Verlauf und einer nachgetragenen Deutung. Dass dies auch als Provokation empfunden werde, gehöre zum künstlerischen Mehrwert: eben wegen des Anstoßes.

Im Ausschreibungstext des Wettbewerbs hieß es damals zum Ziel, den „Vormärz und die gescheiterte Revolution von 1818 zur künstlerischen Botschaft an die Gegenwart werden zu lassen“: „Nur eine künstlerische Arbeit kann die Kraft, die Leidenschaften, das Leid des persönlichen und politischen Scheiterns jener Vision eines besseren Deutschlands lebendig machen und lebendig erhalten, kann Geschichte zur ständigen Emotion für die Gegenwart ummünzen.“ Zu den neun eingeladenen  Künstlern gehörten mit Werner Tübke und Bernhard Heisig auch zwei Maler aus der DDR (immerhin: 1986), weiter große Namen wie Markus Lüpertz, A.R. Penck, Anselm Kiefer und Gerhard Richter. Auch das Preisgericht war illuster besetzt, so mit Kulturdezernent Hilfmar Hoffmann, Städel-Chef Klaus Gallwitz, Werner Hofmann – damals Direktor der Hamburger Kunsthalle –, Peter Iden als Vertreter der Städelschule und mit Friedhelm Mennekes, dem in der Theologie beheimateten Kunstkenner.

FAZ-Redakteur Freddy Langer charakterisiert Grützkes Arbeiten, in denen es um Geschichte, Politik und Gesellschaft gehe, generell als „kopflastig“, leidenschaftlich ringe er mit dem Motiv, sei nur schwer einzuordnen. „Was ist er: kritischer Realist, Manierist, Naturalist, Idealist?“ Grützke markierte sich selbst in  äußerster Subjektivität als „Volksvertreter“.

Kommentar:

Hätte, könnte, sollte, würde … Ja, was wird mit der Paulskiche? Wer diesen Frankfurter Festort kennt und schätzt, der kann nur hoffen: Mögen Einsicht und kluges Überdenken verhindern, dass diese Frankfurter und auch deutsche Ikone (ja, sie ist es) jetzt mit allerlei modischen Erwartungen erdrückt und dann in der Folgewirkung verhunzt wird. Denn nichts an ihr ist veraltet oder überholt, gar falsch oder unzureichend. Die Paulskirche steht für befreites Leben und befreiendes Denken, in jeder Hinsicht. Sie hat ihren eigenen Geist, spürbar in jedem Moment, in jedem Detail.

So etwas darf man nicht preisgeben, nicht zuletzt, weil die Kirche in sieben Jahrzehnten ihre ganz eigene Tradition entwickelt hat, auch eine ganz eigene, ganz einzigartige Würde.

Friedenspreisträger Amos Oz, die frühere OB Dr. Petra Roth und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, Foto: Petra Kammann

Dazu gehört auch, dass eben nicht Hinz und Kunz – pardon: Gruppierungen aller Art, vom Kleinverein bis zu Aktivisten aller Couleur – in der Paulskirche ihren Platz finden. Das sieht zwar der jetzige Frankfurter Oberbürgermeister ganz anders. Denn er schwärmt davon, das Besondere – und damit auch: das Rare und Kostbare – aufzugeben und aus der Paulskirche einen ständig bereitstehenden großen Diskussionsraum zu machen, offen eben auch für Besetzer unter einem sprechenden Siegel wie Attac.

Nein, eine solche zeitgeistige Neubestimmung kann und darf kein Weg für eine Neuinterpretation sein. Auch das löbliche Ziel, in Zeiten von gesellschaftlichen Erosionen, politischen Auffächerungen und zunehmenden Demokratie-Anfeindungen einen demokratischen Lern-Ort zu etablieren, rechtfertigt es nicht, den besonderen Status der Paulskirche aufzugeben und zu zerstören und dabei auch die von Pathos getragene, aber nicht von Pathos bestimmte edle Nachkriegsgestaltung dieser kostbaren Raumfigur zu verunstalten.

Richtig ist: Die jetzige Gestalt ist von einer geschichtlichen Zäsur geprägt, als tiefgreifendes Versprechen eines Aufbruchs nach der Zeit der Barbarei. Doch ist damit die Erinnerung an 1848/49, an die Zeit der Nationalversammlung, ganz und gar übertüncht, nicht mehr lesbar? Sicher nicht. Denn die äußere Hülle, das sandsteinerne Oval mit seinem dominierenden Turm, ist ja vorhanden, sagt jedem, der nur ein Gran Vorkenntnis mitbringt: Hier ist der Ursprungsort der modernen deutschen Demokratie. Was in der komplementären Form heißt: Dort, im Inneren, ist der Ursprungsort der Erneuerung, der Nachkriegsdemokratie.

Helligkeit und Klarheit stehen für Aufklärung, Foto: Uwe Kammann

Damit ist die Paulskirche ein doppeltes Denkmal, das in idealer Weise Aufbruch und Brüche zeigt, bis zum Zusammenbruch, aber auch Wiederaufbruch und Gelingendes. Und das sollte nicht für Positives stehen, nicht Mut machen und Sinn stiften für heutige Generationen? Nein, diesen Charakter zu übersehen oder gar zu leugnen, ist ein großer Irrtum im Denken der Staatsministerin für Kultur.

Gut, ein zusätzliches Haus der Demokratie kann nichts Falsches sein. Doch für welche Gruppierungen soll es Demokratievermittlung leisten, wer soll das Haus neben der Paulskirche besuchen, wie groß soll/kann das zu belehrende Publikum sein, wer kommt von woher angereist? Zu befürchten steht, dass viel Geld ausgegeben wird (woher nehmen bei all den Corona-Folgen?), Geld, das nur einen geringen Effekt erzielt. Wer weiß, dass das wunderbare neue Jüdische Museum rund 50 Millionen Euro gekostet hat, der kann sich leicht ausrechnen, was ein nagelneues Haus der Demokratie kosten würde. Wo es stehen kann/soll, ist ebenso wenig ausgemacht.

Ein Symposion des Deutschen Architekturmuseums (das im vergangenen Jahr eine hervorragende Bestandsaufnahme der Baugeschichte der Paulskirche gezeigt hat, bezeichnenderweise betitelt: „Ein Denkmal unter Druck “) war da sehr ernüchternd. Direktor Schmal konnte sich, immerhin, einen gläsernen Aufbau auf der benachbarten Kämmerei der Stadt vorstellen. Aber sonst? Der jetzige Paulsplatz? Dieser Platz mit seinem Platanenraster und einem relativ lebendigen Gastronomie-Rand an der Neuen Kräme hat in einer ansonsten platzarmen Stadt eine eigene Tradition bekommen. Und: Er lässt die Paulskirche an der rechten Flanke schweben, verleiht ihrer rötlichen Fassade mit seinen graugrünen Bäumen einen gleichermaßen heitereren wie würdigen Rahmen.

Von den Frankfurtern, von Touristen wird der Platz, der reizvoll in direkter Sichtverbindung mit dem Römerberg korrespondiert, offensichtlich angenommen. Das alles sieht nicht mehr nach Verlegenheit aus (was nach einem städtebaulichen Wettbewerb für das Areal nahelag), sondern diese Gestaltung hat sich zu einer ernsthaften, inzwischen selbstverständlichen eigenen Form entwickelt. Abholzen, zerstören, zugunsten eines Demokratie-Lehrhauses? (Unabhängig von sachlichen Gründen darf sich jeder so denkende OB schon gefasst machen auf die Agressionsparole: ‚Pauli bleibt!’)

Staatsministerin Monika Grütters bei der Eröffnung der Buchmesse, Foto: Petra Kammann

Wer sagt bitte Frau Grütters, dass die ebenerdige Wandelhalle der Paulskirche mit geringem Aufwand zu einem schönen, ernsthaften Ort der ersten Vermittlung von Demokratiegeschichte werden kann? Wer sagt ihr, dass die erste und zentrale Einübung in demokratisches Denken, Handeln und stetiges neues Einüben natürlich vor allem in Schulen, in vielfältigen Bildungseinrichtungen (so den Landes- und der Bundeszentrale für politische Bildung), auch über gesellschaftsorientierte Medien erfolgen muss, und zwar an jedem Ort der Republik?

Und wenn es denn besondere und besonders authentische Orte sein sollen, die für die lebendige Form des demokratischen Lebens mit allen seinen Facetten stehen, dann sind sie doch schon an anderer Stelle vorhanden: mit dem Bundestag, dem Bundesrat, den Länderparlamenten, den Rathäusern, den Gemeindezentren.  Und dann gibt es, stellvertretend für alle Exekutivmacht, ein Bundeskanzleramt, das wie kaum ein anderer Bau in der Welt als bildmächtige Ikone des modernen Regierens fungiert – Abend für Abend präsent.

Vielerlei Besuchsmöglichkeiten demokratischer Institutionen gibt es in dieser Republik, viele Formen der Teilnahme und der Teilhabe und der, dazu viel Medien-Anschaulichkeit. Das in der jetzigen Form großartige Reichstagsgebäude mit seiner so vielfältigen, so vielschichtigen Geschichte, mit seinen Transformationen und künstlerischen Überformungen, mit seinen Lobby- und Presseebenen und mit seinen Besucherströmen in der gläsernen Kuppel: Es ist in jeder Hinsicht das zentrale und wahre Haus der Demokratie in Deutschland.

Blick vom Reichstag auf das Bundeskanzleramt, Foto: Petra Kammann

Wenn Monika Grütters beim Ausschreiten der politisch-gesellschaftlichen Räume positiver Demokratie-(Rück-)Blicke nun lauter Leerstellen sieht, dann fragt man unwillkürlich: In welche Richtung schaut sie? Und wenn sie dann noch in ihrem jetzigen Plädoyer die Forderung erhebt, „Mehr Demokratiegeschichte wagen“, dann drängt sich natürlich noch eine weitere Frage auf: Was ist das für ein Wagnis? Wer bedroht diejenigen, welche die Geschichte der Demokratie befragen, darstellen, interpretieren? Schon bei dieser schrägen Wagnis-Formel – die Willy-Brandts berühmten Satz des ‚Mehr Demokratie wagen’ aus seiner ersten Regierungserklärung geradezu verballhornt – zeigt sich, wie unausgegoren, ja wie windig die blumenreich beschworene Demokratie-Vergewisserung ist.

Aber gut: Es soll ja eine Institution gebildet werden, mit vielen Fachleuten, mit vielen Sitzungen, sicher auch mit guter Ausstattung. Wir haben’s ja, gerade in Corona-Zeiten, das ist das Signal. Und das ist dann ganz im Sinne eine anderen Großentscheidung aus dem Grütterschen Staatsministerium, jener für ein sündteures neues Kunstmuseum mitten in Berlin, das an diesem Platz und in dieser Form außer der Kultur- und Medienstaatsminsterin kaum jemand wollte und will.

Blick in die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (2019): „Paulskirche – Ein Denkmal unter Druck“, Foto: Petra Kammann

Und hier – darum dieses Beispiel – liegt die große Gefahr für die Paulskirche. Denn den monströsen Berliner Bau hat sie gegen alle wohlbegründeten Widerstände durchgedrückt, weil sie für das Vorhaben Geld in die Hand genommen hat, viel Geld – anfangs 200 Millionen Euro, die sich inzwischen mehr als verdoppelt haben. Ihr eigenes Geld? Natürlich nicht, es ist Steuergeld. Doch auch da gilt das Motto: Wer zahlt, schafft an. Wenn jetzt also Bund, Land und die Stadt Frankfurt sich unter Grütters Ägide gemeinsam ans Paulskirchen-Werk machen, dann ist für alle, welche die Paulskirche schätzen und lieben, höchste Wachsamkeit geboten. Bislang waren vom Bund ja 20 Millionen für die Sanierung der Ikone zugesagt. Da lässt sich leicht ausmalen: Nochmal 200 Millionen Euro, bald vielleicht 300 Millionen, am Ende dann 400 Millionen für ein ‚Haus der Demokratie’, bar in die Kasse einer klammen Stadt: Da könnten manche der hiesigen Entscheider schon schwach werden.

Ein treuer Freund der Paulskirche: Friedenspreisträger Alfred Grosser, her mit seiner Frau Annie, Foto: Petra Kammann

Dem ist eine klare Formel gegenüberzustellen, heute und über die nächsten Jahre: Hier in Frankfurt sollten alle Alles wagen – auch den Verzicht auf verführerisches Geld –, was für den kostbaren Bestand der jetzigen Paulskirche notwendig ist. Als schönstes und richtigstes Haus der Demokratie. Ein Haus zur Erinnerung an ihre Ursprünge in Deutschland, auch an ihren Untergang. Und als gleichzeitige Einladung, ihre heutigen gelingenden Momente zu reflektieren, zu würdigen und angemessen zu feiern. Es gibt sie ja ausreichend, diese Momente, glücklicherweise und immer wieder. Genau dafür steht die Paulskirche, so wie sie ist, im Äußeren und im Inneren. Dort besonders.

Die Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche im Jahre 1950, Foto: Ursula Assmus

→ Die Paulskirche – Ein Denkmal unter Druck“ im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt

→ Die Paulskirche und ein Wolkenkuckucksheim

→ Die Zukunft der Paulskirche: viele offene Perspektiven

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