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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Paulskirche – Ein Denkmal unter Druck“ im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt

Sanierung oder Umbaubedarf?

Das „heilignüchtern“ Innere der Paulskirche hat seine eigene Qualitäten.

Von Petra Kammann

Heutige Ansicht des Saals, Foto: Moritz Bernoully, 2019 

Heute ist die Frankfurter Paulskirche vor allem ein Festsaal, von dem bundesweite Debatten ausgehen. Eine Ausstellung im DAM schildert die Baugeschichte dieses besonderen Gebäudes, dessen architektonische Qualitäten aber nur selten zur Kenntnis genommen werden. Gezeigt werden in der gut gegliederten und dokumentierten Schau zahlreiche historische und aktuelle Fotos entlang der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Strömungen von 1786 bis heute sowie Entwurfszeichnungen aus der hauseigenen Sammlung des DAM.

Blick in die Ausstellung und auf das Modell von der Paulskirche, Foto: Petra Kammann

Der Weg vom Römer in die Paulskirche ist legendär – ein fragiles Verbindungsstück zwischen Politik, Intellektualität, Provokation und Fortschrittsvision, welches nicht nur das Thema Freiheit in sich birgt. Im Römer tragen sich bemerkenswerte Persönlichkeiten in das Goldene Buch der Stadt ein. Nach einem Gang in die Paulskirche gleich nebendran werden dort dann die wirkungsvollen und teils provokativen Reden gehalten, etwa zum Thema Frieden oder darüber, wie er sein möge. Dabei geht es bisweilen erhaben und feierlich zu, manchmal aber auch überhaupt nicht einvernehmlich. Man denke nur an die Friedenspreisverleihung an Leopold Senghor, den senegalesischen Autor der „Négritude“, an die Friedenspreisträgerin, Orientalistin und Übersetzerin Anne-Marie Schimmel oder an die Rede von Martin Walser, die entsprechende Debatten nach sich zogen, wie mit der Geschichte umzugehen sei… Die Paulskirche ist also auch ein Ort, an dem Zündstoff verhandelt wird.

Blick in die „Ausstellung Paulskirche“ im  DAM und auf das Foto, auf dem wir John F. Kennedy als Redner der Paulskirche wahrnehmen; Foto: Rainer Rüffer 

Aber die Präsenz einer in ihr auftretenden Persönlichkeit kann auch großen Jubel auslösen wie zum Beispiel vor nunmehr 56 Jahren, als John F. Kennedys am 25. Juni 1963 in der Paulskirche eine so zukunmftweisende wie beflügelnde Rede hielt. Nachdem JFK den Römer inklusive Kaisersaal besichtigt hatte und sich dann zur Paulskirche begab, urteilte er beim Anblick des Gebäudes begeistert „a beautiful setting“. Damals war anlässlich seines Kommens die halbe Stadt auf den Beinen, auf dem Römerberg jubelte nicht nur eine große Menschenmenge dem ersten Mann Amerikas zu, sondern auf die Paulskirche blickte auch ganz Deutschland. Denn JFK hatte dort den deutschen Verbündeten seine atlantische Solidarität bekundet.

Kennedy wurde für die Deutschen, vor allem für die jungen Westdeutschen, zu einer „Lichtgestalt für Europa“ und nicht zuletzt Hoffnungsträger einer ganzen Generation, als er in seiner Paulskirchenrede folgenden Satz äußerte: „Let it not be said of this Atlantic generation that we left ideals and visions to the past, nor purpose and determination to our adversaries.“ Dieser Satz ist noch heute auf einer Tafel an der Paulskirche in Deutsch nachzulesen: „Niemand soll von dieser unserer atlantischen Generation sagen, wir hätten Ideale und Visionen der Vergangenheit, Zielstreben und Entschlossenheit unseren Gegnern überlassen.“ Dessen sollte man sich hin und wieder durchaus auch in der aktuellen politischen Lage wieder erinnern…

Licht und Schatten der ausgebrannten Ruine: Das Skelett legt die architektonische Grundform frei. Die schrägen, gelben Flächen stehen für den Lichteinfall in hellen, aber auch für ein Hinausleuchten in dunklen Zeiten; Foto: Petra Kammann

Dies ist nur eine der vielen historischen bedeutsamen Situationen, die sich in dem ungewöhnlichen Gebäude abgespielt haben. Als die Paulskirche, das Symbol der deutschen Demokratie seit 1848, 1944 bis auf die Außenmauern ausgebrannt war, musste die Demokratie komplett neu gedacht und gebaut werden. Und genau das zeigt die Ausstellung im Architekturmuseum, wie der Architekt Rudolf Schwarz und die mit ihm arbeitende Planungsgemeinschaft von dem durchscheinenden architektonischen Gerippe ausgegangen sind, um zu einer zeitgemäßen Sprache und Fassung der Paulskirchenidee zu finden.

In der Schau liegt auch ein besonderes Augenmerk auf den Umbauten in den 1960er- und 1980er-Jahren inklusive der begleitenden Rufen nach Rekonstruktion eines Vorkriegszustandes, die auch heute anlässlich einer anstehenden Sanierung wiederkehren. Damit wird eindrucksvoll auch die sehr viel ältere Geschichte dieses bedeutsamen Ortes wieder wachgerufen.

Und nochmals eine Erinnerung an den prominenten Besucher und Redner JFK. Wenige Monate vor seinem Tod hatte der amerikanische Präsident in seiner Rede rhetorisch äußerst geschickt die demokratische Geschichte Deutschlands hervorgehoben und die Bundesrepublik – trotz der Nazi-Vergangenheit – in diese Traditionslinie gestellt. Dabei erschien ihm die Paulskirche aufgrund ihrer Symbolik für die universellen Werte von Freiheit und Demokratie als äußerst passend als Stätte für seine Ansprache an die deutsche, als auch an die Weltöffentlichkeit.

DAM-Direktor Peter C. Schmal und OB Peter Feldmann beim Presserundgang; Foto: Petra Kammann

Ähnliche Vorstellungen hatte  wohl auch der Kölner Kirchenbau-Spezialist Richard Schwarz im Sinn, als er einen bewusst nüchternen Raum schuf, der sowohl für den demokratischen Neubeginn wie auch für das Eingeständnis der Schuld stand, zumal der Ort zunächst auch als Sitz des Bundestages infrage zu kommen schien. Durch das Halbdunkel des Erdgeschosses – die sogenannte Wandelhalle – geht es nämlich über zwei Treppen hinauf in den lichten Saal der „Aufklärung“. Damit inszenierten die Architekten „ein Bild des schweren Weges, den unser Volk in dieser seiner bittersten Stunde zu gehen hat.“ Diese Auffassung teilte Schwarz mit seinen Kollegen, welche die sogenannte Planungsgemeinschaft Paulskirche bildeten, mit dem Wettbewerbssieger Gottlob Schaupp und dem Frankfurter Architekten Johannes Krahn, der lange für Schwarz gearbeitet hatte, sowie für den damaligen Stadtbaurat Blanck.

Diese Idee wurde in den verschiedensten Details durchdekliniert. Selbst die Treppenbrüstungen aus Aluminium, das ehemals für den nationalsozialistischen Flugzeugbau vorgesehen war, verwendeten die Architekten gewissermaßen als Zeichen der Läuterung.  Auch für die Turmspitze entwarfen sie Lösungen, die ein weithin sichtbares modernes Zeichen gesetzt hätten – entschieden sich dann aber für die erhaltene Form eines kleinen Rundtempels. Und der neu gestaltete Saal bekam „eine solch nüchterne Strenge, daß darin kein unwahres Wort möglich sein sollte.“ 

Selbst die Geländer aus Aluminium in der Wandelhalle haben ihren Sinn, Foto: Artur Pfau, Institut für Stadtgeschichte, ca. 1948 

Die Paulskirche war von Beginn an ein Raum des gesprochenen Wortes gewesen: zunächst als protestantische Kirche, in der die Predigt im Mittelpunkt stand, und nach dem Krieg als der bundesdeutsche Festsaal. Hier wird seit 1951 die höchste geistige Auszeichnung des Landes verliehen, der Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Beim Wiederaufbau mussten die Architekten noch geistliche und parlamentarische Zwecke berücksichtigen. So gestalteten sie das Rednerpult, das zugleich auch Kanzel war, als eine Skulptur aus Muschelkalk, die sie neutral als „Sprechstelle“ bezeichneten. Von dieser Stelle aus haben sich seit 1951 insbesondere die Worte der Friedenspreisträger in das Gedächtnis der Nation eingeschrieben. Ein Gebäude, das in Europa seines gleichen sucht.

Der schon zwischen 1789 und 1833 errichtete klassizistische Zentralbau war historisch untrennbar mit seiner Funktion als Tagungsort der Nationalversammlung in der deutschen „Revolution“ von 1848/49 verbunden. Trotz und auch ungeachtet des Scheiterns dieses demokratischen Aufbegehrens gilt die Paulskirche bis heute trotzdem sowohl als „Wiege der deutschen Demokratie“ und als „nationales Symbol für die Freiheit“. Und genau daran sollte man nicht rütteln.

Im Zuge der Altstadtsanierung und vielleicht auch aus Nostalgie nach glanzvollerer Repräsentation eines vergleichsweise wohlhabenden Deutschlands wird heute der Ruf nach Rekonstruktion des einstigen Baus von 1848 gefordert. An diesem Ort und heute, verknüpft mit der Geschichte der Bundesrepublik, ist er dennoch fehl am Platze. Nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen. Die grafisch eindrucksvolle Gegenüberstellung der Seitenschnitte beider Kirchen von 1848 und von 1948 in der Ausstellung macht es mehr als deutlich. Man müsste das Gebäude komplett abreißen, um es mit einem kleineren zweistöckigen Veranstaltungsraum „künstlich“  wiederherzustellen. Das können wir nicht ernsthaft wollen, wurde in der Nachkriegszeit doch eine neue Situation der Demokratie begründet, die in Europa ihresgleichen sucht.

Die Qualität der behutsamen Nachkriegsarchitektur wie des Architekten Rudolf Schwarz und seines Planungsteams wirkt auch heute noch überzeugend. Das macht das gemeinsame Projekt des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung in der Ausstellung sichtbar. Vielleicht bedarf es lediglich kleiner funktionaler Retuschen und eines frischen Anstrichs.

Somit ist die Ausstellung im DAM ein Statement für Demokratie, für Freiheit und für Frieden, verbunden mit der Aufforderung, sich diese Besonderheit immer wieder in Erinnerung zu rufen. Auch authentische Schlichtheit kann eindrucksvoll wirken. Dass von der „Kanzel“ auch mal Tacheles geredet werden kann, sollte dabei kein Hindernis sein.

 

„Paulskirche Ein Denkmal unter Druck“
bis 16. Februar 2020
im Deutschen Architekturmuseum (DAM)

www.dam-online.de

 

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