FRANKFURTER ERKLÄRUNG DER „VIELEN“
Ein deutliches Signal für Weltoffenheit – Politisch sehr korrekt
„Die Vielen“ vor dem Historischen Museum stehen für die kulturelle Vielfalt in der Stadt. Foto: Petra Kammann
Als Gastgeber begrüßt Jan Gerchow, Direktor des Historischen Museums, die „Vielen“, 56 Vertreter*innen der Frankfurter Kulturszene, im Sonnemann-Saal des Historischen Museums und bezieht sich dabei auf Leopold Sonnemann, der Radikaldemokrat gewesen sei.
Die Frankfurter Erklärung, in der u.a. auf die demokratischen Traditionen der Stadt eingegangen wird, ist Teil einer deutschlandweiten Kampagne „Die Vielen“. Zeitgleich folgen danach Kulturschaffende und Forscher in 14 anderen Städten dem Beispiel, das Berlin, Hamburg, Dresden und Nordrhein-Westfalen bereits im November gegeben haben. In Frankfurt haben sämtliche großen Frankfurter Museen, Theater, Konzert- und Literaturveranstalter, dazu etliche freie Theatergruppen, kunstwissenschaftliche Einrichtungen, Bildungsstätten und kleinere Initiativen die Erklärung solidarisch unterzeichnet und damit auch ihre Zusammenarbeit für die Zukunft bekundet.
Vielfalt und Diversität steht im Zentrum der Erklärung, vor allem in der Abgrenzung gegen rechts. In Frankfurt ist diese Haltung aber wohl eher vorbeugend gemeint. Daher heißt es:„Frankfurt ist eine diverse und vielfältige Stadt, die es als solche zu erhalten gilt.“
Und weiter: „Die Frankfurter Erklärung ist auch eine Einigung darüber, wie wir in der Stadt miteinander arbeiten wollen“, trägt Sophie Osburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Goethe-Uni und eine der Organisatorinnen, mit großem Ernst vor.
Kulturdezernentin Ina Hartwig stellt sich hinter die Erklärung
Nötig sei eine Selbstverpflichtung zur Weiterentwicklung, sagt Kulturdezernentin Ina Hartwig. Sie bezieht sich dabei auf die politische Gesamtwetterlage, etwa auf die starke Einwirkung des Front National im Nachbarland Frankreich, und sie nennt Ungarn und Polen als Beispiele dafür, in welcher Geschwindigkeit Kulturpolitik zerstört werden könne.
Und bei uns: Die Identitäre Bewegung habe ganz besonders die Kulturpolitik im Visier, weil sie Teilhabe für alle ermögliche. „Für sie sind wir keine politischen Gegner, sondern Feinde. Wir werden offen verabscheut“, sagt sie, bevor im Anschluss verschiedene Arbeitsgruppen gebildet werden wie „Transformation der Institutionen“, „Kulturpolitische Strategien“ oder „Antisemitismus / Rassismus / Homophobie“.
Was wir (als Bürger*innen der Stadt Frankfurt) inzwischen längst für selbstverständlich erachtet haben, scheint es inzwischen nicht mehr zu sein. pk
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Und hier nochmal der Wortlaut der Frankfurter Erklärung:
Nach dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem Zivilisationsbruch durch den Nationalsozialismus, und der Unterdrückung des freien Denkens durch menschenfeindliche Ideologie leben wir heute in Deutschland in einer demokratischen Gesellschaft im offenen Austausch miteinander und der Welt. Diesen offenen Geist unserer Gesellschaft gilt es zu bewahren und weiter zu entwickeln.
Orte von Kunst und Kultur, Bildung und Wissenschaft, Museen und Ateliers, Bühnen und Clubs, Räume für Darstellung und Diskussion sind offene Räume, die vielen gehören. Kunst und Kultur sind Ausdrucksformen von Vielen und von Vielem – aber unter einer Voraussetzung: dass wir in einer pluralen Gesellschaft leben.
Diese unsere demokratische und künstlerische Freiheit ist nicht ohne Widersprüche und ist niemals einfach. Aber wir verteidigen sie gegen alles, was sie bedroht: völkisch-nationalistische, fundamentalistische, populistische oder autoritäre Weltbilder. Wir verteidigen sie gegen Stimmungsmache, Ausgrenzung und Abwertung anderer Menschen, wie z.B. jede Form von Rassismus, Homo- und Transphobie, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Islamophobie, und geben solchen Positionen keinen Raum.
Wir grenzen uns ab gegen alle Versuche, Pluralismus und Vielfalt einzuschränken. Im Interesse des Gemeinwesens verpflichten wir uns zur Solidarität mit Menschen, die an den Rand gedrängt werden, wie auch dazu, anderen den Raum zu geben, sich an unseren Diskussionen und Entscheidungen zu beteiligen. Demokratie heißt, Zusammenleben immer wieder neu zu verhandeln.
Wir sind viele, jede*r Einzelne von uns. Es geht sowohl um den Zusammenhalt von allen als auch um jede*n Einzelne*n in einer Gesellschaft der vielen Möglichkeiten. In unserer Stadt kreuzen sich viele Lebenswege, unterschiedliche Interessen und Überzeugungen, soziale Lagen und Alltagserfahrungen. Frankfurt ist für uns auch die Stadt demokratischer Tradition und Toleranz, der künstlerischen Avantgarde und kritischen Theorie, des Buch- und Verlagswesens und einer diversen Stadtgesellschaft, die unser aller Zuhause ist. Zu dieser Geschichte gehören aber auch Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten bis hin zu den Verbrechen des Nationalsozialismus, begangen nicht zuletzt an jenen jüdischen Bürger*innen, welchen die Stadt viele ihrer Institutionen in Kultur und Bildung maßgeblich verdankt. Wir stellen uns allen Versuchen entgegen, diese historische Verantwortung zu relativieren.
Die Freiheit von Kunst, Kultur und Wissenschaft duldet keine Eingriffe. Sie schaffen einen Raum zur Veränderung der Welt. Zu dieser Veränderung wollen wir auch dadurch einen Beitrag leisten, dass unsere Angebote und Strukturen allen Menschen in unserer Stadt gleichermaßen offen stehen und gleiche Chancen und Teilhabe ermöglichen.
Diese Frankfurter Erklärung versteht sich als Teil der bundesweiten Aktion „Die Vielen“. Sie hat jeweils lokalen Charakter und wird über regionale Zusammenschlüsse in jeweils eigenen Erklärungen bundesweit verbreitet. Alle Unterzeichnenden sind Einrichtungen von Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft aus Frankfurt und Umgebung sowie freie Kunst- und Kulturschaffende, ihre Interessenvertretungen oder Verbände. Die Liste ist offen, ihre Unterzeichnung hat den Charakter einer Selbstverpflichtung.
Die Unterzeichnenden wenden sich mit dieser gemeinsamen Haltung an die Öffentlichkeit und orientieren sich in ihrer Arbeit an den erklärten Prinzipien. In einem regelmäßigen Austausch stellen sie sich und ihre Arbeit der gegenseitigen Kritik und Diskussion. Sie verpflichten sich zu gegenseitiger Solidarität mit Kultureinrichtungen und Kulturschaffenden, mit Wissenschaftsinstitutionen und Wissenschaftler*innen, die durch Hetze und Eingriffe in die Freiheit der Kunst, Kultur und Wissenschaft unter Druck geraten. Sie machen den Text sowohl innerhalb der eigenen Organisation wie auch öffentlich bekannt, z.B. auf Internetseiten, in Programmheften, als Aushang in Foyers oder in einer anderen geeigneten Form.
Als Teil der bundesweiten Aktion können die Unterzeichnenden sowie ihre Veranstaltungen und Aktivitäten auf der Homepage www.dievielen.de sichtbar gemacht werden. Umgekehrt können sich die Unterzeichnenden an bundesweiten Aktivitäten und Kampagnen beteiligen.
Die Erstunterzeichner*innen
Alte Oper Frankfurt
Amt für multikulturelle Angelegenheiten
Archäologisches Museum Frankfurt
basis e.V.
Bildungsstätte Anne Frank (Zentrum für politische Bildung und Beratung Hessen)
Brotfabrik (Kulturprojekt 21 e.V.)
Caricatura Museum Frankfurt
Clubs Am Main e.V.
Deutsches Architekturmuseum
DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum
Dresden Frankfurt Dance Company
English Theatre Frankfurt
Ensemble Modern
Evangelische Akademie Frankfurt
FLUX – Theater für Schulen
Fotografie Forum Frankfurt
Frankfurt LAB
Frankfurter Kunstverein
Frankfurter Wissenschaftsrunde
Freies Theaterhaus und Theaterhaus Ensemble
Fritz Bauer Institut
Gallus Theater
Haus am Dom
Hessische Theaterakademie
Hessisches Literaturforum im Mousonturm e.V.
Historisches Museum Frankfurt
ID_FRANKFURT Independent Dance und Performance e. V.
Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität
Internationale Ensemble Modern Akademie e.V.
Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main K.d.ö.R. – Kulturabteilung
Jüdisches Museum Frankfurt
Junge Deutsche Philharmonie
Junges Museum Frankfurt
Kinothek Asta Nielsen
Künstlerhaus Mousonturm
Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen e.V.
Landungsbrücken
laPROF (Landesverband Professionelle Freie Darstellende Künste Hessen e.V.)
Literaturhaus Frankfurt am Main e.V.
Museum Angewandte Kunst
MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST
Offenes Haus der Kulturen
Oper Frankfurt
Porzellan Museum Frankfurt
profikollektion
Protagon e.V. Freunde und Förderer Freier Theateraktionen
Radio X-Mix e.V.
Schauspiel Frankfurt
SCHIRN Kunsthalle
Schultheater-Studio Frankfurt (Theaterpädagogisches Zentrum)
Städel Museum
Städelschule
Stadtbücherei Frankfurt
TheaterGrueneSosse
theaterperipherie