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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„La forza del destino“ von Giuseppe Verdi an der Oper Frankfurt Opferszenarien noch und noch Verdis politisches Statement

von Renate Feyerbacher

Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Unfreiwillig fällt ein Schuss aus der Pistole Don Alvaros, Sohn eines Spaniers und einer Inkaprinzessin, der den Marchese von Calatrava, den Vater von Leonora, tötet. So beginnt die Oper „La forza del destino“ („Die Macht des Schicksals“), die 2005 zuletzt zwei konzertante Aufführungen in der Alten Oper und nun, nach 35 Jahren, eine Neuinszenierung an der Oper Frankfurt erlebte. Damals wurde allerdings die umgearbeitete Fassung von 1869 gespielt. Diesmal hatte sich das Produktions-Team für die Urfassung von 1862 entschieden. Bejubelt wurden Sängerin und Sänger, lautstark ausgebuht von einigen die Inszenierung. Zu Recht?

v.l.n.r. Franz-Josef Selig (Marchese von Calatrava), Michelle Bradley (Donna Leonora) und Hovhannes Ayvazyan (Don Alvaro) sowie im Film Thesele Kemane (Don Alvaro)

Kaum 50 Jahre alt, hatte sich Giuseppe Verdi (1813-1901) schon vom Komponieren zurückgezogen. Fortan widmete er sich mehr seiner Farm und seinem Abgeordnetenmandat im Parlament, als ihn dann 1860 ein Auftrag des Kaiserlichen Theaters in St.Petersburg, des Bolschoi, ereilte. Ihm wurde künstlerische Freiheit zugesichert, welche er nutzte.

Sein langjähriger Librettist Francesco Maria Piave schrieb den Text nach dem Drama (1835) von Ángel des Saavedra. Zwei Jahre später fand die Uraufführung statt, die zunächst verschoben werden musste, da die Sängerin der Leonora erkrankt war. Die Aufführung bescherte Verdi, der mit Ehefrau angereist war, einen Achtungserfolg. Es folgten mehrfache Versuche der Umarbeitung, da italienische Opernhäuser die Version ablehnten. Schließlich wurde das Werk 1869 an der Mailänder Scala mit dem neuen Libretto des Journalisten Antonio Ghislanzoni und nach Umarbeitung durch den Komponisten erfolgreich aufgeführt. Dennoch blieb sie eine Rarität auf den Bühnen.

Die Oper in der Urfassung, die Giuseppe Verdi (1813-1901) nach seiner längsten Pause als Komponist schuf, ist außergewöhnlich experimentell. Wie gesagt, es begann mit dem Schuss aus Alvaros Pistole, der sich aus Versehen gelöst hatte, und den Marchese, der seiner Tochter Leonora den Kontakt mit ihrem Geliebten Alvaro verboten hatte, traf. Die beiden Liebenden hatten die Flucht geplant. Aber Leonora, so angsterfüllt wie vaterhörig, blieb zögerlich. Der Marchese hatte sie überrascht, während Alvaro mit der Pistole herumgefuchtelt hatte.

Warum aber hatte der Marchese nur die Verbindung verboten? Alvaro war ein „Mischling“ und der Marchese de Calatrava, als Nachfahre des alten Ritterordens, der brutal gegen die Mauren vorging, ein Rassist. Der Mitte des 12. Jahrhunderts gegründete Calatrava-Orden bestand aber auf der „Reinheit des Blutes“. Noch gar nicht so lange her ist es, dass in Deutschland Verbindungen zwischen Menschen anderer Hautfarbe, anderer Herkunft als der arischen, sogar durch Tötung bestraft wurden…

Franz-Josef Selig (Padre Guardiano; links mit rotem Umhang) und Michelle Bradley (Donna Leonora) sowie Herrenchor und Herrenextrachor der Oper Frankfurt

Rassismus, Krieg und Religion sind die Themen der Oper. Immer wieder kommt im Libretto die Hautfarbe zur Sprache – sowohl Adelige, als auch bürgerliche Leute wie Bruder Melitone lehnen diese Menschen ab und ziehen über sie her. Verdi richtetet dabei den Blick auf Spanien. Und vermutlich war dem Politiker Verdi die Sklaverei in den Vereinigten Staaten ebenfalls bewusst. Um 1776 sollen allein um die 460.000 vorwiegend aus Afrika gekommen sein. In den Südstaaten stieg bis 1865 dann die Zahl der Sklaven sogar noch einmal dramatisch an. „[..]…das Faktum der Sklaverei in Nordamerika und ihrer Folgen bis heute ist historisch gesehen ein extremer Fall“ – so Regisseur Tobias Kratzer.

Offiziell gibt es heute keine Sklaven in den Vereinigten Staaten oder anders wo mehr, Armenforscher sehen das anders. Der Rassismus war nämlich nie restlos verschwunden und erfährt derzeit ein Erstarken – sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern.

v.l.n.r. Michelle Bradley (Donna Leonora), Nina Tarandek (Curra) und Hovhannes Ayvazyan (Don Alvaro) sowie im Film Dela Dabulamanzi (Curra) und Thesele Kemane (Don Alvaro)

Es ist Tobias Kratzers zweite Inszenierung an der Oper Frankfurt. Und gerade wurde er mit dem Theaterpreis FAUST für seine Götterdämmerungs-Inszenierung in Karlsruhe ausgezeichnet. Sein Regiekonzept hat er mit der Geschichte der Vereinigten Staaten verbunden, die er mit Bildern und Videos von Rainer Sellmaier und Manuel Braun illustriert. Im obigen Bild erkennt man, wie  hinter dem Bühnengeschehen ein Video abgespielt wird, das die Geschichte zwischen der weißen Leonora und dem schwarzen Alvaro im 19. Jahrhundert festhält. Unwillkürlich wird man an die Geschichte „Vom Winde verweht“ erinnert. Auch wenn man zunächst irritiert ist, erscheint dieser Einfall auch einleuchtend, klärt er doch auch über die Protagonisten auf, die sich von den international agierenden Stars auf der Bühne unterscheiden.

In einem anderen Bild treffen sich Rekruten, die für einen bevorstehenden Krieg angeworben werden. Hierhin flüchtet sich Leonora, die Alvaro auf der Flucht verlor, vor ihrem Bruder Don Carlo di Vargas, der sich an der Schwester rächen will. Als Student verkleidet, hat er sich bereits unter die Soldaten gemischt. Leonora trägt wie alle Figuren, außer der Wahrsagerin Preziosilla, eine fratzenhafte Maske, die sie nur einmal lüftet. Das Tragen der meisterhaft gefertigten Masken bedeutet keinen Verlust an stimmlicher Qualität, sondern unterstreicht vielmehr auf diese Weise die Anonymität der Soldaten, die später namenlos auf den Kriegsgräbern liegen.

Dietrich Volle (Ein Alkalde; stehend mit Bierkrug) und Christopher Maltman (Don Carlo di Vargas; in schwarzem Mantel und roter Weste mit Doktorhut) sowie Chor und Extrachor der Oper Frankfurt

Leonora bittet in einer anderen Szene um Aufnahme in ein Kloster. Diese Szene mit KuKluxKlan und brennendem Kreuz, mit seltsamer Fußwaschung wirkt geradezu makaber. Die bedrohliche Versammlung der weißen klerikalen Männer bietet Leonora keinen Schutz. Ausgrenzung ist die Folge.

Alvaro, der Leonora für tot hält (Oh, tu che in seno agli angeli / Du stiegst empor zur Seligkeit), und Don Carlo, der die Suche nach ihm und der Schwester aufgab, haben unter falschen Namen beim Militär angeheuert. Alvaro rettet ihm in der Schlacht das Leben und sie werden Freunde. Die Freundschaft endet jedoch jäh, als Don Carlo Alvaros wahre Identität erkennt: er findet ein Porträt von Leonora in seiner Tasche. So kämpfen sie gegeneinander. Da Alvaro glaubt, Don Carlo getötet zu haben, flieht er in ein Kloster, um Buße zu tun und sich der Nächstenliebe zu verpflichten.

Das ist noch nicht das Ende der vierten Szene. Militärhubschrauber überfliegen den Platz, wo sich Händler, fahrendes Volk und Wahrsagerin Preziosilla treffen, sie in ein enges mit „Stars and Stripes“ gemustertem Mieder gepresst und mit Bunny-Ohren. Dabei singt sie ihr berühmtes, Krieg verherrlichendes „Rattaplan“. Als unerträglich empfindet man dann den Aufmarsch von vietnamesischen Menschen. Dem Kleinsten hält Preziosilla eine Pistole an den Kopf, was an ein russisches Roulette erinnert. Ein weltweit publiziertes Foto aus dem Vietnamkrieg kommt einem in den Sinn. Nicht Preziosilla erschießt den Jungen. Der tötende Schuss kommt aus dem Nichts. Diese Szene erhitzte zum erstmal die Gemüter des Publikums und rief Unmut hervor. Eine kaum zu verkraftende Überspitzung.

Tanja Ariane Baumgartner (Preziosilla; rechts stehend) sowie Chor, Extrachor und Statisterie der Oper Frankfurt

Versöhnlicher dagegen die fünfte Szene mit der Armenspeisung, an der sich Bruder Melitone, der gegen Bruder Raffaele (Alvaro) hetzt, und der Prior des Klosters sich beteiligen. Auch hier akzentuierte Verdi deutlich das Thema Rassismus, wenn Don Carlo auftaucht, Alvaro sein „Mulattenhblut“ vorwirft und Genugtuung fordert.

Beide stoßen schließlich auf die unschuldige Leonora, die aber vom Bruder der Blutschande bezichtigt und auch von ihm ermordet wird. Alvaro wiederum, der Don Carlo tötet, wird von einem Cop erschossen. Schroff und brutal endet die Verdische Urfassung.

Tobias Kratzer hat mit seinem Team daher ein Regiekonzept entwickelt, das einerseits den „[..] Rollback, der mit der Präsidentschaft Donald Trumps  verbunden ist: Polizeigewalt gegen Schwarze erreicht von Neuem ein Höchstmaß“, bewusst machen will, das andererseits die überbordenden teils grotesken Genre-Szenen und die zum Teil psychologisch-zarten Momente geschickt miteinander verbindet. Er hat bewusst auf Provokation, die zum Nachdenken aufrufen soll, gesetzt. Das mag verständlich sein, doch gelegentlich trägt er zu dick auf und demonstrierte zu eindeutig seine antiamerikanische Haltung.

Wie hätte diese Umsetzung Verdi wohl zugesagt, dessen einzigartige Musik weit gespannt ist? Er ahnte wohl, dass der Inhalt dieses Dramas das Publikum spalten würde. „Jedenfalls ist es sicher ganz ungewöhnlich.“ Dabei hat Verdi sehr differenziert für jeden Charakter eigene Melodien geschaffen. Immer wieder erklingen Motive, die an die jeweilige Person erinnern. Bei Leonora ist es das Streichermotiv.

Die amerikanische Sopranistin Michelle Bradley, welche die Leonora zum ersten Mal singt und damit ihr Debüt an der Oper Frankfurt gibt, ist eine echte Entdeckung. In Europa hat sie bisher nur als Aida in Nancy und kürzlich in Berlin in Verdis Requiem am Deutschen Theater auf sich aufmerksam gemacht. Als Leonora entfaltet sie eine makellose Stimmgewalt, schnell zwischen feinen Pianotönen und beruhigenden Tiefentöne hin- und herwechselnd. Das ist wirklich einmalig.

Hovhannes Ayvazyan und Michelle Bradley bei Oper extra am 13.1.2019, Foto: Renate Feyerbacher 

Der armenisch-gebürtige Tenor Hovhannes Ayvazyan, auch erstmals in Frankfurt, der ursprünglich für die Rolle gar nicht vorgesehen war, war ebenfalls großartig besetzt. In der vergangenen Saison hatte er  in St. Petersburg den Don Alvaro gesungen. Differenziert drückt er seinen Schmerz über den Verlust von Leonora ebenso gelungen aus wie sein Eingeständnis über seine tiefe Schuld, und seinen Willen zur Buße.

Bedrohlich und markant der Gegenspieler Don Carlo di Vargas, dargestellt von Bariton Christopher Maltmann, der das Frankfurter Publikum schon mehrfach – als Simon Boccanegra und Billy Budd – begeistert hat. Unersättlich schleudert er seine Rachelust nur so heraus…

Kokett, ansehnlich und stimmlich wie immer stark präsentiert sich die Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner als Wahrsagerin. Franz-Josef Selig, der international agierende Bass, wurde mit der Doppelrolle des wütenden Marchese von Calatrava und des finsteren, undurchschaubaren Prior Padre Guardiano betraut. Auch er ein Gewinn für den Abend.

Als neu an der Frankfurter Oper präsentierte sich der US- Amerikaner Craig Colclough. Er gab ein Rollendebüt als Melitone und machte daraus eine Paraderolle.

Viel zu stemmen hatten der Chor sowie der Extrachor. Meisterhaft deren Leistung, einstudiert von Tilman Michael. Ebenso brillant musizierte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter dem Dirigenten Jader Bignamini, der sonst in New York, in Wien, in Rom, in Venedig, in Verona und in Florenz am Pult steht. Bignamini, der ursprünglich in Mailand als Klarinettist gespielt hat, kennt die Abläufe für die Orchestermitglieder aus eigener Erfahrung. Die bisweilen extrem-heterogenen Verdischen Musikeinfälle hält er überzeugend zusammen.

„La forza del destino“, diesen Opern-Abend, der von der Dramaturgie her bewusst provoziert und musikalisch-stimmlich eindrückliche Höhepunkte bietet, sollte man sich jedenfalls nicht entgehen lassen.

Weitere Vorstellungen am 31. Januar, am 3., 7., 9., 15. – danach Oper lieben -, am 17., 23. und 28. Februar und im Mai  2019.

 

 

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