O Sentimental Machine. William Kentridges Installationen im Liebieghaus
Die Wunderkammer des Multimediakünstlers William Kentridge
Das Medium des Malers, Bildhauers, Regisseurs und einstigen Schauspielers ist die Bewegung, es ist der Film, das Theater, die Oper, die Kunst. Er zeichnet, dichtet, sinniert, konstruiert, entwirft Bühnenbilder, schreibt Stücke, inszeniert und installiert, lässt nichts einfach so im Raume stehen. 80 Installationen, Zeichnungen und kinetische Werke des südafrikanischen Künstlers William Kentridge sind bis zum 26. August in der Ausstellung „O Sentimental Machine“ im Frankfurter Liebieghaus zu sehen.
Von Petra Kammann
William Kentridge vor der Statue der Athena, (um 180/290 n. Chr. ), Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main
Da lässt sich der südafrikanische Künstler William Kentridge (*1955) mit seinen Werken auf die 5000 Jahre umspannenden Sammlungsbestände der Skulpturensammlung des Liebieghauses ein: mit bewegenden, sich verwirbelnden Zeichnungen, mit kinetischen Skulpturen, Blackboxes, Miniaturbühnen, Filmen und Animationen mit ungewohnten Klängen, mit Installationen, welche die Bühnenbildnerin Sabine Theunissen bravourös in Szene gesetzt hat.
↑ The Refusal of time von William Kentridge, Prologue, 2010/2011 Plakatfarbe, Kohle, Buntstift auf braunem Papier, 216 × 152 cm Courtesy der Goodman Gallery, Johannesburg/Kapstadt © William Kentridge, 2018; wurde zum ersten Mal auf der documenta 13 (2012) gezeigt. Eine Anspielung auf die rigide Verwaltungsstruktur, die aus dem in zwölf gleichförmige Einheiten aufgeteilten Tag ergeben haben,
Wer ihn nicht von der documenta kennt, der kann sich von den Arbeiten des südafrikanischen Künstlers William Kentridge (*1955) auch andernorts überzeugen lassen: seine Ausstellungsprojekte in Wien, London, Berlin oder Madrid wurden von herausragenden Inszenierungen in New York, bei den Salzburger Festspielen oder Theaterhäusern in Los Angeles und San Francisco von teils hymnischen Kritiken begleitet.
In Frankfurt nun greift der südafrikanische Multimedia-Künstler mit seiner engagiert kritischen Grundhaltung gestalterisch in die vom Alten Ägypten bis ins 19. Jahrhundert reichenden Bestände der Skulpturensammlung des Liebieghauses zum Teil auf rasant-radikale Weise ein.
Die Pietà (um 1450) aus verschiedenen Perspektiven: der westlichen und der südlichen Hemisphäre, Kentridge, „Women weeping for Lampedusa shipwreck“, Zeichnung für Triumph and Lamento, 2014
Durch dialogische Inszenierungen mit den dortigen Exponaten hat er nämlich völlig neue Bezüge zur Geschichte der „europäischen“ Skulptur hergestellt und seine Visionen und Assoziationen der tiefgreifenden zivilisatorischen Umwälzungen im Europa des endenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts mit virtuoser Leichtigkeit gewaltig „dazwischengefunkt“, sie unterwandernd und gleichzeitig seine eigene Verstricktheit einbeziehend. Die Skulpturen und Reliefs werden überdeckt von projizierten Filmen, verwandeln sich, geraten in Bewegung…
William Kentridge (*1955), die Videoinstallation „O Sentimental Machine“ spiegelt die Arbeitsbeziehung Trotzkis zu seiner Sekretärin an der Schreibmaschine. Man kann sie von einem eigens dafür eingerichteten „Wohnzimmer“ aus im Liebieghaus erleben, Foto: Petra Kammann
Ein Beispiel: Trotzki im Exil in Istanbul. Die im ersten Stock angesiedelte Installation „O sentimental Machine“ war für die Ausstellung titelgebend. Kentridge rückt in einer 5-kanaligen Filminstallation mit vier Megaphonen, dem Rebellen und Utopisten auf den Leib; er selbst schlüpft in seine Rolle. Vom Revolutionär Trotzki, der von der Idee des Maschinenmenschen überzeugt war, hat Kentridge sich in einer Art Selbstbefragung inspirieren lassen, indem er uns einerseits die Grenzen der Mechanik vor Augen führt, andererseits die Idee der Utopie aufgreift, sie verwandelt und die Unmöglichkeit, ihr nahezukommen, dabei erfährt.
Sein Video spiegelt Trotzkis Verhältnis zu seiner Sekretärin Evgenia Shelepina auf der Prinzeninsel Büyükada in der Türkei, wo Trotzki von 1929 bis 1933 im Exil gelebt hat. Gedreht wurde in der Nähe des früheren Wohnhauses von Trotzki im Hotel Splendid Palace.
Ausstellungsansicht „William Kentridge. O Sentimental Machine“, 2015 Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main
Was entstanden ist, hinterlässt ein komplexes Bild des revolutionären Anführers im türkischen Exil – bisweilen ein erschreckendes, bisweilen ein lächerliches, geschickt zusammengebunden aus Bildern, Dokumentaraufnahmen vom alten Istanbul, von russischen Massenaufmärschen, von revolutionärer Propaganda, von Tönen, von Fragmenten einer französischen Rede mit missionarischen Appellen an das intellektuelle Proletariat, dazu assoziativ Zufälliges und humorvoll Groteskes.
Wenn sich im Eifer des Diktierens an seine Sekretärin seine Stimme förmlich überschlägt, ein Megaphon an die Stelle seines Kopfes tritt und die realen Arme und Beine durch mechanische Stützen ersetzt sind und beide miteinander tanzen, bleibt einem jedoch das Lachen im Halse stecken. Hier denunziert Kentridge die Entfremdung von sich selbst und die Fragwürdigkeit der Legitimität von Befehlen, auch wenn sie von scheinbar fortschrittlichen Diktatoren kommen.
Typisch für die industrielle „Textilrevolution“, die Singer-Nähmaschinen. Ausstellungsansicht „William Kentridge. O Sentimental Machine“ Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main
Da die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts mit der Produktion von Textil einhergeht, die zu Reichtum und Rassismus geführt hat, setzt er sich gerade am Ort des Liebieghauses auch ebenso kritisch mit den früheren Eigentümern wie mit dem Schicksal der afrikanischen Baumwollweberinnen auseinander, die u.a. Grundlagen des Reichtums europäischer Industrieller geschaffen haben.
Gleichzeitig hält er seine Einlassungen in der historistischen Villa des Liebieghauses, das einst einer reichen Textilindustriellen-Familie gehörte, die verfügt hat, dass nach ihrem Tod daraus ein Museum entstehend solle, für besonders geeignet. Der Neorenaissance-Villa, die nach dem Tod der Familie zur öffentlich-kulturellen Einrichtung umgewidmet wurde, ist mit dieser Schau hier noch eine andere Dimension hinzugefügt worden.
Das Thema des Kolonialismus, mit dem sich William Kentridge als Südafrikaner, einer Antiapartheid-Familie entstammend, ein Leben lang beschäftigt hat, wurde plötzlich für die Sammlung des Liebieghauses, dem Frankfurter Museum mit alter Skulptur, relevant.
Antike trifft auf Gegenwart: Ausstellungsansicht „William Kentridge. O Sentimental Machine“
Es stellt die hier versammelten Skulpturen, die in einem besonderen Umfeld entstanden sind, durch den Dialog mit der zeitgenössischen Kunst auf den Prüfstand. Nichts bleibt, wie es war. Kentridge „überschreibt“ und „übermalt“ die Geschichte mit schwarzen Punkten und Strichen. Aus Punkten werden Linien, aus Linien Bäume, aus Bäumen Menschen oder Schatten, die sich wieder in Punkte auflösen, bis einem ganz schwindelig wird.
Wo bleibt unser so hehrer europäischer Standpunkt, der sich ein Großteil der Kulturgeschichte auf die Fahnen geschrieben hat? Leben wir am Ende in einer Höhle der Nicht-Erkenntnis, nur, weil wir die Schatten der wahren Geschichte nicht wahrnehmen wollen, wie es uns einst der antike Philosoph Platon in seinem Höhlengleichnis gelehrt hat?
Jeder Raum der Villa, den Kentridge optisch wie auch akustisch umgestaltet hat, lehrt uns ein völlig neues Sehen und Hinhören und lädt auf hoch eindrucksvolle Weise zu neuem Nachdenken über unsere heutige Lage ein, über den Sinn und das Be- und Ermessen von Zeit, über die verschiedenen Schicksale, die in sozialen und geographisch gegensätzlichen Herkünften entstehen, über die Folgen der Migration. Aus montierten Lautsprechern sind traditionelle südafrikanische Gesänge zu hören.
Als alter Antiapartheidkämpfer lenkt Kentridge den Blick auf den von Europa so weit entfernt scheinenden Kontinent Afrika, in dem ein ebensogroßes Leid wie eine große Energie steckt. In der „Black Box“ thematisiert er den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts, als 1904 das preußische Militär die Hereros und Namas in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, Männer, Frauen und Kinder, zur Vernichtung preisgegeben hat und die Familie Liebieg, die damals noch im Haus lebte, durch die Zeitung davon erfuhr.
Bei alldem trägt Schwitters dadaistische Ursonate als „akustische“ Grundierung, die den früheren Schauspieler Kentridge besonders beeindruckt haben muss, mit mancherlei Unsinn auch zur Erheiterung bei und bekommt hier einen ganz neuen Sinn.
Unwissenheit und Leid, gestern wie heute: Ausstellungsansicht „William Kentridge. O Sentimental Machine“
Wer mehr über die Übermalungen und die Auseinandersetzungen mit den antiken Skulpturen erfahren möchte, dem sei dringend der Katalog bzw. das Handbuch von Vinzenz Brinkmann und Kristin Schrader zu „O Sentimental Machine“ (Kerber Verlag) empfohlen, zu dem Kentridge für das Liebieghaus eigens entwickelte Zeichnungen auf Folien beigesteuert hat, die er über die antiken Statuen gelegt hat.
Sie machen seine Vorgehensweise auch im ganz wörtlichen Sinne transparent und schulen unsere Wahrnehmung. Schließlich ist sein gesamtes Werk von Überzeichnungen, Umkehrungen und Rückläufen geprägt und greift politisch Verdrängtes auf die spielerischste Art und Weise auf.
Der Besuch der Schau ist ein Muss für jeden, der sich mit der aktuellen politischen Gesamtlage beschäftigt und doch einen Sinn für die Schönheit antiker Skulpturen hat. Kentridge stellt die als menschenfeindlich empfundene Definition von Zeit und Arbeit in der Industrialisierung in Frage und denkt dabei über Schönheit nach. Die Schönheit der im Liebieghaus verorteten Objekte selbst leiden unter den Einlassungen Kentridges, die wie ein Zwischenruf nachhallen, nicht. Man sieht sie lediglich mit anderen Augen und auch anderes in ihnen.
Alle Fotos, falls nicht anders bezeichnet: Petra Kammann