home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„After Rubens“: Absolventenausstellung der Städelschule 2018 – Absolventenpreis an J. M. Heard

Von Erhard Metz

Da hat jemand eine Rubens-Reproduktion zerrissen – viel nackte Körperhaut ist nicht mehr übrig geblieben. Komisch: Geben die Risse nicht in etwa die Grenzkonturen der Bundesrepublik Deutschland wieder? Der das europäische Kunstschaffen wie nur wenige andere beeinflussende flämische Künstler läßt sich doch gewiss nicht national einhegen. Überhaupt der Titel „After Rubens“: Kann da nach diesem „Malerfürsten“ überhaupt noch irgend etwas kommen? Oder sollen wir es ganz anders lesen: Nach Rubens, da kommen wir, die Absolventen der weltweit renommierten Staatlichen Hochschule für bildende Künste, eben jener „Städelschule“?

Plakat zur Ausstellung 2018; Bildnachweis: Städelschule

Die Studierenden sehen sich zumeist durchaus in einer Tradition internationalen künstlerischen Schaffens, aber nein, so wie Rubens und seine Zeitgenossen wollen sie nicht mehr malen und werkeln (wobei, Hand aufs Herz und seien wir ehrlich, zu bemerken wäre, die meisten könnten es allein schon von ihren handwerklichen Möglichkeiten her auch gar nicht).

Rektor Professor Philippe Pirotte, der sich jedweden Tendenzen hin zu standardisierten Diplomen und Bologna-Regelungen vehement widersetzt und der in den – die Hochschule lediglich mit einer auf Wunsch ausgestellten Teilnahmebescheinigung verlassenden – „Absolventen“ nicht mehr Studierende, sondern Künstler am Beginn ihrer Karriere sieht, gibt sich keineswegs bescheiden. „Die Städelschule ist ein Mikrokosmos der Vielfalt“, so Pirotte, „welcher Diversität schafft und gleichzeitig die Subjektivität jedes Einzelnen bewahrt. Im Moment der Loslösung von diesem Mikrokosmos machen die Absolventinnen und Absolventen meist einen Quantensprung. Spannend wird es für mich, wenn die Kunst über das Institutionelle hinaus geht und einen überraschend herausfordert“. Nun denn, viele vormalige Städelschülerinnen und Städelschüler haben eine internationale Künstlerkarriere hingelegt, aber bei weitem nicht alle.

„After Rubens“: auch insoweit, als die Werkschau nach 2008 erstmals wieder im Ausstellungshaus des berühmten Museums stattfindet anstatt im Museum für Moderne Kunst MMK, und zwar just in der Ausstellungsarchitektur der erst kürzlich zu Ende gegangenen erfolgreichen Rubens-Präsentation. Ob es das MMK schmerzen muss, dieses doch bedeutsame Ausstellungsevent sozusagen an das Städel Museum zu verlieren? Ein bisschen schon, möchten wir annehmen.

In der Ausstellungsarchitektur der großen Rubens-Schau: „After Rubens – Absolventenausstellung der Städelschule 2018“; Foto: Städel Museum

Andererseits: Bereits durch das Testament Johann Friedrich Städels gehören Städel Museum („Städelsches Kunstinstitut“) und Städelschule („Lehranstalt“) unweigerlich zusammen, und es wundert nicht, dass beide Institutionen sich auf einem gemeinsamen Grundstück vis-à-vis gegenüberstehen. Da mag man sich durchaus fragen, wieso in der Ära Max Hollein die Zusammenarbeit zwischen Museum und Akademie zur Absolventenausstellung 2009 abbrach (in dem Jahr fand sie hälftig im „Portikus“ und im MMK-„Zollamt“ und anschließend nur noch im MMK statt). Stimmte die „Chemie“ zwischen den beiden Institutionen nicht mehr? Die heute Handelnden, Städel-Direktor Philipp Demandt und Rektor Philippe Pirotte, ergriffen nun die Chance – und wie zu sehen ist, mit großem Erfolg, ist doch die Ausstellung auf das beste gelungen! „Auf das Gastspiel der Absolventinnen und Absolventen der Städelschule im Städel Museum freuen wir uns sehr“, so Demandt vor der Eröffnung, und er betonte, Hochschule und Museum seien seit ihrer Gründung trotz der zwischenzeitlich eingetretenen organisatorischen Trennung eng miteinander verbunden.

Blick vom Städelmuseum über die unterirdischen „Gartenhallen“ zum Haupthaus der Städelschule mit den großen Atelierfenstern

Die diesjährigen Absolventinnen und Absolventen – besser gesagt Künstlerinnen und Künstler – Viviana Abelson, Rosa Aiello, Moriah Askenaizer, Jonas Brinker, Liesel Burisch, Stefan Cantante, Zoltan Ará Elahi, Janusch Ertler, Bertrand Flanet, Cecilia Gerson, Simon Glaser, Guy Gormley, Nancy Halt, J. M. Heard, Ryan Karlsson, Vera Karlsson, Nimrod Karmi, Claudia Lemke, Larissa Mazbouh, Curtis McLean, Aileen Murphy, Iulia Nistor, Joon Yeon Park, Federica Partinico, Laxlan Petras, John Ryaner, Sydney Schrader, Laura Schusinski, Babette Semmer, VMT, Bob van der Wal, Mikhail Wassmer und Seyoung Yoon studierten in den Klassen der Professorinnen und Professoren Monika Baer, Peter Fischli, Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Christa Näher, Laure Prouvost, Tobias Rehberger, Willem de Rooij, Amy Sillman und Haegue Yang.

Den mit 2000 Euro dotierten, vom Verein Städelschule Portikus e.V. gestifteten Absolventenpreis 2018 sprach die Jury – Martin Engler (Sammlungsleiter Gegenwartskunst, Städel Museum), Elke Gruhn (Künstlerische Leitung, Nassauischer Kunstverein Wiesbaden), Christina Lehnert (Kuratorin, Portikus) und Konstantin Technau (Vorstand, Städelschule Portikus e.V.) – J.M. Heard für seine audiovisuelle Installation „Paintings for the blind and dyslexic“ (2015–2018) zu.

J.M. (John Matthew) Heard trat während des Studiums unter verschiedenen Namen auf: So stellte der Künstler beim Rundgang 2018 Arbeiten unter dem Namen Jacki Heard aus und gewann als Jack Heard den Rundgang-Preis 2018 der Sozietät Linklaters LLP. Heard, 1987 in New York geboren, studierte am College of Arts & Sciences in Oberlin (Ohio), am Otis College of Art and Design in Los Angeles und am California Institute of the Arts in Santa Clarita (Los Angeles) mit dem Abschluß Bachelor of Fine Arts. 2015 kam er zur Städelschule, wo er bei Michael Krebber, Josef Strau und Haegue Yang studierte.

Der Träger des Absolventenpreises: als „Jack“ Heard (re.) Gewinner des Rundgang-Preises 2018 der Linklaters LLP

Malereien für Blinde und für Menschen, bei denen trotz normalen Seh- und Hörvermögens die Fähigkeit eingeschränkt ist, Wörter oder Texte zu lesen und zu verstehen, ist das Grundthema der den Betrachter gerade in ihrer Sinnlichkeit fesselnden und emotional berührenden, künstlerisch hoch ausdifferenzierten wie in ihrer Präsentation auch haptisch wie spielerisch überzeugenden multimedialen Installation des sensiblen sympathischen Künstlers.

↑↓ J.M. Heard, „Paintings for the blind and dyslexic“, 2015-2018, audiovisuelle Installation (Gesamtansicht und Details)

Die dreiteilige Arbeit gliedert sich in ein Wandschränkchen zur Aufbewahrung von Schlüsseln – „Schlüssel“ als Metapher zur Erschließung des komplexen Werkes? – , zwei gerahmte Tafeln über einer Glasvitrine in der Mitte sowie drei kleinere gerahmte Tafeln über einem offenen Wandboard, auf dem Heard seine „Künstlerbücher“ zum Durchblättern für das Publikum auslegt.

Überall hängen und liegen Audioguides als Handapparate – mal sind es echte, mal Attrappen. In die „echten“ Apparate kann der Betrachter zweistellige Codes eingeben, die an der Wand und an den Tafeln hängen, verstreut in der Vitrine liegen oder an den Künstlerbüchern befestigt sind. Es erklingen dann Erläuterungen zu den Objekten, die der Künstler selbst auf die Tonträger gesprochen und zum Teil auch, wie man uns sagte, gesungen hat. Dazu legt Heard winzige Verkleinerungen seiner im Atelier verbliebenen Originalarbeiten aus.

Die insgesamt vom Malerischen dominierte Arbeit fordert den Betrachter ganz unmittelbar zur Mitwirkung auf – zum Betätigen der Audioguides, zur Stöbern durch und zum Hineinträumen in die miniaturisierte Bilderwelt des Künstlers, zum Aufsuchen der Codes, zum Hören der Erläuterungen wie auch zum Blättern in den subtil-zerbrechlich wie zugleich kostbar wirkenden Künstlerbüchern. Eine halbe Stunde an Lebenszeit vergeht dabei wie im Fluge, es darf auch ruhig einiges mehr sein. Es ist gut angelegte Zeit.

Heards Werk – man wird hier diesen Begriff durchaus als angemessen ansehen dürfen – erschließt einen wahren Kosmos an Kunst und Kunstwahrnehmung, an Kunst schaffen und Kunst rezipieren, an Verschränkungen von Sehen, Hören, Lesen und Verstehen, an Kunst im Atelier der Akademie wie im musealen Kontext. Es ist eine überaus würdige Preisträgerarbeit.

Mit ihrer Eingangsfrage im Interview mit dem Preisträger „Your portfolio is titled Lies About Myself“ spielt Co-Kuratorin Paula Kommoss nicht allein auf die verschiedenen, manche Verwirrungen stiftenden Identitäten des unter verschiedenen Vornamen auftretenden Künstlers an – wir empfehlen das im Katalog publizierte Gespräch zur ergänzenden Lektüre.

Paula Kommoss, die auch den hervorragend informatorischen Wegweiser durch die Ausstellung gestaltete, kuratierte die Schau gemeinsam mit Il-Jin Choi und schrieb auch das Vorwort zum kleinen, aber feinen Katalog.

Verwiesen sei ferner auf ein im Katalog in deutscher und englischer Sprache publiziertes einleitendes Gespräch zwischen Philipp Demandt und Philippe Pirotte.

After Rubens. Absolventenausstellung der Städelschule 2018, Städel Museum Ausstellungshaus, bis 5. August 2018; Führungen durch die Ausstellung mit dem Kuratorenteam: 20., 21., 27. und 28. 7. sowie 3. 8 2018; Fr. jeweils 19 Uhr, Sa. jeweils 14 Uhr

Abgebildete Arbeiten © J.M. Heard; Fotos (soweit nicht anders angegeben): Erhard Metz

→ „After Rubens“: Absolventenausstellung der Städelschule 2018 (2)

→ Städelschule: Rundgang 2018
→ Absolventenausstellung 2017 der Städelschule – Absolventenpreis an Leda Bourgogne
→ 200 Jahre Städelschule: 10 Jahre Streiflichter zu Rundgängen und Absolventenausstellungen

 

Comments are closed.