„After Rubens“: Absolventenausstellung der Städelschule 2018 (2)
Künstler(in) sein – Künstlerdasein
Nancy Halt, Ryan Karlsson, Guy Gormley, Bob Constance Van Der Wal
Von Erhard Metz
Bereits draußen im Städelgarten, vor dem Hauptaufgang ins berühmte Museum, empfängt uns die Absolventin Nancy Halt mit ihrem Wohnwagen. Ob sie auch darin wohnt? Ein Elektroanschluss in das Gefährt ist jedenfalls vorhanden. Und von der freundlich dreinblickenden Eule – dem Vogel der Weisheit – fühlen wir uns eingeladen. Aber dann: Der Hinweis auf den Kopf der Hydra im Fenster des Mobils läßt uns zurückscheuen…
↑↓ Nancy Halt, „Constellation Hydra Head“, 2018, caravan, 500 x 210 x 230 cm; video on screen 6:30 min
Wir sind nun wahrlich kein Held und schon gar kein Herakles, dem es, wenn auch nur mit Hilfe seines Neffen Iolaos, gelang, dem Ungeheuer den eigentlich unsterblichen Hauptkopf abzuschlagen und das Monster damit zu erledigen. Verdächtig auch der schwarze Damenschuh vor dem Wohnwagen: Gehört er zum Werk, oder hat ihn ein Scherzbold dahingelegt, oder wohnt tatsächlich die Hydra im Vehikel und hat da eine Dame – doch wohl nicht die Künstlerin selbst – bis auf deren einen Schuh verspeist? Das dazugehörige Video haben wir leider nicht entdeckt. Trotzdem: eine schöne, ironische Arbeit!
Die diesjährige Absolventenausstellung erscheint uns insofern in besonderer Weise bedeutsam und überaus gelungen, als die Künstlerinnen und Künstler – wenn auch nicht ohne die gewohnte Konzeptlastigkeit – in einer intelligenten und selbstkritischen, vor allem auch sinnlichen Weise und oft mit einer tüchtigen Prise Humor ihre eigene Arbeit sowie nicht minder die Künste im allgemeinen und das Künstlerdasein im besonderen reflektieren. Das kommt beim Betracher an und bereitet ihm ein sinnliches Erlebnis, das zeitgenössisches Kunstgeschehen nicht selten so schmerzlich vermissen läßt.
Ein schönes Beispiel dafür ist die Arbeit von Ryan Karlsson (geboren 1989 in Västerås): Ein Künstler eilt, mit Koffer, Tasche und seinen Leinwänden bepackt, wozu ihm nicht einmal sechs Arme reichen, ein Bild ist ihm bereits entglitten, zur Eröffnung einer – seiner eigenen? – Ausstellung. Immer unterwegs, unstet, fast ein Bohemien, stets auf der Suche.
Ryan Karlsson, „Six-armed artist with snake body arriving at the opening holding paintings“, 2018, clay, human hair, fabric, wire, plexiglas, acrylic on canvas, 60 x 25 x 50 cm
Als eine Anspielung auf ein künstlerisch prekäres Dasein verstehen wir die Installation von Guy Gormley (1985 in London geboren), die eine konsequent erscheinende Weiterentwicklung seiner zum Rundgang 2018 gezeigten Arbeit ist. Das kärgliche Zimmerchen – eher ein Verlies – mit kleinem Fenster und der Matratze auf dem Fußboden ist nun noch kleiner, verborgener, einsamer geworden, lediglich zwei handtellergroße Lüftungsgitter gewähren einen beengten Einblick. Da hilft auch die leise Musik nichts mehr, die aus dem Inneren erklingt. Wer mag, kann in Google Maps Street View nach der Adresse 13a The Crescent suchen – etwa in Croydon/London oder in einer anderen Stadt.
↑↓ Guy Gormley, „13a The Crescent“, 2018, mixed, primarely wood, 133 x 300 x 268 cm
Auf die Spitze treibt es Bob Constance Van Der Wal, der zum Rundgang 2018 eine implodierte Telefonzelle zeigte. Heuer präsentiert er seine Studie für eine Klinik, einen Ort des Schreckens und Horrors, in den, bleibt zu hoffen, ein kranker Künstler niemals eingewiesen werden wird. Schon der weiß-kahle Wartebereich schreckt ab – drei unbesetzte Stühle, leerer Abfallbehälter, gläserne Vase ohne Blumen.
↑↓ Bob Constance Van Der Wal, „Study for clinique“, 2018, 400 x 230 x 190 cm, Mixed Media installation including formica, used linoleum, spironolactone
Im Inneren ein Szenario mit vier einzeln benannten Arbeiten: ein Handlauf, zwei gebrauchte Motorradsitze (Marke Ducati) und ein gebrauchter Motorradsitz (Marke Buell), von bekannten Rennmaschinenherstellern also. Wir denken an Torsi, an verstümmelte Körper von Patienten. Man sollte den „Klinik“-Raum all den Bikern zeigen, die an Wochenenden mit ihren überschweren Maschinen wahnwitzig über die Taunusstraßen rasen und nicht selten in der Notaufnahme landen.
Makaber auch der „Handlauf“ – er besteht aus medizinischen Schläuchen, Blut, gebrauchten Telefonkabeln, Lehm, Perlen (Assoziation: Rosenkranz – hier hilft nur noch beten) und Farbstoff. Nein, ein höchst ungemütlicher Ort.
Man sollte stets auch die Rückseiten betrachten: Hinter dem Klinikcontainer befindet sich in der Dunkelheit das Oberteil eines – ebenfalls gebrauchten – Kinderwagens. Er sendet – assoziationsreich – einen scharfen, blendenden Lichtstrahl in die „Klinik“. „For Eye Problem (or A Fake Spiritual Experience)“ benennt Van Der Wal diesen Teil seiner Arbeit. Auf solche Augenbehandlung verzichten wir gerne.
Nancy Halt, Ryan Karlsson, Guy Gormley und Bob Constance Van Der Wal: vier intelligente, sensible und hoch kreative Künstler(innen)-Persönlichkeiten. Ihnen werden wir in den kommenden Zeiten in der weiten Welt der internationalen Kunstszene zweifellos wiederbegegnen.
After Rubens. Absolventenausstellung der Städelschule 2018, Städel Museum Ausstellungshaus, bis 5. August 2018; Führungen durch die Ausstellung mit dem Kuratorenteam: am 27. und 28. 7. sowie 3. 8. 2018; Fr. 19 Uhr, Sa. 14 Uhr
Abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstlerinnen/Künstler; Fotos: Erhard Metz
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