Thanksgiving 2008 der Steuben-Schurz-Gesellschaft Frankfurt am Main
Ende November 2008 feierte die Steuben-Schurz-Gesellschaft Frankfurt am Main Thanksgiving, den amerikanischen Nationalfeiertag, mit dem klassischen Truthahn-Dinner. Als Special guest war der renommierte Journalist Don F. Jordan der Einladung der Gesellschaft gefolgt.
Thanksgiving feiern die Vereinigten Staaten von Amerika als wichtigstes Familienfest jeweils am vierten Donnerstag im November. Seine Ursprünge reichen ins 17., wahrscheinlich sogar in das 16. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1789 führte George Washington, der erste Präsident der USA, den Thanksgiving day als offiziellen Feiertag ein. Noch heute kommt in den USA vielerorts die gesamte Familie zum traditionellen Thanksgiving dinner zusammen, zu dem ein gebratener Truthahn nebst Beilagen und Nachspeisen serviert werden. Obwohl Thanksgiving im Gegensatz zum deutschen Erntedankfest kein religiöser Feier- beziehungsweise Gedenktag ist, sprechen die Teilnehmer beim Thanksgiving dinner oft Gebete oder äussern im Kreis der Familie ihren Dank für besondere Ereignisse des Jahres.
Die promovierte Medizinerin Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels, Präsidentin der Steuben-Schurz-Gesellschaft, beleuchtete in ihrer vielbeachteten Eröffnungsansprache die gesellschaftliche und politische Situation in den USA nach dem Wahlsieg Obamas und deren Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis. Nachfolgend dokumentieren wir den Wortlaut dieser Rede. Als prominenter Gast griff Don F. Jordan die Thematik in einem ebenso unterhaltsamen wie nachdenklich stimmenden Statement auf.
Don Franklin Jordan, 1941 in New York geboren, ist mit einer Deutschen verheiratet. In Deutschland ist er weithin als regelmässiger Gast der Kultsendungen „Internationaler Frühschoppen“ und „Presseclub“ des Ersten Deutschen Fernsehens der ARD bekannt. Jordan ist ein exzellenter Kenner der US-amerikanischen politischen Szenerie und der vielfältigen Aspekte der transatlantischen Gemeinschaft zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten und den USA. Berühmt sind seine brillianten Analysen und Kritiken ebenso wie sein Charme, sein Wortwitz und seine Schlagfertigkeit.
Ansprache der Präsidentin der Steuben-Schurz-Gesellschaft Frankfurt am Main, Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels, zum Thanksgiving Ende November 2008:
Ich freue mich, dass wir das traditionelle amerikanische Erntedankfest „Thanksgiving“ zusammen feiern, das höchste amerikanische Familienfest! Für die Amerikaner unter uns, aber auch für alle US-Amerikaner, in den USA und wo immer sie leben mögen, gibt es heute gewiss etwas ganz Besonderes zu feiern.
Für eine grosse Anzahl von ihnen, nämlich für die Afro-Amerikaner, möglicherweise aber für alle, die nicht white, anglosaxon and protestant sind, ist es eine ungeheure Genugtuung und ein wirkliches Thanksgiving, dass einer von ihnen es geschafft hat, das höchste demokratische Staatsamt dieser Welt zu erringen: Barack Hussein Obama! Er hat die Welt auf den Kopf gestellt und den „american dream“ wahr gemacht. Nicht nur, dass er einen afrikanischen und dazu noch muslimischen Vater hat, nein, auch noch einen Einwanderer, der zurückging! Vom underdog zum king.
Ein Traum ist tatsächlich wahr geworden, etwas, das die meisten nicht für möglich hielten und was Collin Powell Jahre zuvor nicht wagen wollte und wohl auch nicht wagen konnte, weil er nicht die gleiche Unterstützung fand, die jetzt vorhanden ist, auch nicht die finanzielle! Jetzt wurde sie gegeben! Und mit welchen – für uns Europäer – fantastischen Zahlen!
Amerika hat sich in den letzten Jahren offensichtlich gewandelt.
Ist es reifer geworden? Das Grauen des „9/11“ in einem sich unverletzbar glaubenden Land, die Erlebnisse seit 2001, die folgenden Katastrophen, sprich Afghanistan und Irak, das alles ist offensichtlich nicht spurlos vorüber gegangen, sondern hat zu einer grossen Mobilisierung und Vereinigung von unterschiedlichsten Kräften aus unterschiedlichsten Lagern geführt. Offensichtlich wünschen die Menschen sich eine totale Erneuerung, etwas so völlig anderes, dass es auch eine weisse Frau nicht bringen konnte …
Wann hat man je nach einer Wahl so viele Freudentränen gesehen, miterleben können. Und er selbst hat es ja formuliert: America can change! Yes, we can!
Kann er wirklich?
Wird es die gewünschte, so heiss ersehnte Erneuerung tatsächlich geben? Nach innen und nach aussen, in die Welt, auch nach Mumbai?
Wie wird die Realpolitik dieses so ungeheuer jung aussehenden, hervorragenden Redners, mitreissenden Ideologen und grossen Optimisten aussehen? Er, der nach Lincoln und Roosevelt wohl der dritte amerikanische Präsident ist, der die Führung seines Landes in einer echt miserablen Lage übernehmen, ja, das Land aus dieser herausführen muss.
Wann wird ihm klar werden, dass auch er nur mit Wasser kochen kann? Wann wird es vor allem seinen Wählern klar werden ? Und wie werden sie reagieren? Wie die schwarzen, wie die weissen?
Wird das Land ruhig bleiben?
Den Amerikanern wird sicher bewusst werden müssen, dass Obama ein seit Jahrzehnten, nicht erst seit 2008, völlig verschuldetes Land übernimmt, das zusätzlich in einer neuen Finanzkrise steckt, welche die gesamte Welt an den Abgrund führt; hervorgerufen durch amerikanische subprime-Hypotheken, die bewusst an Menschen ausgegeben wurden, die nicht kreditfähig waren – mit dem traumtänzerischen Argument: Jedem Amerikaner sein klein Häuschen!
Wird eine Kreditkartenkrise folgen, und der US-Normalbürger merken müssen: Jetzt hat er weder sein Häuschen noch eine Arbeitsstelle, und die Karte, mit der er alles meint kaufen zu können, wird unsicher?
Auf der jüngst in Frankfurt am Main veranstalteten Europäischen Tagung der Weltbank habe ich die Meinung gehört, dass das amerikanische Zeitalter zu Ende sei, ausgeträumt – das asiatische beginne. Ein schlechter Start für die neue Regierung?
Die Amerikaner werden merken:
– dass das Gesundheitswesen schon allein wegen dieser neuen finanziellen Desaster nicht so schnell reformierbar ist, wie sie hoffen,
– dass viel Elend nur langsam – und für die meisten Wähler für ihre Lebenszeit zu langsam – schwinden kann, und
– dass das völlig verrottete Bildungswesen, mit der hohen Zahl von Analphabeten nicht so schnell reformierbar ist, wie es zu wünschen wäre, unter anderem um eine bessere politische Bildung herzustellen.
Auch das Fernsehen fällt als Bildungsinstitut in Amerika weg (übrigens nicht nur dort!). Die meisten hier im Raum wissen, dass die Fernsehsender in den USA fast nur regionale Nachrichten senden, nur 5 % der Sendezeit internationale Nachrichten bringen, dass news to use beliebt sind, und alles nur über Kommerzialisierung läuft.
Die Menschen werden merken: dass 18 Monate bis zum zugesagten Abzug der Kampftruppen (was ist das eigentlich, gibt es Truppen, die nicht kämpfen und die bleiben?) aus dem Irak sehr kurz sind, möglicherweise auch zu einem Desaster für den Irak und dann auch für die USA führen können – dass ein „Umzug“ dieser Truppen nach Afghanistan auch ein grosses logistisches Problem darstellt.
Es wird sich für die USA eine Strategiefrage erheben, die einmal rechtzeitig gelöst werden sollte – und diese Frage wird auch uns, die Bundesrepublik Deutschland, vor das Problem stellen, unsere Einsätze zu hinterfragen:
Wie hat es geheissen: (O-Ton Peter Struck:) Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.
Wirklich?
Oder wird sie mit einem Raketenabwehrschild der USA in Polen verteidigt? Und was, falls ein russischer Präsident Medwedew als Antwort Kurzstreckenraketen positioniert, die nach Europa schauen?
In Amerika kann man Träume wahr machen – anything goes.
Im alten Europa, über Jahrhunderte mit Kriegen übersäht, hat man mit dem Träumen lange aufgehört. Man weiss, wie schnell sich Realitäten ändern können. Muss man sich hier etwa den harten Realitäten eines überwunden geglaubten kalten Krieges stellen, der auch wieder aufflammen kann?
Amerika hat die Wahl gewonnen, was nun, Europa?
(Bildnachweis: © Steuben-Schurz-Gesellschaft)