Lichterkette am 10. Dezember – Aufruf der Frankfurter Kulturverantwortlichen
Licht in das Dunkel bringen
In Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen setzt die Kulturszene in Frankfurt ein Zeichen gegen Antisemitismus. 85 Jahre nach den November-Pogromen 1938 sind Jüdinnen und Juden in Frankfurt wieder in Sorge um ihr Leben. Entsetzt sehen wir, dass das Massaker am 7. Oktober und der Terrorangriff von Hamas weltweit, auch in Deutschland, zum Auslöser für andauernde antisemitische Propaganda und Gewalt wurde.
Dazu wollen wir als Kulturverantwortliche in Frankfurt / Rhein-Main nicht schweigen. Wir bekennen uns zu unserer historischen Verantwortung. Wir stehen auf und nehmen Stellung: Im Alltag, bei der Arbeit, im Freundeskreis, in Vereinen und Gemeinden. Wir erheben unsere Stimme gegen Antisemitismus. Wir stellen uns schützend an die Seite von Jüdinnen und Juden. Wer sie angreift, greift uns an. Unsere Solidarität überschreitet religiöse und kulturelle Grenzen.
Als Zeichen dafür rufen wir, unterstützt durch das Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt, zu einer Lichterkette auf. Denn:
Nie wieder ist jetzt!
Jeder und jede aus Frankfurt und Region wird gebraucht. Denn von dieser Stadt mit ihrer vielfältigen Geschichte und Gegenwart soll ein starkes Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft und gegen Antisemitismus und Extremismus in unserer Gesellschaft ausgehen.
Die Kulturverantwortlichen sehen es als ihren demokratischen Auftrag an, in den aktuellen Debatten gegen jede Art der Diskriminierung einzustehen, sowie Empathie, Respekt und Vielfalt zu fördern. Wir wollen gerade jetzt Raum für offenen, kritischen und vielfältigen Gedankenaustausch schaffen und die Gesellschaft gegen jeden Extremismus stärken.
9. November an der Westend-Synagoge, Foto: Petra Kammann
Wir treffen uns, gerne mit eigenen Kerzen, am Sonntag, 10. Dezember, zwischen Eisernem Steg und Ignatz-Bubis-Brücke (Uferweg an der Innenstadtseite des Mains).
Beginn: 18 Uhr, Ende 18:30 Uhr.
Wer steht dahinter?
Die Initiative geht aus von Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom und der Katholischen Akademie, der erklärt: „Die Aktion ist nötig wegen des Schweigens in der Kulturszene, wo Solidarität mit den von Judenhass bedrohten jüdischen Menschen in Deutschland hätte sein müssen.“ Zu den Mitinitiatoren gehören Dr. Helmut Gold (Direktor des Museums für Kommunikation), Hanna-Lena Neuser (Direktorin der Evangelischen Akademie Frankfurt), Hauke Hückstädt (Leiter des Literaturhauses Frankfurt), Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken (Direktorin Deutsches Romantik-Museum und Frankfurter Goethe-Museum), Wolfgang David (Direktor des Archäologischen Museums), Dr. Peter Cachola Schmal (Direktor des Deutschen Architekturmuseums), Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich (Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft), Prof Dr. Mirjam Wenzel (Direktorin des jüdischen Museums), Dr. Sebastian Baden (Direktor Schirn Kunsthalle) und Jan Gerchow (Direktor des Historischen Museums). Wohlwollend begleitet von Dr. Ina Hartwig, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft.
Der Chanukka-Leuchter auf dem Opernplatz, Foto: Petra Kammann
Unterstützer*innen
Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin Jüdisches Museum Frankfurt
Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor, Haus am Dom Frankfurt
Hanna-Lena Neuser, Direktorin, Evangelische Akademie Frankfurt
Dr. Ina Hartwig, Dezernentin Kultur und Wissenschaft, Stadt Frankfurt
Dr. Sebastian Baden, Direktor, Schirn Kunsthalle Frankfurt
Beate Zekorn-von Bebenburg, Museumsleiterin, Struwwelpeter Museum
Dr. phil. Wolfgang David M.A., Leitender Direktor, Archäologisches Museum Frankfurt
Matthias Thoma, Geschäftsführer, Eintracht Frankfurt Museum
Dr. Jan Gerchow, Direktor, Historisches Museum Frankfurt
Dr. Philipp Demandt, Direktor, Städel Museum
Prof. Franziska Nori, Direktorin, Frankfurter Kunstverein
Veit Dinkelaker, Museumsdirektor, Bibelhaus ErlebnisMuseum
Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Vorstandsvorsitzender, Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Hauke Hückstädt, Leitung, Literaturhaus Frankfurt
Peter Cachola Schmal, Leitender Direktor, Deutsches Architekturmuseum DAM
Dr. Helmut Gold, Direktor, Museum für Kommunikation Frankfurt
Dr. Brigitte Franzen, Direktorin, Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Dr. Eva Raabe, Direktorin, Weltkulturen Museum
Prof. Celina Lunsford, Artistic Director, Fotografie Forum Frankfurt
Dr. Susanne Schaal-Gotthardt, Direktorin, Hindemith Institut Frankfurt
Dr. Inez Florschütz, Museumsdirektorin, Deutsches Ledermuseum
Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethemuseum
Alex Azary, Direktor, MOMEM [Museum Of Modern Electronic Music]
Kathrin Meyer, Direktorin, Museum Sinclair-Haus
Dr. Dorothee Linnemann, Kuratorin, Historisches Museum Frankfurt
Dr. Angela Jannelli, Kuratorin, Historisches Museum Frankfurt
Prof. Wilhelm Bender, Vorsitzender, Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität / Kuratorium der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums Frankfurt
Prof. Susanne Pfeffer, Direktorin, Museum MMK für moderne Kunst
Bettina Schmitt, Direktorin, Dommuseum Frankfurt
Dr. Markus Fein, Intendant und Geschäftsführer, Alte Oper Frankfurt
Dr. Nikolaus Reinhuber, Vorsitzender, Frankfurter Bachkonzerte e.V.
Dr. Stephan von der Schulenburg, Kurator, Museum Angewandte Kunst
Dr. Sonja Vandenrath, Leiterin Referat für Literatur und Wissenschaft, Kulturamt Frankfurt
Bettina M. Wiesmann, Vorsitzende, Bürgerverein Demokratieort Paulskirche e.V.
Prof. Klement Tockner, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Verena Grande, Historisches Museum Frankfurt
Petra Kunik, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Frankfurt
Jens Scheller, Museumsleiter, Freilichtmuseum Hessenpark GmbH
Konstanze Runge, Ikonenmuseum
Jutta Zwilling, zeitsprung. Kontor für Geschichte
Jörg Mugrauer, Vorstandsvorsitzender, Atelierfrankfurt e.V.
Prof. Matthias Wagner K, Direktor, Museum Angewandte Kunst
Frank Scholze, Generaldirektor, Deutsche Nationalbibliothek
Ute Schwens, Ständige Vertretung des GD in Frankfurt, Deutsche Nationalbibliothek
Dr. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-45, Deutsche Nationalbibliothek
Dr. Claudia Orben – Mäckler, Vorsitz, Freundesverein der Städelschule Portikus e.V.
Prof. Christoph Mäckler, Direktor, Deutsches Institut für Stadtbaukunst
Franziska Kiermeier, Institutsleitung (komm.), Institut für Stadtgeschichte
Marietta Andreas, Vorstandsvorsitzende, Gesellschaft der Freunde des Deutschen Architekturmuseums
Heike Drummer, Kuratorin Jüdisches Museum Frankfurt
Alfons Maria Arns, freiberuflicher Kulturhistoriker Frankfurt am Main
Sandra Baetzel, Kommissarische Verwaltungsleitung, Historisches Museum Frankfurt
Dr. Matthias Schulze-Böing, Vorsitzender, Gesellschaft für Wirtschaft, Arbeit und Kultur
Angelika Schulenburg, Kunstnetz Frankfurt
Anselm Weber, Intendant Schauspiel Frankfurt
Gregor Praml, Geschäftsführer & Künstlerischer Leiter, Romanfabrik
Prof. Dr. Andreas Mulch, Direktor, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum
Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
Bernd Loebe, Intendant, Oper Frankfurt
Silvia Meier, Geschäftsführerin, EKHN Stiftung
Gregor Maria Schubert, Festivaldirektor, Lichter Filmfest/Lichter Filmkultur e.V.
Dr. Edgar Wallach, Vorsitzender, Robert-Schumann-Gesellschaft Frankfurt e.V.
Werner D’Inka, Vorsitzender, Gesellschaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums Frankfurt
Petra Kammann, Herausgeberin FeuilletonFrankfurrt
Dirk Jenders / Rose Wießler / Hannelore Schmid / André Weißbach / Dr. Sven Hartung, Vorstand Richard-Wagner-Verband Frankfurt am Main e.V.
Erinnerung an die Schicksale Frankfurter Künstlerinnen und Künstler seit 1933 von der Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle
Appell der Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Kienzle, Foto: Petra Kammann
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,
als der jüdische Chefdirigent der Frankfurter Oper, Hans Wilhelm Steinberg, am Abend von Hitlers sogenannter „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 Wagners „Meistersinger“ dirigierte, erhob der Sänger des Hans Sachs seine Hand zum Hitlergruß, ein großer Teil des Publikum tat es ihm nach. Der „Kampfbund für DeutscheKultur“ beklagte sich am folgenden Tag darüber, dass ein Jude deutsche Opern dirigiere. Für die nächste Vorstellung wurde Steinberg als „unpässlich“ suspendiert und durch einen anderen Dirigenten ersetzt.
Doch Steinberg ließ sich nicht entmutigen. Am 19. Februar 1933 dirigierte er die Premiere von Wagners „Parsifal“. Karl Holl schrieb in der Frankfurter Zeitung: „Das Orchester spielt unter diesem Dirigenten mit hoher Disziplin und stellenweise mit einer kammermusikalischen Feinheit, die einzelne Partien des Monumentalwerkes in ganz neuem Lichte aufleuchten läßt.“ Er schloss seine Rezension mit den Worten: „Im ‚Parsifal‘ gelten selbst die Tiere als heilig. Möge eine Zeit, in welcher der Massenmord an der Tagesordnung ist, sich aufmerksam forschend im Spiegel dieses testamentarischen Werkes betrachten.“
Wenige Wochen später ereilte Hans Wilhelm Steinberg – wie zahlreiche andere jüdische Künstlerinnen und Künstler Frankfurts – die Entlassung aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Steinberg, der seit 1929 exzellente Arbeit in Frankfurt geleistet hatte und im Goethejahr 1932 seines engagierten Einsatzes wegen mit der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt geehrt worden war, wurde nicht nur seiner „nicht arischen Abstammung“, sondern absurderweise auch der politischen Unzuverlässigkeit geziehen. Die Entlassung sei erfolgt, weil er „nach seiner dem deutschen Wesen fremden und das nationale Volksempfinden verletzenden Darstellung bzw. Wiedergabe der Bühnenwerke sowie nach seiner nichtarischen Abstammung nicht die Gewähr bietet, daß er jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintritt“ – so der NS-Oberbürgermeister Krebs.
Wie Steinberg erging es vielen. Die einstmals gefeierten Sängerinnen und Sänger Magda Spiegel, Hans Erl, Benno Ziegler und viele andere, denen man soeben noch zugejubelt hatte, verschwanden aus dem Frankfurter Kulturleben. Sämtliche Institutionen wurden „gleichgeschaltet“. Das Frankfurter Publikum unternahm nichts.
Steinberg blieb in Frankfurt, gründete die Frankfurter Zweigstelle des „Kulturbunds deutscher Juden“ und sorgte dafür, dass die entlassenen Frankfurter Musikerinnen und Musiker seines Orchesters und anderer Städte wieder eine Lebensgrundlage hatten. 1936 gründete er zusammen mit seinem Freund, dem Geiger Bronislaw Hubermann, das Palestine Symphony Orchestra (heute: Israel Philharmonic) in Tel Aviv. Viele seiner Frankfurter Musiker nahm er mit und ersparte ihnen dadurch die Leiden der Pogromnacht und der Deportation. Arturo Toscanini dirigierte das Antrittskonzert und überredete Steinberg zur Emigration in die USA, wo ihm noch eine bedeutende Karriere beschieden war. Ohne Groll gastierte er nach dem Krieg noch mehrfach in Frankfurt. Die letzte von ihm dirigierte Oper – in einer Starbesetzung an der MET – war (auf eigenen Wunsch) Richard Wagners „Parsifal“.
Der Organist der Westend-Synagoge Siegfried Würzburger und viele andere, die nicht rechtzeitig emigrieren konnten (darunter auch Magda Spiegel und Hans Erl) wurden gedemütigt, verfolgt, deportiert und ermordet.
In meinen Vorträgen habe ich vielfach über diese schrecklichen Geschehnisse berichtet. Damit sich so etwas nicht wiederholt und um das Andenken an die seinerzeit verfolgten Kulturschaffenden zu ehren, möchte ich mich der Initiative „Nie wieder ist jetzt“ anschließen.