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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Lob auf Isolde Ohlbaum und Michael Krüger: „Männer, die Rosen schneiden…“

Gelebte Literaturgeschichte in Fotografien und Anekdoten

Von Petra Kammann

Der 80. Geburtstag des Verlegers und Literaten Michael Krüger am 9. Dezember 2023 war Anlass für den Bildband „Männer, die Rosen schneiden und andere Literaturgeschichten zu Fotografien“ von Isolde Ohlbaum (Schirmer Mosel). Die renommierte Münchner Foto-Künstlerin hat fast ein halbes Jahrhundert lang Krügers Betreuung der Dichter und Dichterinnen sowohl bei literarischen Veranstaltungen und Preisverleihungen wie auch im privaten Kreis fotografisch festgehalten. Rund 140 Aufnahmen von Isolde Ohlbaum bringen uns in dem gelungen gestalteten Band spezielle Züge der Autoren und Autorinnen näher. Die dafür eigens geschriebenen literarischen Miniaturen lieferte Michael Krüger selbst.

Bazon Brock und Michael Krüger auf dem Mont Ventoux beim ersten Petrarca-Preis © 2023 Isolde Ohlbaum / courtesy Schirmer/Mosel

Durch die langjährige Zusammenarbeit des Verlegers Michael Krüger mit der Fotografin Isolde Ohlbaum, die, bevor sie sich endgültig für den Fotografen-Beruf entschieden hatte, zwischenzeitlich aus Liebe zu Büchern in den Hanser Verlag hineingeschnuppert hat, wurde aus dem Foto-Band im besten Wortsinn ein Bilder-Buch, das dem Verlust der Erinnerungen die Stirn bietet. Der Umgang mit den Literaturen ist für Krüger bis heute Lebenselixier, hat etwas natürlich Selbstverständliches, was sich auch in der Besonderheit der Fotos widerspiegelt.

Der Poet, Autor und Übersetzer Krüger war nach Auslandsaufenthalten bereits seit 1968 im Münchner Hanser Verlag als Verlagslektor tätig. Von 1986 bis 2013 wurde er nach dem frühen Tod des damaligen Verlagsleiters  Christoph Schlotterer schließlich der Verleger des Münchner Verlagshauses und schrieb ob seiner engen Beziehung zu den Autoren kontinuierlich Literaturgeschichte. Als Verlagsleiter hat Krüger dann den Hanser Verlag trotz oder wegen? seines ambitionierten literarischen Programms sogar zu einem prosperierenden Unternehmen gemacht. Darin ist er in der deutschen Verlagsszene vielleicht nur noch mit Siegfried Unseld vom Suhrkamp Verlag vergleichbar.

Michael Krüger 2016 beim Friedenspreis in der Paulskirche, Foto: Petra Kammann

So wurde Michel Krüger zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des literarischen Lebens im deutschsprachigen Raum. „Seine“ Autoren bekamen den Friedenspreis oder die höchste Ausszeichnung, den Nobelpreis, so dass die Reise nach Stockholm anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für ihn fast etwas ebenso Selbstverständliches annahm. Zuletzt konnte er 2011 noch den schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer (1931 – 2015) dorthin begleiten. Als Krüger 2013 aus dem Verlag ausschied, wurde er zunächst Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, wo er auch bis 2019 im Amt blieb und Autoren einlud.

Aber nochmal von vorn. Was macht sein Wirken neben der Kenntnis der Literatur und der Liebe zu den Autoren als Verleger so erfolgreich? Er war einer der Mitbegründer des Petrarca-Preises. Der große Humanist und Vorläufer der Renaissance, der italienische Dichter Francesco Petrarca, dieser „moderne“ Mensch, wurde der Namensgeber eines Literaturpreises von internationaler Wirkung und zog Kreise.

1975 wurde er erstmalig auf dem Mont Ventoux, dem „windigen“ provenzalischen Berg verliehen, den Petrarca 1338 erklommen hatte. Nicht allein der Blick vom Gipfel in alle Richtungen hatte den italienischen Dichter gereizt, die Bergbesteigung schien für ihn auch auch innere Erkenntnisse und Bewusstseinserweiterung zu verheißen. Er erlebte die Natur auf besondere Weise, beschrieb sein Wandererlebnis und empfand dort die „Erregungen des Herzens“ in geradezu romantischer Art. So traf man sich fortan bei den Preisverleihungen oft in italienischen Städten, die mit seiner Biografie zu tun hatten.

Damit war die Messlatte für die Auswahl der Autoren schon hoch gehängt. Und die Jury, die lebte von Autoren, die wieder andere Autoren ihres Kalibers an sich zogen. Sinn des Petrarca-Preises sollte darin bestehen, „Die Poesie zu fördern, die den Leser immer wieder fragt: Wer bist du, der das liest?”, befand Peter Handke, der gegen die damals grassierende „engagierte Literatur“ wetterte. Er gehörte mit zu den Dichtern der ersten Stunde ebenso wie der Kunsttheoretiker und Vertreter der Fluxusbewegung Bazon Brock, und eben auch die stets mitreisende Fotografin Isolde Ohlbaum, bei der man „nie spürte, wenn sie uns alle fotografierte“, erinnert sich der Verleger Hubert Burda, dem die besondere Realisierung sprich: Finanzierung zu verdanken ist.

Herrlich, Ohlbaums Foto von 1975, wo auf windumtoster Spitze des Mont Ventoux Michael Krüger und Bazon Brock mit wehenden Haaren ihre klirrenden Fahnen ins Bild halten mit dem Konterfei Petrarcas und dem des ersten Preisträgers Rolf Dieter Brinkmann, den kurz zuvor in England ums Leben gekommenen Dichter, der den Preis somit postum erhielt. Ob es also überhaupt weitergehen würde? Es ging weiter. Und wie! Die Netze waren ausgeworfen.

Aber ohne einen so erfolgreichen kulturinteressierten und betuchten Medienmann wie Hubert Burda, den damaligen kulturinteressierten Chefredakteur von „Die Bunte“, der aber noch eine gewaltige Karriere im Offenburger Burda-Medien-Imperium vor sich hatte, wäre das undenkbar gewesen. Wer sonst hätte all die ausgiebigen Reisen finanzieren können? Immer ging es raus mit den Schriftstellern und Übersetzern in die weite, zunächst mediterrane Welt, an besondere Ort wie nach Siena, nach Arquà Petrarca, ins burgundische Vézelay, nach Sils-Maria, nach Istanbul oder auch ins klassische Weimar, und nicht zuletzt nach Offenburg.

Der Preis ging an so bedeutende Lyriker wie den polnischen Zbigniew Herbert (1924 – 1998) aus Lemberg, der zu den großen Dichtern des 20. Jahrhunderts  zählt – den tschechisch-mährischen Dichter Jan Skácel (1922 – 1989), den schon erwähnten schwedischen Tomas Tranströmer und den Welschschweizer Essayisten und Lyriker Philippe Jaccottet (1925-2021), der wiederum deutsche Dichter wie Hölderlin übersetzt hat und der „von Pflanzen, Wolken, Wasser zu berichten wusste, klang immer wie ein Weltwunder“ (Krüger) oder den schwedischen Schriftsteller-Philosophen Lars Gustafsson (1936 – 2016). Peter Handke, auch Juror der ersten Stunde, hatte die besondere Wanderreise auf den Mont Ventoux wohl auch in seinem Schreiben nicht unbeeinflusst gelassen, schrieb er doch 1984 „Die Lehre der Sainte Victoire“, wo er u.a. den Spuren Paul Cézannes folgte. Als der Preis 2014 zum letzten mal verliehen wurde, hatte sich zwischenzeitlich ein sensationelles literarisches internationales Netzwerk entwickelt.

Michael Krueger, Friederike Mayröcker, Offenbach 2009, © 2023 Isolde Ohlbaum / courtesy Schirmer/Mosel

Meist jedoch blieben auf Isolde Ohlbaums lebendigen Schwarz-Weiß-Fotos, die natürlich auch an anderen Orten entstanden wie etwa bei Akademietreffen in Darmstadt auf Pen-Tagungen oder am Wohnort der Autoren, die schreibenden Herrn – durchaus literarische Schwergewichte – unter sich. Selbst die einstige DDR-Poetin Sarah Kirsch musste sich ihren Petrarca-Preis auch noch mit Ernst Meister teilen. Doch schaut sie von ihrem Sessel aufrecht in die Kamera. Immerhin sehen wir auch die rumäniendeutsche zierliche Dichterin, die spätere Nobelpreisträgerin Herta Müller, zart und scheu am Rande sitzend neben dem amüsant-ironisch fabulierlustigen Péter Esterházy oder die „verwunschene Person“ Ilse Aichinger, geplagt von ihren Kopfschmerzen. Ihr sei Michael Krüger vor allem der Stimme wegen verfallen.

Ob er den poetischen Zauber von Friederike Mayröckers Lyrik wahrnimmt, sei dahingestellt. Er sieht sie eher als Vielschreiberin, die er nach dem Tod von Ernst Jandl meint trösten zu müssen. „Du lebst ja sicher länger als ich, da hast du bis zu Deinem Ende meine Bücher um dich. Stimmt.“

Hinreißend wiederum ein Bild vom jungen Wim Wenders, auf dessen Schoß 1977 voller Unschuld Lisa Kreuzer sitzt und der verwegene Krüger daneben. Immerhin war die Filmszene in München ebenso lebendig und für Krüger präsent wie die literarische. Sein Kommentar zu der Schauspielerin Kreuzer klingt jedoch eher lakonisch entzaubernd, wenn er an die mediale Gegenwart denkt: „Ich bewundere sie gelegentlich als resolute Großmutter im Bozen-Krimi“. 

Die Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Rahel Salamander, die 1982 in München die erste Fachbuchhandlung für Literatur zum Judentum gründete, hält im strömenden Regen bei der Beerdigung von Hermann Lenz schützend den Schirm über den Grabredner Michael Krüger. Pure Lebensfreude hingegen strahlt die stets fidele, gutgelaunte deutsch-italienischen Verlegerin Inge Feltrinelli in der heiteren Piemontesischen Landschaft aus.

Der Hanser-Verlag wuchs und gedieh unter Michael Krügers Pflege der illustren Autorenschar. Tatsächlich könnte man zu jedem der abgebildeten Autoren eine eigene kleine Geschichte schreiben, egal ob zu Elias Canetti, Hans Magnus Enzensberger, Philip Roth, Orhan Pamuk, David Grossmann, Martin Mosebach, Zbigniew Herbert, um nur einige herauszugreifen. Isolde Ohlbaum war mit etlichen vertraut. Bei ihr habe „die Literatur ein Gesicht erhalten“, schreibt Michael Krüger in seinem Vorwort.

Michael Krüger, Wim Wenders, Lisa Kreuzer, München 1977, © 2023 Isolde Ohlbaum / courtesy Schirmer/Mosel

Und wer ist der verdeckte Mann auf dem Buchcover, der „Mann, der Rosen schneidet“, dem Michel Krüger geschickt die Leiter hält und die geschnittenen Rosen in Empfang nimmt? Es handelt sich wohl um den immens erfolgreichen, unter Intellektuellen nicht immer so angesehenen Schriftsteller der „Maghrebischen Geschichten“ Gregor von Rezzori, weil er vorzugsweise von den Schönen, Reichen und Glücklichen erzählte. Hier sehen wir den von Krüger geschätzten Menschen und Autor aus der Bukowina in seiner toskanischen Villa Santa Maddalena.  Wie auch in anderen Fällen war hier der Autorenvermittler Krüger, der den Erfolg nicht scheute, nicht von seinem Privatleben zu trennen.

Voller Wehmut schaut Michael Krüger, vielleicht auch der geneigte Leser oder die geneigte Leserin, jedenfalls auf die sprechenden Porträts der deutschsprachigen und internationalen Autoren zurück, die das intellektuelle Klima der zweiten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts prägten. Etliche von ihnen leben nicht mehr. Die „Schriftstellergesichtsforscherin“  Isolde Ohlbaum – so nennt Krüger sie – schenkt ihnen mit ihren Bildern im natürlichen Umfeld so eine Art zweites Leben. Auf den Fotos sehen wir sie immer in Bewegung, auf Achse und ständig ins Gespräch vertieft.

Und der sorgfältig gestaltete Bildband des Münchner Verlags Schirmer & Mosel spricht vor allem vom reichen Leben eines engagierten Autors und Literaturliebhabers, der uns an seinen Schätzen zu seinem 80. Geburtstag teilhaben lässt. Dazu können wir Michael Krüger nur beglückwünschen, zumal er gesundheitlich offensichtlich eine Hürde überwunden und auch eine echte Renaissance als Autor und als lebender Mensch erlebt hat.

Santé alors für die kommenden produktiven Jahre! Und möge er von nun an seine langjährige „Zivilisierin“ Ariane von Wedel beschützen und beschirmen, wie es das Abschlussbild verheißt!

Isolde Ohlbaum/Michael Krüger
Männer, die Rosen schneiden
und andere Literaturgeschichten
zu Fotografien. Dichterportraits
in Bildern und Texten

256 Seiten, 140 Abbildungen
ISBN 978-3-8296-0984-5
Schirmer Mosel Verlag
€ 39,80,- €(Ö) 41,- CHF 45,80

 

Michael Krüger, geb. 1943 in Wittgendorf/Sachsen-Anhalt, ist Schriftsteller, Dichter und Übersetzer und war Lektor und Verleger. Nach der Ausbildung in einer Verlagsbuchhandlung war er Buchhändler in London, später Lektor, literarischer Leiter und 1995 – 2013 Geschäftsführer des Hanser Verlags. Er publiziert seit 1984 eigene Prosa und Gedichte, 2022 erschien bei Schirmer/Mosel Michael Krüger über Gemälde von Giovanni Segantini. 

Isolde Ohlbaum, geb. in Moosburg an der Isar, besuchte von 1970 bis 72 die Bayerische Staatslehranstalt für Photographie. Nach ersten Arbeiten im Fotojournalismus entdeckte sie ihre Liebe zum Portrait, speziell zum Literatenportrait. Sie ist für Verlage, Zeitungen und Zeitschriften tätig und hat zahlreiche Fotobänder veröffentlicht und ihre Bilder wurden in vielen Ausstellungen gezeigt. Bei Schirmer/Mosel erschienen 2008 die Bände „Bilder des literarischen Lebens. Photographien aus vier Jahrzehnten“ und 2011 „Der Mensch möchte Fisch sein und Vogel. Haus Tier Mensch“ . 

 

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