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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gerhard Haderer – Superstar der Komischen Kunst – im Caricatura Museum

Virtuoser Chronist des alltäglichen Wahnsinns

Von Hans-Bernd Heier

Das Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst präsentiert in seiner neuen Ausstellung einen der bedeutendsten satirischen Zeichner im deutschsprachigen Raum: Gerhard Haderer. Der Superstar aus Österreich erreichte 25 Jahre lang mit seinen wöchentlichen Zeichnungen für den stern ein Millionenpublikum. Im Mittelpunkt der rasanten Schau stehen Haderers höchst beeindruckende Ölgemälde, die zwischen fotorealistischer Perfektion und karikaturesker Überspitzung seine exzeptionelle Position auch in der Komischen Malerei unter Beweis stellen. Insgesamt sind bis zum 17. September 2023 knapp 200 Exponate zu sehen.

„Urlaubsgrüße aus Lampedusa“, 2014, Ölgemälde; © Gerhard Haderer

Gleich zu Ausstellungsbeginn heißt das großformatige Ölgemälde „Urlaubsgrüße aus Lampedusa“ die Besucherinnen und Besucher willkommen – ein Highlight der Schau. Wie Harderer erklärt, hätte das 250 mal 180 Zentimeter große Bild keinen Zentimeter größer sein dürfen, weil es sonst nicht durch die Türen seiner Wohnung im österreichischen Linz gepasst hätte. Auch die weiteren fünf Großformate sowie die 20 kleinformatigen Gemälde bestechen durch Passgenauigkeit und durch ihre künstlerische und handwerkliche Fertigkeit. Aufgrund der im altmeisterlichen Hell-Dunkel-Stil gefertigten Werke hat Museumsleiter Achim Frenz Haderer als „Caravaggio der komischen Kunst“ bezeichnet. Dabei liege, wie Frenz erläutert, die Betonung auf meisterlich.

Gerhard Haderer im Caricatura Museum neben dem Gemälde „Überraschung“, 2020; © Gerhard Haderer; Foto: Hans-Bernd Heier

Haderer ist Perfektionist und arbeitet äußerst diszipliniert. Seine Werke entstehen in seinen Ateliers in Linz und in seinem Ferienhaus am Attersee. Auf Skizzen folgt eine erste Zeichnung, dann die Ausarbeitung mit Buntstiften oder Ölfarbe in einer gekonnt eingesetzten Mischung aus zarten und kräftigen Strichen. „Nie vernichtend, sondern geradezu liebevoll und mit größter Genauigkeit nähert er sich seinen Szenerien, sucht die Zwischentöne in den großen Themen“, sagt Frenz. Das erfordert Zeit. Im Schnitt benötigt er 10 bis 12 Stunden bis zum fertigen Werk, für seine großformatigen Ölgemälde benötigt er gut drei Monate.

Seine Erfahrungen als früherer Werbegrafiker schlagen sich in der fotorealistischen Ästhetik seiner Arbeiten nieder. „Gekonnt weiß er die Sehgewohnheiten der Betrachtenden zu bedienen, zum Hinschauen zu verführen. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich ihnen der hintersinnige Humor, der die trügerische Idylle als Fassade des Grauens und des alltäglichen Wahnsinns durchbricht“, so Frenz weiter.

„Messias im Vatikan“, 2014; © Gerhard Haderer

Natürlich ist in der sehenswerten Werkschau im nach Frenz „schönsten Museum“ – und wie der Künstler brav ergänzt– „bedeutendsten Museum für Karikatur“ auch eine einleuchtende Auswahl an Cartoons und Karikaturen zu genießen. Verschiedene Arbeitsskizzen sowie eine Medienstation, die den Entstehungsprozess ausgewählter Zeichnungen zeigt, geben Einblicke in seine Arbeitsweise.

Haderers Werke kommentieren mit ihrem hintersinnigen Witz gesellschaftliche und politische Missverhältnisse. Die Bandbreite seiner Themen reicht von Religion, soziale Ungerechtigkeit über Migration und Klimawandel bis hin zu Bürokratiewahnsinn, Tourismus, Sportskandale und vieles mehr. Da die Arbeiten chronologisch präsentiert werden, gleicht der Ausstellungsrundgang einer Zeitreise durch die jüngere Vergangenheit mit all ihren Höhepunkten, Widrigkeiten und Skandalen.

„Der Amtsweg“, 2020; © Gerhard Haderer

Haderers Arbeiten fordern heraus, sie provozieren – insbesondere diejenigen, die sich von den Karikaturen ertappt fühlen. Das zeigen viele öffentliche und teils heftige Reaktionen auf seine Werke. Sein Bestseller-Comic „Das Leben des Jesu“ zog internationale Proteste seitens der Kirche und der Politik nach sich und gipfelte in Anzeigen in Österreich und der Tschechischen Republik. In Griechenland wurde er in Abwesenheit wegen Blasphemie 2005 sogar zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, in einer Berufungsverhandlung jedoch wieder freigesprochen.

Zusammen mit der Initiative „Courage – Mut zur Menschlichkeit“ sorgte der vielfach ausgezeichnete Künstler zuletzt im März 2021 für internationale Aufmerksamkeit: Als Protest gegen die Migrationspolitik der damaligen österreichischen Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz zierte der Cartoon des „Herzlosen Kanzlers“ ein 230 Quadratmeter großes Riesen-Plakat an einem der meist frequentierten Verkehrsknotenpunkte in Wien. Dieser Cartoon zeigt den in fotorealistischer Perfektion abgebildeten Kanzler  mit einem tiefen Loch an der Stelle, wo üblicherweise das Herz seinen Sitz hat. Der Bildtitel lautete: „Flüchtlingskinder auf Lesbos werden von Ratten angeknabbert? Ach was!“.

„Selfie-Stick“, 2020; © Gerhard Haderer

Haderers Credo lautet: sich einmischen, aufmischen und bloßstellen: „Es wäre schön, die Mächtigen mit dem Bleistift in Grund und Boden zeichnen zu können.“ Seine „Rebellion auf dem Papier“ ist gerade in Zeiten der großen Krisen wichtiger denn je. Der 71-jährige ist speziell am Verhalten der Menschen interessiert. Besonders beeindruckt war er vom Verhalten der Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Jetzt ist sie leider weg“.

Biographisches

Gerhard Haderer wurde am 29. Mai 1951 im österreichischen Leonding in der Nähe von Linz geboren. Schon als Kind war für ihn das Zeichnen die unmittelbarste Sprache, um mit seinem Umfeld zu kommunizieren. Seine Eltern förderten sein Talent und ermöglichten ihm eine Ausbildung zum Grafiker an der Linzer Fachschule für Gebrauchs- und Werbegrafik. Kurzzeitig arbeitete er als Dekorateur bei Quelle und ab 1974 sehr erfolgreich als freier Grafiker und Illustrator für verschiedene Werbeagenturen.

Insbesondere seine fotorealistischen Arbeiten in allen Bereichen der Werbeillustrationen waren auch bei großen Unternehmen und Marken schnell gefragt. Obwohl wirtschaftlich erfolgreich, haderte der Künstler immer mehr mit der vermeintlich heilen und strahlenden Werbewelt. Mit 30 Jahren entschied er sich schließlich für einen radikalen Neuanfang. Er kündigte seine Dienste in der Werbebranche und zog mit Frau und Kindern nach Linz, wo er bis heute lebt. Fortan widmet er sich der Komischen Kunst.

„Stereo Laubbläser“ © Gerhard Haderer

Bereits 1984 erschien Haderers erste Karikatur auf dem Cover der Salzburger Satirezeitschrift Watzmann. Dadurch wurde die Chefredaktion des österreichischen Nachrichtenmagazins profil auf den Zeichner aufmerksam. Bis 2009 zeichnete er regelmäßig für das Magazin. Einem Millionenpublikum wurde er durch seine Kolumne „Haderers Wochenschau“ im stern bekannt, die er von 1991 bis 2016 zeichnete. Des Weiteren arbeitete er für den Wiener, für die deutschen Zeitschriften Titanic, GEO und trend sowie zuletzt für die Oberösterreichischen Nachrichten und seit 2017 für das österreichische Nachrichtenmagazin news.

Neben diesen Tätigkeiten suchte Haderer weiter nach neuen künstlerischen Herausforderungen und Ausdrucksformen. So erschien 1991 sein erstes Kinderbuch „Das große Buch vom kleinen Oliver“, dem weitere folgen sollten. Für die Wiener Kabarett-Gruppe maschek entwarf er 2006 erstmals Handpuppen für ihre als Kasperltheater inszenierten Stücke. 2014 brachte er seinen Bestseller „Der Herr Novak“ auf die Bühne.

Von 1997 bis 2000 erschien erstmals Haderers eigenes Comic-Format mit dem lautmalerischen Titel „MOFF“, das er 2008 gemeinsam mit seinem Sohn und dessen Frau wiederbelebte. In „MOFF“ konzentriert sich der Karikaturist im Gegensatz zu seinen detailreichen Arbeiten auf schnelle Schwarz-Weiß-Comic-Strips im Kleinstformat.

2017 gründete Haderer die „Schule des Ungehorsams“ in Linz mit dem Ziel, durch alle gesellschaftlichen Schichten einen kritischen Diskurs zu etablieren.

Seine exzellente Frankfurter Ausstellung in Frankfurt – mit dem schlichten Titel „Gerhard Haderer“ – ist bis zum 17. September 2023 im dortigen Caricatura Museum zu sehen; sie wird von der Dr. Marschner Stiftung (Frankfurt) unterstützt.

Die Dauerausstellung mit Werken der „Neuen Frankfurter Schule“ wird im selben Haus in regelmäßigen Abständen gewechselt. Seit dem 6. April 2023 ist die neue Hängung im 1. Obergeschoss des Museums am Weckmarkt zu sehen .

Weitere Informationen unter: www.caricatura-museum.de

Alle Fotos, soweit nicht anders gekennzeichnet: Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst

 

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