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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Verlängerung der Ausstellung „Hans Leistikow (1892-1962) – Zurück in die Moderne“

Vergessen und Verkannt? Zu Unrecht.

Von Petra Kammann

Gemeinsam mit dem einstigen Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann gab der Grafiker Hans Leistikow den neuen Formen des Bauens, Wohnens, Miteinanderlebens in den 20er Jahren Frankfurt Gesicht und Gestalt. Unter Stadtbaurat Ernst May erarbeitete er als Stadtgrafiker das moderne, das „Neue Frankfurt“ und relaunchte den Adler im Stil der Neuen Sachlichkeit als Stadtwappen. Aus dieser Zeit ist er den meisten im Bewusstsein. Nicht aber, dass er auch Künstler, Bühnenbilder, Autor und vor allem Gestalter von Kirchenfenstern war wie von denen des kriegszerstörten Frankfurter Kaiserdoms. Ebensowenig, dass Leistikow den zerstörten Innenraum der Westend-Synagoge neu gestaltet hat. Eine umfassende Schau im Dommuseum macht das Leben und Werk dieses multitalentierten Künstlers anschaulich. Sie wird nun um zwei Wochen bis zum 29. Januar verlängert.

Hans Leistikow um 1950,  fotografiert von Paul Rötger, Institut für Stadtgeschichte /Dommuseum

Vor seinem gestalterischen Zugriff war kaum etwas sicher. Seine Handschrift hingegen ist immer wieder erkennbar. Etliche der Raumgestaltungen, Ölgemälde oder auch Reliefs aus seiner frühen künstlerischen Phase sind verloren gegangen und damit auch nicht mehr greifbar. Und so muss es eine gewaltige Anstrengung gewesen sein, das im Dommuseum zu sehende Material zusammenzutragen, welches uns viele Jahre später ein Bild vermittelt von Hans Leistikows Ausstellungen, Gemälden, Buchumschlägen, Plakaten, Zeitschriften Tapeten, Lampen und Teppichen.

Die von Hans und Grete Leistikow gestaltete Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“  verbreitete die Ideen , Foto: Petra Kammann 

Zahlreiche, aus dem künstlerischen Nachlass aus öffentlichen und privaten Sammlungen zusammengetragene Arbeiten belegen die enorme Vielfalt von Leistikows Schaffen und seiner vielseitigen Produktivität. In der Schau wird Leistikow als Grafiker und Designer ebenso wie als Illustrator und Lehrer an der Kasseler Werkakademie in der Nachkriegszeit präsentiert. Seine Anfänge in Breslau als Mitarbeiter von Hans Poelzig und Ernst May, dann in Frankfurt, wo die Geschwister Hans und Grete Leistikow von 1925 bis 1930 die Publikation „Das Neue Frankfurt“ gestalteten, sie vor allem als Fotografin, er, der auch das grafische Büro der Stadt leitete, den grafischen Auftritt.

Selbst Kostüm-Entwürfe für die Bühne reizten das Multi-Talent, Foto: Petra Kammann

Wir erleben Leistikows Aufbruch in die Sowjetunion, seine Zusammenarbeit mit dem russischen Künstler El Lissitzky, dann als Grafiker und Künstler, nach seiner Rückkehr aus der Stalin-Diktatur und die in Berlin erlebte Kriegszeit, dann in den 40er/50er Jahren die Wiederaufbauarbeit in Frankfurt unter finanzknappen Bedingungen, verbunden mit seiner kollegialen Zusammenarbeit mit den Architekten Alois Giefer und Hermann Mäckler, schließlich die abstrakten Kompositionen seiner Glasfenster und seine Arbeit als Hochschullehrer in Kassel und Darmstadt.

Das Alphabet gliedert die Welt, für Kinder und Erwachsene ebenso: ABC. Die Katze lief im Schnee“ 

Leistikow reizte die Gestaltung verschiedenster Genres und Formate, gleich ob Mosaiken, Tapetenbücher, Leuchtreklame, Wandmosaike, Buchumschläge, Bühnenbilder, Kostüm-Entwürfe (im Stil) des triadischen Balletts, abstrakte Gemälde und Aquarelle, auch Phantastisches. Wir sehen Buchillustrationen, so die Walfischlegende zum oft und wiedergelesenen „Moby Dick“, Bücher mit Katzen und Hühnern für Kinder wie für Erwachsene.

Er schuf Schabeblätter mit Schiffsmotiven, aquarellierte Meeresmotive, setzte Gedichte und religiöse Texte in Collagen um. Schiffe, Fische und die Luftfahrt beflügelten Leistikows Phantasie. Seine vielfältige Arbeit ist so spannend und voller Brüche wie sein Leben. Weniger bekannt als das Gestalten der neuen Sachlichkeit aber ist das Spätwerk Leistikows, darunter die Glasfenster des wiederaufgebauten Doms. Zu Unrecht.

Blick in die Ausstellung mit der Kuratorin Rosemarie Wesp, Blick auf Entwürfe für Kirchenfenster in Kassel, Foto: Petra Kammann

Auf den Glaskünstler, als der Leistikow vor allem in den 1950er-Jahren in Erscheinung trat, richtet die Schau im Dommuseum ein besonderes Augenmerk. Neben der Gestaltung der Kirchenfenster im Frankfurter Kaiserdom zählen auch die Fenster in Offenbach (Bundesmonopolverwaltung), in Kassel (Martinskirche, Adventskirche), im Frankfurter Osten (Allerheiligen) und im Gallusviertel (Maria Hilf). 

Man muss sich immer wieder die unmittelbare Nachkriegssituation vor Augen führen, wie zerstört die Altstadt war. Viele Menschen hatten ihre Bleibe verloren, sie hatten Hunger und froren.  Zwar waren die Umrisse des einst prächtigen Kaiserdoms noch stehengeblieben. Aber es gab keine Fenster und kein Dach mehr. Es regnete und schneite hinein und zerstörte das wenig Übriggebliebene. So sollte zunächst vor allem die äußere Gestalt erhalten werden. Entsprechend knapp waren die Mittel. An prächtige Fenster war damals auch gar nicht zu denken.

1945, nach den Bombenangriffen im März 1944 –  der Frankfurter Dom in der zerstörten Altstadt

Bescheiden sollte der Neuanfang werden. Und doch entstand vor nunmehr 70 Jahren das größte erhaltene Glas-Kunstwerk: die von Leistikow gestalteten Domfenster aus Industrieglas, die der Künstler im Auftrag des Architektenduos Hermann Mäckler und Alois Giefer schuf. Abgesehen von der beeindruckenden Größe und Höhe sind die Fenster virtuos abstrakt und geometrisch komponiert und zudem ein einzigartiges Zeugnis für den kreativen Umgang mit den bescheidenen und spärlichsten Mitteln der Nachkriegszeit. Außerdem sind sie der letzte erhaltene Rest der Ausstattung des Doms der frühen 1950er Jahre, der in den 1990er Jahre eine zweite wesentlich farbigere Renovierung erhielt.

Die zarten Farben für die Glasfenster von Hans Leistikow im Frankfurter Dom wurden vorgebenen, Er variierte sie auf unnachahmliche Weise, Foto: Petra Kammann

1946 nach der Zerstörung – Aufräumarbeiten im Inneren des Doms

Wir sehen in den Kirchenfenstern nicht mehr – wie zuvor üblich – Figuren der biblischen Geschichten. Vielmehr bestimmen Quadrate, Dreiecke und Rauten die Aufteilung der Fenster: Doch sind diese nicht exakt mit dem Lineal gezogen, sondern frei aus der Hand heraus souverän komponiert. Unauffällig variieren darin die Formen und zarten Farben des damals verwendeten kostengünstigen Industrieglases. Sie geben dem Spiel des einfallenden Lichtes Raum. Ob Gerhard Richter sie kannte, als er Glasfenster für den Kölner Dom schuf?

Das eingezeichnete Vaterunser tritt an die Stelle der Figuren im nördlichen Seitenschifffenster des Kaiserdoms. Hier wurde Anrikglas verwendet, Foto: Petra Kammann

Zu entdecken ist auch in einem Teil des Dommuseums, im Kreuzgang von St. Bartholomäus, eine Serie von großformatigen Fotografien unter dem Titel: „Regenerating Permanence“, welche die US-amerikanische Künstlerin Laura J. Padgett zwischen 2019 und 2021 auf den Spuren Leistikows in der Frankfurter Westendsynagoge aufgenommen hat. Auch sie vermitteln in Details die große Könnerschaft Leistikows wie die der Künstlerin Padgett.

Im Kreuzgang des Doms sind die Fotos von Laura J. Padgett ausgestellt, die ausschnitthaft den Innenraum der Westend-Synagoge zeigen, Foto: Petra Kammann

Diese Fotoarbeiten vergegenwärtigen darüberhinaus die in das Gebäude eingeschriebene Geschichte: Die 1910 eröffnete und eingeweihte Jugendstil-Synagoge erlebte ihre Zerstörung in der Pogromnacht 1938, es folgte der Wiederaufbau und die Rekonstruktion nach dem Krieg. Die Architekten des Wiederaufbaus wurden Werner Hebebrand und Max Kemper, während die Bauleitung bei Hans Leistikow lag, der die Fenster der Synagoge, das Mosaik der Ostwand und die Ausmalung der Kuppel entwarf, so dass die Synagoge 1950 eingeweiht werden konnte.

In den Fenstern spielen die Töne Grau und Graublau die Hauptrolle, die der archarisch golden schimmernden Kuppel gegenüberstehen.

Blick in die von Leistikow gestaltete Kuppel der Westend-Synygoge, Foto: Petra Kammann

Die Ausstellung kann man als gelungen und längst überfällig bezeichnen, weil sie zudem ein Netzwerk kreativ zusammenarbeitender Menschen in bestimmten Phasen aufzeigt, die bewiesen haben, dass auch durch noch so widrige Umstände ein gewisser Zusammenhalt nicht aus der Welt zu schaffen ist.

Verlängerung der Ausstellung bis zum 29. Januar, Ausstellungsplakat © Dommuseum Frankfurt, Gestaltung: Claudia Leffringhausen

Das Dommuseum Frankfurt
Domplatz 3
60311 Frankfurt am Main
T 069. 8008718-290
www.dommuseum-frankfurt.de

Die Öffnungszeiten

Dienstag von 10 bis 17 Uhr
Mittwoch von 10 bis 19 Uhr
Donnerstag und Freitag von 10 bis 17 Uhr
Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr.

Führungen
jeweils mittwochs um 17.30 Uhr und sonntags um 14 Uhr.
im Eintritt von 6 Euro, ermäßigt 4 Euro, inbegriffen und ohne  Anmeldung.

Als Teil der Ausstellung zeigt das Dommuseum eine Auswahl aus der fotografischen Serie „Regenerating Permanence“ der Künstlerin Laura J. Padgett, die sich zwischen 2019 und 2021 auf die Spuren Leistikows in der Westend-Synagoge begab.

 

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