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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die foto-künstlerische Serie „Regenerating Permanence“ von Laura J. Padgett

DURCH-BLICKE, PASSAGEN UND ZEITSCHICHTEN

Architektur und Erzählung, Sprache und Bild, Geschichte und Zeitgeschehen

Von Petra Kammann

Die amerikanische, seit vielen Jahren in Frankfurt lebende und arbeitende Künstlerin Laura J. Padgett stellt ihre künstlerischen Foto-Arbeiten „Regenerating Permanence“ bis zum 26. Februar 2022 in der Galerie-Peter-Sillem aus. Ihre Fotografien entstanden im Laufe des Jahres 2021 in der Frankfurter Westend-Synagoge an der Freiherr-vom-Stein-Straße und in der New Yorker Eldridge Street Synagogue mitten in China Town, bis heute ein Ankerpunkt für osteuropäisch, aschkenasische Juden.

Schaufenster der Galerie-Peter-Sillem in der Dreieichstraße; Foto: Petra Kammann

Schlendert man in der Dreieichstraße entlang der Schaufenster der Galerie von Peter Sillem, so fällt der Blick gleich auf eine Szenerie mit einem wehenden Vorhang vor einem Gebäude, gestreift von den gewellten und getreppten Schatten eines Gerüsts, die in das Dunkel eines Gebäudes führen, durch das nur ein Stück roter Teppich blitzt. Was mag sich Geheimnisvolles hinter dieser Szene verbergen? Neugierig geworden, betritt man die Galerie.

Reinterpreting the Temple“ heißt das mehr als anderthalbmeter hohe ungerahmte, matt und brillant auf Hahnemühle-Papier abgezogene Foto, das sich leicht von der weißen Wand abhebt und unter dem ein Hauch von Atem zu schwingen scheint. Ist der Titel des Bildes als Neuinterpretation des „Tempels“ zu verstehen, also des Heiligtums, das 586 v. Chr. von den Babyloniern zerstört wurde und damit zum zentralen Ort der Kommunikation zwischen Gott und dem Volke Israels, so dass die Juden ihn als transportables Zelt durch die Wüste trugen?

Laura J. Padgett vor „Reinterpreting the Temple“ in der Galerie, Foto Petra Kammann

Erinnert der Vorhang daran? Oder denkt man eher an einen Gebetsschal oder wegen der kannelierten stabilen Säule aus sandfarbenem Muschelkalkstein gar an Wüstensand? Ein Gespräch mit der in der Galerie anwesenden Künstlerin Laura J. Padgett gibt Aufschluss. Es handele sich um einen Vorhang, der anlässlich des traditionellen Laubhüttenfestes (Sukkot) von der jüdischen Gemeinde provisorisch aufgespannt wird und während der Festzeit als Zelt geschlossen werden kann, denn das Wohnen in Laubhütten war einst vorgeschrieben, weil die Gemeindemitglieder dabei an den Auszug aus Ägypten und die damit verbundene Wüstenwanderung erinnert werden.

Der mit dem Objektiv auch aufgenommene Zugnippel eines Reißverschlusses gibt Auskunft über das veränderbar Provisorische dieser Abgrenzung. Eine solch subtile Wahrnehmung festzuhalten, liegt wohl eher im Interesse der Künstlerin Padgett, als Menschengruppen während des Laubhüttenfestes zu fotografieren und ihnen damit ein Stück Intimität zu nehmen. Ihr Blick ist vielmehr diskret und richtet sich auf die Spuren, die Menschen in den Gebäuden hinterlassen (haben), und die sie durch ihre Arbeit wiederbeleben möchte: „Regenerating Permanence“ nennt sie diesen Vorgang, den sie auch als Titel für die Ausstellung gewählt hat. Es bedeutet wohl soviel wie Resilienz gegenüber dem Verschwinden des im Kern Unzerstörbaren, das nach zerstörerischen Eingriffen eben „nur“ wieder neu zusammengesetzt und aufgefrischt werden muss.

Laura J. Padgett, Before the Sanctuary, 2021. Archival Pigment Print, 64,67 cm x 96 cm, edition of 3 + 1 AP

So hat Padgett sich im Jahr 2021 über einen langen Zeitraum mit der ungewöhnlichen Architektur der Westend-Synagoge in den verschiedenen Phasen und mit den darin stattgefunden Veränderungen auseinandergesetzt, nicht zuletzt durch intensive Lektüre. Die prächtige Frankfurter Westend-Synagoge, 1910 mit zahlreichen Jugendstil-Elementen vom Architektenbüro Graf und Roeckle im assyrisch-ägyptischen Stil eröffnet, mit einer prächtigen 3-manualigen Orgel von E.F. Walcker aus Ludwigsburg ausgestattet, war die jüngste und einzige, von denen noch etwas übriggeblieben war von insgesamt vier Frankfurter Synagogen – die drei anderen wurden bei den Novemberpogromen 1938 komplett zerstört.

Laura J. Padgett, Above and Within Ordinary Material Experience, 2021. Archival Pigment Print, 96 cm x 64,67 cm, edition of 3 + 1 AP

Die Westend-Synagoge hingegen war zwar zum großen Teil ausgebrannt, diente während des Zweiten Weltkrieges aber als Möbellager für bombengeschädigte Frankfurter Bürger sowie als Kulissenlager für die Oper Frankfurt. 1944 war sie zusätzlich durch Bomben getroffen worden, die erheblichen weiteren Schaden anrichteten, blieb aber in den äußeren Festen bestehen.

In den 1950er Jahren wurde sie wiederaufgebaut, allerdings sehr viel nüchterner als die ursprüngliche Synagoge, mit neu entworfenen Fenstern und unter der Bauleitung von Hans Leistikow, der unter dem berühmten Stadtbaurat Ernst May aus den 20er und beginnenden 30er Jahren der Gestalter des „Neuen Frankfurt“ war. Etliche Renovierungsmaßnahmen mussten nach Kriegsende der schwer zerstörten Stadt provisorisch bleiben, da es an Geld fehlte.

Ende der 1980er Jahre bis in die frühen 90er Jahre wurde dann das Gesamtensemble nach Plänen des Architekten Henryk Isenburg noch einmal prächtiger teil-rekonstruiert. Diese Zeitschichten macht Padgett in ihren Fotoarbeiten ausschnitthaft sichtbar. So entdeckt man auf ihren Detail-Fotos ständig neue Durchblicke, Spiegelungen, Verschachtelungen von Räumen und Stoffen, optische Überlagerungen, Palimpseste und Trompe l’œuils.

Laura J. Padgett, Opulence and Austerity, 2021. Archival Pigment Print, 96 cm x 64,67 cm, edition of 3 + 1 AP

Wer die Westend-Synagoge von innen kennt, weiß, wie groß allein der Raum ist, in dem 1000 Menschen Platz für religiöse und andere Versammlungen finden können. Außerdem ist das architektonische Monument der Synagoge vom Stuttgarter Architekturbüro Graf und Roeckle streng symmetrisch angelegt. Ganz anders die Fotos von Laura J. Padgett, die auf jegliche Zentralperspektive verzichten.

Sie nimmt mit ihrer Kamera stattdessen ganz subjektiv und atmosphärisch Details unter die Lupe, nimmt Öffnungen und Durchbrüche wahr, Ornamente, die auf andere Ornamente und Symbole zurückverweisen, verfolgt Spuren, so wie die des Dreiecks, das Hans Leistikow  als gestalterisches Basiselement verwendet, sei es in den Glasfenstern, im Falle des Davidsterns oder bei der neuen Ostwandgestaltung,  immer wieder aufgegriffen und weitergeführt hat. Und trotz aller Ausschnitthaftigkeit ihres subjektiv-genauen Blicks wirken Padgetts Ansichten immer monumental und gleichzeitig transparent. Auf ihren menschenleeren Fotos weitet sie den Betrachterblick auf andere Weise.

Wie kam sie überhaupt dazu, in der Synagoge zu fotografieren, will ich wissen, gehört sie doch gar nicht zur jüdischen Gemeinde. Eigentlich habe Hans Leistikow den Ausschlag gegeben, auf dessen Spuren sie sich befunden habe. Ursprünglich habe sie nur dessen Verglasungen in der Westendsynagoge für eine Ausstellung im Dommuseum fotografieren wollen, die wegen der Pandemie auf das Frühjahr diesen Jahres verschoben werden musste. Und dann sei sie durch intensive Recherche immer tiefer in das Thema der Spurensuche der Geschichte der Synagoge eingedrungen.

Laura J. Padgett, A Congregation of Souls, 2021. Archival Pigment Print, 96 cm x 64,67 cm, edition of 3 + 1 AP

Die Amerikanerin Padgett hatte, bevor sie von 1983 bis 1985 bei Peter Kubelka und Herbert Schwöbel an der Städelschule Fotografie und Film studierte und ihren M.A. an der Goethe-Universität machte, zuvor in den USA in New York am Pratt Institute in Brooklyn Malerei studiert und fühlt sich bis heute nach New York hingezogen. So ging sie, gewissermaßen, um eine Referenz zu haben, auch dort auf Spurensuche und traf in der Lower East Side auf die 1887 eröffnete reich ausgeschmückte Synagoge in China Town in der Edridge Street, die nach einer jahrelangen umfänglichen Restaurierung bis heute Anlaufstelle osteuropäischer Juden ist.

Padgett war beeindruckt vom Selbstbewusstsein und der fast barocken Pracht dieser Synagoge, deren Gemeinde für eine grundlegende Renovierung Anfang der 2000er Jahre viele Jahre Geld gesammelt hatte. „Man fühlt sich darin so geborgen wie zu Hause“, sagt sie. Dort zwischen den Hochhäusern mit ihren Außentreppen mitten in China Town und den asiatischen Emigranten muss sich die Synagoge auf andere Weise behaupten. Da schimmert zum Beispiel die Außenwelt mit ihren angedeuteten Feuerleitertreppen geheimnisvoll durch das fast romanisch wirkende Glasfenster, während die geschlossene Innenausgestaltung einheitlich wirkt. Auch diese Synagoge war ursprünglich von deutschen Architekten, von den Brüder Peter und Francis William Herter, erbaut worden, hier allerdings im neo-maurischen Stil. Nicht zuletzt die vergleichbare Größe verbindet sie mit der Synagoge im Frankfurter Westend.

Fotos der New Yorker Synagoge von Laura J. Padgett in der Nische; Foto: Petra Kammann

Hinzu aber kommt das besondere Licht, das Padgett einfängt und auf besondere Ausschnitte wirft, um bei aller Verschiedenheit die Verwandtschaft der beiden Gotteshäuser sichtbar zu machen.

Info

Laura J. Padgett (geb. 1958 in Cambridge, USA) erhielt ihren Bachelor of Fine Arts in Malerei am Pratt Institute in Brooklyn, New York. Zwischen 1983 und 1985 setzte sie ihr Studium in Film und Fotografie bei Peter Kubelka und Herbert Schwöbel an der Städelschule fort und erhielt 1994 ihren Magister Artium in Kunstgeschichte und Ästhetik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit den 1990er Jahren stellt Laura J. Padgett aus, ihre Werke und Filme wurden u.a. in der Galleria d’Arte Moderna, Bologna, im Fotomuseum Winterthur, im Städel Museum, Frankfurt, im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, am Centre Georges Pompidou, Paris, im Pharos Centre for Contemporary Art, Nicosia, und im Museum Giersch, Frankfurt am Main, gezeigt.

Neben ihren Ausstellungsaktivitäten schreibt Laura J. Padgett regelmäßig über Film, Kunst und ästhetische Theorie. Seit 1990 lehrte sie an verschiedenen Universitäten, darunter die Bauhaus- Universität in Weimar, die Hochschule für Gestaltung in Offenbach, die Universität Paderborn, die German Jordanian University in Amman und die J. W. Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Ihre Arbeiten befinden sich in verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen, darunter das Städel Museum, Grafiksammlung, Frankfurt am Main, Huis Marseille, Museum für Fotografie, Amsterdam, Deutsche Bank Kunstsammlung, Frankfurt am Main, DZ BANK Kunstsammlung, Frankfurt am Main, Museum für Moderne Kunst, Museion, Bozen, Sir John Soane Museum, London, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, Dommuseum, Mainz, Museum Simeonstift, Trier, Museum Wiesbaden, Land Rheinland Pfalz, Land Hessen und Stadt Frankfurt. Laura Padgett lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

→ Laura J. Padgett erhält den Kunstpreis 2017 der Marielies Hess-Stiftung

→ Laura J. Padgett: somehow real

 

Galerie—Peter—Sillem
Frankensteiner Straße 1

Eingang: Dreieichstraße 2
60594 Frankfurt am Main
Telefon +49 69 61 99 55 50

www.galerie-peter-sillem.com

Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit Fotografien von Laura J. Padgett und einem Text von Dorothee Linnemann (Deutsch/Englisch). Erhältlich in der Galerie.

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