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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zum Saisonstart der Frankfurter Galerien 2022: Péter Nádas. Ein Künstler, zwei Begabungen und zwei Ausstellungen

Spuren von Licht und Schatten – „dass ich eins und doppelt bin…“

Von Petra Kammann

Sein kurz nach der Wende erschienenes großartig schonungsloses „Buch der Erinnerung“ (1991) machte den ungarischen Schriftsteller Péter Nádas bei uns schlagartig bekannt. Dabei war er auch schon damals ein mindestens ebenso bemerkenswerter Fotograf. Seine frühen diskret- anteilnehmenden Schwarz-Weiß-Fotografien sind jetzt unter dem Titel „Etwas Licht“ in der Ausstellungshalle Schulstr. 1 A zu sehen, wo Peter Sillem mit seiner Galerie derzeit zu Gast ist. Auf diesen atmosphärischen Fotos hat Nadás fast beiläufig den unspektakulären Alltag in ungarischen Dörfern, in Budapest und Berlin festgehalten. Aktuelle farbige Fotos, seine „Nachtbilder, Stilleben“, stellt Peter Sillem parallel dazu in seiner „Kerngalerie“ in der Dreieichstraße in Sachsenhausen aus. Anschauen sollte man beide Ausstellungen, sie spiegeln die zwei Seiten einer Medaille, die des Künstlers, die der Spannung zwischen  Dunkelheit und Licht sowie die der Entwicklung des fotografischen Mediums.

Péter Nádas: Önarckép rolleiflex-Szel /Selbstbildnis mit einer Rolleiflex, 1963. Silbergelatineabzug, 23,9 x 18,4 cm

Am Anfang der Ausstellung in der Schulstraße 1A begegnen wir Peter Nádas selbst in gespiegelter Form. Der konzentrierte junge Mann mit dem feingeschnittenen Gesicht schaut auf seinem Selbstbildnis in den Lichtschacht seiner zweiäugigen Rolleiflex-Kamera, die er in der Hand hält und auf den Moment des Auslösens wartet. Schon aus diesem Foto geht hervor, welche Rolle sowohl die Komposition für den Autor-Fotografen Nádas spielt und welche das differenzierte Licht, „schwarz von schwarz zu unterscheiden“, wie er es einmal formulierte, um am Ende den Kairos, den glücklichen Moment, zu erwischen, der das schon vor dem inneren Auge Gesehene dann auf den Film bannt. Wie ein Bild als Symbiose aus Hell und Dunkel entsteht, so auch die Ganzheit des menschlichen Gesichts als Zusammenspiel zweier ungleicher Gesichtshälften.

Fotografie von Péter Nadás, „Am Kirmes“, Silbergelatineabzug 2000, Edition AP/10 + 2AP

In der Schulstraße hängen nun seltene Vintage-Abzüge der in gleicher Größe gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos. Das verleiht den Bildern die Komponente des Seriellen, so, als hätte eine ganze Epoche lang in den Jahren durch das gewaltsame Ende des Prager Frühlings bedingten traumatischen Stillstands, das östliche Europa das bis zur Wende 1989 erstarrte Land, durch die gleichförmigen Rahmen einen inneren Zusammenhalt bekommen. Entstanden waren die hier ausgestellten Fotografien vor allem in den drei Jahrzehnten zwischen 1958 und 1988, d.h. im benachbarten kommunistischen Ungarn nach dem ebenfalls niedergeschlagenen Aufstand von 1956, in dessen Folge das Diskrete und Private zu den Todsünden zählte. Immer waren es das Kollektiv oder die Kolchose, welche die ganze Aufmerksamkeit beanspruchten. Wer sich nicht daran hielt, wurde kaltgestellt.

Nádas‘ Motive aber sind subjektive Blicke, Impressionen, bisweilen bewusst „verhuschte“, der Situation fast heimlich abgerungene und ausschnitthafte, immer aber völlig unprätentiöse Aufnahmen von Dorfbewohnern bei ihrer schweißtreibenden ermüdenden Arbeit, Blicke auf leere Plätze in der Stadt, aus besonderen Perspektiven, hastig huschende Menschen, die auf der Straße, andere beim Feiern festgehalten wurden, dann wieder reine und klare Gesichter, anrührend die Porträts der Waisenkinder, denen er sich zweifellos verbunden fühlte. Oft sind es Individuen, deren Blick in eine traurige Leere schweift, weil man sich nicht traute, etwas „offiziell“ zur allgemeinen Lage zu sagen, weil es unmittelbar sanktioniert worden wäre. Die entsprechenden Konsequenzen hatte Nádas auch als Schriftsteller zu spüren bekommen: Er durfte nicht publizieren, was er in diesen Jahren bemerkte und notierte.

Blick in die Ausstellung Schulstraße 1A mit den Schwarz-Weiß-Fotos von Péter Nádas, Foto: Petra Kammann

Peter Nádas aber hatte ein weiteres Standbein. Als ausgebildeter Fotograf hatte er seine berufliche Laufbahn bereits 1961 als Fotoreporter für das Frauenmagazin “Nök Lapja” begonnen, und einige Jahre mit der Fotografie sein Brot verdient. Ab 1965 arbeitete er als Journalist bei der ungarischen Tageszeitung “Pest Megyei Hirlap”, dem Organ  der Ungarischen Sozialistischen Arbeiter-Partei und dem der Werktätigen. Wegen des Dauerkonflikts mit den Vorgaben der kommunistischen Partei zog er sich letztlich aber als freier Schriftsteller aufs Land zurück. Dabei, Autor zu werden, hatte ihn eigentlich schon als Elfjähriger beschäftigt. Aber darüber sprach er mit niemandem.

So schwingen in den in dieser Zeit entstandenen Fotografien Trauer, Schmerz, Melancholie und auch ein sich Ergeben in das Schicksal mit, ebenso die Erinnerungen auch an bessere und kultiviertere Zeiten. Davon zeugen nicht zuletzt die Detailaufnahmen von Fassaden, von Treppengeländern und Interieurs der Stadthäuser vom Ende des 19. Jahrhunderts – ob in Budapest oder auch in Berlin. Diese Fotografien rufen andere Epochen ins Gedächtnis, so wie in den literarischen „Memoiren“ von Peter Nádas aus der Überlagerung vieler historischer Zeitschichten auch Schauplätze heraufbeschworen werden. Da der Autor Nádas bis 1977 wegen der Zensur keinen Verlag für seine Werke finden konnte, arbeitete er neben seiner „eigentlichen“ schriftstellerischen Tätigkeit noch für verschiedene Zeitschriften, bis er auf Einladung des DAAD von 1981 – 1982 im damaligen West-Berlin ein Jahr lang frei schreiben und fotografieren konnte.

Der Schatten von Péter Nádas selbst  im Bild: Frankfurt am Main, 03.03.2012. 0:38. Fine Art Pigment Print, kaschiert, 61 x 45 cm

In der Galerie-Peter-Sillem in der Dreieichstraße geht es nun um seine aktuelle Fotografie. Nádas war – auch in seinen theoretischen Schriften – ein überzeugter Vertreter der analogen Fotografie auf Negativ-Filmstreifen, die chemisch in der Dunkelkammer positiv als Abzüge ausentwickelt und noch beeinflusst werden können. Für ihn vermittelte diese traditionelle Methode Wärme und Tiefe. Und er empfand die digitale Fotografie, vor allem die Handy-Fotografie, als platt und banal. Mit der Wut des Verzweifelten hatte er sich schon von einem Kapitel seines Lebens getrennt und seine Fotografien und Gerätschaften, von denen er sich verabschiedet hatte, einem ungarischen Museum übergeben.

Vor zehn Jahren entstand dann vom Fenster seines Hotelzimmers in Frankfurt mit Ausblick auf die Flößer Brücke ein Abendfoto, in dem er sich selbst spiegelte. Später im Frankfurter Literaturhaus diskutierte er mit den FAZ-Journalisten und Fotografie-Kenner Freddy Langer über das Problem der Handy-fotos. Langer wiederum versuchte, den Autor-Fotografen und gegen die Handyfotografie Polemisierenden vom Gegenteil zu überzeugen, in dem er ihm „geduldig“ ein paar Tricks und ein eigenes Foto mit Selbstporträt auf seinem eigenen Handy zeigte, vor allem die kreativen Möglichkeiten zeitgemäßer digitaler Handyfotografie, die durchaus komplexe Bilder schaffen könne. Es muss wohl nachhaltig auf Nádas gewirkt haben, der in der Zwischenzeit sein fotografisches Sehen ja nicht etwa verlernt oder gar die Lust an dieser Art zu sehen, verloren hatte.

Die Fotografin Barbara Klemm beim Betrachten der „Nachtbilder“ von Péter Nadás, Foto: Petra Kammann

Seither fotografiert er in seiner Umgebung, was er sieht: Bilder vom ungarischen Land im Umfeld seines Wohnortes im ländlichen Gombosszeg, wo er seit vielen Jahren lebt, und jetzt Nachtbilder und Stillleben, die er teils regelmäßig und systematisch vor seiner Haustür oder im Haus selbst produziert. Und auch das mit großer Könnerschaft. Systematisch nimmt er mit seinem präzis geschulten Auge – oft bei anbrechender Nacht – Lichtstimmungen auf. Dabei nutzt er immer auch den Zufall des Lichtes. Daraus entstanden so geheimnisvolle Bilder von der untergehenden Sonne oder dem zu- und abnehmendem Mond hinter den düsteren Tannenspitzen, als könnten sie die dunklen Träume der komplexen Vergangenheit verscheuchen. Sie erinnern an romantische Gemälde von der Einsamkeit, wie an die eines Caspar David Friedrich.

Der Autor Ulf Ermann Ziegler, Klaus Reichert, Übersetzer, Lyriker und Essayist, und der Galerist Peter Sillem vor den „barocken“ Stilleben von Péter Nádas 

Demgegenüber hängen die schlichten, geradezu barocken Stilleben, wie man sie aus der niederländischen Malerei des „Goldenen Zeitalters“ kennt: Ganz plastisch hat Nádas die Trauben, Äpfel, Orangen, Pflaumen alle im gleichen Format aufgenommen. Das in einer irdenen Schüssel liegende Obst tritt dabei vor dem dunklen Hintergrund einer Tischplatte leuchtend hervor, die spezielle Sorte. Und typisch für Ungarn: im Korb leuchten in frischestem Grün die landesspezifische knackige Paprika und die Kürbisse und machen auf die ungewöhnliche Form des pikanten Gemüses aufmerksam.

In der niederländischen Malerei standen solche Stilleben als Symbol für den neu erworbenen Reichtum einer prosperierenden Bürgerschicht. Heute lenken solche gemäldeähnlichen Bilder eher die Aufmerksamkeit auf die schlichte Schönheit der Natur, auf die natürliche Besonderheit einer Obst- oder Gemüsesorte, die wir im Alltag erleben, wenn wir nur genau hinzuschauen vermögen und sie für wert erachten.

Péter Nádas im Gespräch mit dem FAZ-Redakteur und Foto-Kenner Freddy Langer, Foto: Petra Kammann

Vordergründiges beleuchtet Nádas mit seinem Handy und lässt das natürliche Lichtspektakel aus dem hinteren Raum hervorleuchten, so dass durch die Mehrschichtigkeit auch im digitalen Bild so etwas wie Tiefe entstehen kann. Freddy Langer erläutert in seinem Vorwort zur Katalogbroschüre „Péter Nádas und die digitale Fotografie“ den Vorgang u.a. auch technisch. Nádas hat die neue Technik benutzt, um malerisch-fotografische Stilleben zu schaffen. Aber es gibt keine Porträts. Dafür sei – so glaubt er – die Digitalfotografie mit ihrer Schnellig- und Schnellebigkeit sowie der Ballung von Pixeln ungeeignet, weil sie keinen spezifischen Ausdruck schaffe, die Annäherung an die Person eine andere sei.

„Ein Bild“, schreibt Nádas, „muss man nicht verstehen, sondern sehen.“ Die Stärke, eine Komposition im Vorhinein zu sehen, zu antizipieren, die hat Nádas sich auch in seinem achtzigsten Lebensjahr bewahrt.

Peter Nádas im Gespräch mit Iris Radisch, Foto: Petra Kammann

Dass außerdem die ZEIT-Literaturkritikerin Iris Radisch eigens zur Vernissage nach Frankfurt angereist ist, um ein längeres Gespräch mit dem Künstler-Dichter Nádas zu führen, spricht dafür, dass wir auch auf seinen kommenden Roman „Schauergeschichten“ gespannt sein dürfen, der vermutlich  strukturell mit den Fotografien verwandt und verschränkt ist.

 

Biografisches zu Péter Nádas

geb. 1942 in Budapest, ist einer der bedeutendsten europäischen Erzähler.  Mit Romanen wie „Buch der Erinnerung“ (dt. 1991) und „Parallelgeschichten „(dt. 2012) hat er sich in die Weltliteratur eingeschrieben. Sein neuer Roman „Schauergeschichten“ erscheint im  Oktober 2022 im Rowohlt Verlag. Für sein literarisches Werk wurde Péter Nádas u.a. mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur (1991), dem Kossuth-Preis (1992) und dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung sowie dem französischen Prix du Meilleur Livre Étranger (1995) und dem Franz-Kafka-Literaturpreis (2003) ausgezeichnet. 2014 wurde ihm der Würth-Preis für Europäische Literatur verliehen. Sein neuer Roman „Schauergeschichten“ erscheint demnächst im Rowohlt Verlag.

Seine Fotografien wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, so u.a. 2000 und 2003 in der Galerie Mano May (Haus der Ungarischen Fotografen), Budapest, 2004 im Museum of Photography Den Haag, 2005 im Martin-Gropius-Bau Berlin, 2012 und 2018 im Kunsthaus Zug, sowie 2022 im Collegium Hungaricum Wien. Péter Nádas lebt heute in Budapest und Gombosszeg.

Die Ausstellungen

Péter Nádas
Nachtbilder, Stilleben
9.9.—22.10.2022
Galerie—Peter—Sillem
Frankensteiner Straße 1
Eingang: Dreieichstraße 2
60594 Frankfurt am Main

Péter Nádas
Etwas Licht
9.9.—22.10.2022
Galerie-Peter—Sillem c/o
Ausstellungshalle 1A
Schulstraße 1A
60594 Frankfurt am Main
Telefon +49 69 61 99 55 50

info@galerie-peter-sillem.com
www.galerie-peter-sillem.com

 

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