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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ –  Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin

Von  Renate Feyerbacher

Gleich zwei Ausstellungen im Deutschen Historisches Museum (DHM) in Berlin widmen sich zwei herausragenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts: Karl Marx, Philosoph, Ökonom und Gesellschaftstheoretiker und Richard Wagner, Komponist, Schriftsteller, Journalist, Festspielgründer, der außerdem auch noch Revolutionär, Exilant, Bankrotteur, Protegé wohlhabender und adeliger Männer war und vor allem von Bayerns König Ludwig II. unterstützt wurde.

Ausstellungsansicht „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“© Deutsches Historisches Museum/David von Becker

Ursprünglich war eine Ausstellung zum Thema  Kapitalismus geplant, ,so Raphael Gross, Präsident des DHM, im Vorwort des  Katalogs Richard Wagner und das deutsche Gefühl – 2022 Stiftung Deutsches Historisches Museum und Wissenschaftliche Buchgesellschaft – wbg – Darmstadt. Nach langen Diskussionen und Recherchen wurde jedoch von diesem Vorhaben Abstand genommen, denn „mit dem Ausdruck Kapitalismus wurden im Lauf der Geschichte sehr verschiedene Phänomene bezeichnet. Kapitalismuskritik wurde gleichzeitig von gegensätzlichen Lagern geübt, von links wie von rechts“, so Professor Gross, der vor seiner Berliner Position Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt sowie des Fritz Bauer Instituts an der Frankfurter Universität war. Im Falle von Marx kommt die Kapitalismuskritik von links, bei Wagner von rechts.

Als im 19. Jahrhundert die ersten Fabriken entstanden, wurden die Arbeiter ausgebeutet, denn sie erhielten nur einen geringen Lohn. Karl Marx (1818-1893) analysierte die Lage historisch. Er hielt den Kapitalismus für eine notwendige Stufe der Entwicklung, die jedoch überwunden beziehungsweise abgelöst werden müsste. In seinem Hauptwerk  „Das Kapital“ – der erste Band erschien 1867 – ruft er daher nicht zur Revolution auf, sondern stellt eine wissenschaftlich- historische, umfangreiche Analyse her und eine Kritik der Politischen Ökonomie so der Untertitel des Buches her, worin das Nationale keine Rolle spielt.

Steckbrief gegen Richard Wagner aus „Eberhardt’s allgemeiner Polizei-Anzeiger“Dresden, 11. Juni 1853, © Oesterlein Sammlung im Thüringer Museum Eisenach/Reuter-Wagner-Museum

Anders als für Richard Wagner (1813-1883), für den das Nationale sehr wichtig war. Zunächst war er ein glühender Revolutionärund radikaler als Karl Marx. Er beteiligte sich an den revolutionären Aufständen in Dresden 1849, wo er Königlich-Sächsischer Kapellmeister  war. Seine Opern Rienzi und Der Fliegende Holländer waren dort uraufgeführt worden. Als er steckbrieflich gesucht wurde, flüchtete er in die Schweiz.

Wolfgang Mende, wissenschaflicher Mitarbeiter der Richard-Wagner-Stätten Graupa, bezeichnet ihn in seinem Katalog-Beitrag Wagner als revolutionärer Aktivist. Von demokratischer Arithmetik zur purgatorischen Utopie als einen impulsgeleiteten Fantasten, bei dem Paradoxes nebeneinander stehe. „In Wagners Visionen vom reinigenden Revolutionsbrand, dem das ‚nie geahnte Paradies des Glücks‘ folgen werde, brodelt so manches mit – nicht nur Sehnsucht nach Freiheit, Aufhebung der  Entfremdung, entfesselter Menschenliebe, Brechen der Herrschaft des Geldes, sondern auch rassistische Mythen von der Herrschaft  edler und vom Untergang finsterer Geschlechter. So einzigartig Wagner als revolutionärer Komponist ist, so gefährlich ist er auch.“ (Zitat aus Mendes Buch)

Wagners Werke vor 1848 haben nichts mit der Gegenwart zu tun, sondern mit mythischer, ferner Vergangenheit. Dennoch drücken sie eine vorrevolutionäre Stimmung aus. Heimatlosigkeit kennzeichnen sowohl das Leben des „Fliegenden Holländers„, als das eines „Lohengrin“ oder eines „Tannhäuser„. Diese Gestalten sehnen sich nach Erlösung und sind Ausdruck des ruhelosen Zustands der damaligen Gesellschaft, die zwischen Unsicherheit und Hoffnung auf Neuanfang hin- und herschwankte.

Den Besucher erwarten in der Ausstellung rund 500 Exponate aus 4 Ländern von 56 Leih- und Bildgebern, 16 Medienstationen. Chefregisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky hat die Installation „Schwarzalbenreich“ kreiert. In der Dunkelheit eines separaten Raums wird „im Raum vermischt eine Klangcollage ins Jiddische übertragene, antisemitische Wagner-Zitate mit Passagen der antisemitisch überzeichneten Figuren Alberich und Mime aus Der Ring des Nibelungen und Beckmesser aus Die Meistersinger von Nürnberg sowie mit synagogalem Gesang“. Insgesamt gibt es viele historische Gemälde, Originalmanuskripte, Notenaufzeichnungen, Opernplakate, Modisches, Privates von Wagner und vieles mehr.

Ausstellungsansicht „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“© Deutsches Historisches Museum/David von Becker

Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga, London, Paris: Das waren Wagners Stationen, bevor er nach Dresden kam. Riga hatten er und seine Frau aus Furcht vor Gläubigern auf einem kleinen Segelschiff verlassen. Der Sturm bei der Überfahrt  inspirierte ihn zu seiner Oper Der fliegende Holländer. Wagner hatte – wie so oft –  über seine Verhältnisse gelebt. Nur kurz blieben sie in London, dann folgte Paris, wo Wagner dem führenden französischen Opernkomponisten, dem in Berlin geborenen Giacomo Meyerbeer (1791-1864) begegnete, der ihn förderte und finanziell unterstützte. Wagner hat ihn später in seiner Schrift  Das Judentum in der Musik verunglimpft.

Diese Jahre stehen unter dem Begriff Entfremdung, eines von Wagners Grundgefühlen, welche die Ausstellung gliedern. Die drei anderen Grundgefühle sind unter den Begriffen Eros, Zugehörigkeit und Ekel zusammengefasst.

Briefumschlag, adressiert an Richard Wagner von Giacomo Meyerbeer, Paris, um/vor 1840, © Richard-Wagner-Stätten Graupa / DHM

Nachdem Wagner in den ersten dreißig Jahren seines Lebens sehr unstet war, hatten die sieben Jahre in Dresden ihn gewissermaßen sesshaft gemacht. Es folgten Jahre in Zürich, wo er sich sehr wohlfühlte, das er aber wegen seiner Affäre mit Mathilde Wesendonck, deren Mann Wagner förderte, in Richtung Venedig verlassen musste. Es folgten abermals sechs Wanderjahre. 

Anarchie ist für Wagner eng mit dem Eros verbunden. Die bürgerliche Ehe war ihm zuwider. Seine zahlreichen Affären sorgten außerdem für Gesprächsstoff. Der griechische Begriff Eros kommt bei Wagner zwar nicht vor, wohl aber die Worte ‚Weib‘, ‚Liebe‘. So geht es in Tristan und Isolde um die romantisch-utopische Liebe, in der Walküre um Inzest, im Lohengrin sind es die Zwänge, die dem Liebespaar Fesseln anlegen. Das Begehren jedenfalls ist in seinen Opern allgegenwärtig. Wagner versteht es, auf diese Weise emotionale Extremzustände auszulösen.

Tannhäuser im Venusberganonym, in der Art von Eugène Delacroix, Paris, 1861, Werner Coninx Stiftung, Zürich © Peter Schälchli, Zürich/DHM

„Ich bin der deutscheste Mensch, ich bin der deutsche Geist“, schreibt Richard Wagner 1864 in sein Tagebuch. Dabei gab es den Nationalstaat Deutschland im heutigen Sinn noch nicht. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1872 stellt sich die  Frage: ,Was ist deutsch?‘ akut. Politik, Wissenschaft und Kunst suchen auf den verschiedenen Ebenen nach Begründungen für deutsches Selbstverständnis und eine deutsche Identität.

In der Ausstellung des DHM, die den Titel Richard Wagner und das deutsche Gefühl trägt, steht die Frage, was deutsch ist, zwangsläufig im Mittelpunkt. Dazugehören war zu dieser Zeit ein menschliches Grundbedürfnis. Zugehörigkeit – oder vielmehr Nichtzugehörigkeit – wurde somit nicht nur zum zentralen Begriff für Wagner, sondern gar zu einer Obsession. „Keiner der Helden seiner Bühnendramen ‚gehört dazu‘. Sie sind allesamt Ausgestoßene, Gesetzlose, Wanderer: haltlos“, schreibt Nicholas Vazsony, Professor der Germanistik in den USA  in seinem Katalogbeitrag.

„In der Pause“. Darstellung des Richard-Wagner-Festspielhauses in Bayreuth von Gustav Laska, 1894, © Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth – Leihgabe der Oberfrankenstiftung, Bayreuth  in der Ausstellung in: Deutsches Historisches Museum Berlin 

Mit der Gründung der Bayreuther Festspiele 1876 durch Richard Wagner ist die Hoffnung verbunden, Gemeinschaft  zu ermöglichen. Aber wer wird dazugehören? Der Musiker will dort aber nur seine eigenen Stücke aufgeführt sehen. Zur Einweihung 1876 gibt es den Ring, in ihm enden alle Treueschwüre und Bündnisse durch Verrat. Erst in Die Meistersinger von Nürnberg scheint die Idee von Gemeinschaft  gelungen. Dennoch wertet Hans Sachs andere kulturelle Traditionen ab. Regisseur Barrie Kosky, der an der Oper Frankfurt mehrfach aktiv war, hat 2017 nun doch, obwohl er die Oper als ein abscheuliches Stück zunächst ablehnte, die Regie der Meistersinger in Bayreuth übernommen. „Ich wurde als Regisseur, nicht als Jude engagiert“, sagt er in einem Gespräch. Kosky sieht Hans Sachs als Wagners Alter Ego. Die Verhöhnung des jüdischen Stadtschreibers Sixtus Beckmesser gestaltet Kosky bewusst unerträglich. 

Original-Manuskript „Das Judenthum in der Musik“ von Richard Wagner (alias K. Freigedank)

Juden sind für Wagner der Inbegriff der Moderne, für die er Ekel und Groll hegt. Seine Wut entlädt sich in der Schrift Das Judentum in der Musik, das er zunächst 1850 unter Pseudonym und 1869 schließlich unter eigenem Namen herausgab. Darin spricht er jüdischen Künstlern und Musikern jegliche Originalität ab. Damit meint er Mendelssohn Bartholdy und Meyerbeer. Jüdinnen und Juden bezeichnet er als „Maden im Leichnam der Kultur“. Und Judenkarrikaturen sind finden sich in seinen Werken zuhauf, sei es in Mime, Kundry, Beckmesser oder Alberich. 

Dennoch war der Deutschnationale mit jüdischen Menschen befreundet. So dirigierte der Komponist und Dirigent Hermann Levi, Sohn eines Rabbiners, Lohengrin 1864 in Rotterdam, 1868 Die Meistersinger in Karlsruhe. Wagner und Levi trafen sich drei Jahre später und es entwickelte sich trotz Wagners Antisemitismus eine Freundschaft zwischen den Beiden. Das eindrucksvolle Porträt von Hermann Levi, das Franz von Lenbach 1882 malte, ist in der Ausstellung zu sehen.

Wagner wendet sich gegen „welchen Dunst und welchen Tand“, womit er die italienische und französische Opernkultur, zum Beispiel Meyerbeers Opern, meint. Das Gegenteil von deutschkorrekter Sprache ist für ihn das „jüdische Mauscheln“.

Foto: Richard Wagner – Franz von Lenbach, München, 1881, © Deutsches Historisches Museum/Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland

Dem Antisemitismus von Richard Wagner wird im letzten Bereich der Ausstellung unter dem Titel Ekel zusammengefasst, viel zu wenig Raum gegeben. Über eine Medienstation laufen relativ schnell seine antijüdischen Texte. Eine Seite des Originals der Ausgabe von 1850 ist zwar zu sehen, aber sie bleibt unlesbar. Die Raumtexte sind manchmal die einzige Hilfestellung. Diese Zurückhaltung bei diesem wichtigen Lebensaspekt erstaunt, denn er beeinflusst die Meinungen bis heute. Die Nationalsozialisten griffen gerne auf das Pamphlet zurück. Hitler war begeistert und mit der Familie Wagner befreundet.

Wie auch immer: Richard Wagners Musik ruft starke Emotionen hervor. Manche Liebhaber seiner Musik sprechen davon, dass sie sogar süchtig mache. Süchtig macht sie mich nicht, doch fasziniert sie mich. Koskys Meistersinger-Inszenierung hat meine Einstellung aber geschärft.

Es ist ein Erlebnis, die Musik im Festspielhaus von Bayreuth zu hören. Der Klang ist einmalig, ideal, die Akustik einzigartig. Das Orchester musiziert tief im Orchestergraben, Das ist natürlich hier weder zu sehen noch zu hören..

 

Alle Fotos: Deutsches Historisches Museum Berlin

Die Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ ist bis zum 11. September 2022 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.

Die Ausstellung „Karl Marx und der Kapitalismus“ schließt am 21. August.

Es gibt Kombiführungen.

Außerdem:  Noch bis 4. September können die Foto-Porträts, die Fotografin Herlinde Körbel von Angela Merkel machte, gesehen werden.

Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789 , diese Ausstellung macht es möglich, sich damit bis zum 15. Januar 2023 auseinanderzusetzen –

Das Deutsche Historische Museum in Berlin Unter den Linden 2 ist täglich geöffnet.

Telefon: 030 20304-0 – info@dhm.de

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