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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Frankfurt liest ein Buch“ – Irmgard Keun. Nach Mitternacht

Naiv, frech und witzig zur falschen Zeit

von Petra Kammann

Einige bleibende Eindrücke von ein paar gelungenen Veranstaltungen des 13. Frankfurter Lesefestivals „Frankfurt liest ein Buch“, bei dem Irmgard Keuns Exil-Roman „Nach Mitternacht“ im Zentrum steht und der 1936 in Frankfurt spielt. Eine teils naive, teils komische und auch bitterböse Schilderung des Alltags im Nationalsozialismus. Über 80 Veranstaltungen (Lesungen, Gespräche, Vorträge, Stadtrundgänge und vieles mehr) beschäftigten sich mit dem Roman. Zum Abschluss gab es eine Veranstaltung bei sommerlichsten Temperaturen am helllichten Tag in der Alten Oper mit Cécile Schortmann, Regina Ziegler und Désirée Nosbusch. Da strahlten im leicht abgedunkelten Mozart-Saal drei starke, selbstbewusste und attraktive Frauen auf der Bühne, die über Irmgard Keun debattierten oder sich lebhaft an Szenen mit ihr während der Dreharbeiten der Verfilmung von „Nach Mitternacht“ erinnerten.  Zum Festival gehörte auch ein besonderer Abend mit der Schriftstellerin Ursula Krechel in der Stadtbücherei, moderiert von Anita Djafari, sowie eine Lese-Performance mit der Schauspielerin Ricarda Klingelhöfer im Frankfurter Volkstheater …

v.l.n.r.: Sabine Baumann, Regina Ziegler, Cécile Schortmann, Martina Keun-Hurtig und Désirée Nosbusch; Foto: Petra Kammann

Irmgard Keun, die in den 20er Jahren eine erfolgreiche Autorin war, („Gigli, eine von uns“ oder „Das kunstseidene Mädchen“) verschwand, nachdem die Nazis ihre Bücher beschlagnahmt und verboten hatten, zunächst ins belgische Exil nach Ostende und später in die Niederlande. Totgeglaubt, kehrte sie 1940 unter falschem Namen als Charlotte Tralow zu ihren Eltern nach Köln zurück und überlebte dort unentdeckt bis zum Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft. Aber auch in der Nachkriegszeit konnte sie nicht mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen.

Von den „Bücherfrauen“ organisierte Veranstaltung mit der Autorin Ursula Krechel und Anita Djafari als Moderatorin; Foto: Petra Kammann 

Als Irmgard Keun 1982 im Alter von 77 Jahren starb, konnte sie gerade noch miterleben, dass junge Autorinnen wie etwa die Essayistin, Lyrikerin, Hörspiel- und Romanautorin Ursula Krechel sich für sie interessierten, um sie dem Vergessen zu entreißen. Sie wurde als seinerzeit feministisch interessierte Autorin durch Roman-Zitate zu ihrer langanhaltenden Beschäftigung mit Irmgard Keun angeregt. Bereits 1972/73 schrieb Krechel einen Aufsatz über das Vergessen weiblicher Kulturleistungen, in dem Irmgard Keun eine besondere Rolle spielt. Sie erwähnt in der Veranstaltung, dass selbst Hermann Kesten, der zunächst von Keun sehr angetan war, später die Autorin auch nicht weiter unterstützte, obwohl er es besser hätten wissen müssen, was es für sie bedeutete.

In Krechels einleitendem Essay „Anstiftung zur Kühnheit“ im ersten Band der inzwischen leider vergriffenen Werkausgabe von Irmgard Keun bei Wallstein heißt es: „Die 70er-Jahre waren eine Zeit des Ausgrabens und Erinnerns, des Zorns und der Auflehnung. Es gab so viele Künstlerinnen und Schriftstellerinnen, die einfach nicht ihrem Rang entsprechend gewürdigt, die marginalisiert wurden, deren Werk im Schatten von Zeitgenossen stand und deren Rezeption dementsprechend verkümmerte. Dieses lebhafte Interesse an der Kunst von Frauen resultiert aus dem Bewusstsein, dass das patriarchalische Gedächtnis immer wieder neue Techniken entwickelt hat, um die Werke von Frauen dem Vergessen auszuliefern.“

1977 hat Krechel Irmgard Keun dann selbst interviewt – oder wohl eher versucht, sie zu interviewen. Dabei schilderte Krechel, die sich intensiv mit Keun befasst hat, wie sie die in der Weimarer Republik so erfolgreiche Autorin in Köln noch habe treffen können, um sie für den Rundfunk zu interviewen. Doch die in der Zeit wenig erfolgsverwöhnte Autorin Keun, die eher in ärmlichen Verhältnissen lebte, reagierte auf manche der Fragen Krechels fast spröde bis abwehrend. Die wiederum ließ deren Aussagen im Laufe des Gespräch durchaus selbstbewusst im Raum stehen, auch andere, teils vergebliche Versuche, der äußerst misstrauischen Autorin ihre eigene feministische Sichtweise nahezulegen und ihr entsprechende Aussagen zu entlocken. Auf die Frage etwa, ob deren oft so staunend in die Welt schauenden Figuren etwas mit ihrer weiblichen Sicht zu tun hätten, antwortete Keun fast distanzierend: „Da ich Frau bin, kenne ich keine männliche Sicht. Aber staunen tu ich immer noch.“

Ursula Krechel im Gespräch mit Anita Djafari; Foto: Petra Kammann

Das ließ Ursula Krechel durchaus klug reflektierend und differenziert in der von den „Bücherfrauen“ ausgerichteten Veranstaltung in der Frankfurter Stadtbücherei, die von der ehemaligen Lit.Prom-Chefin Anita Djafari moderiert wurde, so stehen. So komisch wie nachdenklich-melancholisch klang dann wiederum die Passage aus dem Interview, als Irmgard Keun der damals noch blutjungen Autorin Krechel zu denken gab: „Woher haben Sie denn meine Bücher? Ich habe keines mehr davon.“ Die stets sorgfältig recherchierende Krechel antwortete ihr wahrheitsgemäß, dass sich in Bibliotheken und Antiquariaten durchaus noch einzelne Exemplare finden ließen, als die verblüffte Keun schlagfertig mit einer furchtlosen Frage konterte: „Kann man sie da klauen?“

Das in manchem sicher für die damalige Zeit provokative Interview wurde übrigens nie gesendet. Der zuständige hr-Redakteur sagte der jungen Autorin Krechel damals etwas herablassend: „Ist schließlich auch kein Goethe“.  So sind diese Zitate als bislang unveröffentlichte oder unzugängliche Trouvaillen lediglich auszugsweise in der Werkausgabe aus dem Wallstein Verlag zu finden, die Heinrich Detering und Beate Kennedy herausgegeben haben. Leider ist sie nicht mehr im Buchhandel erhältlich.Ein nachdenklich stimmender Abend!

Ricarda Klingelhöfer zog alle Register, die dem Temperament der Keun entsprachen, Foto: Petra Kammann

Eine Veranstaltung ganz anderer Art- aufwühlend und mitreißend – war die Aufführung „Stimmen einer Großstadt“ in Michael Quasts „Volksbühne“ im Frankfurter „Großen Hirschgraben“, als der Fußball die Straßen leergefegt hatte. Eintracht Frankfurt spielte im Halbfinale der Europa League gegen West Ham United. Die dennoch Gekommenen wurden dafür reichlich mit einem sehr unmittelbaren Erlebnis belohnt: Theaterfeeling pur bei minimalistischen Mitteln (z.B. Meeresrauschen von Ostende in Keuns Exil als Hintergrund, Commedian Harmonists Songs etc.) konnte man dort bei der gelungenen und ausgesprochen ausdrucksstarken szenische Lesung mit der Schauspielerin Ricarda Klingelhöfer erleben, die symbolisch die „ab“-gelesenen Texte als weiße Blätter im Saal großzügig so in die Luft warf, dass sie zu Boden fielen und verstreut im Saal lagen.

Szenographie/Ausstattung: Cornelia Falkenhan (li) , Regie/Video: Sabine Löw (re); Foto: Petra Kammann

Die Schauspielerin Ricarda Klingelhöfer zog stimmlich alle Register und setzte die teils sehr dynamischen Texte in entsprechende Bewegungen um. Mal lag sie zu Tode betrübt und voller Liebeskummer im Bett (auf der schlichten Pritsche), wollte sich von der Welt zurückziehen, mal sprang sie begeistert auf, dann wiederum tanzte sie wie in den Roaring Twentieth mit sich allein. Unmittelbar bekam das Publikum das Wechselbad der Gefühle der Romanheldin zu spüren. Da übertrug sich unmittelbar auch etwas von der ungeheuren Energie und Widerstandskraft, die Keun wohl selbst noch im Exil aufbrachte und sich nicht unterkriegen lassen wollte. Und sie brachte die vielfältigen Facetten der Keun’schen Sprache zum Funkeln. Köstlich auch die Köln-Reminiszenzen, als sie zitierte: „Und langsam fuhr ein Auto vorbei, darin stand der Führer wie der Prinz Karneval im Karnevalszug. Aber er war nicht so lustig und fröhlich wie der Prinz Karneval und warf auch keine Bonbons und Sträußchen, sondern er hob nur eine leere Hand.“ Die sparsame Ausstattung von Cornelia Falkenhan sorgte dafür, dass die Worte in der Weite des Raums ihre Wirkung entfalteten, auch die leisen nachdenklichen Töne. Und die stimmungsbegleitenden Videos hatte Sabine Loew bestens auf die Inhalte zugeschnitten.

Sabine Baumann, Vorsitzende von „Frankfurt liest ein Buch“, kündigt die Veranstaltung mit den drei Akteurinnen an; Foto: Petra Kammann

Und dann die krönende Abschlussveranstaltung mit den drei auf der Bühne des Mozart Saals diskutierenden Frauen, die weiß Gott keine Unbekannten sind: weder die fabelhafte, Situationen und Szenen immer bestens einordnende TV-Moderatorin Cécile Schortmann, noch die so kreative wie erfolgreiche Filmproduzentin Regina Ziegler, Ehefrau des 2015 gestorbenen Regisseurs Wolf Gremm, die gemeinsam mit ihm 1982 „Nach Mitternacht“ verfilmte, noch die Schauspielerin und ehemalige RTL- Moderatorin Désirée Nosbusch, die zuletzt in den „Bad Banks“ die eiskalte Investmentbankerin Christelle Leblanc verkörperte und bereits als 16-Jährige ihre erste Filmrolle bekam, bei der sie die frech-naive Sanna aus dem Keun-Roman spielte. Sowohl Ziegler als auch Nosbusch bestätigten, dass sie mit der damals noch lebenden Irmgard Keun während der Dreharbeiten trotz manch dramatischer Situation gemeinsam sehr viel gelacht hätten.

Und Nosbusch las sehr lebhaft Passagen aus dem Roman, den sie heute sehr viel besser noch verstehe denn als Sechzehnjährige, wo sie gerade als naiv Staunende aus einem kleinen luxemburgischen Dorf kommend, ihre ersten Großstadterfahrungen machte. Die facettenreiche Qualität des Romans sei ihr jetzt erst so richtig bewusst.

In den gezeigten Filmausschnitten wie auch in Nosbuschs Leseausschnitten wurden einige Szenen besonders lebendig wie die aus dem Jahre 1936, als Menschenmassen in Frankfurt auf dem Opernplatz eilfertig auf den Besuch Hitlers warteten, den man aber gar nicht zu sehen bekam. Da ist die 19-jährige Susanne mittendrin und verfolgt das Geschehen, während sie voller Sehnsucht und Unruhe auf ein Lebenszeichen von ihrem Verlobten Franz wartet. Nachdem Tante Adelheid sie verpfiffen hatte, wird eindrucksvoll die Verhörszene bei der Gestapo geschildert, die auch im Film blendend umgesetzt ist mit dem Klappern der Schreibmaschinen, den vielen durcheinander sprechenden und verzweifelten Menschen. Eine Szene, die keine rationale Kommunikation mehr ermöglichte und die Verunsicherung der Menschen noch steigerte.

Arbeiteten zusammen im Film: Désirée Nosbusch, Irmgard Keun und Regina Ziegler; Foto:©Regina Ziegler/Erika Rabau

Mit genauer Beobachtungsgabe und scharfem Humor hat Keun die Erlebnisse, Gespräche, den Opportunismus und die widersprüchlichsten Empfindungen verschiedenster Menschen in dieser Zeit beschrieben und begründete ihr dokumentarisches Interesse  so: „Ich will schreiben wie ein Film“. Das reizte wohl damals auch die Produzentin Regine Ziegler wie auch den Regisseur Wolf Gremm, ihren Ehemann, die sich seinerzeit gegenseitig die Passagen aus dem Buch vorlasen, um aus dem Roman einen echten Film werden zu lassen. Es war für sie der „Stoff, aus dem die Träume sind“. Die Umsetzung versuchten sie so detailgenau wie möglich anzulegen trotz des damals kleinen Budgets.

Ihnen stand Irmgard Keun persönlich nahe: Regina Ziegler und Martina Keun-Hurtig, Foto: Petra Kammann

Regina Ziegler sprach aber auch über die köstlichen Begegnungen mit der Autorin, über ihren umwerfenden Witz, über den die Autorin, die am liebsten selbst im Film gespielt hätte, verfügte, was Ziegler in eine gewisse Bredouille brachte. Natürlich wurde auch damals schon für die Hauptrollen gecastet. So fragte Ziegler sie beherzt, warum sie denn unbedingt mitspielen wollte. Da habe sie geantwortet: „Allein schon, um Hitler, wenn er am Opernplatz vorbeikommt, die Zunge herauszustrecken.“ Gesagt getan. Die Szene im Café an der Oper wurde tatsächlich gedreht und in den Film eingebaut. Da sehen wir die damals noch lebende Irmgard Keun in einer Ecke sitzen, und wie sie in dem Jubel und Trubel der Hitlerbegeisterten die Zunge herausstreckt. Dies ist nur ein Beispiel, wie viele Drehszenen aus Gesprächen mit der Autorin entstanden. Alles sollte schließlich so echt wie möglich gefilmt werden, bis hin zu den Kostümen und den Tapeten, die das Ehepaar Ziegler-Gramm damals eigens in der DDR herstellen ließ. Aus Budgetgründen drehten sie nämlich damals in Berlin, was aber den Szenen keinen Abbruch tut.

Keuns Tochter Martina Keun-Hurtig beim Signieren, mit „Frankfurt liest ein Buch“-Organisator Lothar Ruske (Mitte) und Eldad Stobezki; Foto: Petra Kammann

Wie schön, dass bei dieser so lebendigen und gelungenen Abschlussveranstaltung dann auch die einzige Tochter von Irmgard Keun, Martina Keun-Hurtig, welche die Mutter erst im Alter von 46 Jahren bekam, anwesend war, sie hatte auch schon an der Eröffnungsveranstaltung in der Deutschen Bibliothek teilgenommen. Der langjährige Organisator von „Frankfurt liest ein Buch“ Lothar Ruske nahm sie mit zum Büchertisch, wo sie vergnügt und überglücklich über das gelungene Lesefest zum Abschluss den wiederaufgelegten Band  ihrer Mutter „Nach Mitternacht“ signierte.

Totgesagte leben eben doch länger.

www.frankfurt-liest-ein-buch.de

 

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