Die Natur der Natur. Fukushima Project“ im Museum Angewandte Kunst
Als die Bilder leuchten lernten. Was verbindet die Romantik und ZEN?
Von Petra Kammann
Der in London lebende Fotograf und Filmemacher Norbert Schoerner fotografierte David Caspar Friedrichs Gemälde „Weidengebüsch bei tiefstehender Sonne“ (1832/1835) ab. Dabei hängt das Original im fast benachbarten Deutschen Romantik-Museum in Frankfurt. Dieses Abbild im Museum Angewandte Kunst ist eine Art Auftakt zu seiner besonderen Ausstellung „Die Natur der Natur. Fukushima Project“ und schafft Raum für die Imagination. Schoerne fotografierte Bonsais aus der Aufzucht der japanischen Familie Abe in der Bergregion Azuma Gebirge in der Nähe von Fukushima. In den vier Ausstellungsräumen wechseln romantische Motive in den abgedunkelten Räumen mit Naturbeherrschungsmethoden aggressiver Natur.
Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Es gibt eine Bonsai-Zeit. So jedenfalls empfand es Norbert Schoerner, als er sich über mehrere Jahre in den Kreis der japanischen Familie Abe begeben hatte, die seit drei Generationen in der Bergregion Azuma in der Nähe von Fukushima lebt und Bonsais aus Samen zieht: Kurakichi, sein Sohn Kenichi und sein Enkelsohn Daiki. Schon als Schoerner am Bahnhof ankam, wurde er so freundlich und unhektisch von der Familie empfangen. Er fühlte sich unmittelbar in eine andere Zeit, in eine andere, hermetische Welt versetzt. Der Fotograf wollte das Geheimnis der Aufzucht der Bonsais erkunden und ließ sich auf das Leben mit der Familie Kobe ein. Er erfuhr, dass Kurakichi, ursprünglich Schauspieler, zunächst die Bäume, die ihn faszinierten, gezeichnet hatte, bevor er sich vollends entschied, sich dem Wachsen der Bäume zu widmen und Bonsai-Meister zu werden.
Schoerner fotografierte bewusst David Caspar Friedrichs „Weidengebüsch bei tiefstehender Sonne“ (1832/1835), statt das Original aus dem Deutschen Romantik-Museum auszuleihen; Foto: Petra Kammann
Geht man durch die Räume des Museum Angewandte Kunst, hat man ein ähnliches Empfinden. Man spürt förmlich die Energie, die in den Aussparungen der Kompositionen von Raum und Bild liegen und fast zum Meditieren einlädt. Doch geht man näher ran an die ausgewählten großformatigen Fotos, ist man leicht irritiert. Knorrige Bäume, die von Weitem so aussehen, als wären es Porträts einzelner im Gebirge wachsender Kiefern, zeigen ihre Wurzeln, die nicht in der Erde verankert sind. Bei ganz genauer Betrachtung entdeckt man so das Gefäß, in dem sie stehen.
Reminiszenz an die europäische Altarästhetik und alte japanische Wandtafeln. Einige Fotografien hat Norbert Schoerner als Triptychon, andere als Distichon angelegt; Foto: Petra Kammann
Die Bonsai-Züchter Kobe formen die Bäumchen so, dass sie genauso aussehen, als stünden sie auf den windumtosten Berghängen in Fukushimas Nähe. Das unterscheidet sie von anderen Bonsai-Meistern. Schoerner experimentierte, wie er das Verfahren eindrucksvoll darstellen könnte. Er fotografierte zunächst die Berglandschaft in besonderem Licht der Dämmerung oder Verdüsterung und ließ von diesen Landschaftsaufnahmen großformatige Abzüge anfertigen, die er der Familie Abe zeigte. Er platzierte die Bonsais davor, wodurch diese ganz monumental wirkten. Es handelt sich also bei den großformatigen Fotos um eine simulierte Natur. Durch die Konstruktion der Bilder Schoerners wirkt es nämlich so, als seien die Bonsais im Einklang mit einer romantischen Naturbeziehung befreit an ihren Ursprungsort zurückgebracht worden. Dabei kehrt seine Methode die wahren Größenverhältnisse um.
Die Begeisterung beim Anblick der Bergmotive war jedoch bei den Abes groß, so sehr, dass der ansonsten asketische und strenge Großvater, der von seinem Sohn verlangt hatte, dass er den Bonsai nach oben auf den Berg tragen sollte, nun voller Freude ausrief: „Norbert, nun hast Du den Berg zu mir gebracht!“. Von dem Moment an war die Freundschaft besiegelt und wurde fortan mit viel Sake begossen und Schoerner wurde gewissermaßen als Familienmitglied adoptiert.
Norbert Schoerner erläutert, mit welchen Mitteln die Bonsais gezogen und gefesselt werden, Foto: Petra Kammann
Schoerner begleitete auch den Prozess des Züchtens selbst, denn es handelt sich um „lebendige“, sich ständig verändernde Skulpturen, er erfuhr auch, dass man dieser Energie mit ursprünglicher Kraft begegnen muss. Bei dieser Nahaufnahme des Bonsais sieht man ganz deutlich, mit welchen Mitteln das Wachsen durch Abbinden und Fesseln und großer äußerer Kraftanstrengung in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt wird.
Schoerner drehte auch einen Kurzfilm auf einem Bauernhof in Nähe des Kernkraftwerks Daiichi, hier trifft man auf verwilderte Hunde und Wildschweine; Foto: Beate Tomann
Den Kurzfilm „Occursion“, der das Spektrum der von Weitem eher meditativ anmutenden Bilder erweitert, drehte Schoerner mithilfe einer Nachtsichtkamera auf einem verlassenen Bauernhof etwa 15 Kilometer entfernt von der ehemaligen nuklearen Sperrzone von Fukushima II, in Nähe des Kernkraftwerks Daiichi, das nicht explodiert war. Die Szenerie ist in ein grell-leuchtendes Grün getaucht, was den Eindruck einer bedrohlichen Strahlung vermittelt, der Flora und Fauna ausgesetzt sind. Schoerner sagt, dass die Tiere, die dort noch leben, durchaus aggressiv und nicht gerade ungefährlich seien, wenn man mit ihnen in Berührung komme. Eine zweifellos lebensfeindliche Umgebung.
Museumsdirektor Matthias Wagner K., der gleichzeitig auch Kurator der Ausstellung ist, zieht eine Parallele zu Caspar David Friedrichs Gemälde „Mönch am Meer“, auf dem die Sonne im Meer versinkt und die Einsamkeit der Gestalt des Mönchs viel Raum für eigene romantische Projektionen bekommt. Er erinnert an das Meeresleuchten, das man nur sehr selten an klaren Tagen am Meer beobachten kann mit den letzten Spuren grünen Lichts, was mit einem Funken Hoffnung verbunden ist, und er verweist auf „Der Grüne Strahl“, Jules Vernes einzigen Liebesroman, ebenso auf wie Eric Rohmers Film „Das grüne Leuchten“ („Le Rayon wert“). In der verstrahlten Gegend von Fukushima indes bekommt das grell leuchtende Grün eine andere Bedeutung. Es überstrahlt die Stille und verstrahlt die Natur.
Eine Ausstellung, die anregt, über die Natur der Natur und über die Gewalt, die wir ihr antun, nachzudenken, dabei die bewusste asketische japanische ZEN-Ästhetik wahrzunehmen und gleichzeitig den Blick für die deutsche Romantik zu schärfen und innezuhalten und Momente der Stille im Museum inmitten der quirligen Mainmetropole einzusaugen.
Die Ausstellung ist bis zum 22. September 2022 zu sehen.
Im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König erscheint ein Katalog zur Ausstellung mit Beiträgen von Tom Morton, Shinchi Nakazawa, Julia Psilitelis und Matthias Wagner K. Der Katalog ist für 29 Euro an der Museumskasse zu erwerben.