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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

KRITISCHE HUGO VON HOFMANNSTHAL-AUSGABE ABGESCHLOSSEN

Ein Jahrhundertwerk, an dem länger als ein halbes Jahrhundert gearbeitet wurde

Es ist die umfangreichste Kritische Gesamtausgabe zu einem deutschsprachigen Autor des 20. Jahrhundert, die nach 55 Jahren editorischer Arbeit am 22. Februar 2022 nun abgeschlossen ist. Warum? Nur wenige Autoren der europäischen Moderne haben ein derart vielgestaltiges Werk hinterlassen wie Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929). Er schrieb Gedichte, Totentänze und Erzählungen, Lustspiele und Tragödien, Ballette, Pantomimen und Filmszenarien, die berühmten Opernlibretti für Richard Strauss (u.a. ‚Der Rosenkavalier‘, ‚Ariadne auf Naxos‘) sowie eine große Anzahl an Reden und Essays. Die Fülle literarischer Ausdrucksformen speiste sich aus einem beispiellosen Interesse am Experimentieren mit vorgefundenen Stoffen, am Erproben unterschiedlicher Gattungen und Sprechweisen. Rund 1.100 Werke und Werkpläne sind jetzt in 40 Bänden mit 28.500 Druckseiten dokumentiert…

Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, seit 2003 Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts/Frankfurter Goethemuseums; Foto: Petra Kammann

Hofmannsthals experimentelle Arbeitsweise brachte es also mit sich, dass der umfangreiche Nachlass mit Textvarianten, Entwürfen und Aufzeichnungen einen bedeutenden Teil des Werks ausmacht – knapp 430 publizierte Werke stehen rund 660 Entwurfskonvoluten gegenüber. Ein großer Teil der überlieferten Handschriften sowie die annotierte Arbeitsbibliothek befinden sich im Freien Deutschen Hochstift, wo die Bestände seit über 50 Jahren erforscht und an die Öffentlichkeit gebracht werden. 

Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe in 40 Bänden. Veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift. Hrsg. von Rudolf Hirsch u.a. Frankfurt am Main: S. Fischer 1975 – 2022. © Freies Deutsches Hochstift, Foto: Alexander Paul Englert

Für die Idee einer Kritischen Gesamtausgabe warb schon Rudolf Borchardt am Tag von Hofmannsthals Beerdigung im Juli 1929. In den Folgejahren brachte die Familie im S. Fischer-Verlag mehrere Werk- und Briefausgaben heraus. Weitere Projekte wurden durch den Nationalsozialismus verhindert, zumal die Familie 1939 emigrieren musste. Von 1945 bis 1959 konnte im S. Fischer Verlag eine 15-bändige Leseausgabe erscheinen, die unter schwierigen Bedingungen in den USA erarbeitet wurde. Sie machte Hofmannsthals Werk erstmals in ganzer Breite sichtbar, konnte jedoch den umfangreichen Nachlass nicht angemessen berücksichtigen. 

Ab 1963 verhandelten die Familie und der S. Fischer Verlag mit dem Freien Deutschen Hochstift über das Projekt einer kritischen Gesamtausgabe. 1967 wurde eine zentrale Redaktion eingerichtet, die in Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam die Ausgabe verwirklichte. Von 1969 bis 2008 wurde die Ausgabe von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, seitdem unterstützten der Deutsche Literaturfonds (Darmstadt) und vor allem die S. Fischer Stiftung (Berlin) die Editionsarbeit. Gemeinsam mit der Internationalen Hofmannsthal-Gesellschaft, die ihren Sitz ebenfalls im Freien Deutschen Hochstift hat, war und ist die Arbeitsstelle der Kritischen Ausgabe für Forschende aus aller Welt Anlaufstelle für ihre Fragen zu Werk und Biographie.

Freies Deutsches Hochstift – Sylvia von Metzler gratuliert der Mäzenin und Verlegerin Monika Schoeller (1939–2019) zum Maecenas-Preis 2018 , Foto: Petra Kammann

Drei Personen sind besonders zu nennen: Rudolf Hirsch (1905 – 1996), ehemals Geschäftsführer des S. Fischer Verlags, der über lange Zeit als spiritus rector der Ausgabe fungierte, die Verlegerin Monika Schoeller (1939 – 2019), die das Unternehmen bis zuletzt durch ihr persönliches Engagement entscheidend gestützt hat sowie Prof. Dr. Heinz Rölleke (*1936), der die Ausgabe seit 1989 als Projektleiter verantwortet und auch durch die Betreuung zahlreicher Dissertation und einer Habilitation entscheidend zum Erfolg des Projekts beitrug. Zu nennen ist schließlich Ellen Ritter (1943 – 2011), die in ihrer Dienstzeit als Editorin 7.000 Druckseiten Edition erarbeitete und maßgeblich dafür verantwortlich war, dass das Freie Deutsche Hochstift ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung mit Hofmannsthal wurde und blieb. 

Allein der letzte Band ‚Reden und Aufsätze 4 / 1920-1929‘ umfasst knapp 120 Texte, darunter die berühmte Rede ‚Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation‘ (1927), Hofmannsthals tastender Versuch einer Kulturdiagnose in einer Zeit der Umbrüche. Ferner enthält der Band Schriften zu Theater und Literatur in ihren historischen und aktuellen Ausprägungen, einen wichtigen Text zum Kino, mehrere Programmschriften für die Salzburger Festspiele sowie Reiseessays (Sizilien, Marokko). Bemerkenswert sind auch fünf Berichte aus dem Wiener Kulturleben, die für die amerikanische Zeitschrift ‚The Dial‘ entstanden und in denen sich Hofmannsthal u.a. zu Sigmund Freud äußert. 

Aufgeteilt ist die Kritische Ausgabe in neun Werkgruppen: Gedichte, Dramen, Operndichtungen, Ballette – Pantomimen – Filmszenarien, Erzählungen, Roman – Biographie, Erfundene Gespräche und Briefe, Reden und Aufsätze, Aufzeichnungen – Herausgebertätigkeit. Geboten werden die Werke in der beim Abschluss des genetischen Prozesses erreichten Gestalt. Der kritische Apparat stellt die Entstehungsgeschichte der Texte dar, erfasst sämtliche Überlieferungsträger, gibt die Notizen und Entwürfe wieder und verzeichnet die Varianz. Er bietet Zeugnisse zur Entstehung aus Briefen, Tagebüchern sowie anderen Aufzeichnungen Hofmannsthals und seiner Zeitgenossen. Die Texterläuterungen bringen neben Wort- und Sachkommentaren vor allem Zitat- und Quellennachweise sowie Hinweise auf Anspielungen und Parallelstellen im Werk Hofmannsthals.

Finanziell maßgeblich gefördert wurde die Ausgabe in den Jahren 1969 – 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seither wurde sie großzügig von der S. Fischer Stiftung (Berlin), dem Deutschen Literaturfonds e.V. (Darmstadt) und privaten Förderern unterstützt. Ermöglicht wurde dieses Großprojekt durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den S. Fischer Verlagen. Das persönliche Engagement der Verlegerin Monika Schoeller (1939 – 2019) hat das Unternehmen entscheidend unterstützt.

Am 22. Februar 2022  ist es nun soweit. Dann erscheint nämlich im Frankfurter S. Fischer Verlag endlich der Schlussstein eines Jahrhundertprojekts mit der kommentierten Edition der späten Essays von Hugo von Hofmannsthal.

Auch nach dem Abschluss der Ausgabe wird sich das Freie Deutsche Hochstift der Erforschung und Vermittlung von Hofmannsthals Werk und Lebenswelt widmen. In Kürze beginnt die Digitalisierung des Handschriftenbestandes, eine Online-Fassung der Kritischen Ausgabe wird sich anschließen. Bis zu den Feierlichkeiten des 150. Geburtstags im Jahr 2024 sind noch weitere Projekte in Arbeit. Man darf gespannt sein!

 

DIE HAUPTHERAUSGEBER 

Anne Bohnenkamp, Heinz Otto Burger †, Rudolf Hirsch †, Clemens Köttelwesch †, Detlev Lüders †, Mathias Mayer, Christoph Perels, Edward Reichel, Heinz Rölleke, Martin Stern, Ernst Zinn † 

DIE HERAUSGEBERINNEN UND HERAUSGEBER 

Johannes Barth, Werner Bellmann, Ingeborg Beyer-Ahlert, Klaus E. Bohnenkamp, Peter Michael Braunwarth, Hans-Georg Dewitz, Jürgen Fackert, Roland Haltmeier, Konrad Heumann, Rudolf Hirsch, Dirk O. Hoffmann, Manfred Hoppe, Götz E. Hübner, Katja Kaluga, Hans-Albrecht Koch, Klaus-Dieter Krabiel, Hans H. Lendner, Mathias Mayer, Christoph Michel, Donata Miehe, Michael Müller, Klaus G. Pott, Ursula Renner, Jutta Rißmann, Ellen Ritter, Heinz Rölleke, Catherine Schlaud, Gisela Bärbel Schmid, Willi Schuh, Martin Stern, Andreas Thomasberger, Olivia Varwig, Eugene Weber 

ÜBER DAS FREIE DEUTSCHE HOCHSTIFT 

Das Freies Deutsche Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum zählt zu den bedeutendsten Kultureinrichtungen Deutschlands. 1859 gegründet, ist es eines der ältesten Kulturinstitute Deutschlands und eine gemeinnützige Forschungsinstitution. Darüber hinaus ist es Träger des Frankfurter Goethe-Hauses, des Deutschen Romantik-Museums und Betreiber des Brentano-Hauses (letzteres gemeinsam mit der Stadt Oestrich-Winkel). Das Hochstift verfügt über Kunstsammlungen, eine Handschriftensammlung sowie eine Forschungsbibliothek. Den Schwerpunkt der Forschungsarbeit bilden derzeit zwei historisch-kritische Editionen zu Clemens Brentano und Hugo von Hofmannsthal; die Hybrid-Edition von Johann Wolfgang Goethes ‚Faust‘ erschien 2018. Außerdem verantwortet das Hochstift die Herausgabe eines literaturwissenschaftlichen Jahrbuchs, die Erarbeitung von Bestands- und Ausstellungskatalogen sowie Fachtagungen. In die Öffentlichkeit wirkt das Hochstift auch durch ein vielfältiges Programm mit Wechselausstellungen, Lesungen, Vorträgen, Podiumsgesprächen, Seminaren und Konzerten. Gefördert wird das Freies Deutsche Hochstift zu gleichen Teilen von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie von der Stadt Frankfurt am Main. 

www.freies-deutsches-hochstift.de 

 

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