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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Wir sind Jetzt“: Geschichte in empathischen Geschichten im neuen Jüdischen Museum (1)

Alles neu: Jüdisches Museum Frankfurt glänzt mit “Lichtbau“, saniertem Rothschild-Palais und neuer Dauer- und Wechselausstellung

Von Hans-Bernd Heier

Das Jüdische Museum der Stadt Frankfurt am Main war das erste nach der Schoa errichtete kommunale Jüdische Museum Deutschlands. Nach rund fünf Jahren Bauzeit haben das Erweiterungsgebäude, der sogenannte „Lichtbau“, und das sorgfältig sanierte Rothschild-Palais die Türen für die Besucherinnen und Besucher geöffnet. Mit diesem gelungenen architektonischen Ensemble erhält die Mainmetropole ein neues Zentrum für jüdische Geschichte und Gegenwart. Das älteste Jüdische Museum in der Bundesrepublik präsentiert in der neuen Dauerausstellung „Wir sind Jetzt“ die jüdische Geschichte Frankfurts von der Aufklärung bis zur Gegenwart.

Das Gebäude-Ensemble des neuen Jüdischen Museums mit der Skulptur „Untitled“ von Ariel Schlesinger; Foto: Petra Kammann

Auf dem neuen Museumsvorplatz, der den hellen Neubau mit dem renovierten Rothschild-Palais verbindet, posieren anlässlich der Pressekonferenz (von links): Museumsdirektorin Prof. Mirjam Wenzel, Oberbürgermeister Peter Feldmann, Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig, Andreas von Schoeler, Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums Frankfurt, und Ayse Asar, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst; Foto: Hans-Bernd Heier

„Mit dem Jüdischen Museum Frankfurt hat die Stadt bereits 1988 eine Stätte der Erinnerung und des Wissens geschaffen, die sich herausragende Verdienste um die Bewahrung und Vermittlung der jüdischen Geschichte und Kultur in Frankfurt erworben hat. Die feierliche Neueröffnung nach Erweiterung und Renovierung ist ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Entwicklung dieses Hauses. Wir wollen, dass jüdisches Leben in diesem Land sichtbar ist – in einer Gesellschaft, die friedlich und in gegenseitigem Respekt miteinander lebt. Antisemitismus und Rassismus, Hass und Hetze dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben“ so Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier.

Enthüllung der neuen Adresse Bertha-Pappenheim-Platz 1; v.l.n.r.: Sammlungsleiterin Dr. Eva Atlan, Direktorin Prof. Mirjam Wenzel, Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig, Ortvoreinsvorsteher Dr. Oliver Schrank

„Dass das Museum eine Neueröffnung am alten Ort und gleichzeitig neuer Adresse, dem Bertha-Pappenheim-Platz 1, feiert, ist etwas Außergewöhnliches“, betont Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig. Das neue Haus verbinde gekonnt Geschichte und Tradition. „Mit dem neuen Museumskomplex und dem 2016 wiedereröffneten Museum Judengasse ist ein einzigartiges Zentrum für jüdische Kultur in Geschichte und Gegenwart entstanden, das die Vielfalt jüdischen Lebens historisch und für die Gegenwart auf visuelle, emotionale und kognitive Art erfahrbar macht. Das Jüdische Museum wirkt dabei so einladend wie wenige Gebäude in unserer Stadt, der öffentliche Raum geht fließend in die Ausstellungsfläche über. Diese Offenheit ist ein elementar wichtiges Signal im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. Das Jüdische Museum ist einer der wichtigsten öffentlichen Räume unserer Stadt, an dem sich ihre Diversität ausdrückt und ihr Pluralismus verteidigt wird“.

Museumschefin Mirjam Wenzel im Interview in der Ausstellung „Die weibliche Seite Gottes“; Foto: Petra Kammann

Der neue „Lichtbau“ bietet Raum für Wechselausstellungen und Veranstaltungen, eine öffentliche Bibliothek, das erste milchig-koschere Café in einem Jüdischen Museum in Deutschland sowie einen Museumsshop. Als erste Sonderschau ist „Die weibliche Seite Gottes“ zu sehen, die die Visualität des Themas in den Vordergrund stellt und die kulturhistorischen Spuren von weiblichen Elementen in den Gottesvorstellungen der drei monotheistischen Religionen mit Darstellungen in der Bildenden Kunst zeigt. „Die Ausstellung schlägt damit einen bislang noch nicht unternommenen, kulturgeschichtlichen Bogen von antiken archäologischen Figurinen über mittelalterliche hebräische Bibelillustrationen, Madonnenbilder der Renaissance bis hin zu Interpretationen renommierter zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler“, wie Anselm Kiefer, R.B.Kitaj und Maria Lassnig, erläutern die Kuratorinnen Dr. Felicitas Heimann-Jelinek und Dr. Michaela Feurstein-Prasser.

Schreinmadonna, Frankreich, Mitte des 15. Jh., Olivenholz, vergoldet; Foto: Hans-Bernd Heier

Frankfurt war und ist eines der wichtigsten Zentren jüdischen Lebens in Europa. Die neue Dauerausstellung im neoklassizistischen Rothschild-Palais „Wir sind jetzt“, die sich über drei Etagen erstreckt, erzählt, wie Jüdinnen und Juden die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklung Frankfurts in den letzten 200 Jahren prägten und thematisiert zugleich die jüdische Erfahrung von Diskriminierung und Gewalt. Sie führt damit die Präsentation im „Museum Judengasse“ fort, die sich auf jüdisches Alltagsleben in der Frühen Neuzeit konzentriert. Fokussiert werden im denkmalgeschützten Palais zentrale geschichtliche Ereignisse und Konflikte, religiöse Fragestellungen sowie die Geschichte und Erfahrungen einzelner jüdischer Familien.

Blick in das restaurierte Rotschild-Palais Foto: Petra Kammann

In der ansprechenden von Sabine Kößling kuratierten Präsentation sind neben Kunst-Objekten, Kunsthandwerk, persönlichen Aufzeichnungen, Fotografien und Filme, historischen Dokumente und Alltagsgegenstände versammelt. Mediale Rauminszenierungen, Schattenspiel- und Film-Projektionen sowie Medienstationen mit Animationsfilmen, Slideshows und historische Filme ergänzen anschaulich die Präsentation. „Die Ausstellung verfolgt einen persönlichen wie narrativen Ansatz, betont die Pluralität jüdischer Lebensentwürfe und nimmt auch Bezug auf aktuelles Geschehen“, erläutert Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt. „Sie erzählt Geschichte in persönlichen Geschichten und aus einer Jüdischen Perspektive“.

Rachel Kanter “Between Me and God“, Tallit (Gebetsumhang) für Frauen, USA, Monclair, New Jersey, 2010, Baumwolle, Fotodruck, © Jüdisches Museum Frankfurt

Dabei spielt die bildende Kunst eine zentrale Rolle. Und hier kann das Museum aus dem Vollen schöpfen. Denn es hat, laut Sammlungsleiterin Dr. Eva Atlan „seit seiner Eröffnung systematisch Werke der bildenden Kunst gesammelt“. Heute umfasst die Kunstsammlung über 11.000 Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken von jüdischen Künstler*innen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Besondere Schwerpunkte der Sammlung bilden die Werke von Moritz Daniel Oppenheim, Jakob Nussbaum und Ludwig Meidner. „Systematisch sammeln wir Werke von jüdischen Künstler*innen im Exil und jüdischen Künstler*innen aus Frankfurt. Die Sammlung zeitgenössischer Kunst befindet sich im Aufbau und wird neben Malerei auch Fotografie, Skulptur, Installation und Film umfassen“, so Atlan.

Skizzenbücher von Jakob Nussbaum, einem der vergessenen Vertreter des deutschen Impressionismus, in Vitrinen und an den Wänden. Auf dem i-Pad erfährt man von seinem Leben, Foto: Petra Kammann

Eine ganz besondere Geschichte hat das ausgestellte Ölgemälde „Paysage – Le mur rose“ von Henri Matisse hinter sich. Dieses Werk aus dem Jahre 1898 zählt zu den wertvollsten Bildern aus der frühen Schaffensphase von Matisse. Der erfolgreiche Frankfurter Unternehmer und feinsinnige Kunstliebhaber Harry Fuld, Inhaber der Telefonfirma „H. Fuld & Co“, hatte das Gemälde 1917 für seine umfangreiche Kollektion erworben. Sein Sohn musste es 1937 bei seiner Flucht aus Deutschland zurücklassen. Die wertvolle Kunstsammlung wurde von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und 1943 von einem Berliner Auktionshaus versteigert.

„Le Paysage“ befand sich allerdings nicht unter den verkauften Kunstwerken, sondern in der Privatwohnung des Auktionators Hans Wolfgang Lange. Dann verliert sich für einige Jahre seine Spur, bis das Bild nach dem Krieg in Tübingen wieder auftaucht, wo es die französische Armee „als Kunstwerk ohne feststellbaren Eigentümer“ beschlagnahmte. Weil es französische Zollstempel trug, wurde es 1949 dem Musée d’Art Moderne in Paris übergeben“, schreibt in dem profunden Ausstellungsbegleitband Erik Riedel, der die Exilkunst-Sammlung und das Ludwig Meidner-Archiv betreut. Erst 2008 konnte das Museum die früheren Besitzer ermitteln. Das Werk wurde an die Erben der Familie Fuld restituiert und von diesen konnte das Jüdische Museum Frankfurt 2010 mit Hilfe vieler Unterstützer erwerben.

Ludwig Meidner „Klagender unter Toten“, aus dem Zyklus „Leiden der Juden in Polen“ oder „Massacres in Poland“, Großbritannien, London, 1942 – 1945, Aquarell, Kohle; © Jüdisches Museum Frankfurt

Eine bewegte Geschichte haben auch die Werke von Ludwig Meidner hinter sich. Ihnen hat das Museum einen eigenen Raum gewidmet. Meidner erfasste früher als andere Künstler mit seinem seismographischen Gespür die sich anbahnenden Katastrophen und reflektierte diese in seinen tief beeindruckenden visionären Arbeiten. Vor allem seine wild zerklüfteten „Apokalyptische Landschaften“ spiegeln seine düsteren Vorahnungen erschreckend wider. Sein Werk und seine Biographie stehen exemplarisch für die gesellschaftlichen Brüche, mit denen jüdische Künstlerinnen und Künstler im Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konfrontiert waren.

Ludwig Meidner „Zerlumpte Figuren“, um 1945, Aquarell, Kohle, Kreide, Ludwig Meidner-Archiv; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt

Im Zuge der Nazi-Aktion „Entartete Kunst“ werden 84 Werke Meidners aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt und einige auch in der Schandschau von 1937 gezeigt. Aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung emigriert der mit einem Malverbot geächtete jüdische Künstler im August 1939 ins Exil nach London. Dort, als „enemy alien“ interniert, leben er und seine Familie in großer Armut und Isolation. Da Meidner nicht in die englische Kunstszene integriert ist, kann er dort auch nicht reüssieren, wie der Kurator der Ludwig Meidner-Gesellschaft, Erik Riedel, betont.

Unter schwierigsten äußeren Bedingungen schuf er in dieser Zeit ein beeindruckendes Konvolut an Werken – 25 Skizzenbücher, Aquarelle, Kohle- und Bleistiftzeichnungen. Eine Auswahl der ausdrucksstarken Aquarelle und Schwarz-Weiß-Zeichnungen aus dem Bilderzyklus „Leiden der Juden in Polen, den er später „Massacres in Poland“ nannte, sind im Rothschild-Palais zu sehen.

1953 kehrt Meidner alleine nach Deutschland zurück. Seine Frau, Else Meidner, bleibt in London, während Sohn David bereits 1951 nach Israel emigriert ist. Der aus dem Exil Heimgekehrte kann trotz großzügiger Unterstützung von Hanna Bekker vom Rath nicht an seine Vorkriegserfolge anknüpfen. Der praktizierende jüdische Maler, der 1966 in Darmstadt stirbt, zählt zu den Künstlern der „verschollenen Generation“, die nach dem Krieg nicht mehr den künstlerischen Anschluss fanden; (s. a. Artikel in FeuilletonFrankfurt vom 26. April 2016 „Museum Giersch zeigt „Horcher in die Zeit – Ludwig Meidner im Exil“).

Jakob Nussbaum „Der Frankfurter Opernplatz“, Ölgemälde, 1905; diese Ansicht zierte viele Jahre das Wohnzimmer der Familie Frank-Elias in Basel; © Jüdisches Museum Frankfurt

Auch Jakob Nussbaum (1873 − 1936) zählt zu den einst bekannten und heute vergessenen Vertretern des deutschen Impressionismus. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt er als der bedeutendste jüdische Künstler in Frankfurt. Über drei Jahrzehnte hielt er Impressionen der Stadt in seinen Bildern fest. Er schuf einzigartige Kunstwerke und Dokumente der Zeitgeschichte. Neben herausragenden Gemälden werden in der Dauerausstellung auch Originaldokumente und Fotos aus dem Nachlass des Künstlers präsentiert. Dank der Unterstützung des ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Andreas von Schoeler konnte das Jüdische Museum nicht nur einige Gemälde von Nussbaum, sondern auch dessen Nachlass erwerben.

Nussbaums Malstil war geprägt durch die Freilichtmalerei der Berliner Secession, der er seit 1904 angehörte. Der Maler war Vorsitzender des Frankfurter Künstlerbundes und gründete die Frankfurter Künstlerhilfe. 1926 wurde ihm die Leitung eines Meisterateliers in der Städelschule übertragen. Bereits 1933 wurde Jakob Nussbaum, bekennender Zionist, als Lehrer an der Städelschule entlassen. Noch im selben Jahr emigrierte er mit seiner Familie nach Palästina, wo er sich am See Genezareth niederließ. Er starb dort 1936 im Alter von 63 Jahren.

(Teil2 folgt in Kürze)

Jüdisches Museum Frankfurt, Bertha-Pappenheim-Platz 1; „Museum Judengasse“, Battonnstrasse 47; weitere Informationen unter: www.juedischesmuseum.de

 

→ Gelungene Verbindung von Einst und Jetzt: Das neue Jüdische Museum, so persönlich wie multiperspektivisch

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