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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kulturelles Erbe: „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“ im Mainzer Landesmuseum

Neue Facetten des Mittelalters – Entscheidungsgewalt im Früh- und Hochmittelalter

Von Petra Kammann

In der Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“ mit ihren kostbaren Leihgaben lassen sich die Herrschaftsstrukturen der Kaiserzeit von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa verfolgen. Die Mainzer Schau stellt zusammenhängend dar, wie sich die Macht der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer rechts und links des Rheins, in der Region zwischen Köln/Aachen im Norden und Basel im Süden, zwischen Metz und Gelnhausen der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer, in Ost und West ausbreiten konnte. Interessante Partnerausstellungen in der Umgebung ergänzen das Bild des Mittelalters am Rhein als europäischem Energie- und Machtzentrum, das im Mittelalter die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrallandschaft Europas bildete.

Museumsleiterin Dr. Birgit Heide erläutert die Bedeutung des Throns in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Vernetzung einer starken Kulturregion am Rhein; Foto: Petra Kammann

Die Corona-Pandemie hatte die Vorbereitungen zum „Kaiserjahr“ erschwert, das nun aber durch vielfältige Unterstützung mit seinen insgesamt mehr als 600 Veranstaltungen bis Ende Oktober 2021 verlängert wird. Der wissenschaftliche Leiter der Ausstellung Prof. Dr. Bernd Schneidmüller, Historiker für mittelalterliche Geschichte an der Universität Heidelberg, erklärte an einem sonnigen Septembermorgen im Innenhof des Mainzer Landesmuseums bei einer offiziellen Pressekonferenz: „Ein Kaiser musste Furcht verbreiten und Liebe auf sich ziehen.“ Der Herrscher musste auch damals konsensfähig sein, wenn er seine politische Macht stabilisieren wollte. Doch hätten im Mittelalter ohnehin nur zehn Prozent der Bevölkerung einen Anteil an den Säulen der Macht gehabt.

Erläuternde Tafel in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

„Wir wissen, dass die vom Papst gesalbten Kaiser nicht unumstritten mit absoluter Macht über ihr Reich herrschten, vielmehr bewegten sie sich in einem spannungsvollen Machtgefüge mit Bischöfen, Fürsten, Rittern und Städten“, erklärte Schneidmüller, der vor zwei Jahren die Aufgabe von Prof. Stefan Weinfurter, einem der renommiertesten Mediävisten Deutschlands, übernommen hatte. Weinfurter war während der Ausstellungsvorbereitungen plötzlich verstorben.

Meister Heinrich Frauenlob, Codex Manesse, Universitätsbibliothek Heidelberg © Universitätsbibliothek Heidelberg

Keine leichte Aufgabe war es, die insgesamt 294 Exponate – Buchmalerei, Chroniken, Urkunden, Münzen, Architekturfragmente, Goldschmiedearbeiten, Waffen bis hin zu Gebrauchsgegenstände aus ca. 500 Jahren Mittelalter von 81 Leihgebern mit Leihgaben aus Rheinland-Pfalz,  aus der Schweiz, Österreich, den Niederlanden, Frankreich und Italien  – schlüssig auf etwa  1.200 Quadratmetern auszustellen und diese einem breiteren Publikum zu vermitteln. Die Ausstellung, chronologisch nach den Herrscherpersönlichkeiten Karl der Große, Heinrich II., Heinrich IV. und Heinrich V. sowie Friedrich I. Barbarossa geordnet, möchte nämlich auch die übrigen 90 Prozent der mittelalterlichen Bevölkerung zumindest schlaglichtartig sichtbar machen.

Große Adler-/Pfauenfibel, um 1000, Landesmuseum Mainz © GDKE Rheinland-Pfalz – Landesmuseum Mainz (Foto: Ursula Rudischer)

Natürlich dürfen bei einer derart breitangelegten Schau so kostbare Highlights wie die „Große Mainzer Adlerfibel“ mit dem pfauenähnlicher Adler, einem der prachtvollsten Beispiele mittelalterlicher Goldschmiedekunst, an diesem Ort nicht fehlen. Sie wurde 1880 bei Kanalbauarbeiten im Stadtgebiet von Mainz in Mauerresten mittelalterlicher Kellerräume im Siedlungskern der Stadt gefunden. Oder das „Ada-Evangeliar“, eine Leihgabe aus Trier, das als die kostbare Leithandschrift der Hofschule Kaiser Karls des Großen gilt, der an dieser renommierten Schule die führendsten Gelehrten der Zeit versammelte, denen er auch den entsprechenden Rang zugestand. In den Evangelistenbildern sind die Darstellungen nach dem Modell antiker Kaiserporträts gestaltet.

 Ada-Evangeliar, Buchdeckel Vorderseite, Stadtbibliothek Trier © Stadtbibliothek Trier (Foto: Anja Runkel)

Auch der „Codex Manesse“, die berühmte Heidelberger Liederhandschrift aus dem Mittelalter, die dem kunstsinnigen Sohn Friedrich Barbarossas, Heinrich VI., zugeschrieben wird, der vermutlich mit dem Minnesang durch einen Kreis von Dichtern am staufischen Hof in Kontakt kam, wurde für sechs Wochen aus Heidelberg ausgeliehen und ist im Landesmuseum zu sehen, sie gehört zu den Kostbarkeiten der Schau. Aus konservatorischen Gründen ist die zeitliche Begrenzung auch kaum länger vertretbar, weil der Einfluss des ständigen Lichts schädlich für das Buchjuwel wäre. Auch hier ist vorgesorgt, ein kostbarer Faksimile-Druck wird dann in der Ausstellungsschatulle liegen.

Die „Goldene Bulle“, Foto: Petra Kammann

Dann die berühmte „Goldene Bulle“, deren Name sich von der Art der Besiegelung der Urkunde ableitet. Die „Goldene Bulle“ Kaiser Karls IV. (1346–1378), ein Gesetzbuch in lateinischer Sprache, regelte fortan dauerhaft die Wahl des römisch-deutschen Königs und künftigen Kaisers durch die Kurfürsten bis zum Ende des alten Reichs im Jahr 1806. Da sie zu den ältesten Sukzessionsordnungen in Europa überhaupt gehört, steht diese Verordnung seit 2013 als bedeutendes europäisches Grundgesetz auf der UNESCO-Liste des Weltdokumentenerbes. Unmöglich, das dynamische Beziehungsgeflecht, in dem über einen Zeitraum von fünf Jahrhunderten Kaiser, Kaiserinnen und Könige, Fürsten und Feldherren, Ritter und Reichsfürsten, Bürger und Städte miteinander verwoben waren, zu erfassen, weshalb sich ein mehrfacher Besuch zur Vertiefung empfiehlt.

Auf einer Tafel werden die Korrespondenzausstellungen gezeigt; Foto: Petra Kammann

Besonders auch die Einbeziehung der Umgebung, ist ein Vorteil dieser Gesamtkonzeption für die Region. Denn in 26 „Korrespondenzausstellungen“ werden einzelne Aspekte der mittelalterlichen Kaiserzeit an 15 Orten vertieft, darunter in Hessen im Kloster Lorsch und in der Kaiserpfalz in Gelnhausen. Als besonders bereichernd empfand ich den Umgang mit jüdischen Denkmälern im Raum des Rheins, vor allem in Mainz, Speyer und Worms, wo im Mittelalter die einflussreichen, europaweit vernetzten jüdischen SchUM-Gemeinden entstanden, „die bis heute als ´Wiege des aschkenasischen Judentums´ gelten“, wie Dr. Stefanie Hahn vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur erläuterte, die gemeinsam mit Thomas Metz von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) die Gesamtverantwortung für die Ausstellung trägt. SchUM ist die Abkürzung von: Schin (Sch) = SchPIRA = Speyer, Waw (U) = Warmaisa = Worms, Mem (M) = Magenza = Mainz. Besonders interessant auch, dass es zur um 1100 entstandenen Synagoge eigens eine Frauenschule gab. Eine Sonderausstellung „SchUM am Rhein – vom Mittelalter in die Moderne“ im Wormser Raschi-Haus widmet sich der jüdischen Geschichte genauso wie „Innovation made in SchUM“ im Museum SchPIRA und Judenhof eine Sonderausstellung in Speyer.

Beleg der „Frauenschule“, die sich bei der Synagoge befand; Foto: Petra Kammann

Aber auch die Reisewege der Kaiser lassen sich etwa in Ingelheim verfolgen, über „Die Kaiserflüsterin: Hildegard von Bingen und Friedrich Barbarossa – Fakten und Fiktionen“ erfahren wir in einer Sonderschau im Museum am Strom in Bingen etwas über ihre Beziehungen zu Kaiser Friedrich Barbarossa. Das Kloster Lorsch als bedeutendes Macht-, Geistes- und Kulturzentrum seiner Zeit, und bekannt durch seinen gereimten „Bienensegen“, zeigt eine Tafelausstellung der mehr als zwanzig Herrscherbesuche. Schließlich hatte Karl der Große die Abtei in Lorsch um 800 zu seinem Besitz mit einem berühmten Scriptorium gemacht hatte. Undundund. Es lohnt sich, die Gegend neu zu entdecken. Man wird sie nach dem Besuch auch der vielen zusätzlichen Ausstellungen sicher mit anderen Augen betrachten.

Schätze aus Ingelheim ; Foto: Petra Kammann

 

Neue App: Kulturerbe unterwegs

Das Kulturelle Erbe in Rheinland-Pfalz ist ab sofort via Web App unter dem Namen „Kulturerbe unterwegs“ auf jedem Smartphone, Tablet, Computer oder Laptop erreichbar. So kann zwischen den Kategorien Burgen, Pfalzen, Klöstern, Dome & Kirchen, Kaiser*innen & König*innen, Jüdisches Leben, Bauern & Bürger, Frauengeschichten, Städten und Ritter & Adel gewählt werden.

Online-Ticket Buchungen unter www.kaiser2020.de

darunter auch Kombikarten (Landesausstellung und Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz) oder 2- und 3-Tageskarten. Ermäßigte Eintritte für Schüler, Studenten, Rentner, Wehrdienstleistende, Zivildienstleistende, Arbeitslose, Schwerbehinderte, Inhaber JULEICA ohne Gruppe, Inhaber Museumscard Pfalz)

Der Ausstellungskatalog

Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa. Generaldirektion Kulturelles Erbe und Bernd Schneidmüller (Herausgeber) ist im Landesmuseum Mainz, Große Bleiche 49-51 erhältlich, 560 Seiten,, Verlag weg Theiss,  29 € (Museumsausgabe)

 

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