home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ingelheimer Kunstforum zeigt „Paul Klee. Tierisches“

Fabelhafte Mischwesen und vom Tierischen im Menschen und vom Menschlichen im Tier

Von Hans-Bernd Heier

In Paul Klees Werk spielen Tierdarstellungen eine besondere Rolle. In einer exzellenten Themenschau, die in enger Kooperation mit dem „Zentrum Paul Klee Bern“ entwickelt wurde, ist das facettenreiche tierische Universum des Bauhaus-Künstlers Paul Klee (1879 – 1940) erstmals in Deutschland zu sehen. In der 61. Ausstellung der „Internationalen Tage Ingelheim“ versammelt das Kunstforum unter dem Titel „Paul Klee. Tierisches“ rund 110 Werke auf Papier (Zeichnungen, Aquarelle, Radierungen), vier Gemälde, Fotografien aus Klees Familienalbum sowie Beispiele seiner Naturaliensammlung.

Paul Klee „Das Lamm“, Öl- und Federzeichnung auf Pappe,1920; Städel Museum, Frankfurt am Main; © Städel Museum-ARTOTHEK

Bereits als 15- und 16-Jähriger füllte der frühbegabte Paul Klee Schulhefte mit detaillierten Zeichnungen über Vögel und wirbellose Tiere mit entsprechenden biologischen Anmerkungen. Schon hier zeigte sich sein außerordentliches zeichnerisches Talent und seine Vorliebe für Tiermotive. Ihn begeisterte die Vielfalt von Vögeln, Insekten und anderen Lebewesen. Diese frühe und intensive Beschäftigung mit der Tierwelt ist eine Grundlage zum Verständnis von Klees künstlerischer Auseinandersetzung mit Tieren – ein Sujet, das ihn sein Leben lang  faszinieren sollte.

Schulheft von Paul Klee, 1894, Zoologie, Vögel, II. Heft, Feder; Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee; ein Video zeigt alle Seiten dieser mustergültigen Kladde; Foto: Hans- Bernd Heier

In der großartigen Präsentation im alten Ingelheimer Rathaus werden bis zum 8. November 2020 viele Facetten der Beziehungen zwischen Mensch und Tier bzw. auch umgekehrt aufgezeigt. Die Exponate verdeutlichen, mit welcher Intensität und spielerischer Hintergründigkeit der in Münchenbuchsee bei Bern geborene Paul Klee in seinem gesamten künstlerischen Schaffen das Tierische im Menschen und das Menschliche im Tier hervorhebt. „Mit großer Freude an der Zeichnung und mit hintergründigem Humor erforscht der Künstler die Grenzen zwischen der Vermenschlichung der Tiere und der „Vertierung“ des Menschen“, kommentiert Dr. Ulrich Luckhardt, Leiter der Internationalen Tage Ingelheim.

Wasserturmvogel, Tempera und Bleistift auf Papier auf Karton, 1937; Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

„Mit seinen zutiefst menschlichen Tieren und ‚vertierten‘ Menschen hinterfragt der Künstler unser Verständnis zueinander und schafft eine irritierende, bisweilen ironische Distanz, deren Betrachtung oft schmunzeln lässt“, ergänzt Ko-Kuratorin Myriam Dössegger vom Paul Klee-Zentrum. Seine zahllosen Tierdarstellungen bewegen sich zwischen der Erkundung der Natur und der Erschaffung neuer geheimnisvoller Kreaturen. Mit humorvollen Kommentaren zum vielschichtigen Verhältnis von Mensch und Tier lässt sich Klee durch die unerschöpfliche Formenvielfalt der Natur anregen. Dabei lässt er Mensch und Tier völlig gleichberechtigt auftreten und hält mit seinen Tier-Darstellungen den Menschen den Spiegel vor.

Paul Klee „Tiere begegnen sich“, Öl- und Kleisterfarbe auf Karton auf Holz, 1938; Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

Die klar strukturierte Schau ist in fünf thematischen Werkgruppen gegliedert: „Tiergarten“, „Mensch und Tier“, „Katzen und Hunde“, „Vögel und Fische“ sowie „Mischwesen“ und „URCHS“, einer vom Künstler eigens erfundenen Tierart. In der Wortraffung kombiniert der geniale Zeichner den Ochsen mit dem längst ausgestorbenen Ur. Außerdem klingt im URCHS laut Luckhardt das Wort „urchig“ an, berndeutsch für „urig“. Der Name charakterisiert dieses Mischwesen als urtümliche Kreatur, während der naiv-kindliche Zeichenstil dieser Tierart eine gewisse Komik verleiht. Zu den Urchs hat sich Klee wohl von Wasserbüffel in einer Monografie, mit der er sich damals beschäftigte, inspirieren lassen. In seinem letzten Lebensjahr hat er daraufhin eine ganze Serie von Zeichnungen  geschaffen.

Paul Klee „Muttertier“, Ölfarbe auf Grundierung auf Papier auf Karton, 1937; Zentrum Paul Klee, Bern

Zu den Phantasiewesen dürfte den belesenen Künstler auch die klassische Literatur angeregt haben. In der ägyptischen wie griechischen Mythologie tauchen die unterschiedlichsten Mischwesen auf: neben der Sphinx, zahllosen Vermischungen und Verwandlungen von Tieren, Göttern und Menschen. „Mit großer Fabulierlust hat Klee in seiner Bildwelt neue hybride Wesen erfunden, denen er eigene Charaktere, Emotionen oder Verhaltensweisen zuweist“, so Myriam Dössegger. Dabei lässt Klee typische Bewegungsmuster oder charakteristische Proportionen der jeweiligen Spezies in seine Darstellungen einfließen. Dadurch wirken manche der Wesen so fremd und vertraut zugleich.

Von Klees Lieblingstieren, den Katzen, sind einige Fotos in der Ingelheimer Schau zu sehen; Foto: Hans-Bernd Heier

Klee war ein ausgesprochener Katzennarr. Von frühster Jugend an begleiteten ihn Katzen als Haustiere. In zahlreichen seiner Werke tauchen sie in sehr unterschiedlichen Positionen auf. Auch in Fotoalben der Familie Klee finden sich unzählige Katzenbilder. Etliche fotografierte der Künstler selbst, viele davon sind verschwommen, da die vierbeinigen Mitbewohner nicht lange genug stillhielten. Selbst in Klees Korrespondenz mit seiner Frau Lily waren Katzen ein häufiges Thema.

Paul Klee „ein tier bald wieder heiter“, Kreide auf Papier auf Karton, 1940; Zentrum Paul Klee, Bern

In seinen spontanen, von kurvigen oder eckigen Linien bestimmten Zeichnungen sind immer wieder neue Bezüge und ironische Hinweise auf das Zusammenspiel von Mensch, Tier und Mischwesen zu entdecken. Bei seinen Werken spielen Bildtitel, die er meist fein säuberlich geschrieben unter die Papierarbeiten setzt, eine besondere Rolle zum Verständnis: Klees oft poetische bis satirische Titel verleihen den Zeichnungen und Aquarellen nicht nur Tiefgründiges, sondern auch etwas Leichtes und Komisches. Sie fördern bei Erwachsenen und Kindern den Spaß, jedes einzelne Wesen aufzuspüren.

Paul Klee „Konzert der Parteien“, Feder und Aquarell auf Papier, 1907; Zentrum Paul Klee, Bern

Der vielseitige Künstler interessierte sich auch für den Vogelflug als freie Bewegung im dreidimensionalen Raum. Viele seiner Werke sind aus geometrischen Formen und Elementen von Vögeln zusammengesetzt, die sich beispielsweise im Sturzflug befinden. Auch für die Unterwasserwelt und ihre Farben- und Formenvielfalt begeisterte er sich. Wie die Vögel in der Luft sind auch die Fische nicht durch die Schwerkraft an die Erdoberfläche gebunden. So zeigt die Ingelheimer Ausstellung eine ganze Serie von Fischzeichnungen. Als Inspirationsquelle für seine Arbeiten dürfte Klee darüber hinaus auch die eigene Sammlung von gefundenen Muscheln und Steinen gedient haben.

Paul Klee „Insecten“, kolorierte Lithografie, 1919; Sammlung E.W.K., Bern

Angesichts der heiteren Leichtigkeit, die Klees Tierdarstellungen ausstrahlen, könnten beim Betrachter die Jahrtausende alten ambivalenten Beziehungen zwischen Mensch und Tier vordergründig aus dem Blickwinkel geraten. Doch damals wie heute war und ist das Verhältnis kompliziert und widersprüchlich. Geliebte Haustiere werden zu Mitgliedern der Familie, während Nutztiere einer industriellen Verarbeitung ausgeliefert werden. Klee hat, laut Dössegger, diese Beziehungen ebenfalls auf vielfältige und immer wieder überraschende Art reflektiert und in zahlreichen Werken thematisiert: Zeigt sich in manchen Darstellungen ein harmonisches Zusammenleben, werden in anderen Konflikte und Gewalt offenbar.

Zu der besonderen Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog im Hirmer Verlag, München, erschienen, 144 Seiten, 120 Abbildungen in Farbe, Preis: 24,90 Euro.

Die Internationalen Tage sind seit 1959 ein Kulturengagement von Boehringer Ingelheim. Die Ausstellung „Paul Klee. Tierisches“ ist bis zum 8. November 2020 im Kunstforum Ingelheim zu bestaunen (Kunstforum Ingelheim – Altes Rathaus, François-Lachenal-Platz 1)

Weitere Informationen unter: www.internationale-tage.de

Fotos (soweit nicht anders bezeichnet): Zentrum Paul Klee, Bern

Comments are closed.