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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Norgall-Preis an Dr. Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels, verliehen vom IWC in der Villa Bonn

„Ich habe eine Stiftung gegründet und wurde Feministin“, Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels

Ein Bericht von Renate Feyerbacher 

Dr. Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels, Foto: Petra Kammann

„Ich bin sehr bewegt, durch das, was hier geschieht – lch habe selbst schon viele Preise vergeben – aber noch nie einen erhalten“, so beginnt Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels ihre Rede.

Wird höchste Zeit, denn schon seit 25 Jahren existiert ihre außergewöhnliche Stiftung, die sich für die Belange von Frauen einsetzt. Hat sich deshalb, weil für Frauen, bisher nichts getan? Sie bekam zwar Bundesverdienstkreuze, aber in der Liste der Preisträger der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt zum Beispiel habe ich die gebürtige Frankfurterin nicht gefunden. „Dichter, Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten des kulturellen Lebens […], die durch ihr schöpferisches Wirken einer dem Andenken Goethes gewidmeten Ehrung würdig sind.“ Würdig, das ist die engagierte, hochgebildete, faszinierende Norgall-Preisträgerin sicherlich.

Norgall-Preisträgerin Gräfin zu Solms-Wildenfels mit der IWC-Präsidentin Roseann G. Padula, Foto: Petra Kammann

Uwe Becker, Bürgermeister und Kämmerer der Stadt Frankfurt am Main, sowie Beauftragter der Hessischen Landesregierung für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, ehrte die Preisträgerin am 11. März in der Villa Bonn, einen Tag nach dem Geburtstag von Elisabeth Norgall (10.März 1887, gestorben in Frankfurt 1981), Gründerin des International Women’s Club (IWC). Eingeladen hatte die amtierende Präsidentin des IWC, Roseann G. Padula. Sabine Schmitt als Vorsitzende des Vorschlags-Komitees hielt die Laudatio, in der sie die Preisträgerin und die vielfältigen Aktivitäten der IzS vorstellte.

Launige Rede von Uwe Becker über die Preisträgerin auf Englisch, Foto: Petra Kammann

Ingrid zu Solms-Wildenfels ist die Tochter eines Mediziner-Ehepaares, die Mutter, eine der wenigen Akademikerinnen der damaligen Zeit, war in eigener großer Praxis tätig. Der Vater war Klinik-Chef. Bei diesem guten Einkommen hätte also die Mutter nicht arbeiten müssen. Aber für sie sei es ausgeschlossen gewesen, ihren Ärztinnen-Beruf nicht zu praktizieren. Dafür habe sie die Schwierigkeiten des Studiums, das Frauen sich geradezu erobern mussten, nicht auf sich genommen. Diese Mutter war für die Tochter Ingrid „Rolemodell“, sprich Vorbild.

Auch sie studierte Medizin in Mainz, Basel, Würzburg und Frankfurt, promovierte in Heidelberg und arbeitete danach als Fachärztin für Innere Medizin an der Universitätsklinik München, in der Kerckhoff-Klinik der Max-Planck-Gesellschaft Bad Nauheim und im Kreiskrankenhaus Bad Homburg. Außerdem war sie drei Jahre lang in der Psychotherapeutischen Universitätsklinik Mainz tätig.

Ab 1973 folgten 25 Jahre in eigener Praxis und gleichzeitig betreute sie eigenverantwortlich die Bewohner des Wohnstifts Augustinum. Es ist erstaunlich, was Gräfin Solms zu Wildenfels noch alles bewegt und gegründet hat und auch heute noch bewegt. Laudatio.Schmitt

Laudatorin Sabine Schmitt bei der Überreichung des Norgall-Preises in der Villa Bonn an Gräfin Solms-Wildenfels, Foto: Petra Kammann

Eine Stiftung hatte sie eigentlich nicht geplant. Die Idee kam ihr spontan, als sie 1993 von der Klage der Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) hörte, nämlich, dass es keinen Wissenschaftspreis für Ärztinnen gäbe. Danach ging sie zu ihr hin und sagte: „wenn Sie das ernst meinen, dann haben Sie den Preis.“ Und tatsächlich gründete sie 1994 die Ingrid zu Solms-Stiftung (Isz) unter dem Dach des DÄB. Dass diese Verbindung nach fünf Jahren zerbrach, lag daran, dass nun auch die Frauenbeauftragten der Universitäten den Preis erhalten sollten. Das war nicht im Sinne von Gräfin zu Solms-Wildenfels. Ihr ging es um Exzellenz, nicht um Quote. „Ich war keine Feministin, die eine Stiftung gründet – ich habe eine Stiftung gegründet, und wurde Feministin! Durch die Schicksale, die ich gehört habe. Das ist die traurige Wahrheit.“

Erweitert wurde die Stiftungs-Aufgabe sieben Jahre später um die MINT-Fächer, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, in denen Frauen auch heute noch unterrepräsentiert sind. Woran liegt das? In der Neue Zürcher Zeitung hieß es am 30.9.2019: „So gibt es keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Männer mathematisch begabter wären als Frauen. Zwar schneiden bei den internationalen Pisa-Studien, für die das schulische Wissen 15-Jähriger mit standardisierten Fragebögen getestet wird, die Knaben im Schnitt in Mathematik besser ab als die Mädchen. Der Vorsprung der Knaben ist jedoch vergleichsweise gering. Und er verschwindet in den meisten Ländern, wenn man den Mädchen das sich selbst erfüllende Stereotyp ausredet, sie seien mathematisch unbedarfter“. (Autor Stefan Häberli)

Persönliche Worte der Laudatorin Dr. Katharina Höfer vom Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg, Foto von Petra Kammann

Zur Feier des Norgall-Preises eingeladen, wurde Dr. Katharina Höfer vom Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg. Sie erhielt für ihre Doktorarbeit am 9. November 2019, wie sie besonders hervorhob, am Tag des Mauerfalls vor 30 Jahren, den IsZ-Preis Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften, den es seit 2007 gibt. „Frau Dr. Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels reißt seit langer Zeit viele Mauern in der Gesellschaft ein!“ Höfer erzählt in ihrer kleinen, persönlichen Laudatio, welchen Einfluss der Preis auf sie selbst gehabt habe. Sie sei in der Bewerbungsphase gewesen, als sie ihn erhielt. „Der Preis verlieh mir neues Selbstbewusstsein! Mit viel Freude kann ich ihnen heute berichten, dass ich zum 1. April meine Nachwuchsgruppe an der Universität Marburg starte!“ s.→ Laudatio-Höfer. Das zeigt, was Frauen dieser Preis außer Öffentlichkeit, Ehre und Geld auch sonst noch bringen kann.

Dankesrede der Preisträgerin, Foto: Petra Kammann

Gräfin zu Solms-Wildenfels erinnerte in ihrer Dankesrede an die erste Preisträgerin 1995, Babette Simon, sie wurde später die erste Präsidentin einer deutschen Universität, nämlich der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg und ist heute Vorsitzende des IsZ-Kuratoriums. „Wenn es um gute Stellen, Macht und Geld geht, kämpfen Männer in der Wissenschaft mit harten Bandagen gegen Frauen, aber auch gegeneinander.[..] Sie war es, die mir als erste die Augen öffnete, als sie berichtete, dass sie nur durch den IzS-Preis durchsetzen konnte, einige Untersuchungen an der Uni Klinik ausführen zu dürfen, die sie für eine Oberarztstelle brauchte. Das waren Arbeiten, die ihr aber aus Konkurrenzgründen mit einem männlichen Kollegen von ihrem Chef versagt wurden. Als Preisträgerin durfte sie die Arbeit vornehmen. So war das damals an manchen Orten – und ist es heute noch.[..]  Wird auch bei Männern  anonym darauf hingewiesen, dass eine Veröffentlichung zu gut ist, um von einer Frau geschrieben worden zu sein?  Natürlich anonym… Eine fast unglaubhafte Tatsache, die passiert ist!“ IWC Rede Norgallpreis 11.3.20

Überglücklich über die Urkunde, Foto: Renate Feyerbacher

In den Jurys, welche die Preisträgerinnen aussuchen, sitzen hochkarätige Wissenschaftler*innen. Für den Wissenschaftspreis hatte bisher Simone Fulda, Professorin für Experimentelle Tumorforschung, Direktorin des Instituts für Experimentelle Tumorforschung in der Pädiatrie, und seit 2018 Vizepräsidentin für Forschung und akademische Infrastruktur der Goethe-Universität Frankfurt, den Vorsitz inne. Nun Ist es Christof von Kalle, Professor an der Charité Berlin. Es gibt für Gräfin zu Solms-Wildenfels also keine Berührungsängste gegenüber männlichen Kollegen. Die Gender-übergreifenden fachspezifischen Jurys verleihen dem Preis einen hohen Stellenwert.

Von dreizehn Preisträgerinnen für Medizin wurden vier Leiterinnen von Universitätskliniken und zwei Institutsleiterin in Deutschland. Eine davon, nämlich Simone Fulda, wurde Vizepräsidentin der Goethe-Universität. Drei von sieben Naturwissenschaftlerinnen sind renommierte Leibniz-Preisträgerinnen. Und viele sind Mütter. Im Beirat Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften sitzen Vater und Sohn, Wolfgang Grill, ehemals Professor für experimentale Physik in Leipzig, und Stephan Grill, Biophysiker, heute Direktor am Max-Planck-Institut in Dresden und bereits 2011 mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis ausgezeichnet.

Was auch noch wichtig ist: Wissenschaftlerinnen bis 40 Jahre können sich bewerben ohne Empfehlungsschreiben ihres Chefs. Und über das Preisgeld können sie frei verfügen.

Alle zwei bis fünf Jahre verleiht die Stung den IzS-Menschenrechtspreis, erstmals wurde er 2002 verliehen. 2016 ging er an Lanna Idriss, die syrischen Frauen in jordanischen Flüchtlingslagern Arbeit organisierte und zum Verkauf brachte.

Lanna Indriss, heute Geschäftsführerin von Amnesty International, Foto: Renate Feyerbacher 

Inzwischen hat Lanna Idriss ihre Vorstandsarbeit bei der BHF-Bank aufgegeben und ist jetzt Geschäftsführerin von Amnesty International in Berlin. Der Preis habe zu ihrer Entscheidung beigetragen, so Lanna Idriss, und dazu die Gräfin: „Ich habe mich selten über eine Nachricht so gefreut wie über diese! [–] Heute stehen die Menschenrechte meinem Herzen fast am nächsten! Ich freue mich sehr, dass wir Seyran Ates, die erste Imanin und Gründerin der liberalen Moschee in Berlin, und Dürkan Tekkal, die sehr umtriebige Jesidin, in unseren Reihen haben.“ Durch ihr Berufsförderungsprojekt für junge Frauen im Kosovo, wurde die IzS-Stiftung bei den Vereinten Nationen (UNMIK) als NGO registriert.

v.l.n.r.: Prof. Elisabeth Koch (RA) Geschäftsführerin der IzS-Stiftung, Norbert Abels, Raphael Gromes, Gräfin zu Solms-Wildenfels, Pianist Julian Riem, Foto: Renate Feyerbacher

Last not least der Kulturpreis der IzS, dessen Beirats-Vorsitz Professor Norbert Abels, der ehemalige Chefdramaturg der Oper Frankfurt, inne hat. Im Feuilleton haben wir zuletzt über die Verleihung an die junge deutsche Cellistin Raphaela Gromes berichtet und 2015 über die Dirigentin Eun Sun Kim, die heute das Cincinnatti Orchestra leitet.

Kulturpreis der IzS: die Dirigentin Eun sun Kim, Foto: Renate Feyerbacher

Um bei der Musik zu bleiben. Mit Werken von Frédéric Chopin und Astor Piazzolla, das Werk wurde von der Pianistin bearbeitet, stimmte Ekaterina Kitaeva auf die Preisverleihung ein. Die gebürtige Moskauerin, die auch dort studierte sowie auch an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt, begeisterte durch ihr leidenschaftliches, dynamisch-feinfühliges, meisterhaftes Spiel.

Die Pianistin und IWC-Clubmitglied Ekaterina Kitaeva spielte Chopin und Piazzola, Foto: Petra Kammann 

Erwähnt werden soll auch noch das IzS-Stipendium für hoch begabte Schülerinen in Hochleistungsschulen, vorzugsweise aus bildungsfernen Familien. Es geht darum, kreative und geistige Elite zu fördern.

Denn die jungen Frauen haben sich nicht nur gegen Männer zu behaupten, sondern auch gegen die Meinung traditioneller Frauen, die darauf pochen, dass wenn Frauen Kinder  haben, sie diese bitteschön auch selbst versorgen sollen. Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels schloss ihre Dankesrede mit ermutigenden Worten:„Manchmal steht man wie im Nebel, man kennt das Ziel – aber man kennt den Weg nicht mehr – und dann kommt plötzlich ein erhellender Sonnenstrahl: Der Norgall-Preis!“

Gruppenbild mit Herrn: Roseann G. Padula, Katharina Höfer, Sabine Schmitt, Gräfin zu Solms-Wildenfels, Uwe Becker und das Norgall Award Committee 2019/2020, Foto: Petra Kammann

 

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