Skulpturale Fotografien in der Galerie-Peter-Sillem
Barbara Klemms Blick auf Skulpturen von der Antike bis in die Gegenwart
Spannungsreicher Dialog zwischen Fotografie und Skulptur, zwischen Licht und Schatten, zwischen Tiefe und Weite
Von Petra Kammann
Die Frankfurter Studentin und Künstlerin Lena Eckerlein vor Barbara Klemms Fotos vom Reichstag, den Christo & Jeanne Claude verhüllt hatten, Foto: Petra Kammann
Auf dem Schaumainkai in Sachsenhausen wirbt die Liebieghaus Skulpturensammlung für die Ausstellung „Bunte Götter“. Sie räumt auf mit unserer Vorstellung, dass antike Skulpturen in reinem Marmorweiß zu sein hätten, die Göttern und Heldenstatuen der Antike seien nunmal farbig bemalt gewesen. Diese Schau, die unser Autor Hans-Bernd Heier noch für uns besprechen konnte, ist seit 2003 mit großem Erfolg um die Welt getourt und kam vor Kurzem wieder in einer vergoldeten Variante nach Frankfurt zurück. Das Haus, in dem wir sie sehen könnten, ist – wie andere Museen derzeit auch – geschlossen. Ganz anders sind die Voraussetzungen in der Frankensteinerstraße 1, wo die Galerie-Peter-Sillem liegt.
An einer Wand im vorderen Raum hängt Barbara Klemms Serie „Roden Crater“, Arizona, USA, James Turrell, 2004
Dort können wir Skulpturen und skulpturale Räume zur Zeit in unterschiedlichen Ausprägungen in Schwarz-Weiß und in minimalistischer Strenge erleben, sogar beim Blick durch die Fensterscheiben. Der kompakte White Cube der Galerie mit seinem kleinen intimen Kabinett, in dem der Galerist immer wieder geschickt thematisch vergleichbare Foto-Arbeiten zusammenstellt, ist sogar auch von außen gut einsehbar. Selbst, wenn die Türen der Galerie geschlossen sind, wirken die Exponate überzeugend.
Die Rede ist von den Schwarz-Weiß-Fotografien der Frankfurter Fotografin Barbara Klemm, die derzeit dort ausschließlich Skulpturales zur Schau stellt. Berühmt geworden ist sie vor allem durch ihre politischen oder auch so authentischen Alltags-Reportagen an den verschiedensten Ecken der Welt, die sie über 40 Jahre lang für die FAZ, vor allem für die Tiefdruckbeilage „Bilder und Zeiten“ gemacht hat. Allein ihre einprägsamen Schwarz-Weiß- Bilder vom Fall der Berliner Mauer sind inzwischen aus keiner kritischen Zeitgeschichte mehr wegzudenken.
Die Tochter des Künstlerehepaars Klemm – Vater Fritz Klemms Gemälde hängen im renommierten Städel ebenso wie ihre Fotos – hatte daneben aber immer auch einen emphatischen Blick für Künstler, Schriftsteller und Menschen. So beobachtete sie ganz diskret mit ihrer Kamera Menschen im Museum, wie sie beglückt, einsam, versunken oder in Grüppchen auf Gemälde und Skulpturen schauen.
Barbara Klemm ist eine poetische Chronistin und eine der „bedeutendsten Fotografinnen, eine große Dokumentaristin und eine Künstlerin von Rang“, hieß es 2010 in der Frankfurter Paulskirche über sie, als ihr, und somit zum ersten Mal, der renommierte Max-Beckmann-Preis einer Fotografin überreichte wurde. Zu Recht. Denn jedes ihrer Schwarz-Weiß-Fotos ist eine Komposition, entstanden in einer Zeit, in der man die Fotos noch nicht unmittelbar auf der Vorschau der Digitalkamera beurteilen und auch wieder löschen konnte, wenn sie nichts taugen.
Barbara Klemm: Roden Crater, Arizona, USA, James Turrell, 2004. Signierter Silbergelatineabzug, 40 x 30 cm
Und weil Barbara Klemm sich auf Treffen mitten jeweiligen Künstlern stets gut vorbereitete, wurde sie auch entsprechend offen von diesen empfangen. Zweifellos schätzten sie an ihr, dass sie nie darauf aus war, Sensationen hervorzukehren oder preiszugeben.
So konnte sie auch James Turrell besuchen, der mit seinem Land-Art-Projekt „Roden Crater“ in einem Vulkan in Arizona, etwas so Spektakuläres erschaffen hat, dass es sie vor allem wegen des Spiels von Licht und Schatten reizte, dieses modellierende Licht fotografisch einzufangen. Zweieinhalb Tage verbrachte sie 2004 an diesem meditativen stillen Ort „Roden Crater“, um vor Ort das geeignete Tag- und Nacht- bzw. Mondlicht abzuwarten, dort, wo nach den Plänen des Land-Art-Künstlers unterirdische Räume von geradezu sakraler Wucht entstehen. Durch das Spiel von Hell und Dunkel entstand so eine Serie reduziert gestalteter Bilder, anhand derer sich das monumentale Projekt von Motiv zu Motiv ermessen lässt, sowohl die Tiefe der Bohrung wie auch die Weite des Horizonts.
Blick ins Kabinett mit den klassischen Statuen in spezieller Umgebung, Foto: Petra Kammann
Die Weite der umgebenden Landschaft erlebt man auch mit den Skulpturen im dänischen Louisiana, wo Alexander Calders Mobile mit seinen lahmen Flügeln wie zur Ruhe gekommen zu sein scheint, oder auch am Meer in der Muschelbucht von San Sebastián, wo sich Eduardo Chillidas kraftvolle „Windkämme“ wuchtig von links ins Bild drängen, um die Fluten zu bändigen.
1995 fotografierte Klemm den frisch von Christo & Jeanne Claude eingepackten Reichstag nicht etwa mit dem massenhaften Publikum, sondern mit flüchtenden und im Regen Schutzsuchenden. Das Wesentliche der Außenhaut des Gebäudes, das durch Schnüre gehalten wird, wirkt vor allem durch die Beleuchtung so konzentriert und macht es zu einer kompakten monumentalen Skulptur.
Im Kabinett der Galerie-Peter-Sillem fällt der Blick auf ein Bild von einem anmutig sinnenden antiken Jünglinge vor marodem Hintergrund im Palazzo Fortuny während der Biennale von Venedig, wo 2015 der belgische Kurator, Sammler und Galerist Axel Vervoordt und die Architekturhistorikerin Daniela Ferretti Werke alte und aktuelle Kunstobjekte auf die „Vermessung der Welt“hin befragt hatten, nämlich, ob sie zum Beispiel den Gesetzen des „goldenen Schnitts“ entsprechen. Sie wollten herauszufinden, ob durch die ideale Proportionalität so etwas wie ein „Wohlfühleffekt“ entsteht.
In allen Fotografien Barbara Klemm spielt neben dem Licht und der klaren Komposition des jeweiligen Bildes immer auch der räumliche und historische Kontext eine bedeutende Rolle. Und häufig beginnt man beim zweiten Hinschauen auch an zu schmunzeln. Sehr witzig etwa die Hinterfronten der klassischen Skulpturen im Kapitolinischen Museum in Rom oder der Blick auf die Königsgräber in Saint Denis bei Paris, wo die hoch erhobenen Königshäupter über dem Dunkel thronen und unter dem Schwarz über den Särgen nur die Rückansichten der Füße wahrzunehmen sind.
Oder aber, wie eine Frau beim Betrachten des Picasso-Kopfes im Centre Pompidou, die Körpersprache der Skulptur übernimmt und ihr Profil sich sogar als Pendant anbietet. Dann, wie sich eine Frau während der Biennale 2005 mit ihrem weit schwingenden Rock im Tunnel dynamisch auf das Licht zubewegt. Bei jeder weiteren Betrachtung fallen einem immer wieder neue gelungene und raffinierte Details dieser subtilen Fotokompositionen auf. Die Abbildungen von Skulpturen in Schwarz-Weiß schärfen die Wahrnehmung nicht nur für die dritte Dimension.
Bleibt zu hoffen, dass einzelne Liebhaber der Fotografie doch noch die Gelegenheit bekommen, sich diese besonderen Fotografien anzuschauen. Und sei es durch die großformatigen Schaufenster von außen.
Blick von außen: Dicht gedrängt standen die Menschen bei der Vernissage, es war ja noch möglich, Foto: Petra Kammann
Weitere und aktuelle Infos unter: