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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Lebensmenschen – Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin“ im Museum Wiesbaden

Künstler auf Augenhöhe – erstmals ihr Oeuvre in gemeinsamer Schau vereint

Von Hans-Bernd Heier

Das Museum Wiesbaden präsentiert in der Doppelretrospektive „Lebensmenschen – Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin“ erstmals das Oeuvre des Künstlerpaars Seite an Seite in einer gemeinsamen Schau. Die Beiden zählen zu den führenden Künstlerpersönlichkeiten des Expressionismus und waren entscheidend für die Entwicklung der Modernen Kunst. Die Ausstellung vereint zentrale Werke Jawlenskys und Werefkins und zeigt mit rund 190 Gemälden, Grafiken und Zeichnungen die äußerst spannungsgeladenen künstlerischen Werdegänge beider Persönlichkeiten auf. Zu sehen sind auch Werke, die bisher noch nie öffentlich ausgestellt waren.

   

Marianne von Werefkin „Selbstbildnis“, 1910, Tempera und Lackbronze auf Karton; Städtische Galerie im Lenbachhaus; Foto: Simone Gänsheimer, Ernst Jank
Alexej von Jawlensky „Selbstbildnis“, 1912, Öl auf Karton; Museum Wiesbaden; Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert

„Die beiden treibenden Kräfte des Expressionismus Jawlensky und Werefkin erstmals im direkten Gegenüber vereint präsentieren zu können, war ein lang gehegter Wunsch des Museums Wiesbaden“, sagt Dr. Roman Zieglgänsberger, Kurator der großartigen Schau. „Endlich kann man sehen, was die beiden Künstler vereinte, was sie voneinander trennte und vor allem, was sie 29 Jahre lang trotz kompliziertester familiärer Verhältnisse zusammenhalten ließ – ihr unbedingter Wille am Beginn des 20. Jahrhunderts die Kunst zu erneuern.“

Dr. Andreas Henning, seit März 2020 neuer Direktor des Landesmuseums Wiesbaden, empfindet es als Glück, mit dieser Ausstellung beginnen zu dürfen: „Wir zeigen, was zusammengehört, und auch das unglaublich komplizierte Beziehungsgeflecht“. Für seinen persönlichen Lebensweg hat Jawlensky übrigens eine ganz besondere Bedeutung, war es doch eine Retrospektive mit dessen Werken 1991 im Museum Wiesbaden, die ihn bestärkte, Kunstgeschichte zu studieren.

„Ich freue mich sehr, dass wir diese Ausstellung gemeinsam mit dem Lenbachhaus in München realisieren, denn damit spielen beide Institutionen herausragende Schwerpunkte ihrer Sammlungen aus“, sagt Henning. Die eigenen Sammlungen als Ansatzpunkte für Sonderausstellungen zu nehmen, sei wichtig, um den Besuchern immer größere Zusammenhänge zu erschließen. Zugleich beweise diese Ausstellung mit Leihgaben aus aller Welt, dass Forschung eine der Kernaufgaben des Museums ist.

Alexej von Jawlensky „Turandot“, 1912, Öl auf Leinwand, Privatsammlung; Foto: Privat

Marianne von Werefkin (1860–1938) und Alexej von Jawlensky (1864–1941) lernten sich 1892 in Sankt Petersburg bei Ilja Repin, dem bedeutendsten Realisten des Landes und Akademieprofessor, kennen. Über seine erste Begegnung mit der Malerin schreibt Jawlensky enthusiastisch: “Die Bekanntschaft sollte mein Leben ändern. Ich wurde der Freund von ihr, von dieser klugen, genial begabten Frau“.

Beide malten zunächst im Stil des russischen Realismus – fast ausschließlich Porträts. Herausragende Werke von Werefkin sind die in Wiesbaden gezeigten Bilder „Mann im Pelz“ um 1890 und ihr legeres „Selbstbildnis mit Matrosenbluse“ von 1893.

Marianne von Werefkin, „Zirkus“ (vor der Vorstellung), um 1910, Tempera auf Pappe, 55 x 90 cm, Leopold-Hoesch-Museum Düren; Foto: Peter Hinschläger

Künstlerisch reifte jedoch bei beiden der Entschluss zur Veränderung, um dem konservativen kulturellen Umfeld in Sankt Petersburg zu entgehen. Im Herbst 1896 übersiedelten sie nach München, das der Ruf als Kunststadt vorauseilte. Mit dabei war auch Werefkins Dienstmädchen Helene Nesnakomoff. Die damals noch wohlhabende Werefkin unterbricht für ein Jahrzehnt ihre Malerei, um sich ganz der künstlerischen Förderung Jawlenskys und eigenen kunsttheoretischen Studien zu widmen. Jawlensky besucht drei Jahre lang die private Kunstschule des Slowenen Anton Ažbe, dessen Schüler auch Wassily Kandinsky wird. Währenddessen baut die zielstrebige Werefkin in ihrer Schwabinger Wohnung den legendären „Rosa Salon“ auf, der rasch zu einem Treffpunkt progressiv gesinnter Künstler/innen der Münchner Szene wird.

Anfang 1909 gründeten Werefkin, Jawlensky, Kandinsky und Münter die „Neue Künstlervereinigung München (NKVM)“. Mit der Gründung dieser Künstlervereinigung, aus der zwei Jahre darauf der „Blaue Reiter“ hervorgegangen ist, haben Werefkin als Vordenkerin und Jawlensky als malerischer Impulsgeber „nicht nur die Moderne vorangetrieben, sondern auch jeder für sich und zusammen als Paar einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kunst am Beginn des 20. Jahrhunderts geleistet. Sie waren ,Lebensmenschen‘, verbunden durch eine zu keinem Zeitpunkt einfache, vielmehr hochkomplexe, intensive, zwischenmenschliche Beziehung“, erläutert Zieglgänsberger. Umso bemerkenswerter ist es deshalb, dass ihre Bedeutung bislang lediglich innerhalb dieser Vereinigungen beleuchtet oder in Einzelausstellungen gewürdigt wurde, sie aber noch nicht gemeinsam und explizit als private wie künstlerische „Partner“ vorgestellt wurden, die sie fast dreißig Jahre waren.

Alexej von Jawlensky Mädchen mit Pfingstrosen, 1909, Pappe, 101 x 75 cmSchenkung 1910 von Adolf Erbslöh und Wladimir G. Bechtejeff an den Barmer Kunstverein, KMV Alter Bestand/12, Von der Heydt-Museum, Wuppertal;  Foto: Von der Heydt-Museum

Das holt jetzt die fulminante Wiesbadner Doppelretrospektive nach. Jawlenskys und Werefkins Arbeiten werden durchgehend in unmittelbarem Wechsel gezeigt. Der visuelle Dialog verdeutlicht die gemeinsame, aber auch die individuelle künstlerische Entwicklung. Die klar strukturierte Zusammenschau der bislang getrennt gesehenen Werke gewährt überraschende Einblicke in alle Schaffensphasen des Künstlerpaars, die Besucher/innen in über 15 Ausstellungsräumen nachvollziehen können.

Die chronologisch gehängten Arbeiten zeichnen die Lebenswege der beiden Künstler nach, beginnend mit den Anfängen in Russland, gefolgt vom langjährigen Aufenthalt in München und den produktiven gemeinsamen Arbeitsphasen, u.a. in Murnau bis hin zum Exil in der Schweiz 1914–1921 und zur Trennung des Paares. Jawlenskys Galeristin, Galka Scheyer, hatte eine Ausstellungstournee  durch Deutschland organisiert. Weil die Schau am erfolgreichsten in Wiesbaden war und der Künstler dort den Sammler und Mäzen Heinrich Kirchhoff kennenlernte, entschloss er sich, in der Kurstadt zu bleiben, und kehrte nicht mehr nach Ascona zurück. Am 9. Mai 1922 teilte er seiner langjährigen Lebensgefährtin und Förderin brieflich mit, dass er sich endgültig von ihr trennen werde. Sie werden sich nie mehr wiedersehen. Die inzwischen verarmte Werefkin blieb bis zu ihrem Lebensende in Ascona.

Bei der Pressekonferenz von links: Museumsdirektor Dr. Andreas Henning, Karin Wolff, Geschäftsführerin Kulturfonds Frankfurt RheinMain und Kurator Dr. Roman Zieglgänsberger; im Hintergrund ein Foto mit Werefkin und Jawlensky in ihrem Atelier; Foto: Hans-Bernd Heier

Die gegensätzlichen Charaktere von Jawlensky und Werefkin zeigen bereits die beiden berühmten Selbstbildnisse, die den Besucher gleich zu Beginn der Präsentation in der Rotunde empfangen. Diese Porträts sind nicht nur nahezu zeitgleich entstanden und sind wegen der ähnlichen Farben, Formate und Bildausschnitte gut vergleichbar. Auf den zweiten Blick offenbart sich das Konträre, das die Beziehung der beiden so kompliziert machte: Während Werefkin mit markant hochgezogenen Augenbrauen und rotglühendem Blick den Betrachter zu hypnotisieren versucht, scheint Jawlensky weniger den Betrachter, als sich selbst – wie vor einem Spiegel – kritisch anzusehen. Auf seinem Gesicht sind die wichtigsten Farben wie auf einer Malerpalette vereint.

Alexej von Jawlensky „Abstrakter Kopf N5 (Schicksal)“, 1918, Öl auf Malkarton; Museum Wiesbaden; Foto: Bernd Fickert

Im ersten Ausstellungssaal ist Jawlenskys Bildnis „Helene im spanischen Kostüm“, um 1901/02, zu sehen; das großformatige Gemälde ist eine Schenkung des Sammlers Frank Brabant. Der beim weiblichen Geschlecht beliebte Maler hatte mit Werefkins Dienstmädchen schon seit einiger Zeit eine Liebesbeziehung. Anfang 1902 wurde der gemeinsame Sohn Andreas geboren. Je älter der vom Vater so geliebte Andreas wurde, desto schwieriger wurde die „Ménage à trois“, weil Jawlensky heiraten wollte, um seinen Sohn zu legitimieren. Der Maler ließ Helene und Andreas in die Kurstadt nachkommen, wo er 1922 Helene Nesnakomoff heiratete.

Die geschickt gehängte Gegenüberstellung der Werke Werefkins und Jawlenskys zeigt deutlich die Unterschiede im Pinselduktus, in der Farbenpalette, des bevorzugten Farbmaterials und der Motivwahl der Künstler auf Augenhöhe. So bevorzugt die Malerin Tempera-Farben, während er wegen der größeren Leuchtkraft lieber in Öl malt. Beide Künstler schätzen Theater- und Zirkusszenen sowie Landschaftsmotive.  Seine Landschaftsbilder sind menschenleer, ihre narrativen Werke zeigen dagegen fast immer gesichtslose, schwer arbeitende Gestalten in einfacher Kleidung vor gewaltiger Naturkulisse. In Werefkins Arbeiten ist deutlich Gauguins  Einfluss spürbar, während Jawlensky sich eher von van Gogh inspirieren ließ. Stillleben und Akte sowie Serien, wie beispielsweise die berühmten „Mythischen Köpfe“, Variationen und Meditationen, malt nur er.

Marianne von Werefkin „Ave Maria“, um 1927, Tempera auf Papier auf Karton; Fondazione Marianne Werefkin, Museo Communale d’Arte Moderna, Ascona; Foto: Fondazione Marianne Werefkin

Kunstfreunde müssen sich aufgrund des Erlasses zur Prävention der Coronavirus SARS-CoV-2-Infektionen allerdings mit einem Besuch der Schau noch bis zum 19. April 2020 gedulden, da das Museum für die Öffentlichkeit bis dahin geschlossen ist. Besucher/innen des Hessischen Landesmuseums für Kunst und Natur können sich aber dann auf ein prall gefülltes Besichtigungsprogramm freuen: Neben der Doppelretrospektive  Jawlensky und Werefkin sind noch die große Ludwig Knaus-Retrospektive „Homecoming“ (bis 2. August) sowie die grandiose Jugendstil-Schau und die Dauerausstellungen in der Gemäldegalerie und den naturwissenschaftlichen Sammlungen zu sehen.

Vor der Besichtigung empfiehlt es sich, ins Internet zu schauen:  www.museum-wiesbaden.de

Für die Ausstellung wurde eigens die Dokumentation der „Gelbe Salon“ (Regie: Ralph Goertz – IKS Medienarchiv Düsseldorf) produziert, der an die originalen Schauplätze des Künstlerpaars führt. Der Filmraum ist in dem Rundgang integriert.

Der opulente Katalog, 318 Seiten, ist im Prestel Verlag erschienen (Preis: 36 Euro an der Museumskasse) und für Kinder gibt es das ansprechende Begleitbuch „Alexej und Marianne“ (Preis:  9 Euro).

Die höchst beeindruckende Schau im Landesmuseum Wiesbaden ist ein Ausstellungsprojekt mit der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München – in Kooperation mit dem Alexej von Jawlensky Archiv, Muralto, CH und der Fondazione Marianne Werefkin, Ascona, CH.

„Lebensmenschen – Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin – gefördert durch: Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Nassauische Sparkasse – ist bis zum 12. Juli 2020 zu sehen.

 

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