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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Willy Wiedmann – Raffaela Zenoni – Axel Venn: Doppelausstellung in Berlin und Stuttgart

Aspekte – Appelle – Aktionen

Von Erhard Metz

Man könnte es eine doppelte Trilogie nennen: Zeitlich parallel stellen die Stuttgarter Galerie Wiedmann und die Berliner Galerie Atelier Kunstraum jeweils drei malerische Positionen aus: Werke des 2013 verstorbenen Künstlers Willy Wiedmann, von Raffaela Zenoni, die in Berlin und in Frankfurt am Main lebt und arbeitet, und des Berliner Malers Axel Venn, emeritierter Professor für Farbgestaltung und Wahrnehmungswissenschaften.

Willy Wiedmann, aus der Vogelserie „Sub Divo“, 1993, Mischtechnik auf Papier, 100 x 35 cm (oben); Sinfonia della Città (1 – 5), 2003, Mischtechnik auf Leinwand, je 95 x 130 cm, Gesamtbild 480 x 130 m (unten)

„Aspekte – Appelle – Aktionen“ – so lautet der weitgespannte Titel beider Ausstellungstrilogien. Sollte man nun diese Begriffe jeweils nur einer der beteiligten künstlerischen Positionen zuordnen? Mitnichten – denn in jeder der Malereien, obgleich sie unterschiedlicher kaum sein könnten, finden wir alle diese Elemente: das Aspekthafte, das einen jeweiligen bestimmten Blickwinkel auf das Motiv wie auf das bildhafte künstlerische Geschehen vermittelt. Begegnung der Sichtweisen und Anschauungen von Künstlerin, Künstlern und Betrachter. Weiter: Jeder der drei Malenden formuliert auf- und herausfordernd eine mit dem Appell zu innerer Aktivität verbundene Haltung an den Betrachter. Und schließlich: In jeder der drei verschiedenen Themenfindungen und Malweisen „passiert“ etwas, interagieren Farben und Formen, Linien und Flächen,  mal ruhig-kontemplativer, mal expressiv-wuchtiger, im Bildraum, binden den Betrachter zum staunenden Verweilen, fesseln ihn in einen Dialog.

Willy Wiedmann, aus der Reihe „Games in Space“ , 2001, Mischtechnik auf Papier, 70 x 100 cm (oben); Aus der Reihe „Donna“, Mischtechnik auf Papier, 70 x 100 cm (unten)

Willy Wiedmann (1929 bis 2013, als Maler und Bildhauer, Musiker, Komponist, Dichter und Galerist ein allumfassender Künstler) erlangte mit seiner 3333 Bilder umfassenden, die biblischen Erzählungen von der Genesis bis zur Offenbarung des Johannes darstellenden „Wiedmann-Bibel“ international Bekanntheit. Kennzeichnend für sein zweifellos auch auf Konstruktivismus und Kubismus aufbauendes malerisches Œuvre ist sein von ihm entwickelter, polykon genannter Malstil (griechisch poly – viel; ikon – Bild), eine „Viel-Bild-Malerei“, bei der sich „Bilder“ überlagern bzw. ineinander übergehen und „Leporellos“ bilden. Dieser Stil geht grundsätzlich von 45°- und 90°- Winkeln aus und verzichtet weitgehend auf Rundungen. Dabei überrascht der das gesamte Spektrum der Palette umfassende Farbreichtum der Werke im auffälligen Kontrast zur geometrischen Strenge der Grundformen. Wie die Darstellungen der Wiedmann-Bibel sind auch viele seiner Bilderserien (vgl. „Sub Divo 1“ aus der „Vogelserie“) – übrigens nicht ohne einen Hauch von Humor – der Figuration verpflichtet. Nicht minder überrascht und fasziniert, wie der Künstler in seiner abstrakten Malerei die strenge Geometrie seiner Formen mit phantasievoll wolkigen, gleichsam in frei fließendem malerischen Duktus ausgefüllten Feldern ausbalanciert und ergänzt.

Ein anschauliches Beispiel des polykonen Malstils finden wir in „Sinfonia della Città“: Jede der fünf Bildtafeln könnte für sich allein stehen und ein in sich abgeschlossenes Sujet bilden. Aber dennoch schreiben sie sich bei längerer Betrachtung in sich weiter fort – das eine „Ikon“ zum nächsten hin und hinein. „Nichts fängt an, nichts hört auf“, schrieb der Künstler zu seiner Malerei. Und im nur vermeintlichen Widerspruch dazu: „Ich fange zwar an, aber gleichwohl könnte dies auch das Ende sein. Es gibt in meinen Kompositionen kein Oben, kein Unten, kein Rechts, kein Links“. Vielleicht gilt dies vergleichbar auch für seine eigenständig gearteten Bildtafeln wie „Games in Space“: Die geometrischen Elemente – sie könnten wie eine Draufsicht auf urbane Strukturen erscheinen – öffnen in ihrer Mitte den Blick und führen in unendliche kosmische Sphären – eine schöne, philosophische Arbeit.

Gänzlich anders hingegen gestaltet sich das Werk von Raffaela Zenoni, das bereits Gegenstand einiger hiesiger Betrachtungen war: vehement, expressiv, wuchtig, dynamisch wie zugleich sensibel, lyrisch, meditativ, ins Mystische weisend in ihren großformatigen Porträts und Landschaften wie auch in ihrer nonfigurativen Malerei.

Aus ihrer herrschaftlichen – und frauschaftlichen(!) – „Ahnen“-Reihe überzeugt auch „Juliette“, blaß, schmal und übernächtigt, frivol einen Zahnstocher zwischen den knallig à la Bardame geschmückten Lippen – ist sie den Roaring Twenties entsprungen oder dem aktuellen Berliner Nachtleben? Eher ruhig, fast stoisch dagegen „Thaddäus“, in buntem Gewand, aber was trägt er auf dem Kopf – eine Motorradfahrerhaube, eine hippige, beide Ohren bedeckende Inka-Mütze, gar einen königlich-herrscherlichen Kopfschmuck? Besonnen und abgeklärt wirkt er, wie er da auf seine Untertanen blicken mag – und ein wenig komisch. Dürfen wir denn derartige Spekulationen überhaupt anstellen? Aber ja! Denn wie sagt die Malerin: „Wir sehen in einem Werk das, was wir selber zulassen“. Recht hat sie!

Raffaela Zenoni, Juliette, 2013, Acryl auf Leinwand, 120 x 160 cm (oben); Thaddäus, 2019, Acryl auf Leinwand, 130 x 195 cm (unten)

Raffaela Zenoni, Bernstein am Baumsee, 2019, Acryl auf Leinwand, 240 x 170 cm

Den „Baumsee“ gibt es wirklich – nahe bei Frankfurt. Raffaela Zenoni hat ihn mehrfach im unterschiedlichen Lichtspiel der Tages- und Jahreszeiten gemalt. Wir haben uns in den goldlichtüberfluteten Bernstein-See verliebt. Zu bewundern sind diese wie auch die parallelen Arbeiten im urigen Gewölbekeller der Stuttgarter Galerie Wiedmann.

Wiederum gänzlich anders das malerische Werk von Axel Venn. Er, Professor für Farbgestaltung, ein Forscher, Wissenschaftler, Analytiker, Psychologe wie auch Designer, Autor von 28 Büchern über Farbe und Gestaltung, weist sich zugleich als ein wunderbarer, sensibler Maler, ein wahrer Meister der Palette, aus.

Man soll nicht immer versuchen, Vergleiche anzustellen. Aber die Impressionisten fallen uns schon ein. Claude Monet, Giverny, der Seerosenteich. Sisley, Signac, Seurat. Axel Venn wird sie allesamt studiert und analysiert haben. Und doch ist seine weitgehend abstrakte Malerei vollkommen eigenständig. Man wird sie dem weiten Kreis des Informel zurechnen können.

In seinen Bildern webt und schwebt es, züngelt und glimmt es wie von schwirrenden Flämmchen, wächst und strebt es himmelwärts. In „Congratulations Barbara“ lassen sich erotische Züge entdecken. Auffallend in vielen seiner Werke eine mehr oder weniger stark angedeutete Diagonale von der linken unteren hin zur rechten oberen Bildhälfte, was dem Bildgeschehen eine gewisse Dynamik verleiht. Wie in „Irisierendes Spiel“ flimmert es impressionistisch fernen Horizonten entgegen, weist ein „Es“ ins Unendliche und Universelle. „Ein Bild stellt sich für mich nicht als umschlossene Fläche dar“, schreibt Axel Venn. „Es ist nichts anderes als ein offener, niemals endender Wegweiser“. Seine Bilder seien „von Energie getragene Momentaufnahmen, die die Emotionen und Fiktionen des arglosen Künstlers aufzeigen“. Besser könnte es der Betrachter nicht formulieren.

Axel Venn, Congratulations Barbara, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm, (oben); Irisierendes Spiel, Öl auf Leinwand, 160 x 160 cm, (unten)

Axel Venn, Von links nähern, Öl auf Leinwand, 140 x 140 cm

Von drei malerischen Positionen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, schrieben wir eingangs. Und doch – es gibt in all dieser Verschiedenheit auch einen überspannenden Bogen als eine Art von harmonischem Überbau, einen Anklang von Einheit in der Dreiheit, finden sich die Gegensätze in der Trilogie der Malenden und ihrer Werke sogar auf geheimnisvolle Weise einander nähernd und verstehend zusammen. Sehen wir hin: Glüht es im Inneren von „Games in Space“ nicht ähnelnd wie in „Congratulations Barbara“? Könnte sich nicht ein himmelwärts strebender „Thaddäus“ ins weite „Irisierende Spiel“ verlieren? Was sagt uns die geniale Hängung der drei malerischen Positionen – wie nachfolgend gezeigt – in der Galerie Wiedmann?

Gegensätze verbinden: Trilogie zweier Künstler und einer Künstlerin; Ausstellungsansicht in der Galerie Wiedmann, Stuttgart

(v.l.) Raffaela Zenoni, Axel Venn, Petra Becker (International Art Bridge, Kooperationspartner) und Martin Wiedmann (Sohn des verstorbenen Künstlers) im Atelier Kunstraum Berlin

Zur Doppelausstellung erschien ein bemerkenswert gelungenes, 144-seitiges Kunstbuch als Katalog mit zahlreichen Abbildungen, zusätzlich auch als signierte Sonderausgabe nebst einer signierten Originalfarbskizze.

Willy Wiedmann – Raffaela Zenoni – Axel Venn: „Aspekte – Appelle – Aktionen“, Doppelausstellung in der Galerie Wiedmann, Stuttgart, und im Atelier Kunstraum, Berlin, bis 18. Januar 2020; vorgezogene Finissage in Berlin am 11. Januar 2020: Michael Barthel im Gespräch mit Raffaela Zenoni und Axel Venn

Bildnachweis: Galerie Wiedmann, Stuttgart / Kunstraum Axel Venn, Berlin; Fotos: Manfred Rieker/Studio Stuttgart; Martin Jepp/Berlin

→ Raffaela Zenoni: Malerei, Skulptur
→ Raffaela Zenoni: „Le quattro stagioni“
→ „Die andere Ahnengalerie“ von Raffaela Zenoni bei den Design Offices Frankfurt

 

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