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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Klassiker der Fotografie: „Gold“ und „Genesis“ von Sebastião Salgado

Zwei gewichtige Bildbände des Friedenspreisträgers als Fundus des Sehens 

von Uwe Kammann

South Sandwich Islands. Chinstrap penguins (Pygoscelis antarctica) on icebergs located between Zavodovski and Visokoi islands. South Sandwich Islands. 2009, Photo: Sebastião SALGADO in „Genesis“ /Taschen Verlag

Als Sebastião Salgado den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, hingen links und rechts des Rednerpults in der Paulskirche riesengroß zwei seiner ikonischen Fotos. Das eine zeigte einen silberglänzenden Flußlauf in einem zum Horizont zulaufenden Tal, das andere dichte Menschenketten an halsbrecherisch aufsteigenden Leitern an einem steilen Hang. Bilder aus zwei seiner Hauptwerke: „Genesis“ und „Gold“. Und damit repräsentativ für die zwei Seelen, wie es der Fotograf einmal ausdrückte, in einer und derselben Person.

View of the junction of the Colorado and the Little Colorado from the Navajo territory. The Grand Canyon National Park begins after this junction. Arizona. USA. 2010, Photo: Sebastião SALGADO in „Genesis“ /Taschen Verlag

Die Monumentalität dieser zwei Sichten auf die Welt und ihre Lebensbedingungen – universal und naturnah die eine, konkret und menschennah die andere – beeindruckte in der Paulskirche alle, welche das Bilduniversum des Brasilianers noch nicht kannten. Manche aus der Buchbranche hatten nach der Bekanntgabe der Auszeichnung gefragt: War es nicht immer eher ein schreibender Autor, dem der Friedenpreis zuerkannt wurde? Was hat das alles mit dem Medium Buch zu tun? Fotos, das ist doch mehr eine Sache des Journalismus oder der Galerien, wenn es um die große Reportage oder um Kunst geht.

Nun, die Unkenntnis ist nicht ganz verzeihlich, aber in manchem verständlich. Denn die Bücher, in denen das Werk von Salgado zuhause ist, sind sehr groß und sehr schwer, sie sind keine Dutzendware, sondern bevorzugt in den einschlägigen Läden der Museen und in den Edelregalen der gut sortierten Buchhandlungen zu Hause.

Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, Foto: Petra Kammann

Aber wer einen Salgado-Band einmal in den Händen gehalten hat, wer mit steigender Faszination Seite um Seite mit den präzisen, manches Mal wie ziseliert wirkenden Schwarz-Weiß-Abbildungen umschlägt, der sieht sofort: Ja, gerade das Buch – wenn es als solch’ exzellent gestalteter, gedruckter und ausgestatteter Band daherkommt – ist ein hervorragendes Medium für die Bildsprache, für die Botschaft, für das humane Ziel dieses Fotografen.

Auch übrigens für seine Wortsprache, die klar und einprägsam ist, getragen von einem Tenor der Ernsthaftigkeit und, man darf es so sagen, einer tiefempfundenen Liebe. Nicht sentimental, nicht romantisch, nicht überladen. Sondern verständlich, zugewandt, nahegehend. Dies alles ist auch den Bildbänden eingeschrieben, in Texteinschüben, welche die Bildstrecken begleiten. Sie führen hin auf das Sehen, geben Aufschluss über die Sujets, erläutern das Vorgehen und die Umstände.

Gerade bei „Genesis“, dieser großen Hommage an noch weitgehend unberührte Landschaften, an die Wunderformen einer hochdifferenzierten Tierwelt, an verblüffende Pflanzenformen und an menschliche Gemeinschaften, die noch auf sehr ursprüngliche Weise leben, tief mit der Natur verbunden, gerade bei „Genesis“ also ist dieser Textbezug unabdingbar.

Sebastião Salgado. GENESIS

Lélia Wanick Salgado
Hardcover mit 17 Ausklappseiten,
520 Seiten, Taschen Verlag, € 60

Beim reinen Anschauen fragt man sich ja immer wieder: Wie war es möglich, an Orte zu gelangen, die in der Regel so verborgen wie unzugänglich sind? Wo liegen die Wurzeln des achtjährigen Unternehmens, wie stand es um die Logistik, welche Antriebskräfte haben zu diesem fotografischen Zauber- und Schönheitsrausch geführt, der über acht Jahre anhielt und 2013 sich im Endwerk verdichtete, das nun ein Klassiker geworden ist? Ein Werk, das Salgado bewusst als Gegenpol anstrebte, nachdem er zuvor an eine absolute Grenze gestoßen war mit seinen Expeditionen in viele Herzen der Finsternis. Die ihn bis zu äußersten Extremen von Gewalt, Elend, Krieg, Unterdrückung, Gräueln führten, in höchster Form gesteigert in den afrikanischen Bürgerkriegen der 90er Jahre.

Sebastião Salgado mit Frau Lélia Wanick Salgado, Foto: Petra Kammann

Eine tiefe Depression war die Folge. Die er dann, fast ein Wunder, mit Hilfe einer großartigen Idee seiner Frau Lélia Wawick Salgado überwand: nämlich, die elterliche Farm im Amazonas-Gebiet wieder aufzuforsten, sich also direkt – in einem konkreten, inzwischen modellhaften Projekt – mit der Natur zu verbinden und zu verbünden. Und, damit verknüpft und universell ausgeweitet, dieser Natur ein Bild zu geben, sie in ihren vielen immer noch vorhandenen Wundern eben auch als Bild zu teilen – und damit ein Bewusstsein zu schaffen für ihren Wert, den Willen zu beflügeln, das Menschenmögliche zu ihrer Bewahrung zu tun.

Eine andere Form von Würde, von Respekt, von Anschauung hatte einen seiner früheren Themenzyklen bestimmt: die Arbeit. Eine bestimmte Arbeit. Um die Körper- und Handformen dieses urmenschlichen Tätigkeit geht es, um eine direkte physische Präsenz, um eine Anstrengung bis an die Grenzen. In diesem Rahmen schaffte er es durch Beharrlichkeit gegenüber brasilianischen Militärbehörden, eine Goldmiene aufzusuchen. Eine Miene, die in den achtziger Jahren einen Rauschzustand ausgelöst hatte, eine Körperkette der Gier, der Leidenschaft und des Wahnsinns. „Gold“, so hieß dann schlicht die fotografische Verdichtung dieses in jeder Form herausfordernden Unternehmens, das jederzeit hätte tödlich enden können. Auch daraus wurde ein Klassiker.

Sebastião Salgado. Gold
Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado, Alan Riding
Hardcover, 208 Seiten, Taschen Verlag, € 50

Der deutsche Taschen-Verlag betreut die Bildbände Salgados – sie breiten in ihren Sujets einen Kosmos aus, so konzentriert wie universell – seit langem vorbildlich. Jetzt, mit dem Friedenspreis, sind Interesse und Nachfrage noch einmal gerade in Deutschland beträchtlich gewachsen. „Gold“ ist in einer neuen Auflage herausgekommen, darin auch eine sehr kluge Betrachtung des britischen Schriftstellers Alan Riding.

Er erklärt darin überzeugend, was den besonderen Charakter der Fotografien Salgados ausmacht, die sich auf das früher klassische Schwarz-Weiß beschränken und in der Tradition von Edward Weston und Brassaï stünden, bis hin zu Robert Capa und Henri Cartier-Bresson.

Gegen den Trend der journalistischen Magazine, aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten auf Farbe zu setzen, habe Salgado – der ja als journalistischer Agenturfotograf arbeitete – die strenge Schwarz-Weiß-Methode gesetzt. Und, trotz der anfänglichen Abwehrhaltung der die Farbwirkung beschwörenden Magazinchefs, sich durchgesetzt. Wegen der schlagenden, eindringlichen Wirkung seiner Fotos. Als er die Bilder aus der Goldmiene von Serra Pelada dem Chefredakteur des New York Times Magazine vorgelegt habe, so schildert es Riding, sei etwas ganz Außergewöhnliches passiert: „Es herrschte völlige Stille“.

Gold mine of Serra Pelada, State of Pará, Brazil, 1986 © Sebastião SALGADO, Taschen p. 99

Die „Gold“-Serie, so der Salgado betreuende Bildredakteur der berühmten Agentur Magnum, habe die Branche revolutioniert. Nach einem letzten Zeitschriftenbeitrag in Farbe (1987, zum 70. Jahrestag der Russischen Revolution) habe Salgado seine gesamten Fotografien – wie mit „Workers“, „Migration“ und „Genesis“ – nur noch in Schwarz-Weiß veröffentlicht, in Büchern, Zeitschriften und Ausstellungen.

Die besondere Wirkung, so die Quintessenz, liege in der Abstraktion, in der Direktheit und Unmittelbarkeit, auch in der so möglichen „Orchestrierung“ und „Choreographie“ der Einzelbilder und der über sie erzählten Geschichten. Farbe hingegen könne eher vom Wesentlichen ablenken. (Dass leuchtende Farbigkeit wiederum auf ganz andere Art den Reichtum von Flora und Fauna herausheben und nahebringen kann, beweist in geradezu berauschender Weise die aktuelle Dokumentarfilmreihe „Sieben Kontinente – ein Planet“).

Gold mine of Serra Pelada, State of Pará, Brazil, 1986 © Sebastião SALGADO/ Verlag Taschen, p. 77

Jeder, der mit staunenden Augen in den großformatigen Bildern der Bände „Gold“ und „Genesis“ spazieren geht und sie liest, im Ganzen und im Detail, wird die von Riding beschriebene eindringliche Charakteristik sofort bestätigen. Auch mit einiger Verblüffung, denn sie teilt sich in distanzreichen Bildern von großflächigen Landschaften oder einer Vogelschau-Perspektive ebenso mit wie auch in extremen Nahsichten, so auf die Gesichter der lehmbedeckten Tagelöhner oder auf die Schuppenhaut eines Reptils.

Landschaften können zu abstrakten Flächenüberschneidungen werden (in der Wüste, in den Antarktis-Eisschollen), Tiere zu Trägern subtiler Muster, Menschen zu Bestandteilen eines pflanzlichen Teppichs. Vieles wirkt so als Textur, als Kunststruktur, erkennbar und hervorgehoben durch die vertiefende Wirkung des Lichts. Doch das ist nie Selbstzweck, um zu verblüffen, sondern immer eher die Fixierung eines Staunens: Seht her, das alles umgibt uns.

Laudator Wim Wenders in der Paulskirche, Foto: Petra Kammann

Staunen, Rücksicht, Behutsamkeit in der Annäherung: Das gilt auch für Salgados Bilder jener Menschen, die noch relativ unberührt von der industriellen Zivilisation leben (in „Reinheit“, wie Salgado es nennt). Es ist kein erotischer Blick auf Exotik, der diese Ännäherung bestimmt (anders also als beispielsweise bei Leni Riefenstahls Fotos der Nuba), sondern es ist tatsächlich das unaufdringliche „Aufnehmen“, wie der Filmemacher Wim Wenders diese Fotografie in seiner Laudatio bei der Friedenspreisfeier gekennzeichnet und benannt hat.

Welcher enorme Aufwand mit diesem „Aufnehmen“ verbunden ist – zeitlich, physisch, psychisch –, das ahnt der Betrachter schon. Umso aufschlussreicher ist es, im „Genesis“-Band die Beiträge zur Logistik zu lesen, zu den Vorbereitungen und all den praktischen Fragen während der Realisierung gerade dieses extremen Langzeitprojekts. Seine Frau Lélia beschreibt dies alles unter dem lapidaren Titel „Hinter dem Bild“. Wobei ohnehin immer ihr Anteil mitzudenken und hoch zu loben ist: Weil sie ganz wesentlich für die Auswahl, das Buchlayout, die Bearbeitungsformen und die jeweiligen Präsentationen verantwortlich ist. In Wim Wenders sehr empfehlenswertem Dokumentarfilm über Salgado – „Das Salz der Erde“ – ist das in vielen Szenen zu sehen).

Gold mine of Serra Pelada, State of Pará, Brazil, 1986© Sebastião SALGADO, Taschen p. 183

„Gold“ – dieses monumentale Bildzeugnis einer extremen Körperlichkeit  – und „Genesis“ – diese „visuelle Liebeserklärung an die Erhabenheit und Zartheit der Welt“ (Salgado) – sind Bildbände, die sich einbrennen, die eine überzeitliche Wirkung entfalten. Die man als Klassiker dieses in seiner Art einzigartigen Werkes wieder und wieder in die Hand nimmt. Ohne die anderen Bücher eines der ganz großen Fotografen unserer Zeit zu vergessen. Auch sie sind wieder und wieder zu entdecken. In einer nie endenden Genesis des Sehens.

 

 

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