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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Nach Frankfurt der Liebe wegen: van Gogh im Städel

Eine außergewöhnliche Ausstellung verdankt sich auch einem Autobahn-Stau

Von Uwe Kammann

Medienrummel vor der Eröffnung am Eingang zur Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Wer sich der Mitte der Woche beginnenden Monumentalausstellung „Making van Gogh“ nähern will, der sollte sich nicht von dem mehr als albernen 30-Sekunden-Trailer des Städel beirren lassen. Auch nicht von dem modischen „Making“, das mit dem Werdegang des Jahrhundertmalers so gar nichts so tun hat. Auch auf die zur Augenschau ausgestreuten Schaumzuckerherzen auf Fruchtgummi-Basis sollte er verzichten, denn die schmecken scheußlich. Vielleicht sollten van-Gogh-willige Besucher sich vorher „Loving Vincent“ (trotz des Titels) anschauen – ein aus 65.000 Ölgemälden zusammengesetzter Kinofilm, der – welch verrückte Idee –, durch die schnelle Bildfolge animiert wirkt. Diese erzählerische Methodik im Stile des Malers ließ vor zwei Jahren staunen. Der jetzt gerade in die Kinos gekommene Film „An der Schwelle zur Ewigkeit“, in dem der Künstler Julian Schnabel seine Sicht auf die Lebensgeschichte des holländischen Malers erzählt, ist da wesentlich konventioneller. Aber das Städel geht ja ohnehin einen ganz anderen Weg…

Kunstpalast-Direktor Felix Krämer und Carl-Heinz Heuer, Vorstand der Kaldewei-Kulturstiftung, Foto: Petra Kammann

Keine gradlinige Vita wird vorgeführt, mit den wichtigsten Bildern – soweit sie denn zu haben sind – wie an einer chronologisch gereihten Perlenkette. Sondern hier geht es um drei Hauptaspekte, die mit dem so populären Werk verbunden sind: dem Mythos, der Wirkung und der Malweise. Das alles unter einem großen überspannenden Bogen, der im Untertitel der Ausstellung benannt wird: Geschichte einer deutschen Liebe.

Was nichts anderes heißt, als die besondere Rolle und Funktion zu betonen, welche die Rezeption des Malers in Deutschland hervorgerufen hat. Wo er früher und intensiver als in anderen Ländern Europas in seiner außerordentlichen, damals revolutionären Arbeit wahrgenommen, geschätzt und gesammelt wurde. Und wo er eine ganze Reihe von Malern inspirierte, beflügelte und beeinflusste. Die bedeutendsten Vertreter des deutschen Expressionismus waren, das lässt sich schon nach wenigen Blicken erkennen, stark geprägt von der Rasanz der Malweise, die van Gogh entwickelt hatte. In sehr verschiedenen Ausdrucksformen wiederum, Formen allerdings, die denselben Glutkern sofort offenbaren. Und die ihn zu einer Schlüsselfigur der Moderne machten.

Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Diese besonderen Beziehungen, diese mäandernden und zugleich verbindenden Blicke waren es, die Felix Krämer besonders gereizt haben, als er vor über einem halben Jahrzehnt die Idee entwickelte, van Goghs Bilder für eine große Zusammenschau nach Frankfurt zu holen und in eine neuartige Beziehung zu setzen und damit gleichsam einen Kosmos zu schaffen, der eine ganze Generation umfasste und der in Deutschland seine charakteristische Formation im Künstler-Zusammenschluss der „Brücke“ fand.

Städeldirektor Philipp Demandt im Interview vor dem Eingang zur Ausstellung, Foto: Uwe Kammann

Eine wagemutige Idee des damaligen Städel-Sammlungsleiters Krämer, der inzwischen nach Düsseldorf berufen wurde und dort seit zwei Jahren den Kunstpalast leitet (mit vielen neuen Ideen und entsprechendem Erfolg). Dem van-Gogh-Projekt blieb er allerdings treu, so dass er nun mit am Pult saß, als der jetzige Städel-Chef Philipp Demandt vor der Presse die Grundidee und die Entstehungsgeschichte der Ausstellung vorstellte. Eine Ausstellung also, die Felix Krämer gemeinsam mit Alexander Eiling weiter als Kurator betreut hat, der seit letztem Frühjahr am Frankfurter Museum die Sammlung der Moderne leitet.

Am Zustandekommen der Schau beteiligte Akteure: Carl-Heinz Heuer, Sylvia von Metzler, Philipp Demandt, Alexander Eiling, Felix Krämer

Alle drei – Demandt, Krämer und Eiling – skizzierten unter verschiedenen Aspekten die nun für das große Publikum ausgebreitete Liebesgeschichte. Am Anfang deren Darstellung in der musealen Szenerie übrigens – wie es der immer wieder kreative Zufall will – ein Verkehrsstau stand, durchlitten auf einer gemeinsamen Autofahrt von Krämer und Carl-Heinz Heuer, Vorstand der Kaldewei-Kulturstiftung zur Förderung des deutschen Expressionismus, ins norddeutsche Emden.

In diesen neun Stunden Fahrt im Stau, so Krämer, sei dies und das besprochen worden. Inklusive seiner vielleicht etwas verwegenen Idee, nach einer Leerphase von mehr als zwanzig Jahren eine Großzahl von van-Gogh-Bildern nach Frankfurt zu holen, aber eben nicht in einer üblichen Werkschau, sondern, eingebettet in die besondere Konstellation, von dessen begeisterter Aufnahme im Deutschland vor dem ersten Weltkrieg, auch in den Jahren danach, bis die Nazidiktatur diese auf die Moderne gerichtete Kunstszene endgültig zerschlug.

Sylvia von Metzler, Vorsitzende des Vorstands des Freundeskreis von Städel und Liebieghaus, Foto: Petra Kammann

Die Auto-Idee zündete zu Krämers Verblüffung sofort, mit der Zusage einer unterstützenden Anfangsfinanzierung, die ein so großes und naturgemäß überaus teures Unterfangen erst ermöglichte. Weitere Unterstützung kam vom Städelschen Museums-Verein, vielleicht auch als Erinnerungsgeste an seine Pionierrolle, denn immerhin hatte er schon kurz nach der Jahrhundertwende ein Gemälde und eine Zeichnung van Goghs erworben. Dies sei, so Sylvia von Metzler, heutige Vorsitzende des Vereins, damals eine „mutige und zukunftsweisende Entscheidung“ gewesen. Sie weitete das zu einem Grundsatz: Ohne die „den Frankfurtern eigene Offenheit gegenüber neuen künstlerischen Strömungen wäre das Städel nicht das, was es heute ist.“

Ein solches Projekt, da ist sich Felix Krämer sicher, sei eine einmalige Sache im Leben. Möglich auch nur dann, wenn ein Haus durch seine kontinuierliche und akribisch betriebene Arbeit bewiesen habe, einen soliden wissenschaftlichen Grund und genügend Erfahrungswissen liefern zu können, um den konzeptionellen Mehrwert zu präsentieren. Klar sei: Kein Haus trenne sich gerne leihweise von Publikumslieblingen wie einem van-Gogh-Bild.

Vincent van Gogh, Portrait des Dr. Paul Gachet, 1890
(Öl auf Leinwand); 67×56 cm,
Privatsammlung,
Foto: Bridgeman Images

Wo ist das Bildnis des Dr. Gachet heute?
Seit der historischen
Auktion 1990
ist das Kunstwerk
aus den Augen der
Öffentlichkeit
verschwunden.

 

Das jetzige Ergebnis zeigt: Die Vertrauensgrundlage war da, die Überzeugungsarbeit hat Früchte getragen. Denn 50 Werke aus allen Schaffensphasen des Malers sind versammelt, dazu ein noch größeres Konvolut von Papierarbeiten. Um die These zu belegen, in welch hohem Maße der 1890 verstorbene Maler die deutsche Kunst in ihrer Avantgarde-Ausrichtung beeinflusst hat, sind 70 Werke aus diesem Umkreis zu sehen, von Max Beckmann über Ernst Ludwig Kirchner, Paula Modersohn-Becker und Gabriele Münter bis hin zu Emil Nolde und Alexej Jawlensky.

Dass van Gogh  – dessen Schwägerin Johanna van Gogh-Bonger mit hohem Engagement das hinterlassene, zu seinen Lebzeiten nur in Spurenelementen erfolgreiche, dabei sehr umfangreiche Werk betreute und dessen Verbreitung förderte – weit vor dem späteren Weltecho, auch weit vor einer Kunstnation wie Frankreich in Deutschland eine Schlüsselrolle einnehmen konnte, war vielfältigen Faktoren zu verdanken. Sie kamen von Sammlern und Galeristen, Kunstwissenschaftlern, Journalisten und Museumsdirektoren.

Sammlungsleiter und Kurator Alexander Eiling vor dem Rahmen aus dem Depot des Städel, der einst das Porträt des Doktor Gachet zierte, Foto: Petra Kammann

Van Gogh, so Kurator Alexander Eiling, der die Kunst der Moderne verantwortet, sei parallel zum Aufkommen des deutschen Expressionismus zu einem Idol der hiesigen Künstler geworden, gleichsam zu einem „Künstler-Künstler“. Über Publikationen und Ausstellungen – an der Spitze die Sonderbund-Ausstellung 1912 in Köln – hätten sie eine innige Beziehung aufbauen können. „Sie orientierten sich“, so Eiling, „an seinem pastosen Farbauftrag, dem rhythmischen Pinselduktus, dem Kontrastreichtum der Farben, den kühnen Kompositionen und Motiven sowie den ornamental schwingenden Zeichnungen.“ Der Vorrang der persönlichen Wahrnehmung habe, als Gestus des Anti-Akademischen, eine wesentliche Rolle gespielt.

Großzügige Ausstellungsgestaltung, Foto: Petra Kammann

Dies lässt sich leicht an den gezeigten Bildern der deutschen Expressionisten ablesen. Manche zeigen verblüffende Anleihen und Ähnlichkeiten, eine größere Distanz beim ersten und zweiten Blick scheint die jeweilige Urheberschaft verschwimmen zu lassen. Mit welcher Begeisterung, mit welcher Verve dieses kraftvolle neue Sehen und Gestalten aufgenommen wurde, ist auch schriftlichen Zeugnissen zu entnehmen. So ist eine Seite der bei Velhagen & Klasing erschienenen Monatshefte in einer Vitrine aufgeschlagen, wo der Kunstkritiker und Journalist Max Osborn geradezu ins Schwärmen geriet.

Er lobt dort die „Kühnheit der Auffassung und des Vortrags“, die weit über andere moderne Bestrebungen (wie jene der holländischen Vereinigung „XX“) hinausgingen. Osborn beschreibt „ein Flammenmeer lodernder, züngelnder Pinselstriche“, die dem Beschauer in die Augen schlügen, so wie „unerhörte koloristische Keckheiten“ verwirrten. Er spricht von einem Künstler, „der in leidenschaftlicher Gier die Erscheinungen ringsum in sich eingesogen und ebenso wiedergegeben“ habe, „jeder Rubrizierung entzogen“, vieles der bisherigen Malerei in einer „majestätischen Synthese“ zusammenziehend.

Monatsheft von Verhaken & Klasing mit der Osborn-Kritik, Foto: Uwe Kammann

Natürlich lohnt es sich sehr, die vielen Überlegungen zu dieser epochalen Veränderung in der Bildauffassung und ihre vielfältigen Bezüge im äußerst gelungenen Katalog zu studieren, dem das leider sehr seltene Kunststück gelingt, wissenschaftliche Prinzipien und Genauigkeit mit gut lesbaren Texten zu den Grundthesen der Ausstellung zu vereinen.

Diese Ausstellung selbst wiederum beeindruckt durch eine großzügige und noble architektonische Gestaltung, mit einer weiträumigen Hängung vor hellgrauen Wänden der drei thematischen Großbereiche, die um eine  zentrale weiße Halle gruppiert sind. Möglich wurde dies, indem die lichten Räume des vor sieben Jahren eröffneten unterirdischen Erweiterungsbaus genutzt werden. Der Preis allerdings ist nicht gering: Die Sammlung der Gegenwartskunst musste weichen.

Allerdings, so Kurator Eiling, wiege der Vorzug für die jetzige Ausstellung wesentlich schwerer. Denn sie lasse jetzt Raum zu atmen, für eine freiere Bewegung. Was im sonst für Sonderausstellung genutzten Peichl-Anbau aus den 90er Jahren nicht zu realisieren sei. Man werde diese Zäsur nutzen, um die Werke der Gegenwartskunst beim Wiedereinzug in die unterirdischen Gartensäle in neuen Zusammensetzungen und Beziehungen zu präsentieren. (Nach der Online-Kritik eines Foristen will das Städel jetzt auf die jetzige Zeitgenossen-Einschränkung mit einem Hinweis und einem Sonderpreis reagieren.)

Wichtige Orte der Rezeption in Deutschland, Foto: Petra Kammann

Was bei der großzügigen Gestaltung sich als Fragestellung natürlich aufdrängt, ist die nach dem finanziellen Aufwand. Städel-Direktor Demandt belässt es bei einer indirekten Benennung. Es gehe um einen „mittleren einstelligen Millionenbetrag“. Übersetzt müsste das heißen: Die Summe pendelt um fünf Millionen Euro, mit Spielraum nach … Allerdings, das Museum kann sicher sein, die bisherige Höchstzahl von mehr als 430.000 Besuchern (erreicht 2015 mit der Ausstellung „Monet und die Geburt des Impressionismus“) zu übertreffen. Dürer hatte knapp 260.000 Besucher angezogen, bei Matisse und Bonnard waren es gut 200.000. Auch die Rubensausstellung im letzten Jahr belegte, in welch’ hohem Maße diese so genannten „Blockbuster“ zur Zahlen-Attraktivität eines Museums beitragen.

Audioguides vor Ort auf Deutsch oder Englisch an der Kasse, gesprochen von Lars Eidinger, Foto: Petra Kammann

Doch jeder, der diesen Zahlenspielen eher mit großer Skepsis begegnet oder jede weiterführende Überlegung unter strategischen Gesichtspunkten ablehnt, wird bei dieser van-Gogh-Ausstellung beruhigt sein können. Hier sind die Zahlen – was sie auch nie sein dürfen – kein Selbstzweck. Wenn die Massen strömen werden, woran ja kein Zweifel besteht, dann wird das vor allem eines belegen: Die  besondere Liebe in diesem Land zu diesem Ausnahmekünstler ist nicht erloschen. Seit langem ist sie auch weltweit erblüht, mit allen Irrungen und Wirrungen, die das mit sich bringt.

Eine Irrung, eine große, kann leider nicht rückgängig gemacht werden. Eines der schönsten Bilder van Goghs, das „Bildnis des Dr. Gachet“, ist für das Städel (das es 1912 erworben hatte) unwiederbringlich verloren. Der Nazi-Kunsträuber Hermann Göring hatte es 1937 unter dem ideologischen Vorzeichen „entartete Kunst“ beschlagnahmt und erst in seinen eigenen Dunstkreis gebracht, es dann, zusammen mit einem weiteren van-Gogh-Gemälde, für eine halbe Millionen Reichsmark an einen Amsterdamer Bankier verkauft.

Der Geschichte des
legendären Gemäldes
Bildnis des Dr. Gachet (1890) geht
eine Podcast-Serie
in fünf Folgen nach
unter: f
indingvangogh.de

 

Mehr als ein Dutzend Mal wechselte es den Besitzer, wurde dabei 1990 von einem japanischen Unternehmer für 82,5 Millionen Dollar ersteigert und soll sich inzwischen in der Schweiz befinden. Die Odyssee hat es unsichtbar werden lassen. Ein kleiner Trost bleibt: Eine zweite Version des Gemäldes wird im Musée d’Orsay gezeigt. Wer seine Liebe zu van Gogh also umfassend ausleben möchte, fährt von Frankfurt weiter nach Paris. Oder er macht es umgekehrt. So oder so: Es lohnt sich.

Die Ausstellung MAKING VAN GOGH. Geschichte einer deutschen Liebe läuft vom 23. Oktober bis 16. Februar 2020 im Städel Museum im 2. UG des Museums

Der Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen. 

 

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