home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Stadtmuseum Hofheim zeigt „Ida Kerkovius – im Herzen der Farbe“

Zauberin der Farbe mit unverkennbarem Kolorit

Von Hans-Bernd Heier

„Die Farbe ist mir angeboren, hat mir niemals eine Schwierigkeit gemacht“. Mit dieser selbstbewussten Äußerung unterstrich Ida Kerkovius ihre besondere Begabung, die Farbe intuitiv in all ihren facettenreichen Wirkmöglichkeiten einzusetzen und diese neben der Form zum wesentlichen Ausdrucksträger ihrer Bilder zu machen. Für ihr gesamtes malerisches Werk – sowohl das gegenständliche als auch das abstrakte – ist ein außergewöhnliches, intensives Kolorit charakteristisch. Unter dem Titel „Ida Kerkovius – im Herzen der Farbe“ widmet das Stadtmuseum Hofheim der großen Künstlerin der Klassischen Moderne eine umfassende Ausstellung.

„Verkündigung (Selbstbildnis)“, Öl auf Leinwand, 1932; Kunstmuseum Stuttgart

Bereits als junges Mädchen war Ida von Farbe fasziniert. Als sie in Riga, wo sie 1879 als viertes von 12 Kindern in einem wohlhabenden Elternhaus geboren wurde, eine Ausstellung einer Schülerin von Adolf Hölzel sah, war sie sogleich von seinem Farben-Kanon begeistert. Sie beschloss, bei diesem bedeutenden Lehrer, der auf Goethes Farbenlehre aufbauend eine eigene Farbtheorie entwickelt hat, ihre Studien fortzusetzen – zunächst in der Künstlerkolonie Dachau. Diese Zeit war für sie prägend, da sie dort das von Hölzel gelehrte flächige Sehen erlernte, mit dem sie die dreidimensionale Natur auf die zweidimensionale Leinwand übertragen konnte. Später wurde sie in Stuttgart seine Meisterschülerin und Assistentin mit eigenem Atelier an der Akademie. Auch Oskar Schlemmer, Johannes Itten, Willi Baumeister und kurze Zeit auch Emil Nolde zählten zu Hölzels berühmten Schülern.

← Ida Kerkovius, Hofheim 1960; © Estate Marta Hoepffner

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs werden der Baltendeutschen mit russischer Staatsangehörigkeit Meisteratelier und Lehrbefugnis entzogen. Auch der größte Teil des Familienvermögens geht verloren. Um sich über Wasser zu halten, gibt sie privaten Mal- und Zeichenunterricht. Aber auch als freischaffende Malerin konnte sie Ausstellungserfolge verzeichnen: So beteiligte sie sich an einer Reihe von Ausstellungen und nahm 1916 an der Gruppenausstellung „Hölzel und sein Kreis“ teil.

Von 1920 bis 1923 setzte Ida Kerkovius ihre Studien am Bauhaus in Weimar fort, um ihre künstlerischen Kenntnisse und Techniken noch zu vertiefen. Sie belegte Kurse unter anderem bei Johannes Itten, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Am Bauhaus war es üblich, ein Kunsthandwerk zu erlernen. Die 40-jährige, die inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hatte, entschied sich für die Kunst des Webens.

„Polnische Landschaft“, Öl auf Leinwand, 1943; Kunstmuseum Stuttgart

Nach Auflösung des Bauhauses kehrte sie als reife, eigenständige Künstlerin mit besonderer Bildsprache in ihr Stuttgarter Atelier zurück. Mit den Worten: „Ich bekenne mich zu keiner Kunstrichtung, sondern bin immer bestrebt, wie am Anfang meiner Entwicklung den Gefühlen, die in mir leben, Gestalt, Qualität und Ausdruck zu geben, sei es im Bild oder im angewandten Werke“, umriss die zur Avantgarde der deutschen Kunst zählende Malerin klar ihre Position. „Kerkovius, die ‚Zauberin der Farbe‘, hat als besonderes Merkmal ihrer Kunst eine die Seele des Menschen berührende, emotionale Bildsprache hervorgebracht, die den Betrachter als phantasiebegabtes Wesen in die sinnliche Wahrnehmung ihrer Bilder miteinbezieht“, schreibt Projektleiter Velten Wagner im Vorwort des exzellenten Begleitkatalogs.

In Stuttgart, wo sie die längste Zeit ihres Lebens wohnte, musste sie während der Nazi-Zeit herbe Schicksalsschläge hinnehmen: Zwei ihrer Arbeiten werden aus öffentlichen Sammlungen entfernt und das Ölbild „Bild I“ (Visionen) wird 1937 in der Münchner Ausstellung als „Entartete Kunst“ diffamiert. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs werden mit ihrem Atelier auch zahlreiche Arbeiten zerstört, so dass ihr Oeuvre vor 1945 nur lückenhaft erhalten ist.

„Interieur“, Öl auf Leinwand, um 1934; Privatbesitz; Foto: Bernhard Strauss

Die Rhein-Main-Region, speziell Hofheim, spielte in Kerkovius Leben eine besondere Rolle. Auf Empfehlung der Malerin Ottilie W. Roederstein nahm Hanna Bekker vom Rath in den Jahren 1915 bis 1918 privaten Mal- und Zeichenunterricht bei Ida Kerkovius in Stuttgart. Diese Jahre markieren den Beginn einer mehr als 50 Jahre währenden Freundschaft. Ida besuchte häufig ihre Freundin Hanna, die später auch ihre Galeristin und Förderin wurde, in deren Haus in Hofheim. Sie soll wohl auch die heute noch verbreitete Bezeichnung „Blaues Haus“ geprägt haben.

Mit der Hofheimer Freundin unternahm Ida etliche Reisen quer durch Europa. Dabei entstanden zahlreiche farbintensive, ausdrucksstarke Reisebilder meist in der Technik des Pastells, welche die kleine Dame mit den wachen Augen wegen der Möglichkeit zum spontanen, schnellen Arbeiten auch im Freien besonders schätzte. Neben Landschaften zählten Blumenstillleben, Kinderbilder, Akte, Porträts und Selbstbildnisse zu Kerkovius‘ bevorzugten Sujets. So facettenreich ihre Motivauswahl war, so breit gefächert waren auch ihre beeindruckenden Maltechniken – gleich ob Ölmalerei, Aquarelle, Gouache oder Bleistift-Skizzen.

Bei der Malerin gibt es keine stilistisch stringente Entwicklung, etwa vom Gegenständlichen hin zur Abstraktion. „Generell ist allerdings zu beobachten, dass Kerkovius aus den geometrisch kompakteren Darstellungen der Nach-Bauhaus-Zeit im Laufe ihres langen Lebens immer freiere Bild-Organismen entwickelt. Das intuitive Spiel mit Formen und Farben ist ihr wichtig“, so ihr Biograph Kurt Leonhard. Und die Künstlerin selbst sagt: „Meine Welt ist die Farbe, in ihr kann ich meine Phantasie ganz entfalten. Bei mir gehen übrigens die verschiedensten Dinge nebeneinander her. Ich brauche den Wechsel, die Spannung zwischen Natur und freier Gestaltung“. Eine “kalte Abstraktion“ liege ihr nicht. Sie bevorzugt eine gegenständliche, stimmungsvolle Malerei.

„Verkündung“, Öl auf Leinwand, 1949; Kunstmuseum Stuttgart

Wie die in Hofheim präsentierten Kompositionen zeigen, malt sie zunächst toniger, später farbintensiver. Die Kunsthistorikerin Regine Nothacker beschreibt Kerkovius‘ Malprozess im Katalog plastisch: „Oft ließ sie das Kolorit kontrastreich, expressiv, materialbetont, oberflächenbewegt, bunt und kühn erstrahlen, dann wieder wirkt es sanft, transparent, leise fließend und harmonisch. Immer aber gelang es ihr, eine unverkennbare Farb-Aura zu erzeugen, die Vitalität ausstrahlt und eine ausgesprochen emotionale Dimension in sich birgt“. In ihrem Spätwerk der 1960er Jahre handhabt sie das Zusammenspiel von Farben und Formen zunehmend freier, auch der zeichnerische Duktus ihrer Pastelle wird lockerer, luftiger.

Ihr undogmatisches, keiner Stilrichtung verpflichtetes Kunstverständnis brachte Ida Kerkovius seitens der Kritik bisweilen den Ruf einer „naiven“ Malerin ein und mag dazu beigetragen haben, dass sie nicht den Bekanntheitsgrad ihrer berühmten Kollegen Baumeister, Schlemmer oder Itten erlangt hat. Die exzellente Schau in Hofheim, in der rund 80 qualitativ hochwertige Arbeiten – etliche aus Privatbesitz – versammelt sind, dürfte dazu beitragen, dass auch ein größeres Publikum ihre faszinierende Bildsprache entdeckt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte die letzte Vertreterin der Klassischen Moderne zur gefragten Künstlerin. Zwei wichtige Einzelausstellungen – im Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath und im Württembergischen Kunstverein, Stuttgart – trugen mit dazu bei. Ihre narrativen Kompositionen waren im Übrigen auch in vielen erfolgreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu bewundern.

← „Mit roten Bergspitzen“
Pastell, 1964
Sammlung Reinhardt-Schurr

 

Bis ins hohe Alter war Ida Kerkovius künstlerisch aktiv und offen für neue Techniken. So erweiterte sie noch in den fünfziger Jahren ihr Repertoire um Entwürfe und Gestaltung von Glasfenstern, zum Beispiel für das Stuttgarter Rathaus. Wenngleich schon von schwerer Krankheit gezeichnet, arbeitet sie weiter. Ihr letztes Bild, das kurz vor ihrem Tod (am 8. Juni 1970) in Stuttgart entstandene expressive Selbstbildnis, das ebenfalls in Hofheim zu sehen ist, zeigt dies auf beeindruckende Weise. Als sie hochbetagt und hochgeehrt im Alter von über 90 Jahren in der schwäbischen Metropole starb, war die letzte Vertreterin der „Moderne“ bereits zur Legende geworden. Ihr wurden nicht nur das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und der Professorentitel verliehen, sie wurde auch Ehrenmitglied der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart sowie der Künstlergilde Esslingen. Auch Straßen und Plätze sind nach ihr benannt, so auch ein Platz in Hattersheim am Main. Erstaunlicherweise keiner in Hofheim.

Die großartige Schau mit den informativen Texttafeln wird ergänzt durch einen 150 Seiten starken Katalog des Städtischen Museum Engen + Galerie, Stuttgart, wo die Arbeiten bereits im Frühjahr 2017 gezeigt wurden. In der beeindruckenden Schau in Hofheim ist auch der 39-minütige Film „Die Malerin Ida Kerkovius“, ein Bericht von Karl Ebert, zu sehen.

„Ida Kerkovius – im Herzen der Farbe“ im Stadtmuseum Hofheim bis 11. Februar 2018

weitere Informationen unter:

www.hofheim.de/kultur/Stadtmuseum.de

Bildnachweis: Stadtmuseum Hofheim

 

Comments are closed.