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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Thomas Hengelbrocks Kuba-Engagement beim Rheingau Musik Festival 2015

Viva Cuba libre

Von Petra Kammann

Denkt man an Kuba, hat man häufig Havannas morbiden Charme vor Augen: mit den verrosteten Chevys, Lincolns und Buicks, den verfallenen, aber belebten Straßenzügen oder den Malecón mit den weißen Sandstränden und das von Palmen gesäumte türkisfarbene karibische Meer, die Salsa tanzenden spicy girls und zigarrenrauchenden Habaneros, die dem einstigen Idol Fidel Castro nacheifern. Und wenn es um Musik geht, dann assoziiert man wohl eher die feurigen Rhythmen, die unter freiem Himmel gespielt werden, oder den von Wim Wenders filmisch geadelten Buena Vista Social Club. Davon scheint die Klassische Musik weit entfernt zu sein.

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Morbider Charme der kubanischen Haupstadt Havanna; Foto: Rheingau Musik Festival © Anna Melkonyan

Nicht so für den Dirigenten Thomas Hengelbrock, der sich auch eher über das Spielen in historisch informierter Aufführungspraxis in das Ohr etlicher Konzertliebhaber eingespielt hat, der seit den 1990er Jahren mit europäischen Musikern aus über 20 Ländern in seinem Balthasar-Neumann-Ensemble arbeitet und sich vor allem mit Barock-Musik auf Originalinstrumenten ein internationales Renommee erarbeitet hat. Doch fiel er auch immer schon durch seine interpretatorische Experimentierfreude, innovative Musikvermittlung und Lust an der Ausgrabung vergessener Meisterwerke auf. So treffen sich vom 17. bis 28. August 2015 unter seiner Regie 60 junge Musiker aus Kuba und Europa zu einem zweiwöchigen Akademieprojekt im Rheingau. Gemeinsam erarbeiten sie Orchesterwerke, darunter Robert Schumanns vierte Sinfonie, musizieren in Kammermusikformationen, besuchen Workshops zu kubanischer Musik sowie historischer Aufführungspraxis und werden darüber hinaus auch noch individuell unterrichtet. Wie es dazu kam?

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Thomas Hengelbrock sprach bei der Pressekonferenz in Frankfurt über die von Russland und der ehemaligen DDR geprägte klassische Musiktradition Kubas; Foto: Petra Kammann

Bereits Ende der 1990er Jahre setzte eine Welle der Begeisterung für die lebendige kubanische Musikszene ein, woraus dann auch ein transatlantischer Kulturaustausch entstand. Doch gab die jüngste Lockerung des Embargos der USA gegen Kuba noch einen weiteren Schub. Die Stiftung Mozarteum Salzburg verfolgt schon seit 2012 einen neuen Ansatz für den kulturellen Austausch zwischen Kuba und Europa: Den Kern des Programms bilden dabei die Meisterkurse mit europäischen Dirigenten und Musikern, die am „Lyceum Mozartiano“ de la Habana Musik studieren.

Thomas Hengelbrock, schon mehrmals Gast bei den Salzburger Festspielen, war wiederum im Frühjahr 2014 mit der Stiftung Mozarteum gemeinsam mit Musikern des von ihm gegründeten Balthasar-Neumann-Ensembles zu Gast in Havanna, um dort eine Woche lang mit Musikstudenten des Lyceums zu arbeiten. In einem begeistert gefeierten Konzert stand neben Beethovens „Eroica“ auch kubanische Musik auf dem Programm. Und der Dirigent war angesteckt von Lebensfreude und Energie der kubanischen Musiker. Dabei haben die Studenten oft kein Internet, keine Noten, kaputte Instrumente, so dass sie zum Beispiel statt Saiten „Wäscheleinen auf ihre Instrumente spannten. Trotzdem spielen sie verblüffend virtuos und rhythmisch flexibel und metrisch diszipliniert“. Hengelbrock erkannte die große Musikalität dieser Musiker, die, obwohl sie oft keine Noten, so doch auch technisch „ein phantastisches Niveau“ haben. „Sie hören etwas im Radio und können es unmittelbar nachspielen“, sagt der Dirigent voller Begeisterung. „Es gibt sehr wenig Notenmaterial, darum spielen sie auch sehr viel auswendig. Sogar im Orchester: Die können eine ganze Dvorak-Serenade auswendig spielen!“ Es sei ein Herzensprojekt für ihn, den Musikern Bildung und Ausbildung mit auf den „Weg zu geben“. Also entstanden neue Ideen zur Weiterentwicklung und Ausweitung des Projekts in Europa. Ein gemeinsames Akademieprojekt entstand, bei dem kubanische und europäische Musikstudenten in Austausch miteinander treten und ihr zusammen erarbeitetes Repertoire im Rahmen von mehreren Konzerten präsentieren können.

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↑ Auch Rheingau Musik-Festival-Chef Michael Hermann informierte sich vor Ort und ließ sich von der Kooperation überzeugen; Foto: Rheingau Musik Festival © Timo Buckow

↓ Als transatlantische Jugendakademie steht CuE für gelebten Kulturaustausch: 60 junge Musiker aus Kuba und Europa treffen sich vom 17. bis 28. August 2015 zu einem zweiwöchigen Akademieprojekt im Rheingau, Foto: Rheingau Musik Festival

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Auch Rheingau Musik Festival-Chef Michael Hermann ließ sich in Kuba von der Idee anstecken. So greift das diesjährige Rheingau Musik Festival die faszinierende Idee auf und schlägt nun mit einer Jugendorchester-Akademie eine Brücke nach Kuba.

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Probenarbeit in Kuba; Foto Rheingau Musik Festival

Die Voraussetzung für die Reise der Kubaner in den Rheingau war: Insgesamt 100 junge Musiker aus ganz Kuba haben bei den Probespielen für das Projekt in Havanna dem vierköpfigen Juryteam, bestehend aus Christina Schonk, Florian Schüle und Anna Melkonyan vom Balthasar-Neumann-Ensemble sowie Timo Buckow vom Rheingau Musik Festival, vorgespielt. Ausgewählt wurden dann 25 Studentinnen und Studenten, die nun im Spätsommer an der neu entstandenen kubanisch-europäischen Jugendorchester-Akademie „CuE“ (Cuban-Europen Youth Academy) beim Rheingau Musik Festival unter der Leitung von Thomas Hengelbrock fast zwei Wochen lang teilnehmen werden. Während die Kubaner klassische Orchester- und Kammermusik-Werke mal aus europäischer Sicht kennen lernen, können die Europäer sich von ihnen in einer „Kubanischen Nacht“ mit Tanz-Workshop die Salsa-Schritte zeigen lassen. Hengelbrocks Balthasar-Neumann-Ensemble wiederum wird historische Instrumente zur Orchesterakademie mitbringen. Geplant ist eben auch ein Workshop in historischer Aufführungspraxis, mit theoretischem und praktischem Teil. So entstand ein sehr spezielles Programm.

Natürlich darf dabei eine echte Kubanacht nicht fehlen. Sie soll die kubanische Lebensfreude vermitteln. Dafür sorgen eine Tanzperformance und ein Workshop mit der Tanzschule Ibert Vazquez Moreno. Der Spielort ist am 21. August 2015 das Kulturzentrum Schlachthof in Wiesbaden, während der Kammermusikabend der Akademisten am 23. August im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg stattfindet. Die Locations dürften der jeweiligen Musik entsprechen. Gemeinsam mit den Dozenten der Balthasar-Neumann-Akademie probieren dort die Studenten Kammermusikwerke im Trio, Quartett oder Oktett.

Zum Abschluss wird nach zehn Tagen intensivster Probenarbeit im prächtigen Friedrich-von-Thiersch-Saal des Wiesbadener Kurhauses dann ein großes Sinfonieorchester stehen: Es beginnt mit Mozarts anspruchsvollem 5. Violinkonzert in A-Dur mit der brillanten Solistin Arabella Steinbauer. Das Orchester selbst kann in der darauf folgenden 4. Sinfonie von Robert Schumann mit ihren komplizierten Rhythmen und schwierigen Passagen für alle Instrumentengruppen das Ergebnis dieser faszinierenden Kooperation zu Gehör bringen.

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Thomas Hengelbrock ist begeistert von der Leidenschaftlichkeit der kubanischen Musiker; Foto: Petra Kammann

„Kultur ist nicht, wie manche meinen, ein bisweilen verzichtbarer Luxusartikel. Kultur ist Grundlage und Nährboden einer humanen, aufgeklärten und leistungsfähigen Zivilgesellschaft. Deshalb sind wir alle in der Verantwortung, unser Wissen um Kunst und Kultur an die nächsten Generationen weiterzugeben“, lautet Thomas Hengelbrocks Credo. Wer wollte da widersprechen?

Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Schirmherr des Kooperationsprojekts, kommentiert: „Ich bin mir sicher, die Zeit ist reif für die Cuban-European Youth Academy.“

Rheingau Musik Festival 2015, bis 12. September 2015

→ Thomas Hengelbrocks Weihnachtsoratorium in der Alten Oper Frankfurt

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