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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wim Wenders: „Landschaften. Photographien.“ im Museum Kunstpalast Düsseldorf

Lost Places und die Verteidigung der Realität

Wim Wenders wurde vor allem durch Filme und Roadmovies bekannt wie „Im Lauf der Zeit“, „Der amerikanische Freund“, „Paris Texas“, „Der Himmel über Berlin“, aber auch durch den 3 D-Film „Pina“ oder zuletzt durch „Das Salz der Erde“, wo er den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado porträtierte. Doch macht für den Filmemacher die fotografische Arbeit die andere Hälfte seines Lebens aus. So entstand neben seinen filmischen Arbeiten ein unabhängiges fotografisches Werk mit Aufnahmen von einsamen verlassenen Orten und Landschaften, die eine ganz eigene Magie ausstrahlen. Sein 70. Geburtstag war Anlass für das Museum Kunstpalast in Düsseldorf, eine Auswahl von etwa 80 großformatigen, analog entstandenen Fotografien zu zeigen: frühe Schwarz-Weiß-Aufnahmen, monumentale Landschaftspanoramen und Fotografien aus dem letzten Jahr.

Petra Kammann

traf den Bild-Künstler im Museum Kunstpalast

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Wim Wenders im Museum Kunstpalast, Foto: Petra Kammann

Anders als der Schriftsteller oder Fotograf ist der Filmemacher selten allein. Wer Filme macht, muss mit vielen Menschen umgehen, die immer auch viele Konflikte in sich tragen: Schauspieler, Statisten, Standfotografen, Beleuchter und etliche andere. Also könnte man annehmen, dass beim Filmemachen selbst Fotos allemal „abfallen“. Sie hätten Basis einer Foto-Ausstellung sein können. Nicht so bei Wim Wenders, wenngleich seine Fotos eine ähnlich berührende Ausstrahlung haben wie etliche seiner Filme. Für den Filmemacher, der ohne Kunstlicht und ohne Stativ fotografiert, ist der Akt des Fotografierens etwas ganz Besonderes und Unverwechselbares, ja fast etwas Altertümliches. Dabei ist er ganz allein auf sich angewiesen, genießt das auch und eignet sich einen Ort an, der ihm eine Geschichte erzählt.

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Wim Wenders, Foto: Peter Lindbergh, 2015

„Beide, der Filmemacher als auch der Fotograf, sind eigentlich verhinderte Maler“ sagt Wenders an einem für ihn bedeutsamen Ort im Düsseldorfer Ehrenhof, wo heute das Museum Kunstpalast beherbergt ist. „Dass ich dann doch beides wurde, liegt auch an der zerstörten Stadt Düsseldorf.“ Wenders, der 1945 zu Ende des Zweiten Weltkriegs geboren ist, weiß, was es heißt, wenn Orte verwüstet und verlassen sind und die Welt aus den Fugen geraten ist und man die Spuren noch erahnen kann.

Wim Wenders Yellow Bus, Uluru 1977 C-Print 124 x 163 cm

↑ „Es war Heiligabend, mitten in Australien: Ich war der einzige Gast in dem kleinen Motel mit Blick auf Ayers Rock … Auf dem Weg begegnete ich keinem einzigen Menschen …“
Wim Wenders, Yellow Bus, Uluru, 1977, C-Print, 124 x 163 cm, © Wim Wenders / Courtesy Blain | Southern

↓ „Blick aus dem Inneren eines Parkgebäudes in Houston, Texas nach draußen; die Frau auf dem Bürgersteig wartete in der Hitze auf ein grünes Licht, als plötzlich zwei identische Wagen heranfuhren“
Wim Wenders, Two Cars and a Woman Waiting, Houston, Texas, 1983, Lightjet Print, 124 x 150 cm © Wim Wenders / Courtesy Blain | Southern

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In unmittelbarer Nähe des Ehrenhofs, in der Klever Straße, wuchs er auf. Inmitten des Ehrenhofs durfte er spielen. „Vieles war zerstört. Aber das war für meine Mutter ein sicherer Spielplatz.“ Bei ihm daheim – sein Vater war Arzt – schmückten billige Kunstdrucke die Wände. Sehnsüchtig prägte sich der kleine Wim die wohlkomponierten Bilder ein: französische Landschaften, Corots, van Goghs. Sie stellten für ihn eine Art Gegenwelt dar.

Das Fotografieren habe er „im Blut“ gehabt, weswegen ihm sein Vater schon früh eine Kamera an die Hand gab. So wusste Wim schon bald, was ein Bild ausmacht. Er wäre auch gerne Fotograf geworden. Doch sei auch das für ihn in den 50er und 60er Jahren ein unmöglicher Berufswunsch gewesen. So studierte er zunächst Medizin und Philosophie, bevor er nach Paris ging, um Malerei zu erlernen. Dort legte die Cinémathèque, wo er sich am Nachmittag durch die Filmgeschichte sehen konnte, einen Grundstock für den späteren Filmemacher in Sachen Wahrnehmung und ließ ihn über die „Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln“ nachsinnen. Die Fotografie begleitet ihn jedoch ebenso weiter. Und so sehen wir in Düsseldorf auch die Entwicklungsgeschichte seiner Fotografie aus mehreren Jahrzehnten.

Seine frühen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 70er Jahren in Pittsburgh, Pennsylvania spiegeln die Analogien zum Leben im Ruhrgebiet, wohin die Familie von Düsseldorf ausgezogen war, da der Vater Chefarzt in Oberhausen geworden war. Grau erscheint die Umgebung um das einsame Haus mit dem Café „Helen and Joe“, nur ein streunender Hund ist der Lichtpunkt der Szenerie. „In Pittsburg, Pennsylvania roch es genauso wie in Oberhausen im Ruhrgebiet, wo ich aufgewachsen bin“, kommentiert Wenders das amerikanische Pendant.

Wim Wenders Dust Road in West Australia 1988 C-Print 178 x 447 cm

↑ Wim Wenders, Dust Road in West Australia, 1988, C-Print, 178 x 447 cm, © Wim Wenders / Courtesy Blain | Southern

↓ Wim Wenders, Joshua and John (behind), Odessa, Texas, 1983, C-Print, 125 x 170 cm, © Wim Wenders / Courtesy Blain | Southern

Wim Wenders Joshua and John (behind), Odessa, Texas 1983 C-Print 125 x 170 cm

Die fast romantische Sehnsucht nach der Stille eines Ortes, dessen Seele er immer wieder freilegen möchte, erlebte Wenders zwischen seinen Drehzeiten in leeren und halbleeren weiten Landschaften Amerikas mit dem speziellen Licht. Dabei entdeckt er auch die sehr spezielle Farbigkeit Amerikas wie in der verlassenen Hotel-Lounge in Arizona, und er stellt die Schwarz-weiß-Filme auf Ektachromes um. Dabei erinnern die von ihm festgehaltenen Szenen der Einsamkeit an die Malerei Edward Hoppers. „Written in the West“ nannte Wenders die Ausgangsserie, die zu seinem Film „Paris, Texas“ (1984) entstand. Später führten die Reisen den Filmemacher auch nach Australien, Kuba, Israel, Armenien und Japan.

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Blick in die Ausstellung im Museum Kunstpalast, im Hintergrund Wenders’ Photographie
„Wyeth Landscape 2000“, Foto: Petra Kammann

Anders als beim Filmen oder in der heutigen digitalen Fotografie bevorzugt Wenders für seine „photographischen“ Arbeiten die Schreibweise „Photographien“ mit „Ph“, weil ihn die Herkunft des Wortes von „photo“ (Licht) und „graphein“ (das Aufzeichnen des Bildes) beeindruckt. In Japan entstanden solche „Photographien“ wie „The dead Tree“, Onomichi, wo das geschichtete tiefe Licht, durch das ein Sonnenstrahl fällt, der romantischen Atmosphäre eines Caspar David Friedrich gleichkommt.

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„Ich brauchte Stunden, bis ich jemanden gefunden hatte, der mir die Eingangshallen des alten Stout’s Hotels … aufschließen konnte. Das Gemälde über dem Cola-Automaten verfolgt mich seitdem. Es ist die perfekte Anfangseinstellung eines Road Movies“
Wim Wenders, Lounge Painting # 1, Gila Bend, Arizona, 1983, Lightjet Print, 125 x 152 cm © Wim Wenders / Courtesy Blain | Southern

In vollem Umfang begreift man, was Wenders meint, wenn er von der echten Wahrnehmung der Realität spricht, wenn man den Raum seiner „Photographien“ New York, November 8, 2001 betritt, der einzig den Aufnahmen vom Ground Zero gewidmet ist. Wie kam es dazu? Eigentlich war dieser beschädigte Ort für die Fotografen tabu. Einzig Joel Meyerowitz war von der Stadt New York beauftragt worden, die Aufräumarbeiten gewissermaßen als Chronist zu dokumentieren. Wenders selbst war nach 9/11 so traumatisiert, dass er den Fotografen Meyerowitz bat, ihn einen Tag lang unter anderem Namen als Assistant auf das abgesperrte Gelände zur Sicherung der Bergungsarbeiten zu begleiten.

Wenders brach also nach New York auf und arbeitete am 8. November 2001 Seite an Seite mit Meyerowitz gegen dieses Trauma an. An diesem Höllenschlund versuchten Männer mit Masken, die Trümmer zu sichten. Über dem Ort hing eine beißende Rauchwolke, während das Gelände ununterbrochen von Wassertankern besprüht wurde. Da Ground Zero von Hochhäusern mit gläsernen Fassaden umgeben war, spiegelte sich in ihnen das flammende Licht der Morgensonne und erleuchtete die infernalische Szene. Wenders erschien dieses Licht wie ein Zeichen des Himmels und er reagierte.

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Blick in den Raum, in dem Wenders Fotos von New York, November 8, 2001 hängen; Foto: Petra Kammann

Wenders nahm das irreale, ja geradezu metaphysische Schauspiel mit seiner Panoramakamera auf. Heraus kam ein Bild mit diesem ganz besonders magischen Licht, das an die Farben Grünewalds erinnert. So gehen Beklommenheit und Faszination von dieser Hölle aus, die Wenders auf Ground Zero eingefangen hat, was er so kommentiert: „Hier ist etwas Schreckliches passiert, etwas absolut Infernalisches. Aber die Zeit wird es heilen. Laßt dies nicht einen Boden für neuen Haß werden.“ Genau das empfand Wenders wohl, als er diesen Augenblick auf Zelluloid festhielt, ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommen würde.

Für den sonst eher experimentierfreudigen Filmemacher ist die schlimmste Zivilisationskankheit der „schleichende Verlust an Wirklichkeit“, das „sich Zufriedengeben mit einer Realität aus zweiter Hand“. So erklärt sich auch der etwas verschachtelt sprachspielerische Titel der Ausstellung „4 REAL & TRUE 2″. Wenders möchte etwas in Echtzeit und unmanipuliert wahrnehmen, weswegen er nicht digital fotografiert. Denn das wäre jederzeit revidierbar durch Löschen von Aufnahmen.

“ ‚Wahr‘ ist ein 4-letter word, deutsch wie englisch. So wie ‚real‘ „. Alles, was man in dieser Ausstellung sieht, hat eine „echte Wirklichkeit“ als Ausgangspunkt, so schrecklich sie auch sein mag.

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Wim Wenders 2013 in Düsseldorf nach der Verleihung des Helmut-Käutner-Preises an Christian Petzold; Foto: Petra Kammann

„Ich mache Aufnahmen von Dingen, die es gibt, und manipuliere nichts. Ich bearbeite nicht und baue anders zusammen. Ich lege einen Film ein, das Licht fällt auf diesen Film. Ich hänge daran, dass die Fotografie noch einen Bezug zum einmaligen Akt des Sehens hat und das aufnimmt. Und das ist für mich ein fast ‚heiliger Akt‘.“ Vielleicht ist es dieses Unverwechselbare, das auf eine weitere Geschichte verweist, weswegen seine „Photographien“ auch so stark berühren.

„Wim Wenders. Landschaften. Photographien“, Museum Kunstpalast, Ehrenhof, Düsseldorf, bis 16. August 2015

→ BERLINALE 2011 (2)

 

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