artspace RheinMain @ Ölhalle am Hafen Offenbach (3)
3. Ausstellung:
Atelierhäuser Offenbach und Frankfurt (Folge 1)
Von Erhard Metz
Man könnte glatt die Krise kriegen bei diesem Thema, bei welchem der umtriebigen Kulturmanagerin Anja Czioska mit der Zornesröte im Gesicht auch der Blutdruck steigt: Wir können uns im – massgeblich von den beiden renommierten Kunsthochschulen Städelschule und HfG Offenbach bestimmten – Kulturraum Frankfurt/Offenbach einer stattlichen Zahl hier ansässiger, sehr gut ausgebildeter, hochkreativer bildender Künstlerinnen und Künstler rühmen – aber kaum jemand scheint dies zu erkennen oder gar nur zu wissen, vor allem im Rhein-Main-Gebiet selbst.
Warum drängt sich dieser Eindruck auf? Was läuft hier schief?
Vor allem die Stadt Frankfurt am Main tut einiges, um Künstler zumindest materiell zu unterstützen und zu fördern, vornehmlich mit subventionierten Ateliers, mit Stipendienaufenthalten in Partnerstädten, auch mit den „Frankfurter Ateliertagen“ (die die früheren „Open Doors“ ablösten) und neuerlich mit dem Stipendium „Heimvorteil“. Doch reicht dies alles nicht aus bzw. es geht um anderes Wichtiges mehr: Es geht darum, das Schaffen der heimischen Künstlerinnen und Künstler im Bewusstsein der Öffentlichkeit und ebenso der Fachwelt besser zu verankern, ihnen eine Plattform für eine qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit (das Wort „Vermarktung“ mögen wir nicht sonderlich) zu verschaffen. Dafür könnten die Städte Frankfurt und Offenbach – auch auch das Land Hessen – noch sehr viel mehr tun, als bislang geschieht. Auch die Museen und die Mehrzahl der Galerien am Platz scheinen – wie uns gesagt wird – das heimische künstlerische Geschehen nicht immer so aufmerksam und nachhaltig zu verfolgen, wie es wünschenswert und angemessen wäre. Früher sah man Frankfurts Tripel-Direktor Max Hollein schon im „Familie Montez“ und auch in der Kaiserpassage – hoffentlich bleibt das so in Zukunft. Und immerhin wurde Peter Gorschlüter, stellvertretender Direktor des MMK, jetzt bei der Eröffnung der aktuellen artspace-Ausstellung in der Ölhalle gesichtet.
Anja Czioska nun hat mit ihrer Initiative „artspace RheinMain“ einen begrüssenswerten wie notwendigen Schritt in die richtige Richtung getan und die alte, dem Abriss geweihte „Ölhalle“ am Offenbacher Hafen für dieses Jahr zu einer Wiedergeburt als Ausstellungshalle erweckt – Dank sei ihr gesagt! Nehmen das aber nun auch die für die kulturelle Entwicklung des Rhein-Main-Gebiets Berufenen und politisch Verantwortlichen wahr? Wir werden es beobachten.
Nun zurück zur aktuellen Ausstellung „Atelierhäuser Offenbach und Frankfurt“ in jener Ölhalle. Nur einen Ausschnitt aus all dem kreativen Schaffen der Künstlerinnen und Künstler der genannten Einrichtungen kann sie bei begrenztem Platzangebot zeigen, und auch wir in unserem Magazin nur wiederum einen „Auschnitt vom Auschnitt“. Unseren Neigungen entsprechend begegnen wir überwiegend der Malerei, nur vereinzelt ist skulpturelles Werk anzutreffen. Neben den allermeisten Exponaten befindet sich ledigleich eine Namensangabe.
Seit längerem bekannt und doch eine Entdeckung: Carolin Kropff.
Natürlich denkt man bei ihren hoch auffahrenden Figuren gleich ein bisschen an El Greco. Auffallend der klassische Bildaufbau, der an Kreuzigungsgruppen erinnert mit dem Kruzifixus zu mitten und Maria mit zumeist Johannes zur linken und rechten, mitunter auch mit Maria Magdalena. Ob sich hier nun aber die weibliche Gestalt rechts im grossformatigen Bild wegen des Schwefelgestanks, den der Teufel in der Bildmitte verbreitet, die Nase zuhält, wissen wir nicht. Aber der Teufel scheint es schon zu sein, trägt er doch am unteren Bildrand statt eines Fusses einen Hufen. Ein Lichtschein fällt auf die kniende weibliche Figur zur Linken. Entwachsen ihrem Rücken in die Höhe strebende Engelsflügel? Ein faszinierendes Bild!
Faszinierend auch die beiden kleinformatigen Porträts, das eine ein Selbstbildnis mit Halskette.
Die Künstlerin, zu deren Vorbildern Tizian und Goya zählen, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf, an der Universidad de Complutense in Madrid und an der Städelschule (bei Professorin Christa Näher). Sie wirkte vorübergehend an den Städtischen Bühnen Dortmund und arbeitete mehrere Jahre in Spanien. Carolin Kropff stellte bereits weltweit aus. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Dubai.
Auch die über das Rhein-Main-Gebiet hinaus bekannte Künstlerin Charlotte Malcolm-Smith überzeugt mit einer grossformatigen Leinwand mit Motiven zwischen Antike, Klassik und Pop, zwischen David und Superman, die sich, wenn auch beide ohne Kopf, die Hand reichen. Interessant übrigens, wenn man das Bild umdreht, gewissermassen „auf den Kopf“ und dann wieder „vom Kopf auf die Füsse“ stellt – in der fotografischen Abbildung leicht experimentiert.
Charlotte Malcolm-Smith, 1966 in Edinburgh geboren, studierte zunächst in London bei Ian McKeever und von von 1989 bis 1994 an der Städelschule, ebenso wie Carolin Kropff bei Professorin Christa Näher. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.
In seiner grossformatigen, mittig geteilten Arbeit – im Grunde eines jener „unechten“ Diptychen – lädt uns Mathias Deutsch in eine grosse, weite Welt von üppig wuchernden menschlichen und tierischen Gestalten und Fabelwesen ein, die geradezu aus dem Arsenal eines Matthias Grünewald heranmarschiert sein könnten, in eine Welt von Gauklern und Dämonen, Gespenstern und Spukschlössern. Ein blaues Pferd lässt Grüsse von Franz Marc ausrichten. Es gibt in diesem Gemälde so vieles zu sehen, dass man am besten ein Stühlchen mit in die Ölhalle nehmen sollte, um dieses – ein munteres Spiel treibendes – Bilderwelt-Universum mit der gebotenen Musse betrachten zu können.
Mathias Deutsch, 1967 geboren, studierte an der Städelschule freie Künste bei den Professoren Per Kirkeby und Franz West. Der Künstler lebt und arbeitet ebenfalls in Berlin.
Sandip Shah überrascht uns mit drei Diptychen: jeweils das Porträt eines Ermordeten in Grisaille-Malerei, kombiniert mit einer in Farben ausgeführten Draufsicht – wie man sie von Google Earth her kennt – auf die Stätten der Verbrechen. Es sind (die Arbeiten hängen in chronologischer Abfolge der Morde):
John F. Kennedy, Politiker der Demokratischen Partei, 35. Präsident der USA, 1963 auf einer Wahlkampfreise an der Dealey Plaza in Dallas, Texas, ermordet:
Martin Luther King, Pastor und Bürgerrechtler, 1968 auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis, Tennessee, ermordet:
John Lennon, Musiker, Komponist, Autor, Mitgründer, Sänger und Gitarrist der „Beatles“, 1980 vor dem Dakota Building in New York City ermordet:
Es sind wiederum faszinierende Arbeiten, auch zunächst einiges Erstaunen bereitende Gegenüberstellungen so unterschiedlicher – aber vielleicht doch auf den zweiten und tieferen Blick in manchem verwandter – Persönlichkeiten aus Politik, aus Religion und Bürgerbewegung sowie aus weltumspannender Philosophie und Musik. Und es scheinen nicht die Mörder zu sein, die Sandip Shah hier interessieren, sondern die Stätten, an denen diese Untaten geschehen sind, geschehen konnten. Was mag ihnen gemein sein, so könnte man fragen, dass sich in und auf ihnen solches ereignen konnte? Was kann uns die Sicht „von oben“ auf diese Stätten der menschlichen Unvernunft, des Hasses vermitteln?
Sandip Shah, 1972 in Darmstadt geboren, studierte an der HfG in Offenbach und an der Städelschule bei den Professoren Adam Jankowski bzw. Hermann Nitsch, dessen Assistent er in Salzburg wurde. Shah gründete in Darmstadt die b.k.i. (bewohnte kunst installation), ein interaktives Gesamtkunstwerk, in welchem der Künstler „halb öffentlich“ lebt, und in Frankfurt das CWO (City Watch Office) in der ehemaligen Pförtnerloge des derzeit noch vom ATELIERFRANKFURT genutzen Gebäudes.
Ausser den vier bereits genannten sind folgende Künstlerinnen und Künstler an der Ausstellung beteiligt:
Boris Banozic & Frank Nickerl, Petra Johanna Barfs, Ulrich Becker, Valentin Beinroth, Nicolaj Dudek, Bea Emsbach, Andreas Exner, Martin Holzschuh, Dirk Krecker, Corinna Mayer, Stephan Melzl, Eva Moll, Susana Ortiz Maillo, Hans Petri, Monika Romstein, Edwin Schäfer, Eva Schwab, Sebastian Stöhrer, Max Weinberg und Günter Zehetner.
FeuilletonFrankfurt wird in weiteren Folgen berichten.
„Atelierhäuser OF / FFM und ihre Künstler„, Ölhalle am Hafen Offenbach, bis 25. August 2013
(abgebildete Werke © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz)
→ artspace RheinMain @ Ölhalle am Hafen Offenbach (4)
→ artspace RheinMain @ Ölhalle am Hafen Offenbach (1)