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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Adventskalender 2012: 24. Dezember

Werke von Künstlerinnen und Künstlern des
Atelier Goldstein

„Es ist normal, verschieden zu sein.“

FeuilletonFrankfurt beschliesst seinen diesjährigen Adventskalender mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern des Atelier Goldstein mit einer Installation des Frankfurter Künstlers Selbermann.

Wir lernten Selbermanns Arbeiten bereits vor knapp drei Jahren in der wunderbaren Ausstellung „Bilder, die bewegen“ in der Frankfurter Heussenstamm-Galerie kennen. Der 1962 in Frankfurt am Main geborene Georg Vaternahm, so der bürgerliche Name des Künstlers mit – wie wir uns zu sagen angewöhnt haben – geistiger Behinderung, gab sich dieses Pseudonym im Sinne der Redensart „Selbst ist der Mann“. Allein dies eine beachtliche schöpferische Leistung.

Geistige Behinderung – was will dieser Begriff eigentlich aussagen angesichts der vielfachen mentalen Sperren, der mannigfaltigen ideologischen oder extremistisch religiösen oder weltanschaulichen Voreingenommenheiten oder Fixierungen der sich selbst als „nicht behindert“ erachtenden Mehrheit der Bevölkerung, angesichts der politischer oder religiöser Radikalität und dem Reiz nackter Gewalt verfallener Kreise der Gesellschaft? Wer sind die eigentlichen geistig „Kranken“ und die „Krankmacher“ in unseren nationalen wie globalen wirtschaftlichen und politischen Systemen? Sind es die berüchtigten Londoner und New Yorker Investment-Zocker und Hedgefonds-Manager, sind es die in dieser Welt immer noch ihr Unwesen treibenden, wenn auch von vielen „gewählten“, vielfach korrupten Diktatoren und Gewaltherrscher, sind es – im Herzen Europas – Leute vom Schlage eines Bunga-Bunga-Berlusconi?

Solche Überlegungen und Fragen, wir wissen es, vernehmen manche sich in einer oft garstigen Welt nach Harmonie Sehnenden nicht gerne. Manche werden auch an der abgebildeten Installation von Selbermann kaum – schon gar keinen weihnachtlichen – Gefallen finden. Trotzdem – oder besser gesagt gerade deshalb – beschliessen wir an Heiligabend 2012 unseren Zirkel mit einem dokumentarischen Foto dieser Installation.

Selbermann, „Die Fichtung“,  Installation, 1996 – 2010, Totale und Details; © und Foto: Atelier Goldstein

Ob Selbermann diese Arbeit in einem Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest oder dem Heiligabend sah oder sieht, wissen wir nicht, entsprechende Spekulationen erübrigen sich.  Subjektiv könnten wir in jenen drei grösseren vertrockneten Tannenbäumen – und dem einen kleineren – einen derartigen Bezug erahnen.  Dann: Spielzeug, für aufhebenswert erachtetes Liebenswertes, alte Fotografien, Kitsch und Nippes, Gemälde und ikonenhafte Darstellungen, aber auch den sogenannten Vernünftigen vernünftig erscheinende Alltagsgegenstände, wohin man schaut. Wir appellieren an den Betrachter, sich mit dem Arrangement eingehender zu beschäftigen. Sich treiben zu lassen in Assoziationen und Erinnerungen. Bezüge herzustellen zwischen dem, was früher in der Kindheit wichtig war und was für das Heute als wirklich und wichtig erachtet wird – allerlei Fehleinschätzungen und Korrekturbedarf eingeschlossen und das eigene, für sich als selbstverständlich reklamierte geistige „Nichtbehindertsein“ kritisch überprüfend.

Unsere Leserinnen und Leser, wie vor allem die grossartige, von uns geschätzte Frankfurter Künstlerin Christiana Protto selbst, werden es gewiss nicht missverstehen, wenn wir in diesem Zusammenhang an die wegweisende, uns berührende, inzwischen leider wieder abgebaute Installation „Geronimo“ in der Weissfrauen Diakoniekirche erinnern.

Und verweisen möchten wir erneut auf die von uns bereits seinerzeit zitierten Ausführungen der Frankfurter Kunstwissenschaftlerin Anna Meseure in dem bemerkenswert bibliophil gestalteten Katalog zur genannten Ausstellung „Bilder, die bewegen“ (herausgegeben von der Heussenstamm-Stiftung Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit den Praunheimer Werkstätten):

„Der wahrscheinlich einzige Unterschied zwischen der Kunst von Menschen mit Beeinträchtigungen und jener von anderen Künstlern besteht in einer anderen Sicht von Innen- und Aussenverhältnis. Während für die Künstler der Praunheimer Werkstätten ihre Kunst dominant eine Ausdrucksmöglichkeit ist, ihr Verhältnis zur Welt und ihre ganz subjektive Sicht der Realität zu zeigen, reflektieren die anderen Künstler mit Hilfe ihrer Werke die Welt als wahrnehmungsabhängig, also die sich historisch ändernden Bedingungen, wie wir Welt überhaupt sehen und verstehen können. Das setzt eine intellektuelle Distanz voraus … Das ‘Da-Sein’ und das ‘So-Sein’ sind different. Bei den Bildern der hier vorgestellten Künstler fallen diese Kategorien in eins … Wobei das ‘Da-Sein’ und ‘So-Sein’ unabhängig von dem gewählten Abstraktionsgrad der Darstellungen identisch ist … Keinem der Künstler geht es um ‘Wirkung’, um ein ‘Beeindrucken’ der Betrachter, sondern um den Ausdruck ihrer eigenen Befindlichkeit. Dies ist aber mindestens so authentisch, wenn nicht authentischer als das, was wir als sogenannte Kunsthandels-Kunst bezeichnen.”

„Es ist normal, verschieden zu sein“

– mit diesem Motto der „Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Frankfurt am Main“ überschrieben wir die 24 Folgen dieses Adventskalenders. Die vielen sehr positiven Reaktionen, die uns erreicht haben, geben dieser gemeinschaftlichen Aktion von Christiane Cuticchio und Melanie Schmitt vom Atelier Goldstein und FeuilletonFrankfurt recht. Wir bedanken uns herzlich für die grosszügige Unterstützung durch das Atelier, das ungeachtet seiner vielfältigen eigentlichen Aufgaben auch grossenteils die Auswahl der Bild-Motive besorgte.

ATELIER GOLDSTEIN
der Lebenshilfe e.V. Frankfurt am Main

⇒ Adventskalender 2012: 1. Dezember

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