home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Magie der Räume – Malerei von Katja Jüttemann in der Heussenstamm-Galerie

Von Anna Meseure
Kunsthistorikerin

Schon vor dem Betreten der Galerie erblickt der Besucher im Galerieschaufenster ein alltägliches Hängeschränkchen mit drei kleinen Vertiko-Skulptürchen, einem Pudel, einem Kätzchen und einem kleinen Bärchen. Dieses Arrangement wirkt wie das Zitat einer aus der Zeit gefallenen Seniorenwohnung. Über diese Installation fällt der Blick auf einen Paravent mit kleinteilig ornamentierten Tapeten und eine biedere Stehlampe, die das Motiv und die Stillage des Fensterarrangements aufgreifen und reflektieren. Auf der Tapetenwand hängt ein Stillleben, welches genau dieses Schränkchen mit den Figürchen zeigt, also das räumliche Objekt abbildet und darstellt. Und auf der Rückseite des Paravents steht ein angerostetes altes Kinderdreirad, das zu den Tierchen in Beziehung tritt. Durch diesen Bezug auf eine ferne Kindheit wird dieses Arrangement auch nostalgisch.

Ausstellungsansicht (Foto FeuilletonFrankfurt)

Damit akzentuiert Katja Jüttemann ihre künstlerische Produktionsmethode, denn sie fotografiert zunächst ihre dinglichen Motive, um sie dann von der fotografischen Vorlage in die Malerei zu übersetzen.

Diese Eingangsinstallation der Ausstellung ist also jenseits ihrer inhaltlichen Aussage auch eine Selbstreflektion der Künstlerin über das Verfertigen ihrer Kunst. Zudem gehört zur Wahrnehmung dieses Alltagsausschnittes, der wie abgestellter, ausrangierter Sperrmüll daherkommt, die zugleich verfremdende wie nobilitierende Situation der Kunstgalerie.

Auch wirkt diese rudimentäre Tapetenwand wie ein herausgelöstes Stück einer Wohnung, die man manchmal bei halb abgerissenen Wohnhäusern zu sehen bekommt. Durch das aus dem Alltag herausgenommene Arrangement bekommt dieses den Charakter eines memento mori, eines Erinnerungsstückes also an gelebte Biografien, an vergangene Zeiten und verlassene Orte.

Dies hat eine lange kunsthistorische Tradition in manchen morbiden Stillleben des Manierismus und des Barocks, aber durchaus auch Bezüge zu aktuellen Kunstströmungen wie etwa manchen Environments der Pop Art. Die kleinbürgerlichen Tapeten sind in ihrer Banalität auch psycho-historische Wegweiser in die Bewusstseinslagen des Alltags.

Betritt man dann die Ausstellungsräume, versteht man sofort, warum die Künstlerin ihre Ausstellung „Raumseits“ nennt.

Röhrender Hirsch, Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm

Katja Jüttemanns Bilder, fast immer Stillleben, zeigen meist leere Räume, altes Mobiliar oder Interieurdetails, die immer in gedeckten Braun-, Beige- und Chamois-Tönen gehalten sind. Diese Verhaltenheit mag man als melancholisch empfinden, auch als Nostalgie.

Und wenn dann, etwa bei einem Stillleben mit Vase und Tasse auch noch scharfe Schlagschatten eine Rolle spielen, dann ist die Nachbarschaft zur pittura metafisica der 1930er Jahre ebenso wie jene zum Verismus eines Alexander Kanold oder Georg Schrimpf aus der gleichen Zeit evident. Es scheinen Bilder einer anderen Zeit zu sein, wie aus einer alten Wochenschau in einem UFA-Kino.

Nachmittag, Öl auf Leinwand, 140 x 200 cm

Aber diese Beschäftigung mit Räumen, Raumkompartimenten und unspektakulären Details erklärt sich auch aus der Ausbildung der Künstlerin. Sie hat zunächst Architektur in Birmingham und Frankfurt studiert, dann Kunstpädagogik und Kunstgeschichte an der Universität Frankfurt und schließlich Malerei an der HfG Offenbach.

Folgerichtig malt sie architektonische Räume, die oft wie historische Architekturfotografien wirken. Darüber hinaus zeugen diese Stillleben von ihrer genauen Kenntnis bestimmter Epochen und Stile der Kunstgeschichte.

Diese Malerin, Fotografin und Architektin hat also konsequent ihr künstlerisches Talent gewissermaßen kunstgeschichtlich „geerdet“, denn ihre Kenntnisse der internen Geschichte der Kunst beeinflussen und befruchten auch ihre malerische Methode.

Vorhang, Öl auf Leinwand, 200 x 140 cm

Katja Jüttemanns Bilder entstehen in einer altmeisterlichen Öllasurtechnik in acht oder zehn Arbeitsschritten. Zunächst wird die Leinwand unregelmäßig grau grundiert. Auf diese Grundierung setzt die Künstlerin eine Skizze in Ocker, höht sie mit Weiß, um dann das Bild mit einer ersten Lasur mit der Farbe „Grüne Erde“ zu überziehen.

Danach wird das Bild erneut mit Weiß gehöht, erhält eine weitere, diesmal braune Lasur mit dem Farbton „Umbra gebrannt“, dann eine weitere Weißhöhung und wieder eine Lasur. Es handelt sich also um eine klassische alte Maltechnik, die ebenso technisch aufwendig wie zeitintensiv ist.

Dieser altmeisterlichen Maltechnik geschuldet ist auch die Farbaskese, die Beschränkung auf erdige, gedeckte Paletten, manchmal mit einem leichten Grünstich, der an korrodiertes Kupfer erinnert.

Sofa, Öl auf Leinwand, 90 x 120 cm

Und nicht selten sind ihre Bilder kleinformatig oder rund und oval. So sind also auch die Bildträger eine Reminiszenz an vergangene Zeiten, an Tondi der italienischen Renaissance oder an Ochsenaugenfenstern barocker Bauten.

Im Übrigen hat ein ovales Fenster auf der Galerieempore Katja Jüttemann inspiriert, gerade hier in Korrespondenz zu diesem „Oculi“- Fenster ihre Tondi und Medaillonbilder zu arrangieren.

Fenster, Öl auf Leinwand, d=50 cm

Sie bilden die eigentliche Gruppe der „Raumseits“-Gemälde und zeigen Einrichtungsdetails von nüchterner Schmucklosigkeit. Die Motive und die klassischen Rundformate kontrastieren dabei spannungsreich.

Doch bei aller maltechnischen Klassizität sind ihre Bildthemen immer zeitgenössisch. Es sind banale Versatzstücke heutiger Wohnräume wie Steckdosen, Blumenvasen, Spültische, Sofakissen, Vorhänge, Bettdecken oder Plüschsessel. In der Serie ergibt sich ein Panorama, die Jüttemann, nicht ohne Ironie, schlicht „Zuhause“ nennt.

Die Bilder wirken zunächst sehr lakonisch, streng sachlich, fast unbeteiligt. Das Gegenteil aber ist der Fall. Denn diese Räume und Gegenstände abzubilden, heißt ja nicht, dass in diesen leeren Räumen nie Menschen waren oder dereinst wieder sein werden bzw. dass diese Gegenstände nie benutzt waren oder wieder benutzt werden könnten.

Wenn die Künstlerin eine halb geöffnete Tür malt, dann verweist dies schließlich auf Personen, die durch diese Tür Räume betreten oder verlassen. Wenn sie einen leeren Stuhl mit Küchentisch zeigt, dann heißt dies auch, dass da einmal jemand gesessen, gespeist und getrunken, sich unterhalten hat. Wenn sie zwei Sofakissen vor einem schweren, gerafften Vorhang mit dem typischen „Nackenschlag“ malt, dann verweist dies auf bestimmte Wohnzusammenhänge, übrigens nicht nur räumlich, sondern auch soziologisch.

Zuhause, Öl auf Leinwand, 129 x 90 cm

Wenn die Malerin eine Wand mit Rehbockgeweihen zeigt, dann heißt dies doch wohl, dass sich da ein Jäger ein persönliches Refugium schaffen wollte, einen Memorialraum für seine Leidenschaft des Auf-die-Pirsch-gehens.

Insofern sind Menschen in diesen Räumen der Katja Jüttemann, gerade wenn und weil sie nicht dargestellt werden, durchaus immer anwesend. Diese Abwesenheit ist nicht nur eine physische, sondern eine metaphysische. Das macht diese Bilder doppelbödig, magisch und melancholisch zugleich.

Zudem stellt die Künstlerin oft isolierte Teile eines Gegenstandes oder einer gegenständlichen Situation dar: ein Stück Vorhang, das Fragment eines Vertikos mit einer angeschnittenen Couchleuchte, ein Stück Fensterbrett mit Vorhang und Heizkörperfragment, das Teilstück einer einfachen Holztür mit einem Knauf, die stukkatierte Deckenrosette einer Deckenlampe mit einem Stück Kabel. Immer sieht man Ausschnitte, Segmente, Rudimente, die man unwillkürlich im Kopf ergänzen möchte. Solche Bilder sind im Sinne des Wortes pars pro toto-Gemälde, weil ein Detail für das Ganze steht und vermag, komplette Assoziationsketten auszulösen.

So sucht und sieht diese Malerin im Detail das Ganze.

Aus der Serie „Zuhause“, Öl auf Leinwand, 30 x 30 cm

Also kulturelle, soziale, historische, ökonomische, ästhetische Spuren: mithin das, was Gegenstände, Orte, Situationen überhaupt auszusagen vermögen. Katja Jüttemann bringt insofern die schweigenden Dinge zum Reden und macht sie bildwürdig.

Darüber hinaus beherrscht diese Malerin die Kunst der Andeutung.

Ein, zwei Details genügen ihr, um eine Geschichte zu erzählen:

Ein bisschen Nachttisch, ein bisschen Tür, ein bisschen zerwühltes Bett, ein Stück Herd, ein Stück Treppengeländer, eine Personenwaage mit ein paar Kacheln und einem Stück Vorhang dahinter: schon spannt sich ein weitreichender Assoziationsraum auf über Lebensvollzüge, Lebensgeschichten, vergangene Zeiten.

Diese Bilder haben und thematisieren Zeit: vergangene, verrinnende Zeit. Es sind Zeugen, in gewisser Weise Tatorte. Hier hat etwas stattgefunden.

Katja Jüttemann vermag es, uns die Dinge als So-Sein zu zeigen, in denen das Da-Sein aufgehoben ist. Was wäre die Welt ohne Artefakte, ohne die von Menschen geschaffenen Welt-Erweiterungen? Was andererseits bliebe denn übrig nach dem Exodus der Menschen außer leeren Räumen, verstaubten Sofas, leeren Fensterbrettern und Kleiderhaken, abgelegten Koffern und verlassenen Stühlen und Betten?

Insofern sind diese Wohndetails immer auch Indizien für menschliche Bedürfnisse, Gewohnheiten, Vorlieben und Verrichtungen.

Diese stilllebenhaften Interieurausschnitte sind zugleich auch existenzialistische Metaphern für die Behausheit wie für die Unbehausheit des Menschen.

Indem diese Malerin sich aber auch für das Gemachte, den Gebrauch und die Gebrauchsspuren interessiert, werden ihre Gemälde zu Erinnerungsbildern. Die Thematisierung eines Arsenals bürgerlicher bis kleinbürgerlicher Wohndetails ist eben so sezierend wie eine soziologische Analyse. Diese ist jedoch weder kühl, noch unbeteiligt, sondern immer empathisch, voller Würde, erfüllt von Geheimnissen.

Kronleuchter, Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm

Bei Katja Jüttemanns Arbeiten geht es um Sensibilisierung, um genaues Hinschauen und in der Folge um Fixieren und Festhalten. Man hat diese Konzentration auf Gegenstände Magischen Realismus genannt. Hier aber geht es neben allem Verismus um eine Dingpsychologisierung, um imaginäre Embleme einer Welt, in der auch die unbelebten Dinge und Details einen psychologischen Charakter entfalten.

Die Bilder dieser Malerin lassen uns innehalten. Sie entschleunigen unsere Wahrnehmung. Sie sensibilisieren uns für die Magie der ganz und gar gewöhnlichen Dinge, der ganz und gar gewöhnlichen Orte, für ihre Poesie und Vergänglichkeit, ihre Geschichtlichkeit und ihre historische Verortung.

Ernst Bloch hat daraus ein konzises philosophisches System der Beiläufigkeit und Lakonie gemacht. Bei ihm heißt es:

Man achte auf die kleinen Dinge, neben, unter, über und seitwärts. Sie prägen unseren Alltag, unsere Vorstellungen, unsere Wünsche, unsere Defizite: mithin unsere Realität.

Ausstellungsansicht (Foto FeuilletonFrankfurt)

Gemäß dem Bonmot, dass man nur sieht, was man weiß, mag man bei Katja Jüttemann wohl sagen:

Da sie viel weiß, sieht sie viel. Da sie viel und vieles genau sieht, kann sie dies kanalisieren, ordnen, verorten, vor allem aber ästhetisch ver-dichten.

Also Ansichten daraus machen, die immer zugleich auch Einsichten sind.

(v. l.) Anna Meseure, Katja Jüttemann, Dagmar Priepke in der Vernissage (Foto FeuilletonFrankfurt)

Katja Jüttemann, „raumseits“, Heussenstamm-Galerie, bis 20. Dezember 2013

Abgebildete Werke und deren Fotografien © Katja Jüttemann

 

Comments are closed.