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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Absolventenausstellung 2019 der Städelschule mit Preisverleihung

… and the winners are: Kristin Reiman, Jakob Brugge und Edi Danartono

Von Erhard Metz

Zwei „Brüder“ im Geiste des Testaments von Johann Friedrich Städel und noch dazu gleichen Vornamens: Philipp Demandt, Direktor Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie (wie es korrekt heißt) im Städel Museum, und Philippe Pirotte, Professor und Rektor der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule, in Städels Testament noch als „Lehranstalt“ bezeichnet. Gemeinsam eröffneten sie die Absolventenausstellung der diesjährigen Alumni der kleinen aber feinen, international renommierten Kunstakademie.

Philipp Demandt und Philippe Pirotte beim Presserundgang, Foto: Erhard Metz

Klangvolle Titel tragen traditionell die jährlichen Abschlußausstellungen der Hochschulabsolventen, dieses Mal lautet er „AIR CONDITIONED“ – was jedoch nicht den hochsommerlichen Temperaturen am Eröffnungstag geschuldet ist. Vielmehr bezieht er sich, wie uns die Kuratoren der Schau Paula Kommoss und Il Jin Choi wissen lassen, auf eine der Bedingungen des Museums- und Ausstellungsbetriebs: der Regulierung von Temperatur und Feuchtigkeit zum Schutz der Kunstwerke. Dabei erweist er besonders einer Ausstellung „The Air-Conditioning Show“ (1966/67) der Künstlergruppe „Art & Language“ Referenz, die in den Mittelpunkt einer leergeräumte Galerie eine Klimaanlage stellte, um so die internen Mechanismen einer kontrollierten und konditionierten Ausstellungsinstitution offenzulegen. Wie es nun auch der aktuellen Absolventenausstellung ergeht – noch dazu eingebettet in die dunkelauberginenrote Ausstellungsarchitektur der jüngst beendeten Präsentation „Tizian und die Renaissance in Venedig“. Und so erfreuen sich oder – wie man es sehen mag – erleiden auch die Abschlußarbeiten der Alumni bereits die Mechanismen der Kunstproduktion. Ein Ausflug ins Eis Café Venezia wird Letzteres versüßen.

↑ Ausstellungsplakat, Nachweis/Foto: Städelschule
↓ Ausstellungsarchitektur „Tizian und die Renaissance in Venedig“, Foto: Erhard Metz

„Wir freuen uns sehr, dass die Absolventenausstellung der Städelschule auch in diesem Jahr wieder im Städel Museum zu Gast ist – damit können wir die Verbundenheit beider Institutionen ganz im Sinne unseres Gründers Johann Friedrich Städel aufs Neue unterstreichen. Die Ausstellung ermöglicht dem Publikum Einblicke in die zeitgenössische Kunstproduktion einer der renommiertesten Kunsthochschulen. Wir dürfen gespannt sein“, so Städel-Direktor Philipp Demandt. Und Städelschul-Rektor Philippe Pirotte ergänzt: „Zeitgenössische Kunst erlaubt eine Begegnung mit der Welt, die keine Möglichkeiten ausschließt. Dabei geht es in der Städelschule vor allem um abschweifende Gespräche, die nichtfundamentalistisches Denken fördern, anerkennen und entwickeln. Es geht beim Kunst-Machen nicht darum zu verstehen, denn es gibt keine endgültige Wahrheit. Viel wichtiger ist das Leben und Arbeiten mit Paradoxien, Rätseln und Widersprüchen“.

In seiner abendlichen Ansprache zur Preisverleihung betonte Pirotte noch einmal den besonderen Charakter der Städelschule, deren Ziel es sei, den Studierenden den Weg zur Entwicklung einer individuellen und eigenständigen künstlerischen Persönlichkeit aufzuzeigen. Etwa 60 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland in die Frankfurter Künstlerschmiede. Pirotte appellierte in diesem Zusammenhang an Kulturpolitik und Verwaltungsbehörden, ausländischen Studienwilligen bei der Einreise und dem Aufenthalt in Deutschland, beispielsweise bei der Visaerteilung, ihre Unterstützung zu gewähren.

Zum zweiten Mal in Folge also zieht die Ausstellung in die „Heiligen Hallen“ des Städel Museums, genauer gesagt in das Erdgeschoß des „Peichl-Bau“ genannten Ausstellungshauses. Inmitten der wirkmächtigen Eingangshalle – ebenfalls im Dunkelauberginenrot der Tizian-Ausstellungsarchitektur – empfängt uns eine Arbeit von Niwat Manatpiyalert.

Der traditionelle, mit 2000 Euro dotierte und vom Verein Städelschule Portikus e.V. gestiftete Absolventenpreis ging in diesem Jahr jeweils hälftig an Kristin Reiman und Jakob Brugge. Der Jury gehörten Martin Engler (Sammlungsleiter Gegenwartskunst, Städel Museum), Annette Hans und Rebekka Seubert (Künstlerische Leitung, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg), Julia Magnus (Städelschule Portikus e.V.) und Jenny Nachtigall (Vertretungsprofessorin für Kunsttheorie, Städelschule) an.

Kristin Reiman und Jakob Brugge bei der Preisverleihung, rechts Rektor Philippe Pirotte, Fotos: Erhard Metz

Ausstellungsansichten: „The Drawse“ von Kristin Reiman (ob.) und „Team Player“ (Ausschnitte) von Jakob Brugge, Fotos: Erhard Metz

Kristin Reiman zeigt in einem verdunkelten Zelt als eine Art „Oper“ eine 50-minütige Klang- und Videoinstallation, Betrachter können es sich dabei auf Knautschkissen am Boden bequem machen. Jakob Brugge installiert gleichsam „hinter den Kulissen“ der Tizian-Ausstellung in einem Seitengang ein Panoptikum von – vermeintlichen(?) – Accessoires des von vieler Seite ungeliebten und wegen des Irak-Krieges umstrittenen früheren US-amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld: u.a. dessen seidenen Morgenmantel nebst Jogginghose sowie seine Armee-Barbeque-Schürze, das ganze in Schaukästen, in denen in amerikanischen Strafprozessen der Jury Beweismaterialen vorgeführt werden.

Soweit wir überblicken erstmalig wurde eine zusätzliche Auszeichnung – als Preis der Studierenden – verliehen: an Edi Danartono – er zählte bereits zu den Rundgangpreisträgern 2019.

Kristin Reiman und Edi Danartono, unten eine Ausstellungsansicht seiner Videoanimation mit Stereosound und Objekten aus MDF gebeizt und lackiert „Boing Boom Cak“, Fotos: Erhard Metz (ob.) und Petra Kammann (u.)

Danartono baut aus niedrigen Hockern – auf jedem liegt ein Kopfhörerpaar – ein Rund nach Art einer afrikanischen Stammesversammlung auf. In Videoprojektionen laufen verschiedene Figuren, Fabelwesen und Schriftbilder über ein Leinwandrund. Reminiszenzen an „Boing Boom Tschak“ von „Kraftwerk“ sind erlaubt.

Die übrigen Absolventinnen und Absolventen: Immanuel Birkert, Xenia Bond, Harry Chapman, Olivia Coran, Onur Gökmen, Siri Hagberg, Stian Hansen, Helena Hasson, K-K, Valentina Knezevic, Niwat Manatpiyalert, José Montealegre, Ivan Murzin, Max Negrelli, François Pisapia, Sóley Ragnarsdóttir und Julian Tromp. Sie studierten in den Klassen von Monika Baer, Gerard Byrne, Peter Fischli, Nikolas Gambaroff, Douglas Gordon, Judith Hopf, Hassan Khan, Laure Prouvost, Tobias Rehberger, Willem de Rooij, Amy Sillman, Wu Tsang und Haegue Yang.

Die überaus reichhaltige, ambitionierte Ausstellung erlaubt einen differenzierten Blick auf das Ergebnis eines (in der Regel zehnsemestrigen) Studiengangs an der Hochschule. Es sind zumeist konzeptuelle Werke, die den Betrachter zum Dialog auffordern, gar provozieren und herausfordern und die sich andererseits vielfach auch ohne größere „Erklärungen“ in ihrer Sinnlichkeit und Visualität erschließen. Dessen unbeschadet sei eine der Kuratorenführungen empfohlen.

„AIR CONDITIONED“ – Absolventenausstellung der Städelschule 2019, Städel Museum Ausstellungshaus, Untergeschoss, bis 14. Juli 2019

Rahmenprogramm zur Ausstellung:

Mi, 19. Juni, 20.30 Uhr: Sound-Performance „Boing Bumm Cak“ von Edi Danartono
Mi, 19. Juni, 21.00 Uhr: Screening & Reading “LOVESICK LIVE” von François Pisapia und Gästen
Fr, 28. Juni, 19.00Uhr: Screening & Reading “LOVESICK LIVE” von François Pisapia und Gästen
Do, 4. Juli, 19.00 Uhr: Kuratorenführung mit Il-Jin Choiund Paula Kommoss
Fr, 5. Juli, 19.00 Uhr: Screening & Reading “LOVESICK LIVE” von François Pisapia und Gästen
So, 14. Juli, 14.00 Uhr: Vorstellung der Publikation zur Ausstellung durch die Absolventinnen und Absolventen in den Ausstellungsräumen

Publikation: Zur Ausstellung erscheint eine von den Absolventinnen und Absolventen produzierte Publikation. Sie enthält eine fotografische Dokumentation aller Werke, individuelle Beiträge der Absolventinnen und Absolventen sowie Texte von Philippe Pirotte, Paula Kommoss und Il-Jin Choi. Die Publikation erscheint zum Ende der Ausstellung.

→ Absolventenausstellung 2019 der Städelschule (Folge 2)

→ „After Rubens“: Absolventenausstellung der Städelschule 2018 – Absolventenpreis an J. M. Heard
→ Absolventenausstellung 2017 der Städelschule – Absolventenpreis an Leda Bourgogne
→ 200 Jahre Staatliche Hochschule für bildende Künste – Städelschule – Frankfurt am Main (2)

 

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