„Max Pechstein – Die Sonne in Schwarzweiß“ im Museum Wiesbaden
Erste Retrospektive des „Sonnenmalers“ im Rhein-Main-Gebiet
Von Hans-Bernd Heier
Das gesamte Schaffen des Expressionisten Max Pechsteins war inspiriert von der Sonne. Als bislang unerkannter roter Faden durchzieht diese alle Werkgruppen und Phasen des Pioniers des Expressionismus. In der großartigen Sonderausstellung „Max Pechstein – Die Sonne in Schwarzweiß“ stellt das Museum Wiesbaden die jüngsten Forschungsergebnisse vor und zeigt farbenprächtige Gemälde und kontraststarke Holzschnitte aus allen Schaffensphasen. Damit präsentiert das Landesmuseum Wiesbaden die erste Retrospektive des Künstlers im Rhein-Main-Gebiet und stellt alle Themen des Künstlers – von Aktmalerei, Tanz bis hin zu Krieg, Familie und Religion – sowohl in farbigen als auch in schwarzweißen Arbeiten vor.
Max Pechstein „Selbstbildnis, liegend“, 1909, Privatbesitz; © 2024 Pechstein — Hamburg ⁄ Berlin; Foto: Kunsthaus Lempertz / Fius Photographie, Köln
Im Wiesbadener Museum sind bis zum 30. Juni 2024 in acht Räumen insgesamt 161 hochkarätige Arbeiten des Malers und Grafikers der deutschen Avantgarde versammelt – Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte, Radierungen und Lithografien. Pechsteins letzte gezeigte Arbeit „Frauen am Ufer“ stammt aus dem Jahre 1953. Ein besonderer Höhepunkt ist das erstmals seit fast 30 Jahren öffentlich ausgestellte „Selbstbildnis, liegend“ von 1909. Das in kraftvollen Farben gefertigte Ausnahmegemälde ist das erste in Öl ausgeführte Selbstporträt, das Pechstein in ungewöhnlicher Pose als Ganzfigur liegend zeigt. Zu sehen ist auch Pechsteins Holzschnitt „Redner“ von 1918. Mit dem Erwerb dieses Blattes bei der Frankfurter Galerie Hanna Bekker vom Rath startete der Sammler Frank Brabant den Aufbau seiner umfangreichen Kollektion.
Max Pechstein – 1881 in Zwickau geboren und 1955 in West-Berlin gestorben – war eine zentrale Figur der modernen Kunstbewegung in Deutschland. Sein Schaffen umfasst eine beeindruckende Bandbreite an Medien und Techniken, von der Malerei über die Grafik bis hin zur Bildhauerei und zum Kunsthandwerk. Pechsteins Werk spiegelt seine Faszination für das einfache Leben sowie die Schönheit der Natur wider und ist von seinen Reisen, unter anderem zu den Palau-Inseln in der Südsee, und der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Kulturen inspiriert.
„Aufgehende Sonne“, 1933; Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarbrücken, Saarlandmuseum – Moderne Galerie; © 2024 Pechstein — Hamburg ⁄ Berlin
Zwischen 1906 und 1912 war er gemeinsam mit Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“ in Dresden und Berlin. Besonderes Anliegen der progressiven Vereinigung war es, subjektive Emotionen bildlich so temperamentvoll umzusetzen, dass sie in höchster Intensität sinnlich berührten. „Um Gefühle und Gemütsbewegungen über Leinwände auf die Betrachtenden zu übertragen, war zunächst die Farbe und deren gestische Verwendung das bedeutendste Medium“, schreibt Museumsdirektor Dr. Andreas Henning in dem opulenten Ausstellungskatalog. „Pechstein machte es sich zum Ziel, dass die Betrachter seiner Arbeiten die Gefühlsregungen, die er bei seinen Reisen spürte, nachempfinden können sollten“, ergänzt Kurator Dr. Roman Zieglgänsberger, Kustos für Klassische Moderne am Museum Wiesbaden.
Eine besondere Inspiration für Max Pechstein waren die Arbeiten des niederländischen Künstlers Vincent van Gogh. Nicht nur seine Maltechnik, sondern auch sein Ansatz, Kunst, Leben und Natur zu verbinden und sich mit dem Leben und den Menschen in all seinen Facetten zu befassen, beflügelte seinen kreativen Prozess. „Symbolisieren Sonnenblumen bei beiden Künstlern das Leben mit ihren zum Teil aufblühenden, aufgeblühten und verblühten Blumen, so symbolisieren Sonnenstrahlen für Pechstein die Verbindung zwischen Himmel und Erde und Sonnenaufgänge die Hoffnung“, so der Kurator.
„Untergehende Sonne (Ostseestrand)“, 1948, Holzschnitt, Kunstsammlungen Zwickau – Max-Pechstein-Museum; © 2024 Pechstein – Hamburg / Berlin; Foto: Kunstsammlungen Zwickau
Pechstein – laut Zieglgänsberger der „Sonnenmaler des 20. Jahrhunderts“ – beschäftigte sich ein halbes Jahrhundert mit der Sonne als einem seiner Hauptgegenstände seiner Arbeit. Der vielseitige Künstler war auch der Maler unter den Brücke-Mitgliedern, der zudem eine besondere Vorliebe für Druckgrafik in Schwarzweiß hatte. Besucherinnen und Besuchern dürfte sich die Frage stellen: Warum verzichtete ein expressiver Maler, dem es vordringlich um Emotionen ging, freiwillig und nicht selten auf das subjektivierende Moment der Farbe? Um dies zu zeigen, werden alle wesentlichen Themen des Künstlers — Landschaft, Akt, Familie oder Religion — in farbigen und schwarzweißen Arbeiten präsentiert.
Ausstellungsansicht mit Sonnenblumen-Motiven; Foto: Hans-Bernd Heier
Die Sonne ist in Pechsteins Arbeiten als Lebensspender der Natur positiv besetzt. Wie auch schon der französische Impressionist Monet malt Pechstein sie in allen denkbaren Farben – von Rot, Orange bis hin zu Weiß, Pink, Blau und Grün. Neben farbenprächtigen Gemälden rückt die Wiesbadener Ausstellung auch Pechsteins Arbeiten auf Papier in den Fokus. Eine Vielzahl an Arbeiten zeigt die Sonne da in Schwarzweiß. „Der maximale Kontrast bot dem Künstler inhaltliche Möglichkeiten, um beispielsweise ihre Härte, Unerbittlichkeit oder ihre Zugehörigkeit zu unserem Planeten zu zeigen“, so der Kurator.
„Russisches Ballett“, 1909, Privatbesitz; © 2024 Pechstein — Hamburg ⁄ Berlin; Foto: Grisebach GmbH
Als ausgebildeter Dekorationsmaler und Absolvent eines kunsthandwerklichen Studiums bei Otto Gussmann an der Kunstakademie Dresden entwickelte Pechstein schon früh eine Vorliebe für Druckgrafik in Schwarzweiß. Dazu sagte Max Pechstein: „Nach längerem Malen ergreift mich Sehnsucht nach der Farbigkeit des Schwarzen in der Graphik … die kräftigen Schnitte im Holz, den energische Riss der Nadel auf dem Metall, das schmeichelnde Hauchen der Kreide über den Stein“. In der klar strukturierten Schau mit thematischer Hängung werden ausgewählten Gemälden der einzelnen Themenbereiche druckgrafische Werke gegenübergestellt.
„Redner“, Holzschnitt, 1918, Sammlung Frank Brabant, Wiesbaden; Foto: Hans-Bernd Heier
Die vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der Ernst von Siemens Kunststiftung und den Freunden des Museums Wiesbaden großzügig unterstützte Präsentation ist in Kooperation mit dem Brücke-Museum Berlin, den Kunstsammlungen Zwickau — Max-Pechstein-Museum sowie der Max Pechstein Urheberrechtsgemeinschaft, Hamburg ⁄ Berlin entstanden. In der sehr sehenswerten Ausstellungerwartet Besucherinnen und Besucher „ein nachhaltiges Sonnenerlebnis“, so Direktor Henning.
Ein wissenschaftlicher Katalog, erschienen im Michael Imhof Verlag, herausgegeben von Roman Zieglgänsberger für das Museum Wiesbaden, kostet an der Museumskasse 34 €. Eine kostenfreie Media-Tour in der MuWi-App begleitet die Schau. Auf dieser Webseite sind alle Interessierten eingeladen, tiefer in das Leben und Wirken Max Pechsteins einzutauchen. Sie können dabei die lebensbejahende Farbintensität der Werke, die feinsinnigen Linien und Expressivität seiner Druckgrafiken und die organische Formensprache der dekorativen Arbeiten entdecken.
„Max Pechstein – Die Sonne in Schwarzweiß“ bis zum 30. Juni 2024 im Museum Wiesbaden; weitere Informationen unter: www.museum-wiesbaden.de