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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Elisabeth-Norgall-Preis des International Women’s Club (IWC) an Tugba Tekkal

Tor! Und die Preisträgerin ist schlicht gewinnend …

Von Petra Kammann

Höhepunkt eines IWC-Clubjahres ist jeweils die Verleihung des Elisabeth-Norgall-Preises. In Erinnerung an die IWC-Gründerin wird er seit 1978 alljährlich einer Frau verliehen, die sich in besonderer Weise für die Belange und Probleme von Frauen einsetzt. Mit dem Preis soll sowohl die Völkerverständigung als auch die Stärkung und Festigung der Rechte von Frauen im In- und Ausland gefördert werden. Jeweils Anfang März wird die Auszeichnung daher abwechselnd an eine Deutsche und an eine Ausländerin verliehen. Der Vorstand des International Women’s Club (IWC) hat 2024 als Preisträgerin die ehemalige Profifußballerin kurdisch-jesidischer Abstammung Tugba Tekkal, gewählt, die Sozialunternehmerin und Gründerin des Projekts „Scoring Girls“ ist.

Die diesjährige Norgall-Preisträgerin Tugba Tekkal, Foto: Petra Kammann

Mit ihren Aktivitäten hat sie es benachteiligten Mädchen in Deutschland und im Irak ermöglicht, unbehelligt zu kicken. Insgesamt 150 Mädchen aus 15 Ländern, geflüchtete sowie einheimische, kommen in Köln und Berlin einmal pro Woche in einer Art Schutzraum zusammen, machen Hausaufgaben und spielen Fußball. Die Fernsehmoderatorin Anne Will fungiert inzwischen als Schirmherrin; das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie das Bundesinnenministerium fördern das Projekt. Die bewegende Preisverleihung in der Frankfurter Villa Bonn war von großer Lebendigkeit, Anteilnahme und positiver Energie geprägt.

Pressekonferenz mit Tugba Tekkal, v. links: Dr. Annkatrin Helberg-Lubinski (1. Vizepräsidentin des IWC), rechts: IWC-Präsidentin Laura Melara-Dürbeck, Foto: Petra Kammann

Tugba Tekkal war am Tag des Streiks etlicher Verkehrsmittel eine der ersten in der Villa Bonn, denn vorsorglich war sie schon morgens um 5 mit dem Auto von Köln aus aufgebrochen, um sicher und pünktlich um 10 Uhr bei der Pressekonferenz in Frankfurt zu sein. Nein, verpassen möchte sie nichts. Denn dazu ist sie viel zu stolz auf den Preis, den sie für ihre Arbeit und ihren Einsatz rund zwei Stunden später erhalten wird, bevor sie wieder zum wöchentlichen Training nach Köln zurückkehrt.

 Trotz Streik – Tugba Tekkal, eine der ersten in der Villa Bonn, Foto: Petra Kammann

Dankbar ist sie außerdem der Namensgeberin des Preises Elisabeth Norgall für die mit ihr verbundenen Werte wie Freundschaft, Überwindung von Konflikten, Dialogbereitschaft und gegenseitiges Verständnis. Tekkal erläutert in ihrer Dankesrede, warum ihr diese Anerkennung und Wertschätzung so wichtig ist: „Mein Leben war lange Zeit geprägt davon, nicht gesehen zu werden, übersehen zu werden, im falschen Licht gesehen zu werden“, sagte sie. Als Kurdin, als Jesidin, als eines von insgesamt 11 Kindern, sei ihr Aufwachsen alles andere als leicht gewesen. Dass sie den Fußball vor ihren Eltern verheimlichen musste, beschreibt nur eine der Schwierigkeiten ihres Aufwachsens.

Die Preisträgerin überzeugt u.a. durch ihre empathisch-warmherzige Ausstrahlung, Foto: Petra Kammann

Die Tochter der in den Siebzigern aus der Südosttürkei geflüchteter jesidischer Kurden wurde 1985 in Hannover also in  eine „Gastarbeiterfamilie“ hinein geboren. Ihre kurdischen Eltern gehörten zum Teil der kleinen jesidischen Glaubensgemeinschaft an, die in der Heimat als Ungläubige unterdrückt wurden. So hatte Tegba den oft harten Weg von Integration und Emanzipation unmittelbar am eigenen Leib zu spüren bekommen. Oft fühlte sie sich als Außenseiterin aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Sie erinnert sich schmerzhaft an eine Kindheitserfahrung, die sie besonders geprägt habe: „Eine meiner Lehrerinnen sagte damals zu mir:‚Du wirst genauso Putzfrau wie Deine Mutter. Du wirst niemals etwas erreichen in Deinem Leben. Da kannst Du Dich noch so anstrengen!’‘  Bei diesem Satz ging ein empörtes Raunen durch den Saal. Aber so war es damals mit noch vielen Vorurteilen bei uns. Und  Tugbas Laufbahn schien vorgezeichnet zu sein. Ihr Vater arbeitete eben als Fliesenleger, ihre Mutter war Hausfrau.

Aufmerksame Zuhörerinnen beim Festakt in der Villa Bonn, Foto: Petra Kammann

Doch wurde der Fußball für sie das „Tor zur Freiheit“, wie sie es in ihrer kürzlich im Elisabeth Sandmann Verlag erschienenen Autobiographie nennt. Glücklicherweise hatte ihr älterer Bruder ihre sportlich außergewöhnliche Begabung erkannt und sie heimlich beim Fußballverein angemeldet. Auf dem Bolzplatz konnte sie endlich aus sich heraus- und ihrer Leidenschaft nachgehen und trotz Verbots der Eltern mit Jungen Fußball spielen, was für die Eltern noch ein absolutes Sakrileg war. Fortan kehrte ihre ursprüngliche Lebensfreude in ihr Leben zurück, ergänzt durch Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Sie lernte besser in der Schule und spielte erfolgreich auf dem Fußballplatz, stand immer öfter in der Lokalpresse – Artikel, die der Vater heimlich aus der Zeitung ausgeschnitten und umkringelt hatte, weil er insgeheim stolz auf sie war.

Die jazzigen Klänge von Gernot Dechert (Saxophon) und  Sol Crespo (Gesang & Piano) brachten die Zuhörerinnen zum Swingen, Foto: Petra Kammann

Bis vor ein paar Jahren spielte sie beim 1. FC Köln. Dort war sie die Mittelfeldspielerin für den Hamburger SV und den 1. FC Köln, wo sie in die erste Frauen-Bundesliga aufstieg. Mit 32 Jahren beendete sie trotz ihres Erfolgs jedoch ihre Karriere, um sich ganz der Menschenrechtsarbeit zu widmen.

Tugba Tekkal hatte zwar als Kind zunächst gegen die jesidische Tradition rebelliert, wenn auch nicht ganz so offen wie ihre ältere Schwester Düzen Tekkal, die gegen den Willen der Eltern eine erfolgreiche Reporterin wurde. Doch als sie und ihre Schwester 2014  zu spüren bekamen, dass die IS-Mörderbanden einen Genozid an der Religionsgemeinschaft verübten, der sie und ihre Familie angehörten, wurde ihr klar, wie wichtig es ist, hier ein Zeichen zu setzen und Solidarität zu erwirken.

So gründete sie unter dem Eindruck des Genozids an den Jesiden durch die Terrormiliz Islamischer Staat im irakischen Shingal-Gebirge 2014, gemeinsam mit drei ihrer Schwestern die Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help e.V., die sich mittlerweile mit vielen unterschiedlichen Projekten für Menschenrechte in der gesamten Welt einsetzt.

Dr. Annkatrin Helberg-Lubinski überreicht den Nordall-Preis an Tugba Tekkal, Foto: Petra Kammann

Heute ist Tugba Trainerin, erfolgreiche Gründerin und Sozialunternehmerin und leitet ein eigenes Projekt namens „Scoring Girls“, das in der  Menschenrechtsorganisation Háwar.help, angesiedelt ist. Dabei möchte sie, wie die 1. Vizepräsidentin des IWC Dr. Annkatrin Helberg-Lubinski, die sich intensiv mit ihrer Lebensgeschichte beschäftigt hat, in ihrer Laudatio erwähnte:

„Sie möchten mit Scoring Girls Mädchen aus schwierigen sozialen Verhältnissen mit und ohne Zuwanderunsgeschichte, unabhängig von Religion und Herkunft durch den Teamsport Fußball Selbstvertrauen und Perspektiven geben, wie Sie das selbst in ihrem Leben erfahren haben. Dabei möchten Sie besonders gegen das Ausgegrenztsein, das Gefühl, nicht dazuzugehören, dieser Mädchen ankämpfen. Zudem  sollen Verantwortungsbewusstsein, Teamgeist und Empathie gestärkt werden.“

Tugba Tekkal hat ihre persönliche Referentin Lea Weber mitgebracht, Foto: Petra Kammann

Der gemeinsame Sport ist dabei eben nur eine Facette: Tekkals Team setzt über den Sport hinaus auch auf Schul- und Hausaufgabenhilfe und Berufsorientierung der Mädchen. Sie unternehmen gemeinsam Ausflüge und kulturelle Veranstaltungen. Durch die Einbindung starker Frauen-Vorbilder  – schon Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Außenministerin Anna-Lena Baerbock waren inzwischen bei den „Scoring Girls“ zu Gast – sollen die Projektteilnehmerinnen lernen, an sich selbst zu glauben und erfahren, dass man durch Energie und Mut auch etwas erreichen und etwas werden kann.

Grußwort der Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg, Foto: Petra Kammann

Auch für die in Teheran geborene engagierte Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg, die seinerzeit wegen ihrer Opposition gegen das Mullah-Regime im Iran selbst politisch verfolgt wurde, ist Tugbka Tekkal keine Unbekannte: Aus ihrer begeisterten Grußrede ging hervor, dass Tekkals Werte zu teilen, für sie nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern auch eine Freude ist.  

Eines der Projekte, das Tugba Tekkal 2016 ins Leben gerufen hat, ist eben das Mädchen- und Fußballprojekt „Scoring Girls“ für Mädchen im Alter von 8 bis 18 Jahren. 2021 weitete sie das Projekt auch auf den Irak aus. Mädchen und junge Frauen sollen, unabhängig von Herkunft und Glaubensrichtung, als „Scoring Girls“ die Traumata von Krieg, Flucht und Vertreibung überwinden und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewinnen.

Gezeigt wurden Filme, die Beispiele aus der Praxis zeigten, Foto: Petra Kammann

„Wir beobachten bei unseren Girls Teamgeist, Empathie, Verantwortungsbewusstsein sowie Führungsstärken, die sich ohne das Projekt womöglich nicht gezeigt hätten“, sagt Tugba Tekkal.

Derzeit gibt es drei Standorte im Irak, drei in Köln und vier in Berlin. Tugba Tekkal möchte Mädchen aus prekären Verhältnissen mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte unabhängig von Religion oder Herkunft durch das Fußballspielen Selbstvertrauen und Perspektiven geben und besonders das Gefühl des Ausgegrenztseins dieser Mädchen überwinden. Am liebsten würde Tukkal gerne in jeder größeren deutschen Großstadt ein weiteres Team gründen, möchte dabei aber die Nachhaltigkeit nicht außer acht lassen. Sie weiß, dass  zu schnelles Wachsen auch seine Schattenseiten hat.

Denn bei den „Scoring Girls“ wird nicht nur gekickt. Auch abseits des Platzes werden die Mädchen unterstützt etwa bei den Hausaufgaben, der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder bei Behördengängen. Es werden Ausflüge am Wochenende unternommen und kulturelle Veranstaltungen besucht. Tugba Tekkal bringt zudem die Mädchen mit Vorbildern aus allen gesellschaftlichen Bereichen zusammen, um ihnen Perspektiven für ihr weiteres Leben aufzuzeigen. Besonderen Wert legt sie darauf, die Eltern der Mädchen bei allen Schritten mitzunehmen, damit eine sinnvolle Integration gelingen kann.

Ausgelassene Feierstimmung mit Preisträgerin beim Norgall-Komittee, Foto: Petra Kammann

Dass dies bei der geerdeten Persönlichkeit auch mit der Toleranz gegenüber allen Religionsgemeinschaften und verschiedenen Sprachen verbunden ist – die Sprache des Fußballs versteht (fast) jede(r). Das steht für sie außer Frage. So wurde Projekt mit dem Verein HAWAR.help 2020, das sich an Mädchen aus geflüchteten und sozial beeinträchtigten Familien richtet, mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet für herausragende Kooperationsprojekte auf dem Feld der Erinnerungsarbeit im und durch den Fußball. „So wie damals der Fußball Tugba half, ihren Platz in der Welt zu finden, so will sie nun anderen damit helfen. Diese verbindende Kraft hat der Fußball, deshalb ist er „Mehr als ein Spiel“, heißt es bei den DFG-Stiftungen.

IWC-Präsidentin Laura Melara-Dürbec ist stolz an diesem Tag die Elisabeth-Norgall- Münze zu tragen, die von Jahr zu Jahr weitergereicht wird, Foto: Petra Kammann

Auch die offizielle Diplomatie könnte davon lernen. Die Welt wäre vermutlich friedlicher, als sie es gerade ist.

 

https://www.iwc-frankfurt.de/

Norgall- Komitee 2023/24

Dr. Annkatrin Helberg-Lubinski (1. Vizepräsidentin), Gerti Auerbach, Seyhan Azak, Almut Kläs, Cornelia Klaus, Dr.Mirjana Kotowski

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