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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

On the road – Der Frankfurter Fotograf Alexander Paul Englert

Großes Kino Indien – Alexander Paul Englerts Bilder vom Land aus 1001 Nacht

Von Petra Kammann

In Frankfurt ist er kein Unbekannter, wenn auch kein lauter Zeitgenosse: der Fotograf und Filmemacher Alexander Paul Englert. Manche kennen ihn, weil er sich bei Veranstaltungen im dunklen Raum mit schweren Fotogerät ruhig und diskret auf leisen Sohlen auf die Pirsch begibt, um die besondere Perspektive zu finden. Im Deutschen Romantik-Museum hat er die komplette Bauphase von 2015-2020 fotografisch dokumentiert. Zu sehen an den Wänden des dortigen Veranstaltungssaals. Die im Museum eingespielten Filme über heutige Romantik (s.Link) im Alltag stammen ebenfalls von ihm. Gerade hat sich der viel in der Welt Herumgekommene ein Bild, nein, viele Bilder von Indien gemacht, sensationelle und nachdenklich stille….

Der Frankfurter Fotograf und Filmemacher Alexander Paul Englert in seinem Studio, Foto: Petra Kammann

Sein Studio in einem Hinterhaus in der Fischerfeldstraße – halb Büro, halb Labor und Werkstatt –  teilt er mit zwei anderen Fotografen. Hinter seinem Schreibtisch an der Rückwand hängt sein Foto, eine Szene der ausdrucksstarken, inzwischen verstorbenen Schauspielerin Susanne Lothar, das bei der Aufführung von „Endstation Sehnsucht“ entstand.

Mehrere Jahre lang hat Englert die Veranstaltungen bzw. Aufführungen im Schauspiel Frankfurt fotografisch begleitet. Das Inszenierte, vor allem aber die Choreographie des Alltags, ist es, was den Fotografen künstlerisch beschäftigt, hat er doch auch ein Studium für Fotografie und Design an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach abgeschlossen und in Frankfurt noch ein Philosophiestudium draufgesattelt.

Stromlinien-Moderne – Das Raj Mandir Cinema des Architekten W. M. Namjoshi, Foto: Alexander Paul Englert

Theater, Literatur, Philosophie, Kino und Kunst sind seine Themen, die Englert immer schon auch in der Alltagswahrnehmung begleitet haben. Und natürlich die Neugier auf andere, ganz anders lebende, denkende, sich schmückende, handelnde und sich bewegende Menschen wie zum Bespiel in Indien, wohin er kürzlich drei Wochen lang gereist und tiefer in das Land eingedrungen ist und dabei eine reiche Foto-Beute vom dort inszenierten farbigen Alltag mitgebracht hat…

Modell des Raj Mandir Cinemas in Jaipur, Foto: Alexander Paul Englert

Indien ist für Cineasten wie ihn mit Bollywood inzwischen so eng verflochten wie Amerika mit Hollywood. Da Alexander auch schon einen Film in L.A. gedreht hat, war ein Besuch im Raj Mandir Kino in Jaipur an der Bhagwan Das Road für ihn einfach ein Muss. „Es war ein herrliches Erlebnis, dort selbst einen Film inmitten des indischen Publikums anzuschauen, selbst, wenn man kein Wort Hindi versteht und die Feinheiten nicht mitbekommt“, sagt er, denn „Untertitel gibt es nicht. Manchmal schnappt man wegen der Kolonialisierung ein paar englische Brocken auf. Aber die Atmosphäre im Kino ist einfach beeindruckend. Die Zuschauer kreischen vor Freude schon vom ersten Bild an, gleich, ob es sich um Werbung oder um den eigentlichen Film handelt.“ 

Das Raj Mandir Cinema, ein Meisterwerk des Art déco, sei eben ein ganz besonderes Kino, schwärmt Alexander. Allein das baiserförmige, 1976 eröffnete Auditorium für über 1200 Zuschauer ist ein absoluter Hingucker. Es gibt verschiedene Sitzkategorien, je nachdem, wo man sich in dem einzigartigen Vorführsaal mit der überdimensionalen Leinwand befindet, in dessen Struktur er sich begeben hat.

Vom Balkon aus gelangt man sogar in kleine private Warteräume. Immerhin hat dieses Palastkino im Laufe der Jahre viele Filmpremieren von Hindi-Filmen erlebt und wurde daher zu einem beliebten Kultort von Rajasthan in Jaipur, das auch den Beinamen „Pink City“ trägt. Als nämlich der britische Thronfolger Albert Eduard, Prince of Wales seinen Besuch dort ankündigte, wurden zahlreiche Gebäude mit einem rosafarbenen Anstrich, als Symbol der Gastlichkeit, verschönert.

Das Raj Mandir Cinema auch im Inneren ein perfekt durchgestyltes Meisterwerk, Foto: Alexander Paul Englert

 

Märchenhafte Wandgemälde in Palästen

Besonders subtile Wandausgestaltungen fand Englert auch im prächtigen Fort Junagarh in Bikaner, im westlichen Teil Rajasthans, vor. Da hatte Raja Rai Singh, ein General in der Armee des Mogul-Herrschers Akbar, dieses Fort in der Char-Wüste mit einer 986 m langen Mauer mit 37 Bastionen und zwei Eingängen zwischen 1588 und 1593 erbauen lassen. Der Haupteingang, das Suraj Pol, ein Sonnentor aus gelbem Marmor, flankiert von zwei Elefanten, empfängt die staunenden Besucher, während sie die Paläste innerhalb des Forts mit ihren Innenhöfen, Balkonen, Verkaufsständen, Türmen und Fenstern am Südende in eine andere Welt versetzen, in eine Art magische Wunderwelt.

Ausschnitt einer Dekoration aus dem Blumenpalast, Foto: Alexander Paul Englert

Einige der darin verborgen liegenden Paläste sind besonders sehenswert wie der Chandra Mahal, der Mondpalast mit seinen Malereien, Spiegeln und kunstvoll bearbeiteten Marmorpaneelen wie auch der mit Glas und Spiegeln verzierte Blumenpalast, der Phool Mahal oder der Rang Mahal, der Bijai Mahal und der Anup Mahal, schwärmt Alexander. Aber er schaut immer auch genau hin. Neben den üblichen Waffen der Rajputen gebe es hier allerdings auch Reste von Doppeldeckern des Ersten Weltkriegs, was seinem fotografischen Blick nicht entgangen war.

In einer eher kleineren Kammer, dem Badal Mahal, in der Wüstenstadt Bikaner, fielen dem Fotografen die ganz ungewöhnlichen Wandverzierungen auf. Badal bedeutet auf Hindi Wolken. Die kompletten Wände waren mit blauen Wolkenmustern ausgestaltet.  Die dahinter liegende Geschichte gibt Aufklärung, wie es dazu gekommen war, dass dieser Raum mit Monsun- und Regenmotiven ausgemalt worden war.

Details der Wandverzierungen im Fort Junagarh in Bikaner, Foto: Alexander Paul Englert

Da Bikaner in der Wüste liegt, die den musikliebenden Maharaja Sardar Singh weder motivieren noch inspirieren konnte, hatte er sich eigens ein spezielles Musikzimmer, das Badal Mahal, mit den stilisierten Regen und Wolken bauen lassen, das zu seinem auserkorenen Rückzugsort wurde. Hier konnte er seinem eigentlichen Interesse, der Musikleidenschaft, frönen und zur Vina, einer Art Langhalslaute, voller Hingabe seine geliebten Lieder vom Regen singen und sich zu weiteren musikalischen Eingebungen anregen lassen.

Die simulierten Wolken und der Monsunregen inspirierten den Musikliebhaber Maharaja Sardar Singh, Foto: Alexander Paul Englert

Fasziniert hielt Englert die inszenierten Details inklusive der damit verbunden Blitze dieser subtilen Malerei mit seiner Kamera fest.

Delhi – Die Kunst für alle liegt auf der Straße

Eigentlich hatte Alexander seine maßgeschneiderte Reise durch Nordindien und Rajasthan ja zunächst in Delhi begonnen, berichtet er, von wo aus er mit einem Fahrer aufgebrochen war, um in dem riesigen Land das kulturelle Filetstück Nordindiens, das sogenannte Goldene Dreieck, zu erkunden. Für Europäer im ungewohnten und überbordenden Linksverkehr voller Unwägbarkeiten wie schlafenden heiligen Kühen mitten auf der Kreuzung, um die herumgefahren wird, fröhlichem Lärm größerer Menschenmengen, dazu im ungewohntem Klima war das zweifellos eine vernünftige Entscheidung.

Streetart in Neu Dehli. Nur das Auto verweist auf die Jetztzeit, Foto: Alexander Paul Englert

Schließlich wollte er sich frei mit der Kamera bewegen und dort anhalten können, wo er die überraschenden Motive fand. Um nicht nur große Strecken zu überwinden, sondern in das kleinteilige Innere des Landes zu dringen, stieg er im Laufe der verschiedenen Etappen auf das landesübliche Tuktuk um. Bisweilen sei es sogar als Fußgänger mühsam gewesen, durch das Gedränge auf den Straßen durchzufinden, zumal Indien zu 90 Prozent vom Tourismus lebe und zunehmend Inder auch selbst ihr eigenes Land entdecken wollten.

Nun fand in der Zeit seiner Reise gerade das Street Art-Festival im Lodhi Art District in Süd-Delhi mit den herausragenden bemalten Wänden statt. Das war natürlich ein Muss für den als Streetfotograf angesehenen und bekannten Paul Alexander Englert, der sich vor allem mit der Choreographie der auf der Straße agierenden Menschen in verschiedensten Kulturen  –  doch das ist eine andere, spätere Geschichte – hervorgetan hat.

Die Erinnerung an ein reiches harmonisches leben, gruppiert um die Heilige Kuh, Foto: Alexander Paul Englert

Wie selbstverständlich interessiert er sich auch für die bemalten Hauswände, denn auch sie geben auf indirekte Weise Auskunft darüber, was die Menschen beschäftigt, was ihre Träume, ihre geheimen Sehnsüchte und ihre kleinen Fluchten sind. Vielleicht existiert das Bedürfnis der menschlichen Spezies, visuelle Botschaften auf Wänden zu hinterlassen, schon seit eh und je. Man denke nur an die Höhlenzeichnungen von Lascaux oder an die ausgemalten Königsgräber in Ägypten.

Man richtet sich auf der Straße und an der Hauswand ein, Foto: Alexander Paul Englert

Einer gemeinnützigen Organisation, der ST+ART India Foundation, ist es zu verdanken, dass heute die Straße im Lodhi Art District in Süd-Delhi als Ausstellungsraum für frei zugängliche Kunst geschaffen wurde, und ganz unterschiedliche Wandgemälde realisiert werden können. Anders als bei uns, wo Grafittis an Hauswänden oder Streetart meist subversiven oder gar illegalen Charakter haben und häufig in reinem Geschmiere an frischgestrichenen Hauswänden ausarten, steht in diesem Viertel die Teilhabe aller Beteiligten mehr im Vordergrund:  dank der verschiedenen staatlichen wie auch privaten Akteure.

Hier nimmt der Fotograf die Dynamik der Moderne gegenüber dem beschaulicheren Leben auf der Straße wahr, Foto: Alexander Paul Englert

Hier zeigt sich die Verbindung zeitgenössischer Zivilisation und Traditionsverbundenheit als besonders ausgeprägt und erzeugt zudem eine völlig andere ästhetische Wirkung als bei uns. Aber auch das ist großes Kino wie so vieles in Indien, und immer verbunden mit viel Ausgestaltungswillen.

Ein Stückchen Urwald in der Stadt, Foto: Alexander Paul Englert

Bis um die Jahrtausendwende hatte in einer immer noch bestehenden indischen Kastengesellschaft bislang ein lokales Netzwerk gefehlt, in dem sich die Künstler untereinander hätten austauschen können. Ziel der gemeinnützigen Organisation des dortigen Streetart-Festivals war es daher auch, die Kunst jedem Menschen, unabhängig von seiner Herkunft, zugänglich zu machen: “India is not really a democratic country, particularly in its public spaces, but we’re trying to breakdown these differences and show that art, really is, for all”,  heißt es da.

Manche Mauermotive scheinen vom Surrealismus beeinflusst zu sein, Foto: Alexander Paul Englert

Bei der Streetart in Delhi handelt es sich, eben anders als bei uns, vor allem auch um legale Werke, die der Gestaltung des urbanen Raums dienen. Sie sind ausdrücklich entweder von den Hauseigentümern bzw. von der Stadtverwaltung erlaubt. Außerdem werden sie weniger von einzelnen Individuen wie bei uns gestaltet, sondern oft genug auch von Künstlerkooperativen. Daher sind die Streetart-Werke auf Plätzen oder in bestimmten Stadtteilen zu finden, die dadurch bewohnbarer werden, weil die Menschen an ihnen Anteil nehmen.

Eine zeitgenössische Mona Lisa auf Indisch, Foto: Alexander Paul Englert

Da  inzwischen Streetart Festivals heutzutage in den unterschiedlichsten Städten und Ländern großen Anklang finden, man denke beispielsweise an das belgische Ostende, wundert es nicht, dass sich Spuren verschiedener Kulturen auf den Motiven auch mischen wie auf der indianisierten Mona Lisa, vor der ein kleiner flotter Motorroller steht.

Lächelnd im Sari, mit Tee im Pappbecher und Handy – Indien zwischen Tradition und Moderne, Foto: Alexander Paul Englert

Natürlich stehen diese ausgewählten fotografischen Stillleben nur für einen kleinen Teil der indischen Impressionen, die Alexander Paul Englert festgehalten hat. Klar, ein solches Land verführt dazu, touristische Highlights wie das Taj Mahal als Bild festzuhalten. Auch das zeigt der Fotograf als fast verschwindende Silhouette im Nebel.

Darauf, solche Gebäude in den Vordergrund zu stellen, hat FeuilletonFrankfurt bewusst verzichtet: Ein Ritt durch die Wüste auf dem Kamel, eine Safari mit Tigern und anderen Raubkatzen, Porträts ausdrucksvoller Menschen oder in Indien so beliebte  inszenierte Hochzeitsszenen, Besuche bei Handwerkern und Garküchen, das urbane bunte und fröhliche Gewimmel der Menschen auf den Straßen der Megacities undundund.

Die redaktionelle Entscheidung, für was man sich in einem riesigen Land mit 1,2 Milliarden Einwohnern auch entscheiden soll, ist vermutlich dem Fotografen ebenso schwer gefallen wie der Redaktion von FeuilletonFrankfurt, die sich für besondere Bildkompositionen eher stiller und meditativer Bilder mit kleinen irritierenden Elementen, die auf Zeigenossenschaft hinweisen, entschieden hat.

Der Fotograf Alexander Paul Englert beherrscht die verschiedenen Genres allemal. Auch das ist seine Besonderheit. Eine Ausstellung demnächst in einer Offenbacher Galerie ist schon in Planung. Dann werden wir den Faden noch einmal aufnehmen.

Auswahl der nach Themen geordneten Motive auf dem Computer im Studio, Foto: Petra Kammann

Link zu Englerts Filmen „Romantik im Alltag“ im Deutsche Romantik Museum:

https://c.web.de/@971769871312355807/RPOh62CzQ5Gi92xxOLw_FA

https://c.web.de/@971769871312355807/ygWw-bLRQNCkYFZflrVPZw

https://c.web.de/@971769871312355807/6Ayf6dTbS7eYWq2Oi5-o4g

https://c.web.de/@971769871312355807/r2PpIvGdRCeQLcWcq7nfOA

Biografie

Alexander Paul Englert, geboren 1960 in Freiburg/Breisgau. Philosophiestudium in Frankfurt am Main, Grafikdesign und Fotografie an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach.

Er lebt und arbeitet als Künstler und freier Fotograf mit Schwerpunkt im Bereich People, Porträt und Reportage in Frankfurt am Main.

Seit 1989 im Auftrag und mit eigenen Projekten tätig, Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland.

„Points of View“, ein Fotoprojekt zum Ausbruch des Irak-Krieges, zeigte Amerikaner, Iraker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit ihren Aussagen zum Krieg, und wurde in Frankfurt am Main, in Rabat und Casablanca präsentiert.

Mit „Solidarität“ beteiligte er sich 2005 ein weiteres Mal an einer aktuellen öffentlichen Diskussion, die angesichts der Flutkatastrophe an den Küsten Asiens über Wochen Mittelpunkt des medialen Interesses war.

Im April 2008 wurde seine Ausstellung „Frankfurt am Main – Day to Day“ im chinesischen Guangzhou eröffnet und 2009 in Toronto, Kanada.

2011 folgte dann „MOMENTUM. Dichter in Szenen“. Die Ausstellung wurde zunächst im Goethe-Haus in Frankfurt am Main gezeigt und wanderte dann im Frühjahr 2012 nach Wien und Berlin.

 

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