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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ballett von Xin Peng Wang in Dortmund

Opulenter Tanz der großen Gefühle

von Simone Hamm

„Der Traum der roten Kammer“. Eine Ballettadaption

 Daria Suzi, Simon Jones, Amanda Vieira, Ensemble, Statisterie (c) Leszek Januszewski

Freudig tanzt Pao Yü auf die beiden Tänzerinnen zu, deren Gesichter von Schleiern verdeckt sind. Eine von beiden soll er heiraten. Er hat sich längst entschieden. Seine Liebe gilt Lin Dai Yü. Ihr hat er ein rotes Tuch geschenkt. Und so wählt er die Frau, die ihr Gesicht mit dem roten Tuch umhüllt hat. Seine Familie aber hat ihn überlistet. Er wählt die falsche Braut, Pao Tschai.

Xin Peng Wangs abendfüllendes Ballett „Der Traum der roten Kammer“ ist eine Ballettadaption eines der größten und bekanntesten chinesischen Romane, geschrieben im 18. Jahrhundert von Cao Xueqín. In China kennt die Geschichte des jungen Mannes, der sich ein Leben lang nach einer anderen sehnt, jedes Kind. „Der Traum der roten Kammer“ ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Aristokratenfamilie während der Qin Zeit (1644-1911).

Xin Peng Wangs Ballett, das aus dem Jahre 2012 stammt und jetzt in erweiterter Form aufgeführt wird, ist bildgewaltig, beschwört die Zeit des Kaiserreichs herauf.  (Idee, Konzept und Szenario von Christian Baier). Dazu tragen nicht nur die großartigen Tänzer in den vielen Ensembleszenen bei.

Das Bühnenbild (Frank Fellmann) ist opulent, eine rote Tür im Hintergrund, rotgoldene Säulen, dunkle Steine, die vom Himmel zu fallen scheinen, ein blühender Baum. Die adelige Familie in prächtigen Gewändern, reglos, schweigend, ein menschliches Bild im Hintergrund. Dutzende von Komparsen, die den Hofstaat abbilden.

Das Ensemble (c) Leszek Januszewsk

Die Kostüme (Han Chunqi) sind exquisit, feine bedruckte chinesische Gewänder, ein roter Hochzeitsmantel, Kleider in allen Farben, goldene Schärpen, manchmal mit langen, bis über den Boden reichenden Ärmeln. Ein Schmaus für die Augen.

Und ein Schmaus für die Ohren. Michael Nyman, der vor allem mit seinen Filmmusiken und Opern bekannt geworden ist, hat sie komponiert. Das ist minimalistische, westliche Musik. Nyman verzichtet auf jede Anspielung an chinesische Folkloristik und tut gut daran. Seine  Musik treibt die Story unaufhaltsam voran. Die Dortmunder Philharmoniker unter Olivia Lee-Gundermann spielen furios.

Xin Peng Wang kommt aus Dalian und ist während der Kulturrevolution in China aufgewachsen. Er spinnt den Faden des Autoren Cao Xueqin weiter. Sein „Traum der roten Kammer“ reicht bis in die Jetztzeit. Im Hintergrund läuft ein Video, im Vordergrund sind Maos rote Garden mit roter Mao-Bibel zu sehen, eine Ballerina im Ballettrock mit Rotgardistenmütze. Männer mit langen Hüten wie Schultüten und großen Schildern um den Hals werden von den Rotgardisten vorgeführt, gelten als Konterrevolutionäre.

Und im Hintergrund auf der roten Mauer der verbotenen Stand das Porträt Mao Zedongs. Da peitscht Nymans Musik geradezu.

Als Xin Peng Wang  und sein Ensemble 2014 in Hongkong gastierten, waren die Behörden empört und verlangten, er solle diese Szenen streichen. Aber er tat es nicht. Er informierte die westliche Presse. Und durfte den „Traum der roten Kammer“ so zeigen, wie er ihn choreografiert hatte.

Außergewöhnlich sind auch die Tänzer. Ein Ballet aus Lampions schwebt über die Bühne. Soldaten in Rüstungen mit roten Schwertern tragen den traurigen jungen Mann davon.

Amanda Vieira (c) Leszek Januszewski

Lin Dai Yü (Amanda Vieira) trippelt auf  Spitzen rückwärts. Das  erinnert an die chinesischen Frauen, die noch bis ins letzte Jahrhundert hinein ihre Füße zusammengebunden bekamen. Doch Lin Dai Yüs Yins Bewegungen sind – wie die ihrer Rivalin Pao Tschai (Daria Suzi) von außerordentlicher Anmut und Eleganz. Sie packt Schmerz in jede ihrer Bewegungen, als sie mit einem Besen alle Erinnerungen wegfegen will, die der junge Mann noch an sie hat. Sie verbrennt ihre Gedichte an ihn.

Er soll glücklich werden, wird es aber nicht. Er lebt über Jahrhunderte hinweg, wird schließlich Buddhist. Simon Jones gelingt es, in seinem Tanz die widersprüchlichen Gefühle, Freude, Trauer, Verzweiflung zu zeigen. Seine Hände flattern um die Geliebte, er fliegt mit ihr in weiten Sprüngen über die Bühne, er wirft sich vor den Soldaten zu Boden, er wird  zum alten Mann in Lumpen.

Nur ein Kind bleibt stehen.

Xin Peng Wang „Der Traum der roten Kammer“ ist nicht frei von Pathos. Auf der Bühne werden die ganz großen Gefühle getanzt, nicht weniger. Wer sich darauf einlassen kann, erlebt ein grandioses Ballett, voller Wucht und voller Eleganz zugleich.

 

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