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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Erinnern für Jetzt und die Zukunft – ein Abend von Oper und Schauspiel in der Paulskirche

Ein hochkarätiger Abend anlässlich des bundesweiten – internationalen Holocaust-Gedenktages am 27. Januar 2024

Von Renate Feyerbacher

Fotos:  Jessica Schäfer / Schauspiel Frankfurt

Am 27. Januar 1945 haben Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager von Auschwitz befreit. Millionenfachen Mord, Folter, Menschenversuche gab es seit seiner Gründung 1940. Eine Vernichtungsfabrik perfidester Art. Antisemitismus, Hass, Menschenverachtung geschehen in Deutschland, das einmal versprach: „Nie wieder“, erleben derzeit eine Renaissance. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler waren dem Aufruf der Intendanten Bernd Loebe  (Oper) und Anselm Weber (Schauspiel) gefolgt,  sich Hass, Hetze, Antisemitismus und Rassismus mit Texten und Musik entgegenzustellen.


Erinnern für jetzt und die Zukunft. Eine Veranstaltung von Oper und Schauspiel Frankfurt in der Paulskirche:Tanja Merlin Graf, Sarah Grunert, Christoph Bornmüller, Christoph Pütthoff
Foto: Jessica Schäfer

„Erinnern stiftet Zukunft, erinnern bedeutet auf Basis der Geschichte neue Identitäten zu finden.“ Die bedeutenden Kulturinstitutionen der Stadt (die Frankfurter Bühnen, die Alte Oper, das hr-Sinfonieorchester, die hr-Bigband, das Ensemble Modern, Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, die Kronberg Academy) beteiligten sich sowie mehrere Autorinnen, Musikerinnen und Musiker.


Erinnern für jetzt und die Zukunft. Eine Veranstaltung von Oper und Schauspiel Frankfurt in der voll besetzten Paulskirche, Foto: Jessica Schäfer

Oberbürgermeister Mike Josef hatte die Paulskirche sofort zur Verfügung gestellt: „Weil wir daran erinnern müssen, dass auch unsere Stadt damals weggeschaut hat. Solidarität und Zusammenhalt sind gefordert.

Moderiert wurde der Abend von der Schauspielerin Tanja Merlin Graf und dem Schauspieler Christoph Pütthoff, Mitglieder des Frankfurter Schauspielensemble.

Angesichts der vollbesetzten Paulskirche, deren Eintrittspreis 5 Euro  inklusiv Brezeln und Getränke betrug, sagte der Publizist, Philosoph und Jurist Michel Friedman, nun könne er auf eine Vermisstenanzeige verzichten. Er habe sich gefragt, warum so wenig von denen, die früher sagten, man habe aus der Vergangenheit gelernt, zu hören und zu sehen gewesen sei: „Schön, dass Sie heute da sind“. Er sei nach dem 7. Oktober einsam und traurig gewesen, auf deutschen Straßen hören zu müssen „Tod den Juden“.

Der Schauspieler Edgar Selge las aus Friedmans Buch „FREMD“ und aus  „Ein Koffer spricht“ von Ilse Weber (1903-1944), Foto: Jessica Schäfer

Schauspieler Edgar Selge las aus Friedmans Buch „FREMD“ (Berlin Verlag), das er allen Menschen, die irgendwo im Nirgendwo leben, gewidmet hat. Das Kind staatenloser Eltern will Kind sein, träumen dürfen. „Meine Mutter, mein Vater, meine Großmutter: Über-Lebende. Trauernde. Traurige. Lebenstraurige – Ich war ihr Lächeln.“ ( Kapitel 1: „Ich bin auf einem Friedhof geboren“)

Die Oper Frankfurt war stark vertreten. Ihr Kinderchor eröffnete den Abend mit  „Vois sur ton chemin“ aus dem Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“. Und der Chor der Oper Frankfurt sang „Der 137. Psalm – an den Wassern Babylons“ op 45 von Bernhard Sekles (1872-1934). Der in Frankfurt geborene Komponist, Direktor des Hoch’schen Konservatoriums wurde wegen seiner jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten 1933 entlassen.


Der Kinderchor der Oper Frankfurt, Foto: Jessica Schäfer

Mit dabei war auch die schöne Stimme der südafrikanischen Sopranistin Nombulelo Yende (Opernstudio Frankfurt) sowie die hervorragenden Ensemblemitglieder: die in Polen geborene Sopranistin Monika Buczkowska, der gebürtige Pole Bariton Mikołaj Trabka und Andreas Bauer Kanabas, ein weltweit gefeierter Bassist. Begleitet wurden sie vom polnischen Pianisten und Solorepetitor der Oper Mariusz Kłubczuk.


Die südafrikanische Sopranistin Nombulelo Yende (Oper Frankfurt) und der Pianist  Mariusz Klubczuk, Foto: Jessica Schäfer

Der Schauspieler Wolfram Koch – bekannt aus dem „Tatort“, aber auch auf der Frankfurter Schauspielbühne gefeiert, las „Ein Koffer spricht“ von Ilse Weber (1903-1944). Die tschechoslowakische, Deutsch schreibende Schriftstellerin begleitete freiwillig kranke Kinder der Krankenstation nach Auschwitz. Sie, ihr Sohn Tomáš (1934-1944) und die anderen Kinder wurden gleich ermordet. Ihr Sohn Hanuš (1931-2021) wurde mit einem Kindertransport nach England geschickt und überlebte so. Ihr Mann holte nach dem Krieg die Gedichte seiner Frau aus dem Versteck. Das Paar hatte vor der Deportation aus  der Krankenstation Theresienstadt nach Auschwitz die Gedichte eingemauert.

„Ein Koffer spricht“

„Ich bin ein kleiner Koffer aus Frankfurt am Main,
und ich such meinen Herrn, wo mag der nur sein?
Er trug einen Stern und war alt und blind“…

So beginnt das Poem.

Hej-!“ von Kurt Tucholsky (1890-1935) hatte Koch auch ausgewählt. Der in Berlin geborene Tucholsky war einer der bedeutendsten Autoren der Weimarer Republik war Satiriker, Kabarettist, Lyriker, Kritiker, Romanautor („Schloß Gripsholm“) und zeitweise Herausgeber der Zeitschrift „Die Weltbühne“. Schon früh warnte er vor den Nationalsozialisten. Wie sein Vorbild Heinrich Heine lebte er zeitweise in Paris, emigrierte nach Schweden, wo er dann starb.

Eine Strophe aus seinem Gedicht:

 „Hej-!“

„Da ist das Haus der Nationen.
Sture Gewaltmenschen
halten, kostümiert, einen Damaszenerdegen in der Hand,
An ihren Wänden hängen Bilder mittelalterlicher Kämpfe,
aber sie schießen mit Gas.
Fahnen über den Kaminen –
aber sie schießen mit Gas.
Sie wissen nicht, warum sie das tun,
sie müssen es tun;
ihr Wesen schreit nach Menschenfleisch,
nach der herrlichen, den Mann aufwühlenden Gewalt,
so liebt ihn die Frau,
so liebt er die Frau.
In ihnen ist nichts,
daher wollen sie außer sich sein –
und wann wäre man wohl so außer sich
wie bei der Zeugung und beim Mord!
Verwaltungsbeamte des Todes –:
geh nicht hinein.“

Auch die Künstler des Schauspielhauses Frankfurt waren mehrfach vertreten.


Die Sopranistin Alla Vasilevitsk, Israeli Opera, Tel Aviv, war eigens aus Tel Aviv angereist), hier mit  Mariusz Klubczuk  am Klavier, Foto: Jessica Schäfer

Aus Frankfurts Partnerstadt Tel Aviv war die Sopranistin Alla Vasilevitsky eigens von der Oper Tel Aviv eingeflogen. Das „Lied an den Mond“ aus der Oper „Rusalka“ von Antonín Dvorák interpretierte sie ausdrucksstark.

Vier Stunden inklusiv Pause waren zu lang, aber sie haben sich gelohnt.

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