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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Exposed“ von Andrea Ankyo Seppi – Ein Buch, über den Zauber der analogen Fotografie

Fotografie von gestern? Ein Nachruf auf Licht-Bilder aus der Dunkelkammer

Von Petra Kammann

Die Autorin und Künstlerin Andrea A. Seppi schafft in ihrem Buch „Exposed“ Verbindungslinien der Fotografie zu den Themen Heimat, Kindheit und Herkunft. In ihren philosophischen Betrachtungen über die Qualität der analogen Fotografie nimmt sie das vorauseilende Gespür des Fotografen für das mögliche Fotomotiv und die Vorwegnahme eines Bildes ebenso ins Visier wie die Bedeutung der Einwirkung des Lichts, den chemischen Umwandlungsprozess vom Negativ in den Positivabzug sowie den damit verbundenen Entwicklungsvorgang und Reifeprozess.

Die Leipziger Künstlerin und Autorin Andrea Ankyo Seppi, Foto: Petra Kammann

Wir alle kennen dieses Gefühl vom Betrachten alter Fotos, die etwas Rätselhaftes oder auch Poetisches auszustrahlen scheinen. Es bleibt ein Geheimnis, das die analoge Fotografie umgibt, deren Entwertung sich unmerklich und kontinuierlich spätestens ab der Jahrtausendwende vollzogen hat.

Ließ der Kleinbild-Film in der Regel nur 36 Aufnahmen zu, so brauchte es früher schon vorab Überlegungen, wie man diese begrenzte Zahl sinnvoll nutzen kann. Bei jedem Foto musste der/die Fotografierende Vorüberlegungen anstellen.

Das noch nicht sichtbare Bild entstand schon ein erstes Mal bei der Aufnahme. Sowohl das spätere Entwickeln des Negativfilms als auch das Abziehen von Fotos auf Papier kostete außerdem eine Menge Geld, während heute fast jeder Handybesitzer unbegrenzt fotografieren, Bilder wieder verwerfen oder am Bildschirm selbst bearbeiten und verändern kann. Die eigentliche Arbeit des „sehenden“ Fotografen wie die so wichtige Einstellung von Blende und Zeit wird in der digitalen Fotografie automatisch durch Algorithmen optimiert.

Eines der Kinderfotos (30 x 40 Prints) von Andrea Ankyo Seppi in den Praxisräumen eines Leipziger Psychologen

Ausgehend von dieser Erfahrung entstand ein sehr persönliches Buch, das Buchprojekt „Exposed“ der im Rhein-Main-Gebiet aufgewachsenen und in der Welt herumgekommenen Künstlerin und ausgebildeten Fotografin Andrea Ankyo Seppi. „Am eigenen Leib habe ich erfahren, wie mir meine Kunst, die Fotografie, gleichsam unter den Fingern zerronnen ist beim Wechsel von der analogen zur digitalen Arbeitsweise.„, fasst sie ihre Erfahrung zusammen.

Seppi hat neben dem Erwerben eines Magisterabschluss für Neuere deutsche Literatur und Kunstgeschichte in Marburg die Fotografie als Handwerk und künstlerisches Ausdrucksmittel von der Pike auf gelernt, als sie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ein Diplom für Bildende Kunst erwarb. Viele Jahre auch hat sie diese künstlerische Tätigkeit ausgeübt.

Nach ereignisreichen Wegen durch weitere verschiedene künstlerische Berufsbilder und Umgebungen, u.a. in der Mitarbeit als Bühnenbildnerin an Theater und Oper, hatte Andrea A. Seppi in den ausgehenden 90er Jahren Bildende Kunst in Leipzig an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, heute „Academy of Fine Arts“, studiert. Nach einem zweijährigen Monbukagakusho-Stipendium des Japanischen Kulturministerium um die Jahrtausendwende in Japan kehrte sie wieder nach Leipzig zurück, welches sie heute als ihre Wahlheimat bezeichnet.

Fotografie war immer die Grundlage ihrer Arbeit. Wegen der neuen digitalen Techniken und ihrer eigenen jahrelangen praktischen Erfahrungen geht es in ihrem Buch um eine erneute Form der Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie. Zwischen 1993 und 1994 hatte Seppi eine künstlerisch fotografische Serie mit Kindern geschaffen, die sie aus gleicher Perspektive aufgenommen und fast lebensgroß vergrößert hatte (in 3/4 Lebensgrösse der echten Kinder, also etwa 80 x 130cm). Bedingt durch mehrere Umzüge waren jedoch die Negative verloren gegangen.

Alle abgebildeten Fotos stammen von Andrea A. Seppi

Nun war sie stattdessen wieder auf die Positivabzüge dieser Serie gestoßen. Dabei wurde ihr bewusst, wie sehr das Thema Herkunft, Kindheit, Heimat mit der Fotografie verbunden ist. Als Fotos (Licht-Bilder) noch durch die Einschreibung von Licht entstanden, erschienen sie erst nach einer längeren Zeit und einer zweiten Belichtung in der Dunkelkammer wieder am Tageslicht, nicht zuletzt durch den Umkehrvorgang von Negativ (Film) zu Positiv (Papier).

So beschreibt rückblickend Seppi noch einmal detailliert die technischen und handwerklichen Vorgänge und Voraussetzungen, die für das Entstehen eines echten „Lichtbildes“ notwendig waren und deren Nuancen dem Fotoabzug eine Art Aura verleihen. Was also bedeutet der Verlust von Entwicklungszeit für uns heute?

Wir alle kennen dieses Gefühl vom Durchblättern alter Familienalben: Habe ich als Kind wirklich so ernst dreingeschaut oder mich so ungeschickt hingestellt? Oder wollte ich immer schon der Klassenclown sein?

Der alchimistische Vorgang in der Dunkelkammer, das Verhältnis von Schärfe und Unschärfe, von Über- und Unterbelichtung, fördert anderes zutage als eine Instant-Aufnahme. Da sind die unerwarteten Gesten, die Über- und Unterbelichtung der abgebildeten Kinder, die dem Abzug etwas Authentisches, oft auch Beunruhigendes verleihen.

Dieses Auratische und Unverwechselbare, das die abgebildeten Personen umgibt, spiegelt sich u.a. nicht zuletzt in den unnachahmlichen Fotos eines Eugène Atget, André Kertesz, August Sander, Henri Cartier-Bresson, Hugo Schmölz oder Albert Renger-Patzsch.

In „Exposed“ beleuchtet Andrea Seppi daher nicht nur sämtliche Aspekte der Wende, die uns die Digitalisierung im Bereich der Fotografie beschert hat, sondern sie bedauert auch den Verlust der so wichtigen Entwicklungszeit, die Kindern vor dem Schuleintritt, die noch inmitten ihrer Entwicklung stehen, kaum mehr gewährt wird.

Erst die so wichtige Wachstums- und Reifezeit, „die sich im späteren Leben erst als Heimat abbildet – nämlich dann, wenn sie zwar eingeschrieben, aber längst vergangen oder gar verloren  ist“, spiegele sich eben auch in der analogen Fotografie, so Seppi. Denn durch den langwierigen ,Übersetzungsvorgang‘ entschleunigt und bildet sich erst aus, was wir heute mit Nachhaltigkeit, oder neudeutsch mit Resilienz beschreiben.

Cover des künstlerisch konsequent gestalteten Buches „Exposes“ von Andrea Ankyo Seppi

Neben den philosophischen Reflexionen vermittelt schon allein die Haptik wie auch die gediegen schöne Gestaltung des fadengehefteten Buches genau diese Nachhaltigkeit. Sie ist so minimalistisch wie ganzheitlich konzipiert: die Grundierung von Schwarz und Weiß wird lediglich durch das vordere rote Cover und rote Vorsatzpapier in Szene gesetzt. Dazu kommt dann der randständige, hälftig gebrochene negative Schriftzug „Exposed“ auf dunklem Fond, der das Buch als Einheit umschließt. Eine gelungene Arbeit der Buchgestalterin Antje Schaper.

Wie auch immer man den Titel „Exposed“ übersetzen könnte: Ausgestellt, ausgesetzt, bloßgestellt oder sichtbar gemacht? Nicht nur darüber lohnt sich das Nachdenken. Seppis Texte, welche die tiefgreifende Wandlung auch innerhalb der Gesellschaftsform, die uns alle betrifft, beschreibt, sind außerordentlich lesens- und nachdenkenswert. Gut Ding will eben Weile…

Buchtipp:

Andrea Ankyo Seppi,
Exposed.
Inkl. Fotostrecke (schwarz–weiß Portraitserie von Kindern) und einem philosophischen Essay von Christoph Türcke zum Thema „Heimat und Kindheit“ im klassischen Fotoformat 18 x 24.

mitohne Zimmer Editionen
Edition Fotofolge 1

ISBN 978-3-9824714-0-2
35,00 EUR

mitohnezimmer.de

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