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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wider den bedrohten Garten Eden – 20 Jahre Fotofestival La Gacilly in der Bretagne

Visionen unseres Naturerbes

Impressionen von Petra Kammann

2004 eröffnete Yves Rochers Sohn Jacques Rocher in seinem Heimatdorf La Gacilly ein Festival für Fotografen wie Franck Horvat, Arnaud Baumann, Sanna Kannisto und andere talentierte Foto-Pioniere, die lediglich die Schönheit der Natur zeigen wollten. 20 Jahre später ist die Natur bedrohter denn je. Allüberal in La Gacilly hängen diesmal großformatige Fotografien von zeitgenössischen Fotografen wie Beth Moon, Luca Locatelli, Nazli Abbaspour oder Lucas Lenci, die sich mit dem Thema „La nature en Héritage“ beschäftigen. Teils erleben wir die Bilder in freier dschungelhafter Natur, teils in einer verlassenen Autowerkstätte, teils an den graugranitenen Fassaden der Häuser. Die Plein Air-Schau ist noch bis zum 1. Oktober für jedermann und jedefrau frei zugängig.

Wunsch nach Schutz und Erhaltung. Ein Stillleben mit der Welt der Vögel meditierend, Foto: Petra Kammann

Wie lassen sich unsere natürlichen Räume retten?

Die Zeit drängt. Selbst der brasilianische Fotograf und Friedenspreisträger Sebastiao Salgado ist in diesem Jahr in La Gacilly mit seinem letzten Werk „Amazonia“ präsent, an dem er sechs Jahre lang gearbeitet hat, um den tropischen Regenwald Brasiliens, seine Bewohner und deren Traditionen festzuhalten: den Wald, die Landschaft, die Gewässer, die Gebirge, die indigenen Völker, die am Amazonas teils noch wie in einem Paradies leben. Er ist überzeugt, dass es diese Bilder in 50 Jahren nicht mehr geben wird.

Baumgiganten von Beth Moon aus den verschiedenen Ecken der Erde, Foto: Petra Kammann

Eine Hommage an die Bäume, die für unser Leben von so großer Bedeutung sind, sind die Fotos der US-Fotografin Beth Moon, die im Laufe der Jahre um die Welt gereist ist, um uns diese Holzgiganten vor Augen zu führen, angefangen von den sogenannten „Dragonniers“, den Drachenbäumen von Socotra im Jemen, bis hin zu den Baobabs von Madagascar. Manche von ihnen sind 4000 Jahre alt. Die knorzigen Stämme haben mächtig Wurzeln geschlagen und die Bäume tragen majestätische Kronen. Jedoch auch sie sind verwundbare Zeugen einer scheinbaren Unsterblichkeit.

Schutz der Biodiversität

Drei Schwerpunkte von drei Fotografen aus verschiedenen Ländern machen diesen Kampf um die Verwundbarkeit der Natur deutlich.

Entlang der „Stimmen des Wassers“ geht es mit David Doubilet, Foto: Petra Kammann

Der New Yorker National Geographic-Fotograf Brent Stirton zeigt uns Bilder eines bedrohten Garten Eden von unglaublicher Schönheit, während der belgische Fotoreporter Alain Schroeder, der auch wegen seiner Apardheid-Fotos aus Südafrika bekannt ist, einen traurigen fotografischen Befund in Indonesien macht.

Hier zeigt Schroeder, wie ein sechsjähriges Orang-Utan-Weibchen aus dem Urwald zurückgeholt wird, Foto: Petra Kammann

Er hat sich mit der Rettung der im Verschwinden begriffenen Orang Utans beschäftigt. Die intensive Ausbeutung der Minen, der Erde für die Landwirtschaft, und die Verstädterung bedrohen das Überleben dieser Tierart.

Doubilets „Stimmen des Wassers“ an einem steinernen bretonischen Haus an der Rue La Fayette, Foto: Petra Kammann

Bleibt neben der bedrohten Natur gerade mal noch ein geheimer Ort in der Tiefe des Ozeans. Davon erzählen die Fotografien von David Doubilet, einem Pionier der Unterwasser-Fotografie. Er eröffnet uns Perspektiven auf die Schönheit einer so stillen wie geheimnisvollen Welt unter Wasser…

Verständnis für das, was unsere Gesellschaft umtreibt und zusammenhält

Für die Menschen im Morbihan, vor allem für die letzten Fischer von Lorient, die vom und mit dem Meer leben (müssen) und täglich einer harten Arbeit ausgesetzt sind, interessierte sich zum Beispiel die junge Fotografin Lorraine Turci. Sie müssen im Alltag den Stürmen und der Gewalt der Elemente stets erneut trotzen. Turci begleitete furchtlos deren teils lebensgefährliche Arbeit über mehrere Monate und ist sich bewusst, dass es für den harten Beruf kaum noch Nachwuchs gibt.

Wie schwer der Beruf der Fischer ist, zeigen die Fotos von Lorraine Turci auf dem Chemin des Libellules, Foto: Petra Kammann 

Lucas Lenci führt uns unsere Welt, die Welt der Architektur, in der wir leben, und wie wir uns in Raum und Zeit in diesen vorgegebenen Strukturen bewegen, auf eindrucksvolle Weise vor Augen.

↑↓ Lucas Lencis Fotoserie „Espace.Temps“, vor dem natürlichen Hintergrund einer alten bewachsenen Steinmauer, Foto: Petra Kammann

Die Welt von Morgen

Die Hoffnung auf eine bessere Welt erzeugt auch schreckliche Bilder, postapokalyptische Science-Fiction-Horrorszenarien. Zweifellos ist Cássio Vasconcellos Welt keine, die wir uns von der  Zukunft erträumen: die der Überindustralisierung von Supertanker, Flugzeugen oder Autowracks, die wir nach Gebrauch einfach als Schrott liegen lassen. Auch nicht die von Sacha Goldberger die sich eine Welt von Aliens vorstellt, die sich über den verwüsteten Planeten hermachen.

Heute ist schon morgen, meint die italienische Fotografin Luca Locatelli, Foto: Petra Kammann

Realistischer erscheint die Serie „C’est déjà demain“ des italienischen Fotografen, der häufig für National Geographic Reportagen macht. Nach dem Studium der Informationstechnologie, nach dem er mehr als zehn Jahre lang als Software-Entwickler gearbeitet hat, bevor er sich der Fotografie widmete, zeichnet er die Konturen unserer Zukunft auf: eine Welt mit vertikalen Landschaftsanlagen statt Bauernhöfen, futuristischen Städten vom Reißbrett, die entstehen, um erneuerbare Energien zu gewährleisten, rational gestaltete Territorien. Mit seinen technischen Kenntnissen führt er uns vor Augen, welche Welt uns zwischen dem technologischen Fortschritt und Innovation unweigerlich erwartet.

Humanität und Hoffnung

Wir alle brauchen den Garten Eden dringend als Hoffnungsschimmer am Horizont. Wir müssen das „Blau des Himmels wiederfinden, das Grau aus unseren Seelen verbannen, das Gold der Abenddämmerung wiederfinden, der Welt einen neuen Zauber einhauchen“.

Blick in die offenen Räume der einstigen „Garage“ ( einer offenen Lastwagenwerkstätte, einer „friche industrielle“, Industriebrache, mit den Fotos von David und Peter Turnley, Foto: Petra Kammann

Wenn uns das nicht gelingt, dann hinterlassen wir unseren Kindern nur noch die deprimierende Palette von Grau und Schwarz. Diese Einsicht war zweifellos der Ansatz und die Grundannahme des Festival Photo La Gacilly-Kurators Cyril Drouhet für diese großartige Schau, aus der die sie umgebenden Natur nicht wegzudenken ist.

Fotografische Antwort darauf geben die beiden Zwillingsbrüder, die trotz widrigster Umstände am Prinzip Hoffnung festhalten: die in Indiana aufgewachsenen unabhängig voneinander arbeitenden Fotoreporter David und Peter Turnley mit ihrer jeweils 50 Jahre anhaltenden fotografischen Karriere.

Paris, mon amour – als für die Seinestadt noch solche Liebeszenen typisch waren, beeindruckten sie David Turnley, Foto: Petra Kammann

Sie sind die Großmeister der Photographie mit ihrem so unterschiedlichen Blick auf die Welt. Pulitzerpreisträger David war einer der wenigen Fotografen, der die Apartheid, den bosnischen Krieg, den Golfkrieg sowie den Niedergang der Sowjetunion und  auch 9/11 in New York dokumentiert hat und dabei doch den Zauber menschlicher Begegnungen nicht aus den Augen verloren hat.

Was die Brüder eint, ist der besondere fotografische Blick auf die Menschen und deren Emotionen. Richtet sich David Turnleys Blick auf das Innerste der Seele, so ist es bei Peter der anteilnehmende Blick auf die Conditio Humana, auf die unterschiedlichsten existenziellen Bedingungen des Menschseins. „Ich habe jahrelang die Welt bereist, um ihre Tragödien zu bezeugen. Den roten Faden meiner Arbeit bildete jedoch immer die Empathie mit den Akteuren dieser Dramen. Die Fotografie ist der Spiegel eines zu Herzen gehenden Augenblicks“ lautet sein Credo.

Peter Turnleys Blick richtet sich auf die „Condition humaine“, die Bedingungen des Menschseins, Foto: Petra Kammann

Dass David schon als 19-Jähriger die Stilleben vom Alltag im Atelier von Henri Cartier Bresson aufgesogen hat, wundert nicht. Es spiegelt sich in seinen so famosen wie poetischen Schwarz-Bildern aus Paris, wo er auch heute lebt. Sein Bekenntnis lautet: „The one thing that is always clear in my mind is that the people and their stories, and the themes of life that I photograph, are always more important to me than the process of photography itself.“ Ja, er möchte in seinen Bildern Geschichten erzählen, gleich ob von Liebe, Trauer oder Humor. Technik ist für ihn zweitrangig.

Davids Momentaufnahmen erzählen Geschichten, Foto: Petra Kammann

Dass wir uns bei der Besichtigung einer Foto-Ausstellung in der Natur auch einfach nur entspannen können, wird uns nicht zuletzt dadurch vor Augen geführt, dass wir auf unserem Weg immer wieder innehalten können und einfach in den bereitgestellten Liegestühlen Platz nehmen oder auf weißangemalten aufgeschichteten Holzpaletten sitzend von einer anderen Zukunft träumen.

Pause an der Aff, wo das Wasser noch sprudelt, Foto: Petra Kammann 

Geschichten von Weiblichkeit und Familie

Versteckt in der wuchernden Natur im Jardin Saint-Vincent erinnern die geheimnisvoll melancholischen „Fantômes de la mémoire“, die „spukenden Geister der Erinnerung“ der 1975 in Teheran geborenen Fotografin Nazli Abbaspour an die Umwälzungen im Iran. Nazli Abbaspour hat alten Fotos aus den Alben ihrer Großelterngeneration neues Leben einhaucht, indem sie sie verfremdete und ihnen die gebührende Würde zurückgibt.

Die iranische Fotografin Nazli Abbaspour beschwört Geister einer anderen Generation herauf, Foto: Petra Kammann

Unübersehbar sind die Bilder von „Metamorphosen“ weiblicher Schönheit, von deren Vergänglichkeit und  geheimer Verbindung zur Natur von der in Paris lebenden Australierin Vee Speers. Sie prangen auf riesigen Hauswänden am Ende der Brücke. Man kann sich dem Blick einfach nicht entziehen.

„Metamorphosen“ weiblicher Schönheit von der Australierin Vee Speers, Foto: Petra Kammann

Der oft zitierte französische Autor und Nobelpreisträger François Mauriac sagte einmal: „Es nützt dem Menschen nichts, wenn er den Mond gewinnt, wenn er dabei die Erde verlöre“ / „Il ne sert à rien à l’homme de gagner la Lune s’il vient à perdre la terre.“ In La Gacilly jedenfalls ist die unmittelbare Erde und Natur sinnvoll in die Planung der Ausstellung einbezogen worden.

„Träumereien“ von Joana Choumali von der Elfenbeinküste im Jardin des Marais, Foto: Petra Kammann

Etliche sagen: Nach uns ist das Ende der Welt. Aber was, wenn wir das einfach so stehen lassen? Das dokumentieren auf bemerkenswerte Weise auch die Schüler verschiedener „Collèges“ aus dem Morbihan, die im Austausch mit den großen Fotografen ihre ganz eigenständigen Naturserien und Visionen von der Natur unter dem Thema „La Nature en héritage“ entwickelt haben. Sie sind am Rande der Markthalle zu sehen, die ansonsten  für den alltäglichen Verkauf von frischen regionalen Lebensmitteln da ist.

Eine der Tafeln, die von Cédric Wachthausen, Schüler des Collège Notre-Dame Ménimur in Vannes, gestaltet wurde, Foto: Petra Kammann

„Natur für alle“ möchte man in Abwandlung der Hilmar Hoffmannschen Formel „Kultur für alle“ in Bezug auf das Frankfurter Museumsufer sagen. Das Konzept von „La nature en héritage“ anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Festivals „La Gacilly Photo“ ist jedenfalls so durchdacht wie nachhaltig und zieht zudem die verschiedensten Bevölkerungsgruppen und Generationen an. Im vergangenen Jahr gab es 300 000 Besucher. Das hat Vorbildcharakter auch für unsere Regionen.

Und die Reflexion des brasilianischen Fotografen deutschen Ursprungs Lucas Lenci lautet zutreffend für etliche der dort ausgestellten Werke: „Die Fotografie hat die Macht, mit einer einzigen Aufnahme eine ganze Geschichte zu erzählen, unserer Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen, uns zum Träumen anzuregen, uns aber auch nachdenklich zu stimmen. Darin schreibt unsere Kreativität unsere Kunstauffassung fest.“

Weitere Infos unter: 

www.festivalphoto-lagacilly.com

 

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