Maria Cristina Latorre Darquea – Elisabeth-Norgall-Preisträgerin 2023
Ausgezeichnete Hilfe zur Selbsthilfe
von Petra Kammann
Der International Women’s Club Frankfurt (IWC) zeichnete am Internationalen Weltfrauentag die so engagierte wie tatkräftige Gründungspartnerin der „Fundación Raiz-Ecuador“ Maria Cristina Latorre Darquea mit dem Elisabeth-Norgall-Preis aus. Die 57-jährige Ecuadorianerin half seit 2016 den von der Erdbebenkatstrophe in Ecuador betroffenen Frauen, die obdachlos geworden waren, beim Aufbau von Bambushüttendörfern. Mit dem Projekt CAEMBA (Emergency Bamboo Houses – Bambushütten) vermittelte sie darüber hinaus den Frauen und Kindern eine nachhaltige Bildung und Ausbildung.
v.l.n.r.: Elisabeth-Norgall-Preisträgerin Maria Cristina Latorre, IWC-Präsidentin Charlotte Weitbrecht und die Schwester Maria Fernanda Latorre im Hintergrund, Foto: Petra Kammann
Erdbeben erschüttern die Welt. Noch sind die Bilder des verheerenden Erdbebens in der Türkei und in Syrien, die weltweit durch die Medien gingen, präsent in unseren Köpfen, da erschütterte gerade mal 10 Tage nach der Norgall-Preis Verleihung das Land Ecuador schon wieder ein Erdbeben, glücklicherweise war es nicht so gewaltig wie das im April 2016, als in der Region Near West Coast (Manabi, Esmeraldas) nahe der Atlantikküste die Richterskala auf 7.8 stand. Nicht allein durch das Beben, obendrein auch nochwaren durch einen Tsunami weitere Zerstörungen durch Überschwemmung ausgelöst worden und hatten zusätzliche Opfer gefordert. Der Eindruck dieser gewaltigen Naturkatastrophe veränderte nachhaltig – auch emotional – das bisherige Leben der diesjährigen Norgall-Preisträgerin Maria Cristina Latorre, die viele Jahre im gehobenen Tourismus als Hotelmangaerin gearneitet hatte.
Pressekonferenz in der Villa Bonn: IWC Chairperson für Public Relations Béatrice Portoff, IWC-Vizepräsidentin Catalina Szegöffy, Norgall-Preisträgerin Maria Cristina Darquea Latorre, IWC-Präsidentin Charlotte Weitbrecht, IWC Chairperson für Public Relations Dr. Hannelore Daubert, Norgall-Award-Committee; Foto: Petra Kammann
Tausende von Bauern und Familien aus Stadt und Land waren damals obdachlos geworden und die Opfer waren gezwungen, Schutz vor Regen, Kälte, Insekten und Seuchen zu suchen. Da war guter Rat teuer. Das ließ die in Wahington D.C. geborene Ecuadorianerin Maria Cristina Darquea Latorre, selbst Mutter dreier Kinder und Großmutter eines Enkelkindes, nicht ruhen. Hineingeboren in eine Diplomatenfamilie mit zahlreichen internationalen Kontakten, war sie sich zwar dessen bewusst, dass es viele arme Menschen in Ecuador gibt. Nie aber hatte sie so unmittelbar erlebt, was das im Alltag bedeutet. Sie empfand sich angesichts des Elends als äußerst privilegiert und daher auch verpflichtet, diesen Menschen zu helfen.
Zunächst einmal mussten möglichst schnell preiswerte Unterkünfte her. Unmittelbar packte die Tochter aus „gutem Hause“ an. Bis dahin war sie jahrelang im Hotelmanagement tätig gewesen. Nun bemühte sie ihre Kontakte, sammelte in ihrem Umkreis Spenden und erfuhr zum ersten mal nicht nur, was Armut im Alltag, sondern auch, was Solidarität bedeutet. Spontan halfen sie, ihr Mann und ihre Freunde vor Ort, wo es nur ging. Dabei war ihr Optimismus sicher ansteckend. Alle arbeiteten Hand in Hand.
Alle packen mit an beim Bau der Bambushütten, Foto: CAEMBA
Da war es zunächst einmal wichtig, dass die Menschen wieder ein Dach über den Kopf bekamen. Besonders geeignet erschien ihr damals das Bauen mit dem biegsamen gleichzeitig stabilen, aber auch in sich geschmeidigen Riesenbambus, der Erderschütterungen besser verkraften würde als die häufig porösen starren Betonwände, die unter dem Beben zu Trümmerhaufen geschrumpft waren. Es ging schnell, war ökologisch viel sinnvoller und kostete etwa ein Drittel des Hausbaus in Plattenhauweise.
So halfen Manuel Pallares und Cristina Latorre, Gründungsmitglieder der Fundación Raíz, den Familien, die durch das Erdbeben ihr Zuhause verloren hatten, beim Bau von Bambusunterständen. Diese sollten den Familien einen würdigen, sicheren und unmittelbaren Platz bieten. Die Bambushütten sollten aber aber auch für eine mittel- und langfristige Nutzung ausbaufähig sein. Also gründeten sie rasch das CAEMBA-Projekt (Casitas Emergentes de Bambú). Denn schon bald wurde ihnen klar, dass vor allem Frauen mangels Ausbildung auch in Zukunft von der weiteren Katastrophe der Armut bedroht waren. Dem wollte man zuvor kommen.
v.r.n.l.: IWC-Präsidentin Charlotte Weitbrecht, Eileen O’Sullivan, Frankfurts jüngste Stadträtin, die ihre Rede auf Englisch hielt, und IWC-Vizepräsidentin Catalina Szegöffy
Das Projektteam von CAEMBA war überzeugt, dass Bildung das beste Mittel ist, um zu erreichen, dass Menschen in die Gesellschaft integriert werden. Flugs wurde ein Zentrum für Gemeinschafts- und Frauenunternehmertum gegründet. Denn es waren die Frauen, die oft die Führung ihrer Familien übernahmen. Das angestoßene Projekt sollte daher die Frauen auch in ihrer beruflichen Entwicklung unterstützen. Und die Kinder der einkommensschwachen Familien sollten gleich eine angemessene Bildung und Ausbildung erhalten, damit sie schon früh ihre Fähigkeiten entwickeln, der Armut, in die sie hineingeboren wurden, entkommen zu können.
Die projizierte Karte zeigt die Standorte, wo die Zentren angesiedelt sind
Nur mit einer Berufsausbildung und einer damit einhergehenden finanziellen Unabhängigkeit konnten die Frauen auf Dauer die Armutsspirale knacken. Also schuf das CAEMBA-Team in Atacames, einem Stadtteil von Nueva Esperanza etwa 340 km nordöstlich der Hauptstadt Quito an der Küste des Pazifischen Ozeans, ein Zentrum mit einer Schule. Außerdem wurde dort wurde von Anfang an auch ein Unterhaltungsbereich eingeplant, in dem Kinder lernen und spielen konnten, während ihre Mütter einen Beruf erlernen mussten. Hier konnten die Frauen „ungestört“ in einer Schneiderei, einem Friseursalon oder einem Kosmetiksalon eine Art Lehre machen und praktische Fähigkeiten erwerben, um später ihr eigenes Unternehmen zu gründen.
Bemerkenswert und geradezu vorbildhaft entstand auf diese Weise ein neuer Lebensraum, der fast einer in sich autonom funktionierenden Kleinstadt entspricht. Bis August 2022 entstanden ganze 470 Bambushäuser, 315 Notunterkünfte, 27 Klassenzimmer, 8 Kinderzentren, 6 Gemeindezentren, 1 Kirche, 1 Covid-Pflegezentrum, 1 Gesundheitszentrum, 1 Kindergarten, 1 Kantine und sogar ein Schönheitszentrum. Latorres Credo lautete: „Don´t give me a fish, but show me how to fish.“ („Schenk mir keinen Fisch, zeig mir lieber, wie ich ihn fischen kann“).
IWC-Mitglied Josephine Schwerbrock-Faessen hatte den Kontakt hergestellt, Foto: Petra Kammann
Genau für diese Hilfe zur Selbsthilfe werde Christina Latorre mit dem Elisabeth-Norgall- Preis ausgezeichnet, sagte IWC-Präsidentin Charlotte Weitbrecht. Aufmerksam geworden war der Club auf diese Aktion und ihre tatkräftige „Managerin“ Latorre über die Bekannte eines IWC-Mitglieds mit ecuadorianischen Wurzeln. Sie hatte begeistert über die Arbeit vor Ort berichtet. IWC-Mitglied Josephine Schwerbrock-Faessen wie auch IWC-Vizepräsidentin Catalina Szegöffy hatten sich für die Preisträgerin besonders stark gemacht. Ihre Arbeit hatte auch die weiteren zur Auswahl stehenden 5 Kandidatinnen. überstrahlt.
IWC-Vizepräsidentin Catalina Szegöffy intensivierte den Kontakt mit der Preisträgerin Maria Cristina Labore Darquea, Foto: Petra Kammann
Es ist wunderbar zu erleben, welch positive Energie Maria Cristina Labore Darquea verströmt, die zusätzlich glücklich darüber ist, dass auch ihre eigene Schwester Maria Fernanda Latorre, die für ein paar Jahre in Indien lebt und dort Spanisch unterrichtet, eigens nach Frankfurt angereist ist. Diese große Freude wurde in der Villa Bonn auch durch die heißen südamerikanischen Rhythmen und Klänge der Folklore-Gruppe Canelazo (benannt nach einem aus den ecuadorianischen Anden stammenden Getränk aus warmen Wasser, Zimt, Sternanis und Naranjillasaft und einem Schuss Zuckerrohrschnaps) verstärkt.
Die Gruppe Canelazo vermittelte mit lateinamerikanischen Rhythmen und Klängen viel Lebensfreude in der Villa Bonn, Foto: Petra Kammann
Mit ihrer Schwester wollte Maria Cristina auch ein wenig entspannen und ihr Deutschland zeigen, denn Mitte der 80er war die seit rund 30 Jahren in der Tourismusbranche Tätige schon einmal für eine Ausbildung nach Deutschland gekommen. Damals zählte zu ihren Hightlights der Besuch des Kölner Doms. “Aber sobald ich wieder in Ecuador bin, werde ich anfangen, weitere Häuser zu bauen“, kündigte sie an. Einen Teil des mit 6000 Euro dotierten Preises will die Preisträgerin spenden. „Bei uns kann man damit viel machen“.
Von den Clubdamen wurde es ihr freigestellt, wie sie über das Geld verfügen möchte. Schließlich hat sie viel Arbeit und Energie in das Projekt gesteckt. Vielleicht bereitet sie sich und andere aber auch schon auf Entspannungstechniken wie Yoga für die Frauen vor. Wie auch immer: Sie war eine sehr überzeugende authentische Preisträgerin, von der bei uns vielleicht sogar noch Städteplaner etwas lernen könnten.
Der Erfolg der CAEMBA-Projekte ist außerdem ihrer Fähigkeit zu verdanken, dass sie in ständigem Kontakt mit den sozialen Medien und internationalen Organisationen steht, um immer neue Sponsoren zu finden, die den weniger Begünstigten weiterhin helfen. Wenn auch mit etwas Verspätung, so möchte man der rundherum gelungenen Veranstaltung hinterherrufen: „What a happy international Women’s day!“ – Viva la Vida! Auch das Komitee ist für die Wahl der diesjährigen Preisträgerin zu beglückwünschen.
Der Elisabeth-Norgall-Preis
Ein Höhepunkt des Clubjahres ist die Verleihung des Norgall-Preises in Gedenken an die Gründerin des International Women’s Clubs Frankfurt Elisabeth Norgall (1887–1981).
Er wird alljährlich im März an eine Frau verliehen, die sich aus eigener Initiative und uneigennützig für die Belange und Probleme von Frauen einsetzt.
Seit 1978 wird der Preis im jährlichen Wechsel an eine Deutsche und eine Ausländerin verliehen. Das Preisgeld wird jeweils im Rahmen einer festlichen Veranstaltung symbolisch durch die Aushändigung einer Urkunde überreicht.
Das Norgall-Komitee:
Catalina Szegöffy, Vorsitzende und 1. Vizepräsidentin, Dr. Hannelore Daubert, Béatrice Portoff (beide PR), Anna-Maria Eiden, Yun Kruse und Bettina Harrer-Zschocke.