Fulminantes Konzert im Gedenken an Emil Mangelsdorff
Beste Tradition: Frühlingsbeschwingter Jazz im Holzhausenschlösschen
Von Uwe Kammann
Beschwingt in den Frühling – ja, wer wollte nicht dabei sein und mitfeiern? Aber könnte die Frankfurter Bürgerstiftung das helle saisonale Versprechen mit ihrem nun ins vierte Jahr gehenden Festival „Swing Spring“ auch halten, wenn der Vormittag nur dunkle Wolken und Regen bereithält? Ja, und wie. Denn als die Besucher am Abend über die kleine Brücke über den Graben zum Holzhausenschlösschen überqueren, werden sie in der Spätsonne begleitet vom frühlingstollen Geschnatter der vielen dort heimischen Wasservögel; und mit einem Glas Wein empfangen im warm-fröhlich erleuchteten noblen Haus.
Der Frankfurter Jazz-Musiker Emil Mangelsdorff war ganz präsent, als seine Freunde für ihn spielten; Foto: Petra Kammann
Ein besonderer Abend, ja. Denn diesmal ist das Jazzkonzert Emil Mangelsdorff gewidmet, der im Januar letzten Jahres gestorben war. Als “Ausnahmemusiker“ würdigte Schlossherr Clemens Greve die Frankfurter Jazzlegende, mit der sage und schreibe 213 eigene Konzerte im Holzhausenschlösschen verbunden sind. Eine weltweit einmalige Tradition, die, wie sich Greve schmunzelnd erinnerte, mit einer ganz bescheidenen Anfrage des Musikers begonnen hatte: Ob er vielleicht auch ab und an dort spielen könne …
Die Jazzreihe, auch ein Herzensanliegen für den Chef der Bürgerstiftung Clemens Greve, Foto: Petra Kammann
Auch für den damaligen Ersten Administrator der Frankfurter Bürgerstiftung, Günter Paul, ist diese Anfangszeit noch lebendig. Und so schaute auch er an diesem Gedenkabend, in direkter Nachbarschaft mit Teslime Mangelsdorff, auf das überlebensgroße, als leicht verschwommenes Spiegelbild projizierte Porträt eines der Urväter des deutschen Jazz – unverkennbar mit seinem im Alter schlohweißen Haarschopf, konzentriert auf seine Passion – mit den Lippen das Mundstück seines Lieblingsinstruments, des Saxophons, umschließend.
Hochvergnügt in vorderster Reihe: Günter Paul, einst Erster Administrator der Frankfurter Bürgerstiftung, Foto: Petra Kammann
Niemand im vollen Saal, der nicht seine wunderbaren Phrasierungen wieder und wieder gehört und bewundert hätte, in immer wieder variierten Formationen unter dem Reihensiegel „Emil und seine Freunde“. Und niemand, der am Ende des jetzigen Frühlingsabends nicht begeistert in das Urteil eingestimmt hätte: fulminant, dieser Frühlingsauftakt mit einem überaus spielfreundigen Ensemble. Denn die Freunde, sie sind ja noch und weiter da, führen die Tradition fort, sind weiter inspiriert und beflügelt von diesem so einzigartigen musikalischen Schlossgeist.
v.l.n.r.: der Pianist Thilo Wagner, der Saxophonist Peter Lehel, der Trompeter Axel Schlosser, der Saxophonist Wilson di Oliveira, Foto: Petra Kammann
Der Pianist Thilo Wagner hat dabei die Rolle des primus inter pares übernommen; auch der Schlagzeuger Axel Pape und der Bassist Jean Philipp Wadle standen in den letzten Jahren für die Konstanz im Ensemble. So wie auch der Saxophonist Wilson di Oliveira für viele Höhepunkte gesorgt hat. Als etwas seltenere Gäste diesmal dabei: der Trompeter Axel Schlosser und der Saxophonist Peter Lehel.
Spielte oft mit Emil: der Saxophonist Wilson di Oliveira; Foto: Petra Kammann
Schon ab der ersten Note hörte es sich an, als ob sie mehrere Dutzend Male intensiv miteinander musiziert hätten. „Stolen Moments“, dieser von Oliver Nelson Anfang der 60er Jahre komponierte klassische Blues, bildete dabei einen strahlenden, klar strukturierten Auftakt und strafte den Titel des Stücks Lügen: Jeder Moment ein reines Geschenk, bestens orchestriert, mit raffiniert eingebauten Dissonanzen, welche den melodiös-kräftigen Grundtenor nur noch unterstreichen: ein einziges klanggesättigtes Ausrufezeichen.
Primus inter pares, der brillante Pianist Thilo Wagner; Foto: Petra Kammann
Eines, das den ganzen Abend grundierte. „Die gute alte Schule“, wie Thilo Wagner die Konzeption mit einem verschmitzten Lächeln charakterisierte, einen Zeitraum von den 30er Jahren des letzten Jahrhundert bis in die Mitte der 70er einkreisend, mit den Phasen des Blues, Hardbob, Bepop – und natürlich ewiggültigen Balladen, die Emil Mangelsdorff so liebte.
Und so genoss das Publikum den Schwung des strahlenden Horace-Silver-Klassikers „Nica’s Dream“, der schon Mitte der 50er einem Schlagzeug-Solo einen großen Platz einräumte. Und danach die wunderbar ruhigen Linien des Count-Basie-Blues „Lonely Street“, mit jenen sanften, zart-verklärenden Passagen, welche jedem Saxophonisten noch ein (verstecktes) Glückslächeln ins Gesicht zaubern können; und die Thilo Wagner – dieser in jeder Phase so einfühlsame und technisch brillante Pianist – mit perlenden Akzenten in eine besondere Sphäre hebt.
Das Blechbläder-Trio Lehel, Schlosser und di Oliveira, Foto: Petra Kammann
Hier war die Trompete ausgespart. Doch schon beim nächsten Titel, „Confirmation“ von Charlie Parker, war dann wieder das Blechbläser-Trio gefordert. Wie Lehel, Schlosser und di Oliveira diesen Bepop-Titel aus dem Jahr 1945 interpretierten, wie sie erst gemeinsam, dann in variationsreichen Soli und schließlich wieder in geschlossener Formation die graziösen Linien herausarbeiteten – und dabei die leisen Akzente fein ziselierten –, das war schlicht hinreißend.
Der Bassist Jean Philippe Wadle
Wobei immer wieder zu bewundern war, wie alle Musiker sich mit kleinen Blicken und – ganz selten – auch Gesten über Wechsel und Einsätze verständigten. Auch hier zeigt sich die strukturierende Übersicht von Thilo Wagner, der natürlich besonders mit dem Bassisten Jean Philippe Wadle und dem Schlagzeuger Axel Pape die Verbindung halten muss. Ihr Part im Ensemble ist natürlich nicht von so offensichtlicher Präsenz wie jener der in vorderer Linie spielenden Solisten, gleichwohl aber durch die tragende Rhythmisierung von prägender Kraft. Auch sie bekommen natürlich ihre eigenen Spielinseln, füllen sie leicht mit ihrer präzisen Technik (Wadle spielt einen sehr melodiösen Bass) und einem ur-dynamischen Temperament (Pape reizt sein Schlagzeug so lustvoll wie vielfältig aus).
Voller Spiel- und Improvisationsfreude: der Saxophonist Peter Lehel; Foto: Petra Kammann
Aber natürlich ist das Publikum bei einem solchen Konzert in besonderer Weise fasziniert durch das musikalische Können solcher Ausnahmespieler wie Lehel, Schlosser und di Oliveira. Schlosser, bei der hr-Bigband seit vielen Jahren herausragender Solo-Trompeter (daneben auch Komponist und Arrangeur, ebenso Dozent), überzeugt mit einem variationsreichen, sehr sauberem, stets ins Strahlende strebenden Klang, überzeugt aber ebenso in zarteren, lyrischen Passagen (übrigens: ‚Satchmo’ Armstrong ist immer noch sein Vorbild). Saxophonist di Oliveira (auch er Komponist und Arrangeur) verkörpert eine geradezu elementare (Ur-)Kraft, scheint gleichsam mit seinem Instrument eine natürliche und untrennbare Einheit zu bilden (wobei er auch Klarinette und Flöte spielt). Während der vielfach ausgezeichnete Saxophonist Peter Lehel einen anderen Akzent einbringt: mit einem hocheleganten Spiel, mit erkennbaren Feinheiten, klaren Phrasierungen und hinreißenden melodiösen Bögen.
Blumen für Thilo Koch, Peter Lehel, Axel Schlosser, Jean Philipp Wadle, Wilson di Oliveira, Axel Pape; Foto: Petra Kammann
Das Wunderbare bei diesem Gedächtniskonzert zum Frühlingsanfang: Wie gut sich die drei Musiker ergänzen; wie sie alle beseelt sind in ihrem aufeinander bezogenen Stil; wie sie keinerlei Eifersüchteleien kennen, sondern sich einander zuwenden, wenn jeder einzelne mit seinen Soli glänzt und dabei seine jeweils charakteristischen Eigenheiten ausspielt. Auch beim letzten ‚regulären’ Titel des Abends, „Jeannine“ von Duke Pearson, ist das wieder in jedem Moment zu spüren. Das Stück (1960) ist ja Swing pur, im präsentierten Arrangement von Axel Schlosser nochmals in seinem ohnehin schon ausgeprägten Rhythmus weiter akzentuiert, um dann in einer feinsten Modulation auszuklingen, damit einen leisen Endpunkt setzend.
Aber natürlich war es nicht das letzte musikalische Wort. Das setzte – nach stürmischem Schlussapplaus – eine Zugabe, die mit Emil Mangelsdorff so fest verbunden war wie seine schier unergründliche Kontinuität bei seiner Bürgerstiftungs-Reihe. „Blues forever“, natürlich, dass musste immer sein, und das war auch diesmal so, zum „Swing Spring“-Auftakt im Holzhausenschlösschen.
Rosen auch für Teslmine Mangelsdorff, überreicht von Hausherr Clemens Greve; Foto: Petra Kammann
Blues forvever, das wird auch künftig bedeuten: Emil forever. Schon seine vielen Freunde, die bei seinen Konzerten mitgewirkt haben, werden dafür sorgen. In liebender Erinnerung. Und das zu allen Jahreszeiten.