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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud“ im Bad Homburger Sinclair-Haus

Zum Träumen, Erkunden und Nachdenken

Von Hans-Bernd Heier

Wolken haben die Menschheit seit jeher fasziniert, gelten sie doch als Sinnbild für Bewegung, Weite, Freiheit, Leichtigkeit, Energie, aber auch als Indikator für Wetter und Klima. Kaum ein Phänomen gibt den Meteorologen so viel Rätsel auf wie die wundersame Wolkenwelt. Auch in der Bildenden Kunst spielen die inspirierenden, flüchtigen Wolkengebilde schon lange eine besondere Rolle. Die gerade eröffnete Ausstellung „Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud“ im Museum Sinclair-Haus bietet einen sehenswerten Überblick über die Entwicklung des Wolkenmotivs in der modernen Kunst.

Ian Fisher „Atmosphere No. 143 (Over Time)“, 2022, Öl auf Leinwand; © Ian Fisher, courtesy Gallery Elle

Wolken-Darstellungen sind in der Kunst seit rund hundert Jahren als ausschließlicher Bildgegenstand zu finden – losgelöst von der Darstellung als Teil einer Landschaft oder im Kontext weiterer Objekte. Im Mittelpunkt der interdisziplinären Schau im Museum Sinclair-Haus der Stiftung Kunst und Natur stehen die Blicke von 14 Künstlerinnen und Künstlern auf den Himmel. Wie vielfältig und verschieden ihre Sichtweisen seit Ende der 60er Jahre auf die Wolkenformationen sind – ob von unten nach oben, aus der Luft oder aus dem All – zeigen die ausgewählten Exponate. Die gestalterischen Mittel und Techniken sind dabei überaus vielfältig. Beim Rundgang durch die fesselnde Präsentation erleben Besucher den Entwicklungsbogen von Malerei und Zeichnung zu Skulptur, Fotografie, Videokunst und aktueller, internetbasierter Cloud Art. Die Momentaufnahmen von Wolken in ihren vielgestaltigen Formen und Schattierungen laden ein zum Träumen, Verweilen, Erkunden und Nachdenken.

Gerhard Richter „Wolke (411)“, 1976, Öl auf Leinwand; © Gerhard Richter 2022 (0228)

Die „Wolkenreise“ im Sinclair-Haus beginnt mit erlesenen Wolkenbildern des weltweit renommierten Künstlers Gerhard Richter. Bahnbrechend bei dem Bildtypus, der allein auf das Wolkenmotiv fokussiert ist, nutzte Richter (*1932) als erster Künstler seine Fotografien als Vorlagen- und Collagematerial für Gemälde und Druckgrafiken anstelle von Skizzen. Von seinen rund 30 Wolkenbildern, die er in den Jahren 1968 bis 1979 geschaffen hat, sind vier Werke aus öffentlichen und privaten Sammlungen zu bewundern.

Der aus Kanada stammende und in den USA lebende Künstler Ian Fisher (*1984) nutzt ebenfalls die Fotografie als Grundlage für seine Malerei. Wie Richter setzt er die Fotovorlagen im Atelier um. Fishers hyperrealistische Wolkenformationen von dramatischen Cumulus-Ballungen haben häufig monumentale Formate und sind von bestechender Schönheit. „In seiner umfangreichen ‚Atmosphere-Serie‘ mit inzwischen rund 150 Bildern, malt er eine künstlerisch überhöhte Realität, basierend auf seinen Fotoaufnahmen von Wetterextremen des amerikanischen Südwestens“, so Museumsdirektorin Dr. Christina Anna Lanzl. In der Ausstellung sind vier seiner Werke zu sehen.

Julius Bockelt, (ohne Titel), 2019, Tuschezeichnung auf Papier; © Julius Bockelt, courtesy Atelier Goldstein

Unter Einbeziehung der Fotografie zeichnen auch Julius Bockelt, Arnulf Rainer (*1929) und Angela Schwank (*1967) Wolkengebilde. Der in Frankfurt lebende Künstler Julius Bockelt (*1986) schraffiert die flüchtigen Schwingungen von Wolken in seinen Tusche-Zeichnungen, gestützt durch ein Fotoarchiv mit 40.000 Dateien.

Die in Österreich lebende Künstlerin und Physikerin Angela Schwank nähert sich in ihren Arbeiten ausschließlich den Cirruswolken an, die auch als Eis- oder Federwolken bezeichnet werden. Mit feinen Graphitzeichnungen in reichhaltigen Facettierungen, Fotoserien und Fotocollagen bildet sie den natürlichen Formenreichtum dieser Wolkengattung ab.

Mit der Technik der Überzeichnung arbeitet der international bekannte Wiener Künstler Arnulf Rainer. „Er hat im Jahr 2000 eine Wolken-Serie von Heliogravuren bzw. Fotoradierungen auf der Druckplatte überarbeitet. Luftströmungen und flüchtige Momente werden hier durch lineare Interpunktion betont. Dabei suggerieren Rainers von der Sonne beleuchtete Wolkenformationen eine metaphysische Ebene – ein wichtiges Thema in seinem Schaffen“, erläutert Co-Kurator Moritz Ohlig.

Barbara Klemm: Wolkenstudie, Frankreich, 1999 

Auch in der Fotografie sind ab dem 20. Jahrhundert zunehmend Wolkenformationen ein künstlerisches Sujet. Eine Meisterin ihres Fachs ist die berühmteste deutsche Fotografin Barbara Klemm (*1939), eine echte Lichtbildnerin. Sie arbeitet bis heute analog. Die in Frankfurt lebende Künstlerin war viele Jahre als Fotojournalistin für die FAZ tätig, reiste auf den Spuren Johann Wolfgang Goethes nach Italien und kehrte mit einer Serie von Schwarz-Weiß-Fotografien für die 2014 im Sinclair-Haus gezeigte Ausstellung „Reisenotizen“ (2014) zurück. Von ihren Handabzügen auf Baryt-Fotopapier befinden sich heute 24 Arbeiten in der Sammlung der Stiftung Kunst und Natur, von denen zwei ihrer stimmungsvollen Wolkenstudien zu sehen sind.

Lyoudmila Milanova „Seeing clouds from both sides“, 2016-2018, Skulptur; © Lyoudmila Milanova

Seitdem Wettersatelliten unseren blauen Planeten umkreisen, ist der Blick auf Wolken um eine Perspektive reicher, nämlich durch den Blick aus dem All. Mit Hilfe von digitalen Satellitenaufnahmen und ihren zeitgleich von der Erde aus fotografierten Wolken zeigt die aus Bulgarien stammende Künstlerin Lyoudmila Milanova (*1979) eine identische Wolke von beiden Seiten. Aus den flachen Bildern entwickelt sie beeindruckende dreidimensionale Wolkenskulpturen der Reihe „Seeing clouds from both sides“.

Berndnaut Smilde „Nimbus Atlas“, 2016, Video Still © Berndnaut Smilde, Kamera: Danny Noordanus

Berndnaut Smilde (*1978) widmet sich in seiner Reihe „Nimbus“ der flüchtigen Aura von Wolken. Sein Nimbus Atlas 2015-2016 besteht aus sechs Zeitlupenvideos, in denen sich von ihm künstlich geschaffene Wolken allmählich auflösen. „Das Bildmaterial wurde mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen; verlangsamende Visualisierung zeigt dem menschlichen Auge die minuziöse Entstehung von Wolken und ihre Veränderung unter dem Einfluss von Licht“ erklärt Lanzl. Smilde interessiert der temporäre, vergängliche Aspekt seiner Arbeit. Seine Wolken existieren nur wenige Sekunden, bevor sie sich verflüchtigen.

Noa Jansma „Buycloud“, 2020-2021, Cloud-Art; © Noa Jansma, Foto: Iris Rijskam

Internetbasierte Cloud Art kreiert Noa Jansma (*1996). Ihr Projekt „Buycloud“ versteht die niederländische Künstlerin als Forschungsarbeit: Naturphänomene werden dabei in verwertbare und damit profitable Ressourcen umgewandelt. Cumulus-Wolken – animiert und mit Preisen versehen – werden über die Cloud zum Kauf angeboten. Damit hinterfragt Jansma wirtschaftliche Interessen und die kommerzielle Ausbeutung der Natur. „Diesen Prozess sollten wir im Kontext der Vergangenheit (Kolonialismus), der Gegenwart (Klimawandel) und der Zukunft (außerirdische Besatzung) kritisch reflektieren“, so Ohlig.

Zu sehen sind in der medienübergreifenden Schau bis zum 13. August 2023 noch Werke sowie Installationen von Isabelle Arthuis, Jonas Fischer, Gerhard Lang, Marie-Jo Lafontaine und Adrian Sauer.

Alle Abbildungen: Museum Sinclair-Haus der Stiftung Kunst und Natur

DIE AUSSTELLUNG

„Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud“

Museum Sinclair-Haus der Stiftung Kunst und Natur;Bad Homburg

weitere Informationen unter:

museum-sinclair-haus.de

Als Ergänzung empfiehlt sich die Ausstellung in der DZ-Bank in Frankfurt:

„Himmel – Die Entdeckung der Weltordnung“ – Eine besondere Ausstellung in der DZ-Bank-Kunststiftung

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