„Unverschämt jüdisch“ von Barbara Honigmann, Lesung mit Diskussion in der Romanfabrik
Die imaginierte und die reale Jüdische Identität
Eindrücke von Petra Kammann
Die Schriftstellerin Barbara Honigmann, 1949 als Tochter jüdischer Eltern in Ostberlin geboren, ist von ihrer Familiengeschichte geprägt. Ihre Eltern waren nach Kriegsende aus dem britischen Exil nach Ostberlin zurückgekehrt, um den Aufbau eines neuen Deutschlands zu unterstützen. In ihrem jüngsten Buch „Unverschämt jüdisch“ geht es u.a. um das Aufwachsen in der DDR, um antisemitische Stasi-Protokolle über ihren Vater „Georg“ wie um die Fallstricke einer vermeintlich deutsch-jüdischen Symbiose. Ihre Auseinandersetzung mit dem eigenen jüdischen Glauben führte sie und ihre Familie 1984 zur Flucht aus dem SED-Staat nach Straßburg, wo sie bis heute lebt. In der Romanfabrik las und diskutierte sie mit Michael Hohmann über das, was Jüdische Identität bedeutet.
Die Theaterwissenschaftlerin, Dramaturgin, Regisseurin und Autorin Barbara Honigmann in der Romanfabrik, Foto: Petra Kammann
Es ging also um „Unverschämt jüdisch“, Thema des schmalen Bands, der scheinbar nur Dankesreden anlässlich erhaltener Preise und Auszeichnungen in sich vereinigt, der es aber in sich hat und unspektakulär un-ideologisch daherkommt. Doch spricht aus den versammelten Texten die geballt erlebte und intellektuell durchdrungene Erfahrung mit dem, was jüdische Identität in ihren Verästelungen und Schattierungen – auch religionsgeschichtlich – bedeutet oder bedeuten kann. Man kann diesen Band nur jedem zur Lektüre empfehlen, der glaubt, er wisse es schon längst.
Fast zufällig entstanden die Erzählungen in dem Band, die sich häufig anlässlich von aus den Preis- und Dankesreden ergaben, gleich, ob die Autorin für die Auszeichnung durch den Max-Frisch-Preis, den Ricarda-Huch-Preis oder den Elisabeth-Langgässer-Preis dankt. Für sie war eine Preisverleihung jeweils Anlass, sich mit dem Ort oder der Person zu beschäftigen und sich auf die eigene deutsch-jüdische Biografie zu besinnen. Sie tut es in der ihr eigenen großen Klarheit, ohne dabei den pädagogischen Zeigefinger zu bemühen.
Denn neben den schwerwiegenden Fragen kann man immer wieder auch schmunzeln, so wenn sie sich beispielsweise als Jugendliche beschreibt, die dem Ideal des französischen Existenzialismus nacheifert und sie und ihre Freundinnen sich beim Hören der französischen Chansons schwarz wie Juliette Gréco kleideten. Auch literarisch kommen die Leser auf ihre Kosten, vergleicht sie doch etwa anhand der Lektüre von Marcel Proust und Franz Kafka spezifische Elemente des Ost- und Westjudentums.
Der künstlerische Leiter der Romanfabrik Michael Hohmann; Foto: Petra Kammann
Der provokative Titel der Essaysammlung „Unverschämt jüdisch“ ist bewusst von Barbara Honigmann so zweideutig angelegt. Inspiriert zu dieser Formulierung hat sie wohl aber vor allem der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, der 1963 in seinem Band „Betrachtungen zur Judenfrage“ vom „juif inauthentique“ sprach, was seinerzeit mit der „verschämte Jude“ übersetzt wurde. Könnte es auch unauthentisch heißen? Und wenn ja, was überhaupt bedeutet Authentizität und Identität? Fragen, die im Gespräch mit dem Leiter der Romanfabrik Michael Hohmann diskutiert wurden.
Barbara Honigmann holt sehr weit aus, stellt die Dinge in größere Kontexte, in religionsgeschichtliche, historische und psychosoziale Zusammenhänge. Bewusst spielt sie auf die Doppel-Deutigkeit des Begriffs Un-verschämt an, im Sinne von „ohne Scham“ zu sein, sich natürlich geben oder aber auch auf die Bedeutung des „Schamlos“, Frechen und Fordernden,dejenigen, der Chuzpe hat. Mit großer Frische, nüchtern, vorurteilslos, klar und eben mit durchaus komischen Einsprengseln, bisweilen berlinernd und ganz terre à terre umkreist sie die Fragestellung und führt eine Diskussion, die seit vielen Jahren bei uns in dieser Form nicht geführt wurde, sei es mangels Erfahrung, sei es wegen einer Reihe von unterschwelligen Vorurteilen gegenüber dem, was manche für jüdisch halten.
Als sie einmal nach einer Lesung in der anschließenden Diskussion gefragt wurde, ob sie sich vorstellen könne, das Jüdische auch einmal „aus ihrem Kopf herauszukriegen“, war ihre Reaktion: „Ich antwortete verlegen, verschämt, rechtfertigte mich, sülzte herum, und als ich es am nächsten Tag meinem Mann erzählte, fragte er, warum ich nicht einfach deutlich gesagt hätte, nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“ Denn, und das können sich die meisten Nachgeborenen bei uns nicht vorstellen: „Wir können gar nicht nachdrücklich genug von den Juden als Juden sprechen, wenn wir von ihrem Schicksal unter den Deutschen sprechen.“
Dabei, – auch diese Erfahrung trägt sie in sich – stammt sie selbst wie auch ihr Mann Peter aus einem assimilierten jüdischen Elternhaus, in dem aber über das Judentum einfach nicht gesprochen wurde, „nur eben dass wir die Juden und die anderen die Deutschen waren, kein zivilisiertes Volk (im Gegensatz zu den Engländern). Nur diese Unterscheidung war noch übrig, und sie war sehr wichtig.“
Die Fragestellung, vor allem seit der Geburt ihres ersten Kindes, ließ sie jedoch nicht locker, wenngleich sie damit auch in ihrem Ostberliner Freundeskreis, Kindern von Juden aus der „zweiten Generation“, und die es auch bis heute nicht interessiert, eine Ausnahme war. Für die anderen sei es ein Gespräch über Judentum jenseits eines immer währenden Antisemitismus-Diskurses eine „Dialektik“ zwischen jüdischem Mystizismus und Aufklärung.
Diskussion mit Barbara Honigmann und Michael Hohmann; Foto: Petra Kammann
Ein Gefühl, das sie begleitet hat, wo auch immer sie war, ist die Fremdheit als existentielles Grundgefühl, was sie auch bei ihrer Ankunft in Straßburg erlebte, als ihr bewusst wurde, dass sie sich eben nicht nur in eine sich funktionierende Jüdische Gemeinde begeben hatte, sondern auch in ein fremdsprachiges Land, indem sie erst einmal habe Französisch lernen müssen. Als „Nachgeborene“, geprägt vom Brecht-Theater, und als Nicht- Orthodoxe musste sich dort als Fremde fühlen.
Bis heute wohnt sie, nachdem die Kinder ausgezogen sind, in der „Rue Edel“, einem multikulturellen Viertel wo Araber, Türken und Kurden, Schwarze, Osteuropäer und Asiaten leben, in dem man die Andersheit der Anderen akzeptiert und die Stimmung dort viel weniger aufgeheizt ist als in anderen Großstädten. Auch davon handelt eins ihrer Bücher.
Ihre Auskünfte sind immer gespickt mit klugen und kritischen Beobachtungen, sei es über das elsässische Landjudentum oder über den Blick des französischen Philosophen Alain Finkielkraut auf das Judentum, der vom „juif imaginaire“ spricht, was nicht im Sinne von arrogant/eingebildet zu verstehen ist, sondern eher im Sinne von einer Vorstellung jüdischen Seins, in der es u.a. um Assimilation und Abgrenzung seit der Aufklärung geht, über Selbstwahrnehmung und Selbststigmatisierung.
Nach dem so entspannten Gespräch in der Romanfabrik geht man aus der Veranstaltung und hat den Eindruck, dem Thema müsste man mehrere Tage konzentriert und ebenso entkrampft nachgehen, sich mit den Viten der zweiten und dritten Generation beschäftigen, um auf eine neue Basis des Verständnisses zu kommen, um Kenntnisse aufzufrischen, zu erweitern und die Sinne für die Wahrnehmung von Antisemitismen im Alltag zu schärfen und auch, wie man einander respektieren kann, selbst wenn man nicht immer der gleichen Meinung ist und zu einer anderen Community gehört.
Ein kleines Beispiel: Barbara Honigmann schätzt die Offenheit der Straßburger jüdischen Gemeinde, die sie als „Gemeinschaft“ empfindet. Dabei ist sie völlig unorthodox und sagt: „Wenn ich jetzt in die Synagoge gehe oder bei Leuten eingeladen bin, die man als orthodox bezeichnen würde, dann setz‘ ich mir halt ’ne Mütze auf. Aus Respekt vor diesen Leuten, und weil ich da auch was lerne“. Und wenn sie jetzt nach Berlin zurückkehrt, wo heute einer ihrer Söhne heute lebt, so ist ihr das heutige Berlin in anderer Weise sowohl fremd als auch vertraut.
Und zum Schluss wird noch signiert; Foto: Petra Kammann
Wenn man sie fragt, ob sie deutsch oder jüdisch sei, würde sie zwar „jüdisch“ antworten, um sich von den Deutschen abzugrenzen. Kulturell jedoch fühle sie sich zu Deutschland zugehörig. „Es klingt paradox, aber ich bin eine deutsche Schriftstellerin, obwohl ich mich nicht als Deutsche fühle und nun auch schon seit Jahren nicht mehr in Deutschland lebe. Ich denke aber, der Schriftsteller ist das, was er schreibt, und er ist vor allem die Sprache, in der er schreibt. Ich schreibe nicht nur auf deutsch, sondern die Literatur, die mich geformt und gebildet hat, ist die deutsche Literatur.“
Der Band
„Unverschämt jüdisch“
von Barbara Honigmann
ist im Hanser Verlag
Verlag erschienen
Auszeichnungen von Barbara Honigmann
1986: Aspekte-Literaturpreis
1986: Preis der Frankfurter Autorenstiftung beim Verlag der Autoren
1992: Stefan-Andres-Preis
1994: Nicolas-Born-Preis für Lyrik
1996: Kester-Haeusler-Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung
2000: Kleist-Preis
2001: Jeanette Schocken Preis
2001: Toblacher Prosapreis – Palazzo al Bosco
2004: Koret Jewish Book Award (New York)
2004: Solothurner Literaturpreis
2005: Spycher: Literaturpreis Leuk
2011: Max Frisch-Preis der Stadt Zürich
2012: Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis
2015: Ricarda-Huch-Preis für das literarische Werk[21][22]
2018: Jakob-Wassermann-Literaturpreis[23]
2020: Literaturpreis der Stadt Bremen für Georg
2021: Jean-Paul-Preis für das Lebenswerk