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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Großartiges „Artentreffen“ in Wiesbaden, Rüsselsheim und Offenbach

Innovative Kooperation gefördert vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain

von Hans-Bernd Heier

Tiere haben Menschen seit der Höhlenmalerei künstlerisch inspiriert. An diesem Faszinosum hat sich bis heute nichts geändert. Auch die zeitgenössische Kunst setzt sich mit dem Mensch-Tier-Verhältnis intensiv und äußerst variantenreich in den unterschiedlichsten Medien auseinander. Im Rahmen der Kooperation „Artentreffen“, die von Dr. Beate Kemfert, Vorstand der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, initiiert wurde, haben sich das Deutsche Ledermuseum in Offenbach, der Nassauische Kunstverein Wiesbaden und die Opelvillen Rüsselsheim zusammengefunden, um sich diesem ambivalenten Thema zu nähern. Die innovative Ausstellungskonzeption der drei Häuser ist ein Novum, das vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain gefördert wird.

Ursula Böhmer, Ausschnitt aus der Foto-Serie „All Ladies – Kühe in Europa“, 2002/2016; Kunstsammlung der DZ BANK; © Gabriele Muschel; Foto: Hans-Bernd Heier

Bei der Pressekonferenz in den Opelvillen stellten die Leiterinnen die zeitgleich eröffneten Ausstellungen in ihren Häusern vor: Zu sehen sind im Ledermuseum in Offenbach „Tierisch schön?“, in Rüsselsheim „Kunst für Tiere. Ein Perspektivwechsel für Menschen“ und in Wiesbaden „Alles im Wunderland“. Allen Präsentationen gemeinsam ist der Blick auf ein hochaktuelles und durchaus kontroverses Thema. „Artentreffen“ ist für die Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain Karin Wolff, „ein glanzvolles Beispiel dafür, wie Kulturstätten durch eine enge Kooperation die Leuchtkraft der Region national und international verstärken können“. Gemeinsam ist den Häusern, welche die vielen Facetten der spannenden Mensch-Tier-Natur-Beziehungen beleuchten, auch, dass sie entlang der S-Bahnlinie 8 liegen.

Die Kooperationspartnerinnen (von links): Dr. Inez Florschütz, Direktorin des Deutschen Ledermuseums in Offenbach, Elke Gruhn, Vorsitzende und Künstlerische Leiterin des Nassauischen Kunstvereins Wiesbaden; Karin Wolff, Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain und Dr. Beate Kemfert, Leiterin und Kuratorin der Opelvillen Rüsselsheim; Foto: Hans-Bernd Heier

Tiere sind ein wichtiger Teil unseres Lebens: Sie sind die ältesten Begleiter der Menschheit, dienen der Ernährung, helfen uns bei der Arbeit und fungieren oft als Spielgefährten. Es überrascht deshalb nicht, dass Tiermotive in der bildenden Kunst seit jeher eine bedeutende Rolle spielen – auch in der Gegenwartskunst, wie die Ausstellungen im Rahmen von „Artentreffen“ eindrucksvoll zeigen.

In der vielseitigen Schau „Kunst für Tiere. Ein Perspektivwechsel für Menschen“ werden „Künstlerinnen und Künstler vorgestellt, die sich aktuell dem Tier zuwenden, zum einen, um sich näher mit den Beziehungen zwischen Mensch und Tier zu beschäftigen und zum anderen, um einfach ihre Tierliebe auszudrücken“, so Kuratorin Beate Kemfert. „Tiere werden von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern als ästhetische Wesen begriffen, ernst genommen und neu gedacht. Die Hinterfragung der absoluten Trennung von Mensch und Tier könnte neue Perspektiven der Koexistenz der Arten aufzeigen.“ Insgesamt versammeln die schmucken Opelvillen Werke von 27 Künstler*Iinnen.

Krõõt Juurak & Alex Bailey „Performances for Pets“, Still aus dem Video „Performances for Jerry & Momo“, 14:07 Min., 2020 © the artists, Courtesy Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Foto: Frank Möllenberg

In „Die Sprachen der Tiere“ beschreibt Eva Meijer anschaulich diesen Perspektivwechsel: „Tiere haben ihren eigenen Blick auf die Welt. Die Welt mit ihren Augen zu sehen, bereichert das Leben und lässt einen selbst die Dinge anders wahrnehmen. Gewöhnlich gehen Menschen auf Reisen, um ihren Horizont zu erweitern, neue Erfahrungen zu sammeln, neue Kulturen zu entdecken. Dabei lassen sich unendlich viele dieser Kulturen direkt um die Ecke aufstöbern: Ameisen, Katzen, Hasen, Kühe – je nachdem, wo man lebt“.

Deutlich wird dieser Perspektivwechsel bei den Darbietungen des Duos Krõõt Juurak (geb. 1981) und Alex Bailey (geb. 1987). Mit ihren empathischen „Performances for Pets“ wecken sie die Neugier von Katzen und Hunden, sie produzieren wortwörtlich Kunst für Tiere. Die Tiere werden zu Betrachtern ihrer Aktionen. Das Künstlerpaar performt nicht für ein menschliches, sondern tierisches Publikum, wenn sich die beiden in Augenhöhe der Tiere auf dem Fußboden schlängeln. Bereits seit über sechs Jahren bieten die beiden performative Aktionen für Katzen, Hunde und andere Haustiere an.

Krõõt Juurak & Alex Bailey „Performances for Pets “, Still aus dem Video „Performance for Orpheus“; 7:11 Min., 2020; © the artists, Courtesy Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Foto: Frank Möllenberg

Im Vorfeld der Ausstellung performten Juurak und Bailey in Rüsselsheim und Umgebung. Katzen wurden in deren Zuhause besucht und Hunde in die Opelvillen eingeladen. Diese filmisch festgehaltenen Tanzperformances im Großformat sind Teil der vielseitigen Schau. Dabei zeigt sich, dass Katzen aufmerksam, aber aus Distanz die Darbietungen des Paares verfolgen. Im Gegensatz dazu nimmt beispielsweise der Hund Orpheus regen Anteil daran, er wedelt nicht nur mit dem Schwanz, sondern kommentiert das Geschehen mit lautstarkem Bellen.

Drastisch haben den Rollenwechsel VALIE EXPORT & Peter Weibel in dem Schwarz-Weiß-Video „Hundigkeit“ aus dem Jahre 1968 thematisiert. Eine elegante Dame führt auf dem Bürgersteig einer belebten Einkaufsstraße einen auf allen Vieren kriechenden mit Anzug bekleideten Mann an der Leine.

Gabriele Muschel „Orang-Utan (männlich“), 1998–99, Graphit auf Papier, 250 x 150 cm; © Gabriele Muschel

Das ambivalente Verhältnis von Mensch und Tier spielt auch in frühen Arbeiten von Rosemarie Trockel (geb. 1952) eine besondere Rolle. „Jedes Tier ist eine Künstlerin“, lautete 1993 ihre Botschaft. Auch wenn sie damit Joseph Beuys berühmtem Ausspruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“ entgegentrat, ist eine Wertschätzung des Tieres impliziert. Im gleichnamigen Künstlerbuch veröffentlichte Trockel großformatige Porträts ihres Hundes mit einer liebevollen Widmung.

Nicht das gehätschelte Haustier, sondern Tiere in entlegenen Gebieten aufzuspüren, war das Anliegen der Künstlerinnen Sanna Kannisto (geb. 1974) und Gabriele Muschel (geb. 1941). Die Resultate dieser visuellen Forschungsarbeiten sind laut Kemfert „neue Bildräume und Bildfindungen“. Schafft Kannisto im Regenwald einzigartige Bühnengebilde für ihre Tier-Miniaturen, setzt Muschel ihre Fotografien von Primaten im heimischen Atelier in großformatigen Grafit-Porträtzeichnungen voller Individualität um. Jedes Porträt fasziniert mit seinen sehr unterschiedlichen Gesichtszügen und Merkmalen. Nicht ganz so weit gereist ist Ursula Böhmer, um zwischen 2002 bis 2016 Kühe in ganz Europa zu fotografieren. Das Nachdrückliche der Schwarz-Weiß-Serie „Hinterwäldler“ ist, dass alle Rinder den Betrachter direkt anschauen.

Parastou Forouhar „Flieg nicht durch“, 2020, Installation auf Glas, 5,73 x 8 m; Foto: Hans-Bernd Heier

Über 120 Kunstwerke der in den Opelvillen gezeigten Arbeiten stammen aus der hochkarätigen Kunstsammlung der DZ BANK, mit der das Rüsselsheimer Kunsthaus schon eine jahrelange Partnerschaft verbindet. Zu sehen sind aus der Sammlung u.a. Arbeiten von: VALIE EXPORT, Rosemarie Trockel, Ursula Böhmer, Parastou Forouhar, Roni Horn, Sanna Kannisto, Gabriele Muschel, Inge Rambow, Timm Ulrichs und William Wegman.

Eigens für die vielseitige Schau hat Parastou Forouhar für die Glasfront des Außentreppenhauses das Folienbild „Flieg nicht durch“ geschaffen, um Vögel vor dem Aufprall zu schützen.

Dass künstlerisches Engagement für Tiere auch humorvoll sein kann, spiegelt sich nicht nur in etlichen Ausstellungsexponaten wieder, sondern auch im Vermittlungsprogramm der Opelvillen. Es werden beispielsweise besondere Führungen für Hunde mit ihren Besitzern angeboten. Die facettenreiche Schau in Rüsselsheim, die vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wird, ist bis zum 17. Januar 2021 zu bewundern.

„Alles im Wunderland“ im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden mit überraschenden Einsichten in eine gänzlich andere Welt

Frank Brechter „Stubenfliege und Klatsche“, 2020; © Der Künstler, Courtesy: der Künstler und Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main; Foto: Wolfgang Günzel, Offenbach

Das ambivalente Verhältnis des Menschen zur Natur ist auch Zentralthema der Schau „Alles im Wunderland“ im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden. Dieses wird besonders im Umgang mit jenen Tieren deutlich, die wir als lästig, schädlich, ekelhaft oder unliebsam empfinden. Die international besetzte Themenausstellung richtet den Blick geradewegs auf die Tiere, denen man im Alltag nur ungern begegnet und die in der von Menschen aufgestellten Hierarchie der Lebewesen oft als nicht systemrelevant und daher als „verzichtbar“ empfunden werden.

Oliver Laric „Betweenness“, 2018; © der Künstler, Courtesy: der Künstler und Tanya Leighton, Berlin

Die von Elke Gruhn, der Vorsitzenden des Nassauischen Kunstvereins, kuratierte originelle Schau hinterfragt die Trennung zwischen den menschengeschaffenen Kategorien „Tier“ und „Mensch“. „Gerade die wirbellosen Tiere, von den Insekten über die Regenwürmer bis zu den Oktopoden mit ihren, neun Gehirnen‘, angesiedelt irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft, (er-)schaffender und aus menschlicher Perspektive zerstörender Kraft, erscheinen fremdartig und lösen eine vielleicht auch mit Ekel gepaarte Faszination aus“, erklärt Gruhn.

Anstatt die kontroversen Positionen zu forcieren, eröffnen die Arbeiten von den ausgestellten 22 Künstler*innen überraschende Einsichten in eine gänzlich andere Welt – sei es durch Verschmelzung, Metamorphose, Poesie, Rollentausch, Größenverschiebung, Materialität, Formschönheit, Technik oder Witz.

Nach einem Besuch der Ausstellung im Zentrum für zeitgenössische Kunst in der Landeshauptstadt wird, laut Gruhn, „kaum eines der gezeigten Lebewesen mehr vergiftet, platt getreten oder erschlagen werden können – als wäre man dem weißen Kaninchen gefolgt und hätte bemerkt, wo sich alle Lebewesen dieser Welt gemeinsam befinden: alles im Wunderland“.

Nassauischen Kunstverein zeigt „Alles im Wunderland“ bis zum 7. Februar 2021.

„tierisch schön?“ – die ambivalente Ästhetik im Ledermuseum Offenbach

Dritter im Bunde des Artentreffens ist das Ledermuseum in Offenbach. Das Fragezeichen im Titel der Ausstellung „tierisch schön?“ soll auf das nicht immer symbiotische, sondern häufig auch ambivalente Verhältnis von Mensch und Tier verweisen. „Die in jüngster Zeit vermehrt geführten Debatten um das Tierwohl lassen ethische und ökologische Fragen lauter werden und regen zum kontinuierlichen Nachdenken an, wie sich die jahrtausendealte Beziehung zwischen Mensch und Tier heute unter nachhaltigen Aspekten gestalten lässt“, so Museumsdirektorin Dr. Inez Florschütz.

Hocker in Tierform von Dimitri Omersa,1960er/70er-Jahre; © DLM Foto: L. Brichta

Zu diesem Diskurs kann und will ein Museum, dessen Sammlung auf Exponate aus tierischen Materialien spezialisiert ist, einen beachtlichen Beitrag leisten. Das Offenbacher Ledermuseum hat mit seiner Fokussierung auf Leder und artverwandte Materialien weltweit ein Alleinstellungsmerkmal in der Museumswelt: Über 30.000 Objekte zeugen von der jahrtausendealten globalen Verwendung und der vielfältigen kulturhistorischen Bedeutung des Werkstoffs Leder von der Urzeit des Menschen bis heute. Bestände alternativer Materialien werden in den letzten Jahren gezielt um vegane und recycelbare Stoffe erweitert.

Mit „tierisch schön?“ rückt das Offenbacher Kulturinstitut die ambivalente Ästhetik seiner Exponate in den Fokus und nimmt die eigene Sammlung in den Blick: Welche tierischen Rohstoffe wurden und werden von Menschen genutzt und wozu? Welche Rolle spielt die Einteilung von Tierarten in Nutz- und Haustier oder die den Tieren zugeschriebenen kulturellen Bedeutungen? Wie beeinflussen sie die Mode? Und was ist eigentlich unter Artenschutz und Veganismus zu verstehen? Auch die Nachhaltigkeit des Materials Leder wird dabei nicht außer Acht gelassen.

Ein Parcours durch das ganze Haus lädt die Besucher*innen ein, die Objekte unter der Perspektive der aufgeworfenen Fragen neu zu betrachten. Über 50 Exponate erzählen vom Umgang mit Tieren, ihrer Nutzbarmachung und Aneignung durch den Menschen und lassen auch den gesellschaftlichen Wandel ablesbar werden. Bereichert wird die Präsentation um zeitgenössische künstlerische Positionen.

„tierisch schön?“ bis zum 30. Mai 2021 im Ledermuseum Offenbach

Und wer noch mehr Lust auf Tierisches hat, sollte sich unbedingt die exzellente Schau „Paul Klee. Tierisches“ im Ingelheimer Kunstforum (Altes Rathaus) ansehen, geöffnet noch bis zum 8. November 2020; s. dazu auch den Bericht „Fabelhafte Mischwesen und vom Tierischen im Menschen und vom Menschlichen im Tier“ in www.feuilletonfrankfurt.de;

Weitere Informationen unter: www.opelvillen.de; www.kunstverein-wiesbaden.de; www.ledermuseum.de und www.internationale-tage.de

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