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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sonderausstellung „Hingucker? Kolonialismus und Rassismus abstellen“ in der Bildungsstätte Anne Frank

Menschen-Zoos, ideologische Kopfgeburten und Rassismus

von Renate Feyerbacher

Die erste deutsche Kolonialausstellung fand im Sommer 1896 in Berlin statt. Gemeinsam mit 105 anderen Menschen, Kindern, Frauen und Männern, und einer Vielzahl geraubter Kunstwerke, war Kwelle Ndumbe aus Kamerun als Ausstellungsobjekt nach Berlin verschifft worden. Zwei Millionen Menschen strömten damals in den Treptower Park, wo sie etwa ein halbes Jahr lang die Menschen aus Afrika begaffen konnten. Aus allen deutschen Kolonien Afrikas, aus Kamerun, Togo, Tansania, Burundi und Ruanda wie aus Ozeanien und Papua-Neuguinea wurden Menschen zu Völkerschauen nach Deutschland verschleppt.

Kwelle Ndumbe, Zeichnung: Lena Ziyal, Foto: Renate Feyerbacher

Die weißen Veranstalter hatten dazu ein passendes Drehbuch ausgearbeitet: es musste gekocht, getanzt, getrommelt und Kunsthandwerk hergestellt werden. Alles sollte so exotisch wie möglich aussehen wie das vermeintlich authentische Leben in Afrika. Dabei wurden die Menschen als Primitive, Unzivilisierte, Unkultivierte dargestellt.

Doch Kwelle Ndumbe besorgte sich ein Opernglas und blickte zurück auf die gaffenden Besucher und Besucherinnen. Dabei blieb es nicht. Er und andere „Ausgestellte“ wehrten sich gegen die ihnen zugewiesene Rolle als „Ausstellungsobjekt“. Die „Hingucker“ im Publikum waren Komplizen der Gewalt.

Schon im 16. Jahrhundet wurden sogenannte Wilde an Königshöfen vorgeführt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden sie dann  in Völkerschauen, Tierparks, Theatern und im Zirkus einem großen Publikum präsentiert. Carl Hagenbeck (1844 – 1913) zum Beispiel, der Hamburger Tierhändler und spätere Zoodirektor, war ein Spezialist solcher Völkerschauen.

Die Forschung, die sich erst seit etwa 30 Jahren für das Thema interessiert, schätzt, dass zwischen 1810 und 1940 knapp 35 000 Menschen auf diese Weise missbraucht wurden. Viele von ihnen wurden auch im Dienste anthropologischer Forschung in minder- und hochwertige Rassen aufgeteilt, vermessen und fotografiert.

In der Sonderausstellung der Bildungsstätte Anne Frank werden derzeit einige Materialien der vielbeachteten und häufig diskutierten Ausstellung „Die Erfindung der Menschenrassen“ des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden von Mai 2018 bis Januar 2019 gezeigt, die sich kritisch mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzte. Das Haus war aktiv an der Ausarbeitung und propagandistischen Verbreitung „rassehygienischer“ Ideen beteiligt.

Ursprünglich sollte diese Wanderausstellung ins Historische Museum Frankfurt  (HMF) kommen, was Corana verhindert hat.

Im Katalog der Dresdner Ausstellung heißt es: „Sie (die Ausstellung) beschreibt Rassismus als Ideologie und als alltägliche Praxis und sensibilisiert die Besucherinnen und Besucher so für seine bewussten und unbewussten Funktionsweisen. Rassismus verletzt und gefährdet nicht nur Individuen, sondern bis heute auch die Ideale menschlicher Gleichheit und Freiheit, die unserer demokratischen Gesellschaft zugrunde liegen.“

Der weiße Mensch hält sich in jeder Hinsicht für überlegen. Der Begriff Rassismus kam und kommt ihm dabei zu Hilfe. Die heutigen Wissenschaftler sind sich einig, dass es – biologisch gesehen – keine unterschiedlichen abgrenzbaren Menschenrassen gibt. Sie sprechen von „ideologischen Kopfgeburten.“ Rassismus ist eine Sicht, die der Gesellschaft antrainiert wurde.

Die derzeitige Ausstellung in der Bildungsstätte Anne Frank wurde in zwei Themenabschnitte gegliedert:

Im ersten Kapitel der Ausstellung geht es um koloniale Gewalt. Da wird thematisiert, „dass zeitgleich mit der Epoche der Aufklärung und der Forderung nach allgemeinen Menschenrechten in der europäischen Geschichte komplett gegenteilige Diskurse aufkamen: Wissenschaften, die Menschen in „Rassen“ einteilten, trennten, entrechteten und in Hierarchien ordneten – sie hatten das Ziel, die koloniale Herrschaftspraxis zu legitimieren.“ (so die Hintergrundinformation der Bildungsstätte Anne Frank)

 Ismahan Wayah (HMF) (links) und Jeanne Nzakizabandi (Kuratorin der Ausstellung „Hingucker“), Foto: Renate Feyerbacher

Autor des Textes ist der 1951 in Tansania geborene Mnyaka Sururu Mboro. Er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der NGO „Berlin Postkolonial e.V.“.  Zusammen  mit seinen Partnern, der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“(ISD), „Each One Teach One“ und dem Stadtmuseum Berlin will er Licht in die deutsche Kolonialgeschichte bringen.

Ein kurzer Rückblick: Auf der Kongo-Konferenz in Berlin (November 1884 bis Februar 1885) hatten auf Einladung von Reichskanzler Otto von Bismarck Vertreter aus 13 europäischen Ländern, den USA und des Osmanischen Reichs teilgenommen. Dort wurde Afrikas Schicksal besiegelt. Und der Wettlauf um die Aufteilung Afrikas hatte begonnen.

Das zweite Kapitel  – Antikoloniale Kämpfe um Selbstbehauptung / Postkoloniale Widerstände beschäftigt sich mit Kämpfen um Selbstbehauptung und Widerstand Schwarzer Menschen. Gezeigt werden deren Porträts und Biografien. Dass sie für die rechtliche Gleichstellung kämpften wie zum Beispiel Jean-Baptiste Belley ( 1746-1805), zeigt sich zum Beispiel in der Reproduktion des Gemäldes der französischen Malerin Anne-Louis Girodet Trioson (1776-1824).

Der auf einer senegalesischen Insel Geborene wurde mit zwei Jahren als Sklave verkauft und ins französische  Kolonialreich Saint Domingue (Haiti) gebracht. Als Hauptmann der Infanterie kämpft er gegen die Kolonialherren und siegt. Er wird als Abgeordneter nach Paris geschickt, wo er Aufsehen erregt. Während der Französischen Revolution ist er Mitglied im Nationalen Konvent und gehört als erstes schwarzes Mitglied zum Fünferrat. Die Abschaffung der Sklaverei wird auf sein Betreiben hin beschlossen.

Jean-Baptist Belley – Reproduktion des Gemäldes von Anne-Louis Girodet-Trioson, Foto: Renate Feyerbacher

Mit einem Foto wird auch an Frantz Fanon (1925 – 1961), den französischen Psychiater, Politiker und Schriftsteller aus Martinique, erinnert…

In seinem ersten Werk Peau noire, masques blancs („Schwarze Haut, weiße Maske“) 1952 kritisiert er: „Der schwarze Mensch erscheint aus der Perspektive des Weißen als minderwertig, aber umgekehrt ist der Weiße mit seinen ‚Errungenschaften‘ Zivilisation, Kultur, kurz Intellekt, nachahmenswert.“ Also muss der Schwarze die weiße Maske tragen, um anerkannt zu werden.

Seine Worte in seinem Hauptwerk „Les damnés de la terre“ („Die Verdammten dieser Erde“) aus dem Jahre 1961 haben für Europa nach 60 Jahren immer noch eine gewisse Aktualität: „Verlassen wir dieses Europa, das nicht aufhört, vom Menschen zu reden, und ihn dabei niedermetzeln, wo es ihn trifft, an allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken der Welt. Ganze Jahrhunderte hat Europa nun schon den Fortschritt bei anderen Menschen aufgehalten und sie für seine Zwecke und seinen Ruhm unterjocht; ganze Jahrhunderte hat es im Namen seines angeblichen ‚geistigen Abenteuers‘ fast die ganze Menschheit erstickt.[…]. Also, meine Kampfgefährten, zahlen wir Europa nicht Tribut, in dem wir Staaten, Institutionen und Gesellschaften gründen, die von ihm inspiriert sind.“

In diesem Ausstellungsraum werden die Besucher und Besucherinnen außerdem dazu aufgefordert, ihr Wissen über antikoloniale Kämpfe um Selbstbehauptung und postkoloniale Widerstände zu erweitern und ihre Sehgewohnheiten kritisch zu hinterfragen, denn das postkoloniale Erbe in Museen wirft Fragen auf: „Wie schreiben sich rassistische Strukturen in Bilder und Institutionen ein? Wie können Bilder Akte des Widerstands sein?“ Solche und ähnliche Antworten werden zwangsläufig aktuelle Forderungen nach sich ziehen.

In dieser kleinen Ausstellung, kuratiert von Robin Loss, Isa Mahmut, Tim Mulhanga, Jeanne Nzakizabandi und unterstützt von Meron Mendel, dem Direktor der Institution,  werden starke Impulse gesetzt, die nicht nur dazu dienen, zu informieren, sondern auch, um das eigene Verhalten zu hinterfragen und sich für die Kolonialgeschichte zu sensibilisieren.

Banner in der Ausstellung des Historischen Museums, Foto: Renate Feyerbacher

Die Ausstellung in der Bildungsstätte Anne Frank wird bis zum 21. Februar 2021 gezeigt.

www.bs-anne-frank.de

Ein umfangreiches Rahmenprogramm bietet sowohl das HMF als auch die Bildungsstätte Anne Frank, die eine Anmeldung erfordert unter: events@bs-anne-frank.de

s. auch: https://www.feuilletonfrankfurt.de/2020/10/06/ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst-im-historischen-museum/

 

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