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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Erinnere Dich, Penthesilea ?“ in Bochum

Abstand statt hautnahem Kampf und Umarmung

von Simone Hamm

Es gibt Schauspielhäuser, die streamen Aufführungen aus den vergangenen Jahren, andere bieten Video Lesungen an, kleine Filme, in denen Ensemblemitglieder erzählen. Andere Theater spielen open air.

Salzburger Festspiele 2018/Penthesilea/Premiere am 29.07.2018/Regie:Johan Simons, Bühne:Johannes Schütz, Kostüme:Nina von Mechow, Dramaturgie:Vasco Bönisch//
Sandra Hüller: Penthesilea, Jens Harzer: Achilles, Foto: Monika Rittershaus

In Bochum ist man einen anderen Weg gegangen. Zunächst hatte Johann Simons Elias Canettis „Die Befristeten“ im Schauspielhaus inszeniert, und das in einem radikal umgebauten Zuschauerraum. Ganze Sitzreihen hat man herausgerissen, in den noch bestehenden Reihen alle Sitzflächen bis auf jeweils vier Plätze herausgenommen. So gab es 50 statt 800 Zuschauer.

2018 hatte Johann Simons für die Salzburger Festspiele Kleists „Penthesilea“ inszeniert. Aber statt Kriegsszenen und Schlachtenlärm gab es auf der Bühne nur zwei Menschen zu sehen und zu hören: Penthesilea und Achill, dargestellt von Jens Harzer und Sandra Hüller.

Mit diesem Zweipersonenstück hatte Johann Simons die erste Spielzeit als Intendant in Bochum eröffnet. Jetzt wird es wieder in Bochum gezeigt. In den Zeiten von Corona ist es noch minimalistischer geworden und heißt jetzt „Erinnerst Du Dich Penthesilea?“. Die Zuschauer waren gespannt auf eine Penthesilea ohne Zweikampf, ohne Umarmungen.

Penthesilea ist die Königin der Amazonen. Die Amazonen suchen sich auf den Schlachtfeldern starke Männer, um mit ihnen Nachkommen zu zeugen.

Penthesilea greift in den Kampf der Griechen um Troja ein. Sie trifft auf Achill, die beiden verlieben sich leidenschaftlich ineinander. Auf dem Schlachtfeld aber bleiben sie Gegner. Denn Penthesilea darf nur jemanden lieben, den sie zuvor besiegt hat. Das ist das Gesetz der Amazonen, dem sie sich beugen muss.

Kleists Drama ist ein Stück von Gewalt, Aggressivität, Krieg, Dominanz und Unterwerfung. Johan Simons, der Intendant am Bochumer Schauspiel, hat ein Zweipersonenstück daraus gemacht.

In den Zeiten von Corona ist der Regisseur nicht ganz Herr der Situation, die Gesundheitsbehörden machen Vorgaben. Johan Simons Penthesilea ist jetzt noch minimalistischer geworden.

Darum heißt es nun: „Erinnerst Du Dich, Penthesilea?“ Johan Simons setzt nicht auf Effekte: Keine Videoaufzeichnungen. Keine Musik. Einmal ein lautes Reißen, als werde ein Stück Stoff zerissen. Licht im Zuschauerraum. Simons setzt ausschließlich auf Kleist, Jens Harzer und Sandra Hüller.

Zwei Stühle auf der ansonsten leeren Bühne. Zwei Schauspieler, in schwarz gekleidet. Jens Harzer hat einen Stapel Papier vor sich liegen. Manchmal blättert er eine Seite um.

Sandra Hüller hat ein rotes Textbuch aufgeschlagen. Sie sitzen vor einer weißen Wand.

Das ist keine Lesung, keine Rezitation, am ehesten gleicht es einem Vorsprechen zweier Schauspieler vor einem Regisseur, einer Jury.

Hier gilt: Abstand statt hautnahem Kampf und Umarmung. In der ursprünglichen Aufführung hatte Sandra Hüller Jens Harzer noch zärtlich in die Ferse gebissen, hatten sich die beiden umarmt, hatten aufeinander eingeschlagen.

Salzburger Festspiele 2018/Penthesilea/Premiere / Sandra Hüller: Penthesilea, Jens Harzer: Achilles; Foto: Monika Rittershaus

In „Erinnerst Du Dich, Penthesilea?“ liefern Harzer und Hüller durch ihre Distanziertheit eine andere Interpretation der Penthesilea. So leidenschaftlich ihre Liebe ist, ihre Selbstbehauptung ist ihnen wichtiger. Sie können gar nicht aufeinander zugehen.

Aus Angst, sich aufzugeben, müssen sie von vornherein Distanz wahren. Manchmal erhebt sich Harzer und geht ein paar Schritte auf Hüller zu, sie braucht nur die Hand zu heben und er hält inne. Wenn er sie anlächelt, bittet sie ihn, damit aufzuhören.

Die beiden Ausnahmeschauspieler meisterten diese Distanzversion. Jens Harzer ist der große Kämpfer, aber auch der besorgte Liebende. Und das alles sieht man nur in seinem Gesicht. Er will Penthesilea schützen, ihr zunächst nicht sagen, dass sie seine Gefangene ist, als sie aus einer Ohnmacht erwacht.

Radikal hatte der Dramaturg Vasco Bönisch den Text gekürzt. Hüller und Harzer sprechen auch die Texte anderer Figuren aus Penthesilea. Das eröffnet ungewohnte Perspektiven.

Bönisch betont die Stellen, in denen es um Liebe, um Stolz und um Selbstachtung geht. Und so wirkt das Kleist’sche Drama sehr modern.

Die Liebe ist ein Schlachtfeld. Immer wieder muss sie neu erobert werden. Die Rollen, die die Liebenden einnehmen, müssen stets neu definiert werden. Denn wie es bei Kleist heißt, ist Penthesilea „nicht vergönnt die Gunst, die sanftere der Frauen“. Für Achill ist sie halb Furie, halb Grazie. Eine Frau, die er beherrschen will.

Doch Penthesilea will sich nicht aufgeben, sich nicht unterordnen, ebenso wenig wie er.

Salzburger Festspiele 2018/Penthesilea/Premiere/Regie:Johan Simons, Sandra Hüller als Penthesilea, Jens Harzerals Achilles; Foto: Monika Rittershaus

Sie ist die Lautere, die Wütendere, die Unbeherrschtere.

Unbewaffnet tritt Achill Penthesilea gegenüber, aber Penthesilea traut ihm nicht. Im Wahn hetzt sie eine Hundemeute auf den wehrlosen Achill und tötet ihn. Zu spät begreift sie, was sie getan hat. Sie hat sich einem sinnlosen Gesetz gebeugt, dass von der Amazone fordert, den Mann zu besiegen, den sie liebt. Sie schwört dem Gesetz der Amazonen ab und nimmt sich das Leben.

Auf der Bühne hörte man Klagen, Flüstern, manchmal Schreien. Es ist ein außergewöhnlicher Theaterabend – allein durch die Kraft der Sprache und zwei großartige Schauspieler.

 

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