Kleist, Feuchtwanger und Houellebecq in Bochum
Johan Simons führt Bochum zurück in die erste Liga der Schauspielhäuser
Von Simone Hamm
Es beginnt mit einem lauten Rums. Stockfinster ist es im Zuschauerraum des Bochumer Theaters. Auch auf der Bühne. Dann knallen Plastikstühle und -tische, Regalteile, Zimmerpalmen, Matratzen und Kleidungsstücke auf die Bühne. Es hat einen Terroranschlag gegeben im Club „Eldorador Aphrodite“ – 117 Menschen sind getötet worden…
Die Erstinszenierung von „Unterwerfung“ entstand 2017 in Kooperation von NTGent und Action Zoo Humain und Chokri Ben Chikha, Text: nach Michel Houellebecq, Deutsch mit englischen Übertiteln, Regie: Johan Simons, Foto: Tobias Kruse
Gleich zwei Theateradaptionen von Michel Houellebecqs dystopischen Romanen „Plattform“ in der Bühnenfassung von Tom Blokdijk und „Unterwerfung“ in der Bühnenfassung von Jeroen Verstelle zeigt das Schauspiel Bochum an einem Abend. Beide Stücke hat Simons schon am Nationaltheater Gent gezeigt, 2005 und 2015. In Bochum hat er sie neu inszeniert. Beibehalten hat er das großartige Bühnenbild, das der früherstorbene Bert Neumann 2005 für die Genter Produktion entwarf: ein Raum voller Müll und Plastik.
Zuerst „Plattform“. Simons und Blokdijk erzählen den Roman vom Ende her. Nach dem großen Knall, dem Attentat, schälen sich die Schauspieler langsam aus dem Müll heraus. Michel hat überlebt, seine Geliebte Valérie nicht. Er hatte sie bei einer Rundreise durch Thailand kennengelernt, sie arbeitet in der Tourismusbranche. Sie hat das ultimative Reisemodel des Kapitalismus angeboten: Reiche, gelangweilte und sexuell Frustrierte fahren in arme Länder, in denen die Menschen nichts als ihren Körper haben, den sie anbieten. Die Eldorado Aphrodite Clubs laufen nicht so gut in islamischen Ländern, sonst boomen sie überall.
Auch Michel und Valérie haben ein reiches Sexleben, das Michel detailliert beschreibt. Währenddessen ziehen sie sich an, nicht aus. Valérie, großartig gespielt von Karin Moog, ist traumschön, hat den perfekten Körper, langes, lockiges Haar, trägt kurze Röcke und Stilettos, sie ist der fleischgewordene Traum eines jeden Sextouristen. Und doch eine kalte Geschäftsfrau.
Die „Unterwerfung“ nach einem Text von Michel Houellebecq, Foto: Tobias Kruse, Schauspielhaus Bochum
Blokdijk hat eine Figur hinzugefügt, den Terroristen Yassin, bleich und blass, gespielt von Lukas von der Lühe. Er sprengt das thailändische Urlaubsbordell in die Luft.
Auch in „Unterwerfung“ wird er wieder auftauchen. Er rächt seine Schwester und bringt ihren Verführer um, bei dem sie als Putzfrau arbeitet. Dieser Verführer ist der Vater der Hauptperson François. Die tunesische Putzfrau wird gespielt vom bärtigen Mourad Baaiz in einem roten chinesischen Qibao – Kleid. Folklore. Es ist den Franzosen einerlei, aus welch exotischem Land ihre Geliebten kommen, und ob sie Mann oder Frau sind – Hauptsache sie sind willig.
In „Unterwerfung“ konnten die Franzosen bei der Wahl zum Präsidenten entscheiden zwischen Marine Le Pen und dem charismatischen Muslimbrüder Mohamed Ben Abbas. Sie entscheiden sich – na klar – für den arabischstämmigen Dauerlächler. Sanft und freundlich und sehr schlau stellt ihn Mourade Zeguendi dar, jedes Klischee, darf er bedienen, er hält sich eine siebzehnjährige Zeitfrau und bietet pausenlos zuckersüße Naschereien an.
Die Sorbonne wird die erste islamische Universität Frankreichs. Bleiben darf, wer konvertiert. Am schnellsten konvertieren die mediokren Wissenschaftler. Francois ist Professor für Literatur, seine Geliebte ist die Jüdin Myriam, die das Land verlassen wird. Es spielen wieder Karin Moog und Stefan Hunstein. Hunsteins Haare sind fettiger geworden, der Jogginganzug noch unförmiger. Dieses alter ego von Michel Houellebecq ist voller Verzweiflung, voller Selbstmitleid, Larmoyanz und Zynismus.
Houellebecqs Gesellschaftskritik mag bisweilen redundant und dann wieder sehr simpel sein, sie ist immer rasend komisch.
Leider hat Joreon Verstelle „Unterwerfung“ zu sehr auf die Figur François reduziert. Dessen sexuellen Vorlieben, dessen sexueller Frustration wie zu großer Raum sind gegeben. Die Entwicklung der Koalitionsstrategien bei französischen Präsidentschaftswahlen bleiben dabei genauso auf der Strecke wie die unglaubliche Anpassungsfähigkeit der französischen Intellektuellen an das neue, arabische Regime. Zweimal Sex in allen Variationen – das reicht dann doch nicht für vier Stunden.
Dass es alles in allem doch ein sehr unterhaltsamer Theaterabend ist, liegt an der ironischen Inszenierung und dem großartigen Ensemble.
Salzburger Festspiele 2018/Penthesilea/Premiere am 29.07.2018/ Regie:Johan Simons, Bühne:Johannes Schütz, Kostüme: Nina von Mechow, Dramaturgie:Vasco Bönisch//Sandra Hüller:Penthesilea, Jens Harzer:Achilles, Foto: Monika Rittershaus, Schauspielhaus Bochum
Seinen Einstand in Bochum gab Intendant Johan Simons mit einer „Penthesilea“ Interpretation, die er schon in Salzburg gezeigt hatte. Das war klug. Denn um es gleich vorwegzunehmen, es ist ein großartiger Theaterabend mit zwei herausragenden Schauspielern.
Pechschwarz ist die Bühne von Johannes Schütz, am vorderen Rand einzig ein greller Streifen aus Neonlicht. Bei Johan Simon und seinem Dramaturgen Vasco Boenisch gibt es keine Schlachtfelder, kein Blut, keine Griechen- und keine Amazonenheere. Seine Penthesilea spielt in einer Seelenlandschaft. Es gibt einzig und allein den Kampf der Geschlechter. Boenisch und Simons zeigen die Essenz des Kleistschen Stückes.
Es gibt nur Achilles und Penthesilea. Und doch geht es hier natürlich auch bei Simons um mehr als eine private Liebesfehde. Auch Kämpfenden haben Aufgaben, Ideale, müssen sich an Gesetze halten, ihre Gefühle zurückstellen. Auch seine Penthesilea wird verzweifeln, nachdem sie dem Gesetz der Amazonen geholt ist und den Geliebten mit den Hunden zerrissen hat.
Achilles und Penthesilea beäugen einander, umtänzeln einander. Sandra Hüller ist Penthesilea mit rattenkurzem blonden Haar, „halb Furie, halb Grazie“. So beschreibt sie Achilles, dargestellt von Jens Harzer. Beide tragen schwarze Röcke, und so wie Achilles weibliche Attribute, so hat Penthesilea männliche.
Penthesilea erzählt in der ersten und dritten Person die Kleistsche Handlung nach. Mal ist sie mittendrin im Geschehen, dann wieder kühle Beobachterin. Achilles umtanzt und umgarnt sie. Er ist ihr von Anfang an unterlegen. Er ahnt, dass sie ihn besiegen muss. Nur dann wird sie ihn lieben können. Love is a Battlefield.
Da liegt Penthesilea scheinbar schutzlos auf der Neonlichtleiste, in kaltes, grelles Licht gehüllt. Achilles gesteht ihr seine Liebe. Sie lachen miteinander. Küssen, begehren sich. Sie sind zerrissen, hin und herumgeworfen. Am Ende wird Penthesilea die Ehre ihres Geschlechts gerettet haben, aber einsam sein.
Zwei Paraderollen für zwei ganz, ganz große Schauspieler, die das Publikum jede Sekunde in ihrem Bann halten. Die Sprache reduziert, aller Schnörkel beraubt. Das Geschehen auf zwei Personen reduziert, die sich austoben und zugleich ausflüstern.
„Die Jüdin von Toledo“ nach Lion Feuchtwangers Roman von 1955, Anna Drechsler, Grelle Brückner, Risto Kuba Michael Lippold, Guy Clemens, Hanna Hilsdorf, Foto: Jörg Brüggemann, Ostkreuz, Schauspielhaus Bochum
Dann zeigte das Schauspiel Bochum Johan Simons „Die Jüdin von Toledo“ nach Lion Feuchtwangers 1955 erschienen Roman. Es spielt im 12. Jahrhundert, erzählt von der Liebe des christlichen Königs Alfonso von Toledo zu der schönen Jüdin Raquel. Es ist auch eine Geschichte von religiöser Toleranz und Intoleranz und natürlich eine Geschichte von der Macht. Die Figuren sind hier weniger individuell, vielmehr stehen sie für bestimmte Prinzipien. Sie verkörpern Bildungsaufträge mehr denn Gefühle. Da sind der weltoffene, aufgeklärt Muslim, der um Frieden ringende Jude, der liberale katholische Priester und der radikale katholische Glaubenskrieger. Und ja, es geht auch um Flüchtlinge. Sind die aus Frankreich eindringenden Juden Chance oder Bedrohung? Und damit man auch wirklich weiß, dass diese Geschichte aus dem 12. Jahrhundert irgendwie auch in der Jetztzeit spielt, dringt am Ende Verkehrslärm von außen auf die Bühne.
„Die Jüdin von Toledo“ nach Lion Feuchtwangers Roman von 1955, Foto: Foto: Jörg Brüggemann, Ostkreuz, Schauspielhaus Bochum, Schauspielhaus Bochum
Der Antisemitismus wird aus politischen, taktischen Gründen geschürt. So wird der Krieg unvermeidlich. Nach der Pause schlagen die Schauspieler eine weiße Styroporwand ein. in diesen Trümmern kämpft jeder gegen jeden. Und jeder steigt auf jeden. Sex und Krieg. Gier und Tod. Ein Ritter erschlägt Jehuda quälend langsam mit Styroporbrocken. Die Bühne kippt hoch, Menschen, Styroporteile rutschen herab. Was bleibt, ist Müll und Schutt.
Dass der Abend dennoch ein Hochgenuss ist, liegt wieder an den wunderbaren, internationalen Schauspielern. Musa, der arabische Agnostiker wird von einer Frau gespielt, von der quirligen Gina Haller. Der Verfechter der Kreuzzüge, den Kardinal verkörpert Guy Clemens böse und finster. Pater Rodrigue, dargestellt von Michael Lippold, sehnt sich nach Zärtlichkeit, Pierre Bokma ist der weise Jehuda. Anna Traxler ist die eifersüchtige Königin, die gegen die jüdische Geliebte ihres Mannes hetzt. Der König Alfonso ist Ulvi Teke in knielangen Hosen, ein Clown von einem Herrscher. Hanna Hilsdorf ist die Jüdin von Toledo, mal ein Kindskopf, dann wieder luzide. Wer ein solches Ensemble hat, dem verzeiht man sogar den erhobenen Zeigefinger.
Es geht hoch her auf der Bühne, in der Liebe wie in der Schlacht.
Johan Simons hat wirklich einen fulminanten Einstieg mit diesen drei Regiearbeiten. Das Bochumer Schauspielhaus ist (wieder) eine Spielstätte allerersten Ranges.